4. Vortrag: Über die Armut
Dienstag Abend, 4. September 1888
Meine Kinder, ein sehr klares Merkmal einer guten Berufung zum Ordensstand ist der Geist der Armut.
Wir müssen die Armut üben, da wir das Gelübde dafür abgelegt haben, und das ist ein sehr strenges Gelübde. In Rom hat man nämlich gemeint, dass das, was ich über die Armut in die Satzungen der Oblaten des hl. Franz von Sales hineingeschrieben habe, ungenügend war. Sie haben daher die Verpflichtungen noch verschärft, so dass das Gelübde der Armut nichts anderes ist als eine gänzliche Enteignung jeglichen Besitzes. Man besitzt nicht die kleinste Stecknadel noch irgendetwas anderes. Man kann ohne besondere Erlaubnis nichts besitzen. Es besitzt die Gemeinschaft, sie ernährt uns, bekleidet uns und gibt uns verschiedene Dinge, die für unsere Beschäftigungen notwendig sind. Nichts gehört uns, und um das Allerkleinste zu besitzen oder eher zu benützen, müssen wir auf den Gehorsam zurückgreifen. Wir dürfen das nicht aus den Augen verlieren, meine Kinder. Ohne Zweifel dürft ihr verlangen, was ihr braucht, aber verlangt es im Geist der Einfachheit und der Armut.
Ich werde mich heute Abend nicht auf große Erklärungen über das Gelübde der Armut einlassen. Ich werde euch nur einige Worte über die Art sagen, wie ihr die Tugend der Armut üben sollt. Der Geist der Armut ist für gewisse Temperamente natürlich. Er hält viel auf den Charakter, das richtige Urteil, die Ordnungsliebe. In der Welt gibt es Menschen, die den Geist der Armut haben, und andere, die ihn überhaupt nicht haben. Diejenigen, die den Geist der Armut haben, haben gewöhnlich etwas Gerades, Einfaches im Geist, man sieht, dass sie sehr ausgeglichen sind. Sie sind sparsam, ohne geizig zu sein. Der Geiz ist übrigens heutzutage kaum mehr auf der Tagesordnung. Das Laster, das heute vorherrscht, ist die Verschwendungssucht, die Nachlässigkeit, das Fehlen der Achtung vor den Dingen, die man in seinem Besitz hat. Es gibt also Leute, die aufgrund ihres Temperamentes, ihrer Erziehung die Armut lieben. Aber wir, meine Kinder, wir müssen sie durch die Tugend lieben, infolge des Gelübdes, das wir abgelegt haben, und wir müssen und immer daran erinnern, dass wir uns verpflichtet haben, nichts zu besitzen, über nichts zu verfügen. Wir haben nicht das Recht, irgendetwas außerhalb des Gehorsams zu verwenden. Ich glaube, dass mich da jede gut versteht. Das ist eine wesentliche Bedingung, um eine gute Nonne zu sein.
Ein Beispiel, das ich schon oftmals angeführt habe, ist das einer Ordensschwester, die ihr nicht kennt, und ich werde euch auch nicht sagen, aus welchem Kloster sie war. Sie hatte jedoch etwas Gutes, eine wahre Berufung. Sie war mit allem begabt, was nötig ist, um eine sehr gute Nonne zu werden. Und dennoch verursachte sie Unruhe. Sie hatte etwas Eigenartiges in ihrer Handlungsweise und in ihren Beziehungen zum Nächsten. Man war sich über den Grund dieser Eigenart nicht sehr klar. Schließlich bemerkte man eines Tages, dass sie außerhalb des Gehorsams viele Dinge aufbewahrte. Sie hatte sich in einem Winkel des Hauses einen Vorrat angelegt. Warum hatte sie ihn? Es war bei ihr ein Fehler, eine fixe Idee, ein schiefes Urteil. Aber diese Idee hat sie immer gehindert, eine wahre Nonne zu sein. Es ist sehr unglücklich, im Augenblick des Todes vor Gott zu kommen, nachdem man viele Verdienste für eine Torheit, ein Nichts verloren hat. Wir haben keine zwei Leben, meine Kinder, wir haben nur eines. Wenn man sein Leben verloren hat, gibt es kein zweites, um das gut zu machen, was man schlecht verwendet hat. Man muss darüber nachdenken und hinsichtlich der heiligen Armut sehr sensibel, ja sogar kleinlich sein.
Die Theologie lehrt uns, dass der Gebrauch einer Sache, die uns in der Welt gehörte und die uns heute wegen des Gelübdes der Armut nicht mehr gehört, außerhalb des Gehorsams ein Fehler gleich dem ist, den man gegen das Gebot machen würde: Du sollst nicht begehren deines Nächsten Gut, du sollst ihn nicht bestehlen. Es ist also die Verfügung über eine sehr große Geldsumme ohne Erlaubnis ein schwerer Fehler, und man kann nicht mehr die Kommunion empfangen, nachdem man ihn gemacht hat, so als ob man gestohlen hat. Ihr versteht das gut, nicht wahr? Meine Kinder, es ist die Lehre der Kirche. Früher waren die Ordensleute staatlich betrachtet tot, das heißt vom Gesetz her wie eine Person, die es nicht mehr gibt. Der Ordensmann, die Nonne sollen also wie Tote sein. Wenn man tot ist, kann man nichts mehr besitzen. Wenn man etwas auf sein Grab legt, nimmt es der Tote nicht in Besitz, es gehört ihm nicht.
So muss man das Gelübde der Armut betrachten und verstehen. Habt es gern, übt es gut aus, denn es ist ein sehr sicheres Mittel, um große Gnaden zu erhalten. Ich habe immer gesehen, dass die guten, die heiligen Nonnen äußerst arm waren. Die Gute Mutter Marie de Sales Chappuis wollte nie etwas Besonderes zu ihrem Gebrauch haben. Da sie immer leidend und krank war, musste sie einige zusätzliche Kleidungsstücke haben. Sie hatte um die Erlaubnis dafür gebeten und sie von Zeit zu Zeit erneuert, um nichts das Geringste für sich zu haben, um nichts zu besitzen. Als sie von Fribourg nach Troyes kam, hatte sie absolut nur die Kleidungsstücke, die sie am Leib trug. Sie wollte nicht, dass man ihr ein Paket machte. Sie wollte arm reisen, und diese Armut übte sie ihr ganzes Leben lang vollständig und radikal. Nichts, was sie machte, riecht nach Luxus, nach Bequemlichkeit. Alles ist einfach, äußerst bescheiden. Mit einem Wort: alles riecht nach der Armut unseres Herrn, nach Betlehem, nach Nazaret. Liebt auch ihr die heilige Armut, liebt sie mit kindlicher, achtungsvoller Liebe. Gebt euch im Grunde eures Herzens die Befriedigung, so wie unser Herr zu leben. Er hat arm gelebt, er hatte nichts von dem, was den Wohlstand des Lebens ausmacht. Er besaß nichts. „Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann“ (Mt 8,20). Er wurde in Armut geboren, hat in Armut gelebt und ist in Armut gestorben, er wurde in Armut begraben, da man ihn in einem geliehenen Grab beisetzte. Obwohl der heilige Franz von Sales Bischof war, übte er die Armut. Er übte sie in seinen Mahlzeiten, in seiner Kleidung. Wenn ihr in das Schloss Thorens gehen würdet, würdet ihr sehen, wie einfach alles war, wie alles die Achtung der heiligen Armut ausströmte als Nachfolge des armen Lebens unseres Herrn.
Meine Kinder, die Armut besteht nicht nur daraus, nichts zu haben, sondern auch daraus, die Dinge, die uns zur Verfügung gestellt werden, nur wie Arme zu benützen. In unseren Krankheiten uns nicht anders pflegen zu lassen als die Armen. Wir sind Arme, wir besitzen nichts. Eine Nonne kann nicht etwas verlangen, das sich eine Arme nicht verschaffen könnte. Selbst die Oberinnen können mit gutem Gewissen nicht etwas gewähren, das gegen die Armut ist. Da ist eine Schwester, die krank ist, man pflegt sie, wie man sie pflegen muss, wie man die Armen pflegt. Wenn sie die Gemeinschaft wie eine Reiche, eine Wohlhabende pflegt, sündigt sie gegen die Armut.
Ich kenne fern von hier eine Ordensgemeinschaft, die seit fünfzig Jahren mit der Angst kämpft auszusterben, weil dort die Armut nicht beachtet wird. Wenn eine Ordensschwester krank wird, gibt es unaufhörliche Arztbesuche, man verwendet seltene Heilmittel, man pflegt sie wie eine Wohlhabende. Wo ist das Gewissen der Kranken? Egal, ob sie sich dessen bewusst ist oder nicht, sie begeht einen Fehler gegen die Armut, indem sie diese übertriebene Pflege annimmt. Ohne Zweifel geht es um das Leben, und es ist sicher, dass man die Kranken mit Zärtlichkeit und Zuneigung pflegen muss, aber nie außerhalb der Armut. Ihr werdet mir sagen: „Mein Vater, das ist aber sehr hart!“ Nun, dann werdet eben keine Nonnen. Die Fehler gegen die Armut ziehen den Ordensgemeinschaften die strengsten Geißeln zu. „Mein Vater, sie sprechen sehr nach ihrem Empfinden …“ Nein, aber ich sage, was ist. Man muss in allen Lebensumständen arm sein. Eine Ordensschwester, die Pflege verlangen würde, die außerhalb dessen ist, was eine Arme verlangen würde, die nichts hat, handelt gegen das Gelübde der Armut. Hat sie nun das Gelübde der Armut abgelegt? Ja oder Nein? Also lehnt es auch ihr ab. Die Oberin, die so etwas gewährt, macht sich schuldig. Versteht also, dass das Gelübde der Armut etwas sehr Ernstes ist. Ihr habt es abgelegt, ihr werdet krank, nichts fehlt euch, man pflegt euch wie eine Fürstin, glaubt ihr, dass ihr da euer Gelübde einhaltet?
Merkt euch gut, was ich euch sage, meine Kinder, ich sage es im Namen unseres Herrn. Man muss die Mitschwestern pflegen, wie man sie im Kloster der Heimsuchung in Troyes pflegt, wie die Gute Mutter Marie de Sales Chappuis ihr Leben lang pflegte. Ich will, dass das die Ordensregel ist. Nie sah ich die Gute Mutter anders gepflegt als wie eine Arme. Bei ihrer letzten Krankheit gab man ihr nie ein Medikament, das teuer war. Man kaufte die Heilmittel, die der Arzt verschrieb, aber er wusste wohl, dass die Heimsuchungsschwestern keine teuren Medikamente wollten und ließ es sich nicht einfallen, solche zu verordnen. Nie habe ich einen armen Kranken besucht, ohne dass er mir sagte: „O, wenn ich reich wäre, würde ich mich besser pflegen lassen, ich ließe mir das oder jenes geben, und ich würde genesen.“ Meistens ist es eine Illusion. Die Reichen sterben genauso wie die Armen. Aber es ist der Aufschrei der erlöschenden Natur. Der arme Kranke ist wie ein Ertrinkender, der sich an alle Äste klammert und sagt: „Wenn ich diesen kleinen Ast dort drüben erreichen könnte, wäre ich gerettet!“ Es ist wohl sicher, dass auch der kleine Ast dort drüben ihn nicht retten würde, weil er nicht stark genug ist, um ihn zu stützen, er wäre schnell zerbrochen.
Meine Kinder, seht unseren Herrn am Kreuz im Augenblick seines Todeskampfes. Was gibt man ihm, um seinen Durst zu stillen? Man gibt ihm Essig und Galle. Wir sollen sterben, wie er gestorben ist. Doch man wird euch nicht Essig und Galle in einem Schwamm an einem Schilfrohr geben. Nein, man muss der Krankenpflege die größte Milde, die größte Liebe angedeihen lassen. Aber ich wiederhole es, wenn eine Schwester etwas verlangt, das über das hinausgeht, was eine Arme bekommen könnte, beraubt sie sich eines großen Verdienstes. Die Armut ist etwas sehr Ernstes! Wie könnt ihr sie besser üben als in jenen Augenblicken? Und das wird euch übrigens nicht umbringen. Die Heilmittel, die man anwenden wird, werden geeignet sein, euch zu heilen, aber der Segen Gottes wird zu eurer Wiederherstellung mehr beitragen als ihr denkt.
Ich wünsche mir, dass der Geist, den ich in die Kongregation gelegt habe, dort immer bewahrt wird. Ohne Zweifel muss man bei einem gebrochenen Bein oder bei schweren Krankheiten, Typhus oder Gehirnhautentzündung und sogar sobald die Symptome einer gefährlichen Ansteckung erscheinen, einen Arzt zu Rate ziehen. Aber wenn es vorbei ist, soll es vorbei sein und man möge das Kommen des Arztes nicht in die Länge ziehen. Ich gebe zu, es gibt manchmal Pflegemaßnahmen, die allein der Arzt verabreichen kann, das ist etwas anderes, aber im Allgemeinen braucht man für ein Unwohlsein, für eine gewöhnliche Krankheit, für alles, das nicht schwer ist, nicht den Arzt zu Rate ziehen. Warum? Weil die Armen es nicht machen. Bei dem geringsten Unwohlsein müssten sie den Preis für zwei oder drei Arbeitstage bezahlen, um für den Arztbesuch aufkommen zu können. Man sei nicht wie die Weltlichen, die glauben, dass der Arzt heilt; die Ärzte heilen nur jene, die der liebe Gott will, dass sie heilen. „Geht“, sagt unser Herr zu seinen Jüngern, „geht und heilt die Kranken.“ In dem er ihnen diese Macht verlieh, knüpfte er eine besondere Gnade an das Weihwasser, an das Gebet. Das muss man glauben. Befreit euch von diesem derben Materialismus, der derzeit die Schande der Christen ist. Als ob der Mensch alles wäre. Pfui doch! Überlasst das den Weltlichen. Bewahrt wohl den Geist, den ich euch gebe, und dann werdet ihr verstehen, dass wir so nicht nur handeln, weil wir arm sind, sondern weil wir uns dem lieben Gott geschenkt haben und Vertrauen zu ihm haben.
Ich wiederhole es noch einmal, es ist den Oberinnen ausdrücklich verboten, die Mitschwestern anders pflegen zu lassen, als man Arme pflegen lassen würde. „Aber, mein Vater, welche Grenzen hat die Armut? Wie kann man sich klar und praktisch erkennen?“ Das ist nicht schwer. Stellt euch vor, dass ihr anstatt Oblatin zu sein, ein armes Mädchen seid, das in eurem Zimmer arbeitet und euch bestehlen muss, damit es ihm gelingt, täglich zehn Sous beiseite zu legen, und dass ihr gezwungen seid, euch damit zu versorgen. Wie würdet ihr eure Sache machen? In diese Lage versetzt euch die Ordensarmut.
Meine Kinder, gegen das gibt es keine Einwände. Es ist die Ordensregel, es ist das Maß. Wenn nun eine Oberin in einer Mitschwester eine solche Neigung erkennt, Pflegezuwendungen zu verlangen, die sich nur die Reichen leisten können, dann ist sie im Gewissen verpflichtet, ihr mitzuteilen, dass sie gegen das Gelübde der Armut fehlt und ihr unerbittlich zu verweigern, was für ihre Heilung nicht notwendig ist. Sie muss sagen: „Wir haben nichts. Es wäre nicht möglich, die Ausgaben zu machen, die eine solche Behandlung verursachen würde.“ Und es ist die Wahrheit. Man darf sich darüber keine Illusionen machen. Ich bitte den lieben Gott, dass unsere Ordensgemeinschaft nie reich ist. Sie ist es nicht, sie ist arm, gänzlich wie die Armen. Das ist eine weitere Ähnlichkeit mit unserem Herrn, mit der Heiligen Familie in Nazaret. Es ist eine kostbare Ähnlichkeit, die für uns süß ist. Man möge sie also gut verstehen, meine Kinder, die heilige Armut in der Krankheit, in der Nahrung, in der Kleidung. Achtet gut auf euer Gewand und auf eure Schuhe. Habt immer Angst, sie abzunützen. Ihr werdet mir sagen: „Aber, mein Vater, das engt den Geist ein.“ Nein, meine Kinder, ich kann euch einen Prinzen nennen, der als Mönch in Vallombreuse in ein Kloster der Benediktiner eingetreten war. Er bückte sich, kniete sogar nieder, um mit einem kleinen Stock die Linsen aufzuheben, die auf das Pflaster gefallen waren. Das war keine Kinderei. Der Prinz war kein Dummkopf, er hatte wohl ebenso viel Geist wie ihr und ich. Warum machte er das? Infolge einer sehr großen Achtung vor den Dingen, die seiner Gemeinschaft oder eben dem lieben Gott gehörten.
Die heilige Teresa von Avila erzählt, dass sie eine sehr große Hingabe hatte, die Mäntel der Mitschwestern anzuziehen, die ansässig waren, damit sie nicht zerknittert werden, aus Achtung der heiligen Armut., Sie, die erlesene Verbindungen mit Gott hatte, machte es aus dem Geist der Armut heraus, damit die Mäntel nicht abgenützt werden und länger halten. Wir hatten im Kloster der Heimsuchung in Troyes zwei Heilige, die sich die Leitung des Klosters teilten: die Gute Mutter Marie de Sales Chappuis und die Mutter Paul-Séraphine. Die Mutter Paul-Séraphine verbrachte ihr Leben damit, wahre Lumpen zu flicken. Aus dem Allerärmsten machte sie, was Freude bereitete. Wohlan! Die Vermögenslage hätte ihr gestattet, andere Ideen zu haben als diese. Sie hatte gewiss viel Geist, eine sehr hohe Intelligenz, und sie machte Freudespender aus armen Sachen! Habt also, meine Kinder, wohl diesen Geist der Armut, der dazu führt, sorgfältig zu bewahren, was euch anvertraut ist, zu fürchten, die kleinsten Dinge zu verlieren. Man handelt so, weil sich die Armen bemühen, ihre Kleidung nicht zu sehr abzunützen, ihr Schuhwerk nicht zu sehr zu verderben, und die Dinge, deren sie sich bedienen, nicht zu beschädigen, umso mehr, da sie kein Geld haben, andere zu kaufen.
Wollt ihr vom Heiland geliebt werden, die Bevorzugten seines göttlichen Herzens werden? Übt die Armut. Welchen Heiligen hat unser Herr am meisten geliebt? Den, der die Armut am vollkommensten übte. Der heilige Franz von Assisi wurde dem Heiland äußerlich ähnlich. Seine Hände und Füße trugen die Stigmata. Warum? Weil er gewählt hatte, ihn in seiner Armut nachzuahmen, und er wurde berufen, ihn in seinem Leiden und in seinem Ruhm nachzufolgen. Es ist nicht in den Wind gesprochen, was ich euch sage, meine Kinder. Wenn ihr der Armut treu seid, wird euch diese Tugend dem Herzen unseres Herrn so teuer, vom Göttlichen Meister so geliebt machen, dass ihr euch in aller Sicherheit zu ihm werdet flüchten können, wenn ihr den geringsten Schmerz haben werdet. „Beati pauperes – Selig die Armen!“ Wenn ihr ein armes Herz habt, wird das Herz Jesu mit euch sein, und ihr werdet Frieden haben. Glücklich die Armen, das Himmelreich ist ihrer!
Habt also diesen Geist der Armut, der sorgfältig ein halbes Blatt Papier aufhebt, ein Stückchen Faden aufhebt, der fürchtet, eine Nadel zu verlieren und sorgfältig eine Stecknadel hütet. Warum soll man so handeln? Weil man sich so bei unserem Herrn beliebt macht, un es gibt nichts Kleines, alles ist groß, wenn es darum geht, die Liebe Gottes zu gewinnen. Wollt ihr das Herz des Heilands begeistern? Dadurch begeistert man ihn. Man versucht seine Handlungen nachzumachen, man schaut auf ihn, man betrachtet, was er gemacht hat, und wenn sich die Gelegenheit dazu bietet, versucht man, es wie er zu machen. Also antwortet ihr auf den Blick der Liebe, den unser Herr auf euch wie auf den reichen Jüngling geworfen hat, von dem im Evangelium gesprochen wird: „Da sah ihn Jesus an, und weil er ihn liebte, sagte er …“ (Mk 10,21). Und warum hat der Heiland diesen Jüngling geliebt? Weil er in ihm gute Anlagen sah, weil er sah, wenn er treu gewesen wäre, wäre er würdig gewesen, mit einer unendlichen Liebe geliebt zu werden. Aber er hatte nicht den Mut, auf seine Güter zu verzichten und er ging traurig weg. Was ist aus diesem Jüngling geworfen? Ich weiß es nicht, aber er wäre vielleicht einer der größten Heiligen des Himmels geworden. Warum hatte er nicht das Glück, das die Seelen besitzen, die dem göttlichen Meister folgen? Weil er nicht machte, was unser Herr ihm sagte: „Geh, verkaufe, was du hast, gib das Geld den Armen, und du wirst einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach!“ (Mk 10,21). Außer dem heiligen Johannes, der sich selbst den Jünger nannte, den Jesus liebte, wird von niemand anderem im heiligen Evangelium gesagt, dass der Heiland ihn anschaute und ihn liebte. Nun! Wollt ihr, die ihr diesen Blick der Liebe empfangen habt, mit Treue darauf antworten? Geht, verlasst alles, behaltet nichts, haltet nichts zurück und folgt ihm.
Meine Kinder, merkt euch diesen Vortrag gut, den ich euch soeben heute Abend hielt. Was ich euch sage, sei wohl die Regel eures besonderen Verhaltens, die Regel der Oberinnen in jedem Haus, die Regel der Ökonominnen, um nie etwas zu geben, das außerhalb der Grenzen der heiligen Armut ist. Möge man nie etwas verlangen oder fordern, als was sich auch die Armen beschaffen können, als was die Ordensregel zu haben gestattet. Und dann werdet ihr den Segen bekommen, den ich euch sodann erteile, den Segen, der darin besteht, von unserem Herrn geliebt zu werden. Es scheint mir, dass dieses einfache Wort euch veranlassen muss, alles zu opfern, von nun an nicht mehr für euch mit etwas zu rechnen, wie ein kleines Körnchen Weihrauch zu sein, das auf das Feuer fällt und sich in einem leichten Rauch bis zum Thron Gottes erhebt.
Machen wir das, meine Kinder, der Friede der Ordensgemeinschaft, ihr Wohlergehen, ihr Gedeihen und vor allem ihr Eifer sind an die treue Einhaltung des Gelübdes der Armut gebunden. Im Namen des Vater und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.