Exerzitienvorträge für die Novizinnen der Oblatinnen 1879

      

10. Vortrag: Über die Ordenstracht

Freitag Abend, 12. September 1879

Eine wesentliche Bedingung, um aus den Vorträgen Nutzen zu ziehen, die euch während der Exerzitien gehalten wurden, ist, daran zu denken, sich oft daran zu erinnern, sie sich oft in Erinnerung zu rufen.
Man könnte Geschichte, Grammatik, Geografie lernen, wenn man bei den Lektionen der Lehrer nur anwesend ist. Man könnte zwanzig Jahre lang zuhören, ohne mehr darüber zu wissen als am ersten Tag. Das Wort ist ein flüchtiger, vergänglicher Ton. Es bleibt nichts davon übrig. Es ist also unbedingt notwendig, dass ihr über die Vorträge, die ihr hört, nachdenkt, dass ihr in sie eindringt, und dass ihr euch sagt: „Das werde ich machen, um umzusetzen, was uns gesagt wurde. Ich werde ihm eine ganz besondere Aufmerksamkeit schenken, ich werde es im Geist wiederholen.“ Ihr würdet vergeblich Vorträge hören, es würde euch nichts davon bleiben, wenn ihr nicht handelt, wie ich es euch sage. Ich würde es sehr bedauern, wenn die Worte, die ich an euch richte, nicht ihre Wirkung hätten. Ich spreche zu euch im Namen des heiligen Franz von Sales, um Namen unseres Herrn. Mein Wort muss bleiben.
Ihr konntet es bemerken. Die Vorträge, die ich euch hielt, waren fast alle über die Betrachtung, die tatsächlich das gesamte Ordensleben zusammenfasst. Eine Nonne, die ihre Betrachtung macht, ist in ihrer ganzen Wesensart abgetötet, sie lebt vom wahren inneren Leben. Macht das, und ihr werdet leben.
Heute Abend möchte ich euch ein Wort über die äußere Haltung sagen, damit ihr darin den heiligen Franz von Sales, die heilige Johanna Franziska von Chantal, unsere Gute Mutter Marie de Sales Chappuis und so viele andere Heilige nachahmt, die es verstanden, in ihrer Haltung, in ihren Worten und Gesten etwas von der Heiligkeit ihrer Seele, etwas vom lieben Gott durchscheinen zu lassen. Das fehlt euch. Jede behält ihre Art zu gehen, sich zu halten, jede behält ihre Eigenheiten, man nimmt nicht die Haltung unseres seligen Vaters [Franz von Sales] an, man tötet sich nicht ab, man lässt sich gehen.
Es muss in eurem Äußeren etwas Einfaches sein, etwas Ruhiges, das zur Achtung des Ordenslebens führt. Und deshalb müsst ihr in euch einen wahrhaft frommen Geist haben, vom Gefühl der Gegenwart Gottes durchdrungen sein und von der Größe der Aufgabe, die euch anvertraut ist.
Seid auch gute Nonnen in eurer Art zu sprechen, euch auszudrücken, das ist ein hauptsächlicher Punkt, meine Kinder, das ist etwas Wesentliches, denn die Welt, die euch sieht, sieht nicht in euer Herz, sie wird euch nur nach eurer Wesensart, eurer Art zu sprechen, zu gehen, beurteilen. Und wenn die Weisen zu handeln, sich zu verhalten von Unabtötung, Unabhängigkeit, Ungeniertheit zeugen, ist es nichts wert. Wir müssen unseren Herrn, die heilige Jungfrau, unseren heiligen Patronen, den heiligen Seelen, die wir gekannt haben, gleichen. Der heilige Paulus schrieb an die ersten Christen: „Ich beschwöre euch im Namen der Bescheidenheit Jesu Christi …“ (vgl. 2 Kor 10,1). Der Apostel hätte sagen können: „Ich beschwöre euch bei seiner Liebe zum Leiden, weil er für eure Sünden gelitten hat.“ Aber nein, er sagt: bei seiner Bescheidenheit, das heißt durch diese völlige Zurückhaltung, die er bei allem hatte. Sie musste sehr schön, sehr göttlich sein, diese Art, wie sich der Heiland verhielt.
Wenn eine Nonne in ihrem Äußeren etwas hat, das vom Stolz der Welt, der Persönlichkeit zeugt, wenn sie in ihrem Benehmen etwas Derbes, schlecht Erzogenes, Rustikales hat, ist es traurig. Sie muss sich also bemühen, das zu unterdrücken. Es dürfte da unter den Christen keine schlechte Erziehung geben. Wenn ihr früher in die letzte der Hütten eingetreten wäret, hättet ihr den Vater, die Mutter, die kleinen Kinder tadellos in ihrer Haltung gesehen. Ihr hättet gesehen, wie sie in Feinheit und Höflichkeit alles übertrafen, was die Welt erfinden konnte, weil ihr in dieser Hütte Seelen gefunden hättet, die Gott liebten. Es war die Vollkommenheit der Höflichkeit und der Feinheit. Heute ist es anders. Viele leben gemäß der Mode, kleiden sich gemäß der Mode, ohne sich zu fragen, ob es passend ist oder nicht. Damit macht man alle möglichen Dummheiten.
Achtet bitte gut darauf, meine Kinder, dass alles an eurer Art zu sein und zu handeln passend ist und seid dafür innerlich sehr fromm, das Innere macht das Äußere.
Eines Tages sagte der heilige Franz von Assisi zu Bruder Leo: „Gehen wir predigen“. Sie gehen durch die ganze Stadt und kehren dann ins Kloster zurück. Bruder Leo sagt nun zum heiligen Franziskus: „Aber Vater, Sie sagten, wir würden predigen gehen?“ „Ach ja! Wir haben soeben gepredigt. Haben Sie nicht bemerkt, dass ich betete, als ich auf der Straße ging? Wir haben uns benommen, wie es gute Ordensleute machen sollen. Glauben Sie, dass wir die anderen dadurch nicht erbaut haben? Hat unsere Haltung die Seelen nicht zum lieben Gott getragen? Ich versichere Ihnen, dass die Predigt, die wir soeben hielten, wirksamer sein wird als jede andere.“ Auch euer Äußeres, meine Kinder, muss um euch herum Erbauung bringen.
Ich wünsche mir sehr, dass ihr euer Ordenskleid mit Achtung und Würde tragt. Es empfing die Segnungen der Kirche, die Segnungen Gottes und unseres seligen Vaters [Franz von Sales]. Wird jemand, der ein Gewand der Ehre trägt, nicht mehr darauf achten, als wenn er ein gewöhnliches Gewand, ein Gewand der Schande trage würde? Wohlan, meine Kinder, euer heiliges Kleid sagt euch, dass ihr die Gemahlinnen des Heilands seid, sagt euch, dass ihr Gott gehört, dass ihr Gott folgt. Ihr müsst es würdig tragen. Man sagt, dass der heilige Franz von Assisi und andere Gründer vor ihm für ihre Söhne das Gewand der Armen ihrer Zeit angenommen haben. Für euch ist das Gewand, das ich euch gab, das, das euch von der Welt trennt. Es ist eine Gewand der Ehre. Ihr müsst es also sehr achten und davon bedeckt sein wie von etwas Heiligem, Geweihtem, das euch zum lieben Gott trägt. Ein Gedanke, der mich sehr für eure Frisur tröstet, ist, dass sie von unserem Herrn gesehen werden soll, denn sie gleicht der der Kanaanäerin. Ich finde großen Trost zu betrachten, was unser Herr sah.
Meine Kinder, wenn euch euer Gewand stört, werdet ihr es dem Heiland opfern, und ihr werdet es im Geist der Abtötung tragen. Ich will euch größte Achtung für euer heiliges Kleid einflößen. Es wurde von unserer Guten Mutter Marie de Sales Chappuis genehmigt und gesegnet. Schwester Marie-Geneviève sah es auch und liebte es. Sie war eine große Dienerin Gottes. Möge euch euer Kleid mit Bescheidenheit, Heiligkeit und Achtung umhüllen. Es gebe euch etwas Großes, Würdiges. Es veranlasse euch, euren Stand, eure Berufung zu lieben, denn in ihr werdet ihr das Leben und das ewige Leben finden. Amen.