5. Vortrag: Über die Betrachtung – Fortsetzung; Vorbereitung auf die Heilige Kommunion
Mittwoch Vormittag, 10. September 1879
Meine Kinder, wir setzen unsere Vorträge über die Art, wie ihr eure Betrachtung am Morgen machen sollt, fort. Heute werden wir von dem Tag sprechen, an dem ihr das Glück habt, die Heilige Kommunion zu empfangen. „Die Heilige Kommunion“, sagte der heilige Franz von Sales, „ist die Sonne des geistliches Lebens, die Sonne aller unserer Übungen.“ Wenn es auf der Welt keine Sonne gäbe, wäre alles in Nacht getaucht, nichts würde leben, es wäre das Reich des Todes. Die Heilige Kommunion ist das Leben unserer Seele. Sie verleiht ihr ihre Schönheit, ihren Glanz. Wir müssen also an den Tagen der Kommunion bei der Betrachtung an die große Tat denken, die wir vollbringen werden. Wir müssen uns sagen: „Ich werde unseren Herrn empfangen …“
Wenn der Heiland noch auf Erden wäre, und man uns sagte: „Er wird kommen! Der Herr wird heute die Gemeinschaft besuchen!“ Wie glücklich würdet ihr sein! Wie würdet ihr ihm mit der heiligen Elisabet sagen: „Bist du es Herr, der zu mir kommt? …“ (vgl. Lk 1,43); mit der heiligen Maria Magdalena: „O mein guter Meister …“ (vgl. Joh 20,16); mit dem heiligen Johannes: „Ja, komm, Herr Jesus, komm!“ (vgl. Offb 22,20) und mit den Aposteln: „Wie gut ist es bei dir; bleib bei uns Herr, sag uns, wie wir mit dir sprechen sollen.“
Meine Kinder, wie empfangen wir den Herrn gewöhnlich? Hat diese Kommunion in uns die Wirkungen, die man sich davon erwarten darf? Empfangen wir nicht die Heilige Hostie wie ein gewöhnliches Brot? Ist es für uns wirklich das Brot der Engel, das Brot des Himmels? Leider nein! Weil wir nicht im Himmel sind, weil wir keine Engel sind und weil wir uns sehr oft nicht entsprechend darauf vorbereiten.
Bitten wir unseren Herrn, er möge uns selbst vorbereiten, unsere Seelen erleuchten, sie die Entfernung messen lassen, die ihn, den unendlichen von diesem so kleinen, so jämmerlichen, so armen, so elenden, zu allem Guten so unfähigen Geschöpf trennt. „O mein Gott, um die Entfernung zu verkürzen, willst du, dass sich die Allmacht mit der Schwäche, die Heiligkeit mit dem Elend vereint. O mein Gott, sei gepriesen! O meine Seele, sei aufmerksam, halte still, weil der Meister kommt! Aber was wird er in mir finden? Wie vieler Fehler bin ich aus Mangel an Herz, an Mut schuldig? … Wie viele aus Nachlässigkeit begangene Fehler! O mein Gott, du besuchst eine arme, kleine, verfallene Hütte! … Wenn sie wenigstens sauber und gut geführt wäre, könnte es dir dort noch gefallen; aber schau, wie dieser kleine Haushalt meines Herzens wenig gepflegt ist, wie meine Gedanken in alle Richtungen davonfliegen, wie wenig sie nach der Ordensregel, nach deinem Willen sind. Aber, Herr, sag ein Wort, und alles in mir wird dir untertan sein, und diese Wohnung wird deiner weniger unwürdig sein. Sag mir dieses Wort, sag mir, dich zu lieben, dir besser zu dienen …. Wenn du nun in mein Herz kommen wirst, werde ich von dir leben, ich werde mit dir sprechen, ich werde dich nicht mehr alleine lassen, ich werde immer bei dir bleiben.“
Mögt ihr an den Tagen der Kommunion von diesem Gedanken ganz erfüllt, ganz eingefärbt sein. Wie gut tut es, sich vorzubereiten! Wie süß ist die Erwartung des Göttlichen Meisters! Wie glücklich ist die Seele, wenn sie so auf ihn zugeht! Man hat ihm so viel zu sagen, so viele Gnaden zu erbitten! Die Betrachtung ist nicht zu lang, und wenn man ans Ende kommt, sagt man: „Aber, Herr, ich konnte kaum zu dir sprechen! Wenn du in meinem Herzen sein wirst, wirst du zu mir sprechen, Herr, und das wird unsere Übereinkunft sein: ich werde nichts machen, du wirst alles für mich machen; ich werde nicht mehr sprechen, du wirst das Wort ergreifen; wenn du mit mir sein wirst, wirst du mit mir arbeiten, wirst dich mit mir ausruhen; nicht mehr ich, du wirst in mir leben.“
Wenn ihr die Betrachtung so macht, o, wie nützlich wird euch die Kommunion sein! Meine Kinder, ihr beklagt euch verschieden zu sein, ihr beklagt euch, den lieben Gott nicht zu lieben und ihr kommt zur Quelle der Liebe. Ihr sagt, dass ich kalt seid und ihr fragt mich warum. Der Heiland weiß es wohl, und ich werde es euch an seiner Stelle sagen: Weil ihr an eurem Willen, an euer Wohlbehagen, an euren Ideen gebunden seid. Ihr wollt, dass der Heiland zu euch in der Vertrautheit spricht, und ihr habt alles Mögliche den Geschöpfen zu sagen. Ihr wollt, dass er euch liebt, und ihr liebt euch mehr als ihn. Ihr habt alles Mögliche außer ihn zu lieben. Ihr beklagt euch, dass er euch nichts sagt. Hört ihr ihm überhaupt zu? Versetzt ihr euch in den Stand zu hören, was er euch zu sagen hätte? Womit beschäftigt ihr euch gewöhnlich? Prüft es ernsthaft, denn wohin gehen meistens eure Gedanken? Dort ist, was ihr liebt, und wo sich befindet, was ihr liebt, da ist euer Herz. Wenn ihr euch um euch selbst dreht, lässt euch der liebe Gott dort. Darüber sollt ihr weder staunen, noch euch beklagen.
Viele Leute sagen: „Ich kann keinen Glauben haben!“ Es ist, weil sie nichts machen, um ihn zu verdienen. Der liebe Gott gibt das Brot der Kinder nicht den Hunden. Er wird auch euch nicht das Brot seiner Liebe geben, wenn ihr nichts für ihn macht. Ihr beklagt euch, den lieben Gott nicht zu lieben. Aber macht ihr, was Achtsamkeit und Treue heißt? Wie würde eine schlechte Dienerin, die nur Fehler macht, Aufmerksamkeiten verdienen? Man darf dem lieben Gott nicht unrecht tun. Alle, die sich selbst verlassen, finden den lieben Gott.
Ich las so eben in meinem Brevier etwas, das mir großes Glück bereitete. Man feiert heute das Fest des heiligen Nikolaus von Tolentino (1245-1305). Da dieser Heilige vom Glück, alles für Gott zu verlassen, gehört hatte, trat er bei den Mönchen des heiligen Augustinus ein und wurde ein großer Diener Gottes. Einige Zeit vor seinem Tod hörte er die Engel im Himmel singen und dieser Gesang erfreute und belehrte ihn. Das erinnerte mich an etwas, wo von ich bei Schwester Marie-Geneviéve Zeuge war. Sie hörte auch die Engel singen. Sie sangen ihr die Weissagungen, die sie über die Oblatinnen des heiligen Franz von Sales, den Krieg und die Absetzung Napoleons machte. Sie sagte: „Der, der sing, sang dies und das!“ Und was sie ankündigte, verwirklichte sich auf wunderbare Weise. Ich war glücklich, zwei heilige Seelen in so großer zeitlicher Entfernung so völlig ähnlich mit Gnaden beschenkt zu sehen. Ihr werdet sagen: „Wenn ich so viel davon hätte, würde ich mich nicht beklagen.“ Wohlan! Macht, was sie machten, und ihr werdet auch beschenkt werden. Sie waren sehr reich an Gnaden vor dem lieben Gott, aber sie hatten sie verdient. Schwester Marie-Geneviève vollbrachte nichts Großes, sie häufte Heller um Heller, Pfennig um Pfennig. Diejenige, die von sich selbst, von ihren Neigungen losgelöst sein wird, damit sie am Tag der Kommunion in aller Wahrheit sagen kann: „Nicht mehr ich lebe, Christus lebt in mir“, wird wie Schwester Marie-Geneviève und wie der heilige Nikolaus von Tolentino beschenkt werden. Also, meine Kinder, bereitet euch aus ganzem Herzen auf die Heilige Kommunion vor, und ihr werdet viel vom lieben Gott erhalten. Ich sage nicht, dass ihr Gefühle, spürbare Gnaden bekommen werdet, aber ich werde auch nicht sagen, dass die Heilige Kommunion in euch nicht wirkt, dass sie keinen Brunnen der Liebe, der Treue, der Frömmigkeit erzeugt. Wenn sie nicht wirkt, so habt ihr euch nicht darauf vorbereitet.
Ihr dürft euch nicht quälen und vor allem nicht so sehr beklagen. Ihr sagt: „Habe ich mich nicht genug vorbereitet?“ Das ist möglich. „Aber ich habe doch guten Willen.“ Ja, aber seid ihr immer, was ihr sein sollt? „Nein, aber …“ Da ist immer dieses Aber … Euer guter Wille soll nicht sein, das Gute zu tun, wie ihr glaubt, sondern wie der liebe Gott es verlangt. Und dann werdet ihr erhalten, was ihr braucht. Hört das Wort der Heiligen Schrift: „Den, der den Herrn suchte, sah ich nie im Elend, er musste nie sein Brot suchen.“ Doch ich weiß, es gibt Augenblicke der Prüfung, der Versuchung, die von der Gebrechlichkeit unserer Natur kommen. Wir sind dafür nicht verantwortlich, aber davon spreche ich in diesem Augenblick nicht.
Prüft gut, meine Kinder, was in dem kleinen Haus eurer Seele nicht in Ordnung, nicht an seinem Platz ist. Prüft gut, was nicht gereinigt wurde, um Abhilfe zu schaffen, und damit es dem Herrn Jesus, wenn er in euer Herz kommt, dort gefällt und er dort bleibt. Wenn er nicht sagt: „Es ist mir eine Wonne, bei dir zu sein“, ist da etwas, das ihm in euch missfällt.
Bereitet euch also gut vor, damit eure Seele zum Heiland geht, und der Heiland zu ihr kommt. O, dann kann man mit den Aposteln sagen: „Herr, wir gut ist es hier! Bleibe bei mir! Ich werde oft kommen, dich zu bitten, mich zu ermutigen, mich im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe wachsen zu lassen, denn wenn du in mich gekommen sein wirst, werde ich mich nicht mehr von dir trennen, weder im Leben noch im Tod.“ Amen.