Exerzitienvorträge für die Novizinnen der Oblatinnen 1879

      

8. Vortrag: Über das Stillschweigen – Gefahr der verbotenen Gespräche

Donnerstag Abend, 11. September 1879

Meine Kinder, es gibt eine wesentliche Bedingung, um zu erhalten, wovon ich heute Vormittag sprach, um zu verdienen, mit dem lieben Gott tagsüber zu sprechen. Diese Bedingung ist das Stillschweigen. Es ist unmöglich, dass sich der liebe Gott einer Seele schenkt, die sich durch zu lange und zu häufige Gespräche zerstreut. Es ist unmöglich, dass eine Seele, die sehr gerne spricht, die göttlichen Mitteilungen erhält. Der liebe Gott ist ein eifersüchtiger Gott. Er ist der Gott der Einsamkeit, er ist der Gott der Stille. In den Tiefen des Himmels schaffen die Engel und die Heiligen Stille, um ihn anzubeten.
Wenn wir sehr oft – ich würde sagen fast immer – nichts oder fast nichts vom lieben Gott erhalten, so ist es, weil wir zu sehr gegen das Stillschweigen fehlen. Wir sprechen außerhalb dessen, was erlaubt ist, wozu der Gehorsam ermächtigt, außerhalb dessen, was die Nächstenliebe oder die Gepflogenheiten verlangen. Vergesst nicht, dass ihr, wenn ihr gegen die Nächstenliebe oder den Gehorsam sprecht, wenn ihr euch zu sehr über Dinge ergeht, die nicht notwendig sind, in euch die Flamme des Heiligen Geistes löscht.
Jede Seele, die sich so zerstreut, jede Seele, die sich in der Vielfalt der Worte verdampft, kann nicht auf die göttlichen Mitteilungen zählen. Wenn ihr euch über Dinge unterhaltet, die entschieden vom Gehorsam verboten sind, wenn man euch zum Beispiel im Noviziat sagte, über dieses oder jenes nicht zu sprechen, und ihr sprecht darüber, ist es unmöglich, dass der Geist Gottes in euch wohnt, ganz so wie es unmöglich ist, eine Flüssigkeit in der hohlen Hand zu halten. Um Wein aufzubewahren, braucht man eine Flasche, ein Fass. Wollt ihr die Gnade aufbewahren? Wohlan, meine Kinder! Das Stillschweigen ist das heilige Gefäß, das erwählte Gefäß, das die Gnade, die göttliche Salbung aufbewahrt. Ist das Stillschweigen einmal gebrochen, entweicht die Gnade. Sie verflüchtigt sich umso schneller, als euer Geist leichter, unbeständiger ist. Achtet gut darauf, meine Kinder, denn in diesem Punkt müsst ihr euch genau überwachen. Im Allgemeinen fehlt euch die Abtötung am meisten, sie wird unter euch am wenigsten angewendet, doch ohne sie kann man keine gute Nonne sein.
Meine Kinder, wenn sich eine unter euch dieses Fehlers, über vom Gehorsam verbotene Dinge zu sprechen, schuldig macht, beschwöre ich euch im Namen unseres Herrn, ihr zu sagen: „Meine Schwester, wir würden Böses tun, uns darüber zu unterhalten. Dies ist nicht der Augenblick, darüber zu sprechen.“ Ich fordere es unbedingt. Es ist notwendig, das zu unterbrechen, denn es ist ein sehr großes Hindernis für die Gnaden Gottes.
Und wie ist es doch beglückend, sein Leben im lieben Gott zu finden, ganz im Kreis seiner Berufung zu sein. Wie ist es gut, sich so vieler Gnaden, so vielen Glücks zu erfreuen, indem man gehorcht, indem man treu bleibt! Fürchtet also, dass es euch genommen wird, und vor allem, es den anderen zu nehmen! Da ist eine Novizin, die diese Gnaden nicht verdient hat, das ist ein Unglück für sie, aber wenn sie es einer anderen nimmt, macht sie sich doppelt schuldig. Ich verbiete also, dass eine von euch duldet, dass eine Mitschwester zu ihr kommt, um mit ihr außerhalb der Zeit, in der es erlaubt ist, mit ihr zu sprechen. Und selbst dann, sprecht nicht über verbotene Dinge. Vernachlässigt es also nicht, diese geschwisterliche Korrektur vorzunehmen, die für die gute Ordnung der Ordensgemeinschaft wesentlich ist.
Hört mir gut zu, meine Kinder, und versteht mich. Heute Vormittag habe ich euch die Absichten des lieben Gottes mit euch gesagt und mit der Ordensgemeinschaft. Diese Absichten müsst ihr achten und ihr dürft ihrer Verwirklichung kein Hindernis entgegenstellen. Wohlan! Wenn der liebe Gott die Ordensschwestern besuchen will, mit der ihr gegen das Stillschweigen fehlt, hindert ihr ihn einzutreten. Ihr übernehmt die Verantwortung, ihn in diese Seele nicht eintreten zu lassen. Wer weiß, ob er nicht eine sehr große, unendliche Gnade für diese Ordensschwester vorbereitet hat, die ihr euretwegen genommen wird. Der liebe Gott entfernt sich von ihr; wisst wohl, dass das Urteil über euch hart sein wir! Wenn ihr die Gewohnheit habt, so gegen den Gehorsam zu reden, wenn ihr bösen Willen hineinlegt, seid ihr sehr unglücklich. In den Augen des lieben Gottes ist eure Verantwortung groß. Ihr verschließt Gott die Tür, ihr hindert ihn, sich mitzuteilen. Und wer seid ihr denn, um euch dem Herrn entgegenzustellen? Ich übertreibe nicht, ich sage, dass die, die sich dieser Art von Fehlern schuldig machen würde – wenn es bei ihr eine Gewohnheit wäre – eine Unglückliche wäre, sie würde die Gottesgabe hindern, sich mitzuteilen, sie würde sich einer strengen Bestrafung aussetzen. Unglück über sie! Unglück über alle, die so handeln würden! Wenn sie nicht in der Lage wären, sich in dieser Hinsicht zu ändern, mögen sie ihr Ordensgewand ablegen und weggehen. Denn bis sie Buße getan hätten, hätte sie der liebe Gott in Schrecken gehüllt, weil sie andere verloren hätte. Was wollt ihr, dass sie machen, die ihr veranlasst habt, Gott untreu zu sein? Was soll aus ihnen werden? Das ist äußerst ernst, meine Kinder.
Da ist zum Beispiel ein Noviziat aus dreißig Novizinnen zusammengesetzt, die alle gute Anlagen haben. Sie gehen mit gutem Herzen an alles heran, was der Gehorsam verlangt. Sie haben alle nur ein Herz und eine Seele. Aber es kommt ein böser Geist, ein Geist des Ärgernisses. Und dieser böse Geist spricht zu einer Novizin und löscht in ihr den Eifer und die Unbefangenheit zum Gehorsam aus. Diese Ordensschwester teilt ihrerseits diesen bösen Geist einer anderen mit, dann noch einer anderen, und so weiter. Da ist das ganze Noviziat verunsichert – wie durch diese Pestdämpfe, die Krankheiten, wenn sie nicht sogar den Tod verursachen. Da ist ein Noviziat, das dem lieben Gott nicht mehr angenehm ist; und dennoch liebt es Gott so sehr! Der liebe Gott aber ist wie aus diesem Haus davongejagt!
Und ihr glaubt, dass diejenige, die dafür der Grund wäre, nicht sehr schuldig sein würde? Sie würde das Amt Satans ausführen, sie wäre sein Helfershelfer, sein Apostel, da sie die Entzweiung in die Seelen bringen würde. Es wäre Satan selbst. Ich übertreibe nicht, ich sage nichts zu starkes, es ist die Wahrheit.
Unglück der, durch die das Ärgernis kommt! Es wäre besser für sie, man würde ihr einen Mühlstein um den Hals hängen und sie ins Meer werfen! Das ist ein Wort des Evangeliums (vgl. Mt 18,6), über das wir noch nicht genug nachgedacht haben, ohne Zweifel nicht aus bösem Willen, sondern aus Leichtfertigkeit.
Wisst ihr, dass es Gott gefällt, den Nonnen mehr Gnaden zu schenken als den Weltlichen? Und da hindert ihr durch ein unbedachtes Wort eure Mitschwester, diesen Gnaden zu entsprechen, ihr hindert sie zu machen, was der liebe Gott von ihr verlangt, und ihr glaubt, dass der liebe Gott euch segnen wird? Gewiss nicht! Es kostet manchmal etwas, ein Wort nicht zu sagen, das gebe ich zu. Sagt es als der Mutter Oberin oder der, die die Gnade hat euch zuzuhören, aber wendet euch nicht an die, die nicht das Recht hat, euch zu hören. Seid vorsichtig, schüttet nicht Verwirrung und Misstrauen in eine andere Seele. Die Quelle dieses Übels ist die Redseligkeit. Alain-René Lesage (1668-1774) sagt: „Das Wort ist ein Schwerthieb.“ Es ist noch etwas Schlimmeres, denn das Schwert kann das Leben nehmen, aber nicht in die Hölle stürzen, während das böse Wort die Seele in die Unsicherheit und die Abscheu seiner Berufung wirft.
Ihr werft euch also ein unnötiges Wort während der Zeit des Stillschweigens vor. Das ist ein Fehler, für den ihr Buße tun müsst. Ihr werdet euch dieses Fehlers anklagen, dem lieben Gott ein kleines Opfer anbieten, euch im Speisesaal etwas versagen, euch auf die eine oder andere Art abtöten, um dafür Verzeihung zu erhalten, denn das ist schwer.
Meine Kinder, wir werden den Vorsatz fassen, das Stillschweigen gut zu wahren. In der Erholung nichts Verbotenes und während des ganzen übrigen Tages kein unnötiges Wort sagen. Als ich im Priesterseminar war, haben wir gebeichtet, gegen das Stillschweigen gefehlt zu haben. Ich hatte einen Kollegen, der die ganze Zeit, die er im Seminar blieb, nie ein unnötiges Wort sagte. Er ist ganz jung gestorben, wir betrachteten ihn wie einen Heiligen und unser Professor schätzte ihn so sehr, dass er wollte, dass sein Platz das ganze Jahr über leer blieb, um uns daran zu erinnern, was wir zu machen haben, um Gott treu zu sein.
Fasst also wohl, meine Kinder, den Vorsatz, nie während der Zeit des Stillschweigens zu sprechen, vor allem nicht über Verbotenes. Der Herr gewährt den Seelen, die die Stille wahren, viele Gnaden. Der gute Meister selbst versichert es uns. „Diejenigen, die ich liebe, werde ich in die Einsamkeit rufen“, sagt der Herr, „und dort werde ich zu ihren Herzen sprechen.“ Er sagt nicht: zu ihren Ohren, sondern zu ihren Herzen. Wenn man zum Herzen spricht, macht man keinen Lärm, die Lippen geben keinen Ton von sich, aber eine innere Stimme lässt sich hören, die bis zur Seele geht. Ihr werdet sehen, meine Kinder, wie gut es tun wird, auf diese Stimme zu hören. „Sprich, Herr, und jede andere Stimme möge schweigen! Sprich, Herr, und die Kräfte meiner Seele mögen dich verstehen. O, lass mich dich hören! Ich lausche, Herr, ich schweige. Möge dein Wort für meine Seele hörbar sein und am Tag, an dem du mir sagen wirst: Komm!, möge ich dir aus ganzem Herzen antworten: O ja, Herr, ich komme!“ Amen.