4. Vortrag: Über die Hingabe bei der Betrachtung
Mittwoch Abend, 4. September 1889
Meine Kinder, werdet der Exerzitien nicht müde, erneuert vielmehr ständig euren Eifer, euren Mut, damit ihr immer aufmerksamer, gesammelter und immer mehr mit unserem Herrn verbunden seid.
Heute Vormittag sagte ich euch, dass große Frömmigkeit einer Oblatin darin besteht, mit ganzer Hingabe das Geistliche Direktorium zu üben. Ich glaube, dass ihr verstanden habt, dass dies das wahre Mittel ist, eine gute Oblatin zu sein, vom Geistlichen Direktorium zu leben und eine Zuneigung dazu zu empfinden. Was uns das Geistliche Direktorium sagt, sagt uns unser Herr ganz leise ins Ohr des Herzens und fügt hinzu: „Wenn ihr so handelt, werdet ihr mir angenehm sein.“ Versteht diese Stimme, und wenn ihr sie verstanden habt, wird es für euch leicht sein, ihr zu folgen.
Ein anderer Gegenstand der Frömmigkeit einer Oblatin ist die Betrachtung. Es gibt zwei Arten der Betrachtung: die Betrachtung des Gesprächs mit dem Heiland und die Betrachtung des Ruhens bei ihm. Wir machen die Betrachtung des Gesprächs, wenn wir unserem Herrn von unseren Beschäftigungen, unseren Mühen, unseren Bedürfnissen, unseren Schwierigkeiten erzählen. Mit einem Wort, wenn wir unsere Angelegenheiten mit ihm regeln. Bei der Betrachtung der Ruhe sprechen wir fast nicht zu ihm, wir bleiben zu seinen Füßen wie Maria, die Schwester von Marta, beten ihn an, lieben ihn, schenken uns ihm ganz. Diese Betrachtung ist oft die nützlichste, da sich unser Wille innig mit dem des Heilands vereinigt.
Sprechen wir aber zuerst von der Betrachtung des Gesprächs, in der ihr am Morgen planen sollt, was ihr am Tag zu machen haben werdet. Ihr werdet mehrere Schwierigkeiten bewältigen müssen, ihr werdet zu einer Mitschwester gehen, die einen schwierigen Charakter hat, der eurem nicht entspricht … warum sagt ihr es nicht dem Heiland in eurer Betrachtung? Sprecht zu ihm von diesen Dingen, wenn ihr mit ihm alleine sein werdet, sagt ihm, dass ihr einer bestimmten Situation ausgesetzt sein werdet und dafür zu wenig Mut, Nächstenliebe, Geduld haben könntet, um ihm zu folgen. Sprecht zu ihm von eurem Schmerz, euren Ängsten; bittet ihn, dass er euch hilft, dass er euch zu Hilfe kommt und dass er euch sagt, wie ihr euch verhalten sollt, um wirklich treu zu sein.
Ihr blickt auf den Tag, an dem ihr sehr zerstreut sein werdet, an dem ihr viele Gelegenheiten haben werdet, euch abzulenken, weil ihr in den Werken mit den Mädchen seid. Ihr werdet viel in Bewegung sein und mitgerissen werden von den äußeren Vorkommnissen, in alle möglichen Beschäftigungen hineingezogen werden, ihr werdet keine Zeit haben, euch zu sammeln. Macht also eure Betrachtung von jenem Tag. Sagt wie die Jünger zu unserem Herrn: „Herr, wo wirst du sein?“ Und er wird euch antworten: „Ich werde bei euch sein, in eurem Herzen.“ Ihr werdet also den Heiland inmitten all dieser Zerstreuungen antreffen, und er wird euch die Gnade schenken, dass ihr euch dabei nicht gehen lasst, dass ihr eure innere Sammlung dabei nicht verliert.
Ihr unterrichtet, die Kinder sind schwer zu bändigen. Warum sagt ihr nicht: „Herr, hilf mir, gib mir die Gnade, dich in der Seele dieser Kinder gegenwärtig zu fühlen, dich in ihnen zu sehen.“ Dann wird eure Betrachtung fruchtbar sein und inmitten unserer Beschäftigungen, eurer Zerstreuungen werdet ihr den Heiland finden.
Ihr bereitet ein Fest vor, ihr werdet sehr überlastet sein, sagt also: „Herr, sei bei mir, gib mir den Verstand, die Gnade zu verstehen, was ich zu tun habe, und wenn ich überanstrengt sein werde, sei näher bei mir denn je.“
Habt ihr eine große Last zu tragen, einen großen Kummer, einen tiefen Schmerz? Erfahrt ihr vom Tod eines lieben Menschen? O, dann müsst ihr dieses vertrauliche Gespräch mit unserem Heiland führen und euch ganz seinem heiligen Willen hingeben.
Habt ihr Schwierigkeiten, die euch riesig, unüberwindlich scheinen? Findet ihr, dass ihr zu beschäftigt, zu überlastet seid? Fürchtet ihr, dass wegen eurer Schwäche in diesem oder jenem Umstand eine gewisse Gefahr für eure Seele liegt? Dann muss man dem Heiland sagen: „Schau, wie schwach ich bin. Sieh mein Elend. Ich komme zu dir, hilf mir, den Tag gut zu verbringen.“ Müsst ihr euch auf die Beichte vorbereiten? Kommt wieder zu unserem Herrn, bittet ihn, mit euch zu sein und euch zu helfen, die heilige Lossprechung gut zu empfangen.
Mit einem Wort, meine Kinder, kommt während der Betrachtung alles dem Heiland zu sagen, was ihr am Herzen habt, alles, was euch Sorgen macht, worunter ihr leidet, alles, was jemandem zu sagen ihr das Bedürfnis empfindet, und ihr werdet so eine wunderbare Betrachtung des Gespräches machen.
Die Betrachtung der Ruhe soll weniger oft gemacht werden, denn man ruht weniger oft als man arbeitet. Wenn ihr euch müde fühlt, faltet nur die Hände, bleibt vor unserem Herrn wie ein Wesen ohne Leben, ohne Kraft, ohne Mut. „Herr, hast du keinen Blick für mich?“ Bleibt dort, wie ein kleines, vernichtetes aber zugetanes Wesen. Empfindet ihr ein Gefühl der Milde, der Gottesliebe, sagt nichts, haltet euch in der Stille eures Herzens, sogar eurer Gedanken. „Herr, ich komme zu dir, dir schenke ich mich!“ Es ist die Betrachtung, in der man nicht spricht, wo man in der Stille der Seele, des Herzens bleibt, das sich der Liebe des Heilands hingibt und anbetet. Macht so eure Betrachtung, wenn ihr euch dazu geneigt fühlt. Es ist nicht schwer, wenn der liebe Gott seine Gnade schenkt, es ist vielmehr sehr süß und sehr tröstend.
Eine Oblatin muss bei der Betrachtung ganz hingegeben sein. Der heilige Franz von Sales sagt, dass man im Laufe des Tages während der Sille von Zeit zu Zeit auf einen guten Gedanken, auf ein gutes Gefühl, das man am Morgen hatte, zurückkommen soll. Man setzt so seine Betrachtung des Gesprächs und noch öfter seine Betrachtung der Ruhe fort. Wenn unser Körper Ruhe braucht, braucht sie auch unsere Seele, und unser Herr ist ihre Ruhe. Wenn ihr kommt und geht, wenn ihr die Nadel führt, könnt ihr immer einen kurzen Augenblick finden, um euch dem lieben Gott zuzuwenden und dann wird eure Betrachtung fortgesetzt, fortbestehen.
Gebe es in euch, meine Kinder, diese großen Grundlagen an Sammlung, an Ruhe in Gott. Bittet unsere Gute Mutter Marie de Sales Chappuis, sie möge euch ein wenig von dem vermitteln, was sie in ihren Betrachtungen so reichlich empfing. Unsere Tage werden so in der Vertrautheit des Heilands vergehen, und wenn in unserer Todesstunde von uns Rechenschaft über unser Leben verlangt wird, wird in der Vergangenheit nichts sein, das uns Furcht einflößen kann. Der Heiland wird alle Augenblicke unseres Seins gehabt haben, wir werden ihm alles gegeben haben, wir werden ganz für ihn gelebt haben. Unsere Qualen des Fegefeuers werden also sehr verringert werden. Wir werden nur wenige Augenblicke dort verbringen. Und das ist etwas, meine Kinder, nicht im Fegefeuer zu bleiben! … Seid also sehr fromm bei der Betrachtung. Amen.