Exerzitienvorträge für die Oblatinnen 1889

      

7. Vortrag: Über die Frömmigkeit bei der Heiligen Messe

Freitag Vormittag, 6. September 1889

Wir haben unsere Exerzitien mit dem Versprechen begonnen, sehr fromm zu werden. Die Nonne, die keine Frömmigkeit besitzt, ist ein Körper ohne Seele, sogar noch weniger als das, sie ist ein Skelett, und das anzusehen, ist nicht sehr schön. Es ist nichts mehr an ihr, keine Feinheit mehr im Herzen, keine Unterwürfigkeit mehr im Willen, keine Gnade mehr in der Liebe, keine Liebenswürdigkeit mehr im Gehorsam. Jede Nonne muss also fromm sein, aber vor allem die Oblatin des heiligen Franz von Sales. Ich sprach zu euch schon über einige Arten der Frömmigkeit, die ihr haben müsst. Es gibt noch eine, der ihr besonders verbunden sein müsst, es ist die Frömmigkeit bei der Heiligen Messe.
Jeden Tag nach der Heiligen Messe begab ich mich ins Sprechzimmer des Heimsuchungsklosters. Die Gute Mutter Marie de Sales Chappuis öffnete dann ein wenig das Gitter und vor allem an den Tagen der großen Feste und der Kommunion war ihr Gesicht ganz erleuchtet. Man hätte meinen können, dass sie vom Himmel herabgestiegen ist, man sah auf ihrem Gesicht etwas wie einen göttlichen Ausdruck. Es schien, dass sie das Gespräch, das sie soeben mit dem lieben Gott geführt hatte, verklärt hatte, und dass sie nicht mehr der Erde angehörte. Ohne Zweifel war sie nach der Betrachtung und den anderen Frömmigkeitsübungen sehr gesammelt, sehr mit Gott verbunden, aber diese Art von Verklärung bemerkte ich nur nach der Heiligen Messe. Vor allem bei der Heiligen Messe verband sie sich übernatürlich mit mir. Wenn sie den Willen Gottes über dies oder jenes erkennen wollte, bat sie den Heiland, mir das Gefühl dafür während der Heiligen Messe zu geben, und ich bekam es. Wenn es etwas war, das mich betraf und mich ärgerte, antwortete ich ihr nichts, wenn sie mich fragte, was mir der liebe Gott eingegeben hätte. Das tat ihr wirklich ein wenig weh. Aber ich wollte mich nicht von ihr vereinnahmen und meine Freiheit anhalten lassen. Hatte ich Unrecht? Sicherlich. Wenn das, was ich vom lieben Gott erhielt, mich nicht persönlich betraf, sagte ich es ihr immer. Das war leichter für mich.
Während der Heiligen Messe war die Gute Mutter Marie de Sales Chappuis dem Heiland unaussprechlich verbunden. Alles in ihr war nur Gebet. Sie hatte eine unvergleichliche Hingabe, sich Gott mit unserem am Altar gegenwärtigen Herrn zu opfern. Da offenbarte ihr Gott seine Absichten mit den Seelen, tat ihr die Gabe seiner unendlichen Liebe kund und zeigte ihr, wie er sich den Seelen bis ans Ende der Welt mitteilen sollte. Was das Fundament ihres Lebens ausmachte, empfing sie bei der Heiligen Messe.
Meine Kinder, wir haben nicht so Großes bei der Heiligen Messe vom lieben Gott zu empfangen. Wir werden nicht verklärt werden wie die Gute Mutter Marie de Sales Chappuis, aber dennoch muss unsere Seele so mit dem Heiland vereint sein, mit so viel Glauben und Vertrauen mit ihm sprechen, dass er alles für sie ist, und wenn wir die Heilige Messe verlassen, wird man wahrhaftig sagen können, dass nicht mehr wir leben, sondern Gott in uns.
Wenn ihr nicht beten könnt, wenn eure Seele ganz trocken ist, verliert nicht den Mut, sondern sagt: „O mein Heiland, ich opfere dir diese Mühe, diesen Schmerz. Ich werde bei deinem Kreuz bleiben, vernichtet, unfähig zu allem, und ich sage wie der königliche Prophet: Herr, meine Seele fühlt sich unfähig, zu dir zu sprechen. Ich bin vor dir wie eine träge Masse, aber ich bin bei dir, senke deinen Blick auf mich, denn meine Seele ist in Angst, in Agonie. Du hast gelitten, Herr, und ich leide. Du hast deinen Vater gerufen: Mein Gott, warum hast du mich verlassen? … und auch ich rufe zu dir, komm mir zu Hilfe.“ Diese Art, der Heiligen Messe beizuwohnen, ist hervorragend. Wir machen, was unser Herr am Kreuz gemacht hat, wir opfern uns Gott im Leiden.
Unser Herr opfert sich durch die Hände des Priesters so wirklich wie auf Kalvaria. Mit dem heiligen Johannes, der heiligen Maria Magdalena und der heiligen Jungfrau sind wir bei ihm. Wir müssen ihn lieben, wie der heilige Johanne, bereuen wie Maria Magdalena, ihn bitten, uns zu lieben und zu beschützen, wie er seine Mutter liebte und beschützte. Noch einmal: Ihr müsst euch ganz vom lieben Gott durchdrungen fühlen, wenn ihr bei der Heiligen Messe seid. Es ist nicht notwendig, dass ihr die Salbung seiner Gnade fühlt, aber ihr müsst viel guten Willen haben und ihm wie der gute Schächer sagen: „Herr, gedenke meiner im Himmel; damit ich bei dir bin, dass deine Herrschaft in mir entsteht. Ich sehe dich nicht, Herr, aber verlass mich nicht, sei immer bei mir.“
Meine Kinder, vielleicht sage ich euch ein wenig unzusammenhängende Dinge. Es ist schwierig zu ordnen. Aber die Gnaden Gottes lassen sich auch nicht mathematisch festhalten. Er schenkt uns das Licht oder entzieht es uns, er überschüttet uns mit seinen Gnaden oder lässt uns in der Trockenheit.
Der heilige Franz von Sales gibt uns im Geistlichen Direktorium eine hervorragende Methode, um die Heilige Messe mitzufeiern, und im Allgemeinen ist es gut, ihr zu folgen. Doch ihr könnt, wenn ihr euch dazu angeregt fühlt, euer Herz zu Füßen des Heilands gehen lassen, eure Seele sich mühelos in der Stille eurer Gedanken vor ihm halten lassen. Aber gewöhnlich und vor allem in den Augenblicken der Trockenheit und Müdigkeit nehmt die Gedanken des Direktoriums. Am Anfang sammelt euch in tiefer Demut. Wenn das Confiteor gesprochen wird, macht euch zunichte, erkennt, dass ihr der Grund des Todes unseres Herrn seid, bittet um Verzeihung für eure Fehler. Steht beim Evangelium sogleich auf und haltet euch bereit, das Wort des Heilands zu den Seelen zu tragen, zu denen euch der Gehorsam schickt. Bei der Gabenbereitung opfert man Brot und Wein, sagt nun: „Mein Gott, ich bin sehr elend, aber ich biete mich dir an, damit du mich wandelst, damit nicht mehr ich lebe, sondern damit du in mir lebst.“ Sagt noch: „Ich opfere dir das Brot der Bitternis und des Schmerzes, das ich esse, verwandle es in deinen Leib und in dein Blut.“ Bei der Wandlung bittet ihn, dass er wie er „das Geschaffene“ in sich verwandelt, euch auch in sich verwandle, euch arme kleine Geschöpfe, damit ihr Kraft, Herz, Willen und Gedanken nur noch für ihn habt. Wir empfangen dann unvergleichliche Gnaden. Wenn wir uns zwischen den beiden Wandlungsworten über Brot und über Wein dem lieben Gott schenken, wie er sich uns schenkt, kann man sicher sein, alles, was man braucht, reichlich zu erhalten. Dann kommt der Augenblick der Kommunion. Man muss sie sakramental oder geistig empfangen. Macht die geistige Kommunion mit einer großen Liebe zu unserem Herrn. Sie ist ihm auch sehr angenehm. Nach der einen wie nach der anderen sind wir innig mit dem Heiland verbunden, in ihn verwandelt. Beim Segen des Priesters empfangt ihr ihn aus der Hand unseres Herrn selbst. Er segnet euch mit den nötigen Gnaden, um den Tag heilig zu verbringen.
Wenn wir so bei der Heiligen Messe waren, werden wir ganz verändert sein. Wir beklagen uns oft, immer dieselben zu sein, weder Eifer noch guten Willen für das Gute zu haben. Wir beklagen uns sehr zu Unrecht. Es ist unser Fehler, wenn wir weder Eifer noch guten Willen haben. Es ist, weil wir bleiben, was wir sind. Wir haben nie unsere Neigungen weggewiesen, wir haben nie gesagt: „Herr, da ist dein Platz, komm, ich werde Platz machen.“ Da der Heiland nicht der Herr ist, lässt er euch die Herrin sein. Er will euch nicht stören, er lässt euch die Last des Tages, der Hitze, des Kreuzes. Der liebe Gott achtet alles in euch, vor allem eure Freiheit. Wollt ihr die Herrin bleiben? Dann bleibt sie. Ihr wollt eure Mühen, eure Angelegenheiten ordnen, wie ihr es versteht? Macht es. Aber bedenkt eines: Ihr macht es ganz alleine. Unser Herr geht vorbei, er kann euch ein gewisses Heil gewähren, wie der Hausfrau, aber das ist alles, er hilft euch nicht.
Meine Kinder, ich wiederhole es, Gott sei alles für euch. Er herrsche in euren Seelen. Ihr sollt nichts mehr sein. Es ist nicht leicht, sich so zu verlassen, aber die Gute Mutter Marie de Sales Chappuis sagt: „Lasst alles für alles.“ Wenn wir gut von uns selbst entleert sind, wird unser Herr kommen, um den freien Platz einzunehmen. Vor allem bei der Heiligen Messe wird uns diese große Gnade gewährt, denn das Geheimnis der Heiligen Messe ist für die Oblatinnen des heiligen Franz von Sales die Quelle ihres wahren Lebens mit dem Heiland. Die Wandlung, die sich von Brot und Wein in den Leib und das Blut unseres Herrn vollzieht, ist der wahre Sinn unseres Lebens. Wohnt also der Heiligen Messe bei, wie wir es soeben erklärt haben, damit nichts mehr von uns selbst bleibt, sondern damit der Heiland in uns lebt. Der Segen wird dann das Heil sein, das der Meister am Tag der Auferstehung Maria Magdalena schenkte, als diese ihn erkannte, ihm zu Füßen fiel und Rabbuni ausrief. Wie fühlt man in diesem einfachen Liebesruf, dass sie nicht mehr sich selbst, sondern ganz Gott gehört!
Ich denke, ihr habt verstanden, wie ihr die Heilige Messe mitfeiern sollt. So feierte die Gute Mutter Marie de Sales Chappuis die Heilige Messe mit, und sie hatte so viel Nutzen davon, dass sie davon verklärt wurde. Da machte sie wohl dem Heiland alle Ehre. Und ihr, meine Kinder, vor allem die, die ihr euch dem lieben Gott schenken werdet, ihr habt einen weiten Weg zu gehen, eine lange Laufbahn vor euch, ihre werdet ohne Zweifel viel zu leiden haben, und bei vielen Gelegenheiten werdet ihr den Heiland vertreten und seine Arbeit bei den Seelen machen müssen, euch vor allem sage ich, betrachtet die Heilige Messe als euch gehörend. Die Messe muss euch auf die Höhe eurer Berufung stellen.
Wendet also eure gesamte Frömmigkeit auf, um die Heilige Messe gut mitzufeiern. Wenn ihr gute Anlagen habt, wenn der liebe Gott zu euch spricht, ist es gut. Wenn ihr hingegen in Trockenheit, Angst und Ablehnung seid, ist es noch besser, seid ihr wirklich wie unser Herr, nehmt ihr an seinem Leiden teil. Das Brot und der Wein leiden nicht. Wenn ihr gute Anlagen habt, seid ihr wie das Brot und der Wein. Wenn ihr aber leidet, seid ihr wie unser Herr am Ölberg, seid ihr bei ihm, seid ihr besonders in ihn verwandelt. Erinnert euch daran, meine Kinder, damit die Heilige Messe in eurem ganzen Leben einen bevorzugten Platz einnimmt. Amen.