Exerzitienvorträge für die Oblatinnen 1888

      

3. Vortrag: Über den Gehorsam

Dienstag Vormittag, 4. September 1888

Meine Kinder, gestern Abend erinnerte ich euch daran, dass ihr nichts anderes sein solltet als Oblatinnen, das heißt Seelen, die in jedem Augenblick dem lieben Gott geopfert sind, Seelen, die sich selbst, ihre Arbeit, ihr Leiden, ihre Prüfungen anbieten, vor allem die Prüfungen, die ihnen von den Nächsten zugefügt werden. Diese Dinge müsst ihr auf euch persönlich anwenden und euch sagen: „Bin ich Oblatin vom Standpunkt des Gehorsams, des Geistlichen Direktoriums, meine Beziehung zu Gott und zum Nächsten aus betrachtet?“ Wir werden also werden also ernsthaft unser Gewissen erforschen und einen guten Vorsatz fassen, diesen Zustand der Gleichgültigkeit, der Schläfrigkeit, wo man nichts tut, zu nichts ein Herz hat, an nichts Geschmack findet, immer mehr aufzurütteln. Wenn wir diese Treue, diese Großzügigkeit, die der Heiland von uns verlangt, nicht haben, sind wir nichts. Ich wiederhole es euch unaufhörlich. Wir haben dem lieben Gott weder Fasten noch große Abtötungen anzubieten, wie werden wir uns also Nonnen nennen können, wenn wir ihm nicht alles geben, was uns etwas kostet und uns unterwirft? Eine Karmelitin lebt zufrieden und glücklich. Sie hat ihre täglichen Abtötungen, sie ist arm gekleidet, sie hat ein Gewand, das sie stört, sie geht barfuß, sie schläft auf einem Bett, das kein Bett ist. Um das zu ertragen, bedarf es einer großen Gewöhnung und diese Gewöhnung nimmt man nie gut an. Sie hat eine Nahrung, die eher unter dem Notwendigen liegt, stets mager und nicht gut ist. Mit dem hat sie oft Opfer zu bringen. Sie fühlt, dass sie Nonne ist, dass sie für den lieben Gott etwas leidet. Die Sacre Coeur Schwestern tragen das Bußkleid, das Bußhemd, ihre Ordensregeln sind streng. Und durch dieses Mittel tun sie viel Gutes in ihren verschiedenen Werken. Der Geist Gottes belebt sie und sie können große Heilige werden. Ihr habt nichts dem lieben Gott zu geben als eure Treue. Ihr habt nichts in eurem Leben, was euch erhebt, ermutigt, nichts, das eure Vorstellungskraft entfachen oder das natürliche Handlungsbedürfnis eures Geistes befriedigen könnte; oder vielmehr, meine Kinder, irre ich mich, ihr habt alles, da ihr den lieben Gott, seine Liebe habt, da ihr in ihm den Frieden eurer Seele findet. Alle Strenge, alle Abtötung des Ordenslebens haben kein anderes Ziel als zu dieser Vereinigung mit Gott zu gelangen, die euer Anteil ist.
Wenn euch also eure Berufung so zu einem so vollkommenen Zustand führt, soll es nicht leicht sein, ihre Verpflichtungen zu erfüllen. Sicher, um eine Oblatin zu machen, bedarf es daher keiner gewöhnlichen Person. Auf den ersten Blick wird man sich dessen nicht bewusst und es scheint als müsste man auf der Straße nur die Erstbeste nehmen. Aber das ist ein schwerer Irrtum! … Es ist sehr schwer, eine wahre Oblatin zu sein, und der Beweis dafür ist, dass es deren wenige gibt, die es ganz sind. Am Anfang ahnte auch ich es nicht und ich glaubte, meine Sache leicht zustande bringen zu können. Ich sprach darüber mit der Guten Mutter Marie de Sales Chappuis und als ich ihr diese oder jene besonders nannte, antwortete sie lächelnd: „Es ist gut.“ Ich erriet ihren Gedanken. Sie sagte sich, dass ich im Allgemeinen keinen Erfolg haben werde, wie ich es vermutete. Pater Deshairs fragte mich eines Tages, wie viel Zeit nötig sei, um eine Oblatin auszubilden. Ich antwortete ihm: „Dreißig Jahre“. Ihr seht es, das vollzieht sich nicht plötzlich. Es ist nicht leicht hinzugelangen und deshalb müsst ihr euch aus ganzem Herzen um dieses Leben nach dem Geistlichen Direktorium bemühen, um dieses Leben der Vereinigung mit Gott und der Liebe zum Nächsten, das nach und nach aus euch gute Oblatinnen machen wird.
Meine Kinder, wir behandeln vor euch keine großen, erhabenen Themen, wir predigen euch keine erhabenen Dinge, weil uns diese Dinge wenig berühren. Das Schönste ist der liebe Gott und uns mit ihm verbinden und immer auf Kosten unseres Selbst. Wir dürfen nie etwas für uns nehmen, sondern müssen alles dem lieben Gott und dem Nächsten schenken. Das machte stets der heilige Franz von Sales. Was er sagt, ist immer richtig, und entspricht so gut den Bedürfnissen der Seelen, dass sich die Heilige Kirche darüber freut. Die Biografie über die Gute Mutter Marie de Sales Chappuis hat die Prälaten der römischen Kurie, die sie gelesen haben, begeistert, weil in ihrer Art, zu Gott zu gehen, alles ist, was man braucht, um zur Heiligkeit zu gelangen. Es ist vollkommen. Aber um sie gut zu verstehen, bedarf es einer Fähigkeit, die nicht jeder hat. Mögen die, die großmütig, einfach, gut und gerade sind, Oblatinnen werden – sie können es sein – und sie können auf dem Weg, in der Wahrheit und im Leben sein. Aber es gibt andere, die Außergewöhnliches brauchen. Es gibt Temperamente, Überspanntheiten, die Sonderbares machen müssen, deren Dinge man machen, ihrem Willen man folgen muss. Diese sollen nicht Oblatinnen werden, da eine Oblatin nicht mehr die Freiheit zu denken und zu wollen hat. Sie hat sich rückhaltlos dem lieben Gott geschenkt. Ihr werdet mir sagen: „Aber, mein Vater, das ist, als wäre man tot!“ Ja, meine Kinder, aber es ist ein glücklicher und fruchtbarer Tod wie der unseres Herrn. Er ist nicht lange in seinem Grab geblieben. Als der Tod einmal sein Werk über den Heiland vollbracht hatte, vollbrachte er seines über den Tod, und ruhmreich und unsterblich ging er stand er aus dem Grab auf, um die Erde seinem Reich zu unterwerfen. Er muss eine Oblatin auch sich selbst sterben. Aber wenn sie einmal im Grab ist, wird sie auferstehen, nicht aus eigener Kraft, sondern durch die Kraft Gottes, der in ihr ist, und dann handelt sie wirkungsvoll und vollzieht in den Seelen das Werk des Heilands.
Meine Kinder, ich denke, ihr habt gut verstanden, was ihr sein müsst, um wirklich Oblatin zu sein. Heute werde ich beginnen, euch die Gelübde zu erklären. Ich habe euch schon gesagt – und ich wiederhole es, damit alle es gut erfassen – dass die Gelübde für euch wie das elfte, zwölfte und dreizehnte Gebot sind, und dass die Übertretungen dieser Gebote oft schwerere äußerliche und innerliche Folgen haben als die Verfehlungen gegen die anderen Gebote. Ich sagte euch auch gestern, dass eine Nonne, die ihren Gelübden, ihrer Berufung untreu ist – vorausgesetzt dass sie sie wirklich hatte und nicht irrtümlich in die Ordensgemeinschaft eingetreten ist – ist immer unglücklich. Die Verdammnis des Himmels, die Verdammnis der Erde folgen ihr überall hin. Sie ist eine Abtrünnige. Welche Schande! Die Kirche betrachtet sie mit Misstrauen, ihre Familie empfängt sie mit Bitterkeit, ihre ehemaligen Gefährtinnen meiden sie. Sie ist Gegenstand einer allgemeinen Ablehnung. Warum das? Wenn Gott zulässt, dass es so ist, dann ist es so, weil diese Nonne, indem sie gegen ihre Gelübde fehlte, einen schwereren Fehler beging als ein Vergehen gegen die Gebote. Ihr Heil ist sehr geschädigt.
Diese Fragen sind sehr ernst, meine Kinder, und es ist von äußerster Wichtigkeit, dass ihr klar wisst, welche eure Verpflichtungen sind. Wir werden heute Vormittag vom Gehorsam sprechen und zuerst vom Gehorsam zum Geistlichen Direktorium. Begeht man eine Sünde, wenn man die Ausrichtung der Absicht auslässt? Nein, aber wenn sich die Verfehlungen wiederholen, muss man wohl fürchten, dass diese Nachlässigkeit, dieser Mangel an gutem Willen, eine wird. Ohne Zweifel vereinen sich viele lässliche Fehler nicht so, dass sie eine Todsünde bilden. Aber diese wiederholten Fehler bringen uns fast schicksalhaft nach einer gewissen Zeit dazu, gegen unsere Gelübde schwer zu sündigen. Hat eine Oblatin, die ihr Geistliches Direktorium nicht erfüllt, ihr Gewissen in einem guten Zustand? Wenn sie gänzlich willentlich dagegen fehlt, glaubt ihr dann, dass sie ein sicheres Gewissen hat? Wenn sie aus Schwäche, aus Müdigkeit dagegen fehlt, wenn sie zwei oder drei Tage einen schlechten Geist hat, begeht sie dann eine Todsünde? Nein, aber nach diesen paar Tagen der Müdigkeit, der Entmutigung täte sie gut daran, ihren Eifer durch eine gute Beichte zu erneuern.
Das ist der Gehorsam zum Geistlichen Direktorium. Schauen wir uns jetzt den Gehorsam zu den Oberinnen an. Alle Theologen sagen, dass jedes Mal, wenn man gegen einen von einem Oberen mündlich gegebenen Gehorsam fehlt, man einen Fehler macht. Wenn es einen formellen Befehl gibt und die Oberen die Absicht haben, im Namen des Gelübdes des Gehorsams schwer dazu zu verpflichten, ist der Fehler tödlich, weil man schwer gegen dieses Gelübde fehlt. Könnt ihr nachher die Kommunion empfangen? Sicher nicht. Ihr würdet einen Gottesraub begehen. Das Gelübde des Gehorsams, meine Kinder, ist also eine ernste Verpflichtung. Nun, begeht man eine leichten Ungehorsam, ist das dann ein tödlicher Fehler? Nein, aber wenn man diesen Ungehorsam ständig vorsätzlich mit Ärgernis wiederholt, weiß ich nicht, was für ein Fehler daraus wird … oder eher, ich weiß es nur zu gut! … Diese kleinen wiederholten Ungehorsamkeiten sind gewöhnlich schädlicher als eine große, weil man auf einen schweren Fehler zurückkommt, ihn bereut, während die gewohnheitsmäßige Neigung zur Unabhängigkeit die Seele tötet oder sie höchstens in einen sehr gefährlichen Zustand von Empfindungslosigkeit stürzt. Eure Kommunionen sind nun lau und wirkungslos. Euer Einfluss ist null, alles in euch ist leblos, nutzlos. Es kann übrigens diese Geistesanlage, dieses Verhalten kaum ohne eine Verachtung des Gehorsams bestehen, und diese Verachtung kann ein schwerer Fehler sein. O meine Kinder, achtet gut darauf, es ist sehr ernst!
Aber genügt es, die Sünden gegen den Gehorsam zu meiden, um dieses Gelübde zu üben, wie eine Oblatin es machen soll? O nein! Hört mir aufmerksam zu und notiert meine Worte gut. Ihr habt das Gehorsamsgelübde abgelegt, was bedeutet das? Die Satzungen sagen, wenn man aus ganzem Herzen den Oberen gehorchen wird, dann unterwirft man ihnen seinen Willen und sein Urteil. Was unterwirft man? Man unterwirft sich ganz den Gedanken, dem Wort, der Absicht und dem Willen des Oberen. Und ihr glaubt, dass ihr, nachdem ihr das Gelübde des Gehorsams abgelegt habt, noch eure Freiheit habt oder sogar das Recht, die Befehle, die ihr empfängt, zu beurteilen und zu kritisieren? Nein, nachdem ihr ein Feld verkauft habt, würdet ihr nicht mehr das Recht haben, die Früchte davon zu ernten.
Meine Kinder, wenn ihr gesehen hättet, was ich dreißig Jahre lang im Kloster der Heimsuchung sah! Wie der Gehorsam darin bestand, seine Gedanken, seine Absicht mit dem Willen der Oberin zu vereinen! Das ist die Tugend des Gehorsams. Was ist sonst in euch? Ihr seid nur eine Maschine, eine Uhr, die geht, weil man sie aufgezogen hat. Ihr erfüllt gut die Ordensregel, die großen Punkte der Beobachtung dieser Ordensregeln, aber ihr unterwerft nicht eure Urteilskraft, ihr seid eine Maschine, aufgezogen, um zu funktionieren, das ist alles. Glaubt ihr, den Gehorsam zu erfüllen, wie der heilige Franz von Sales es verlangt? Hört, was ich euch sagen werde, und versucht, es gut zu verstehen. Ihr habt einen Beruf. Man vertraut euch, vermute ich, den Unterricht an, die Wäscherei. Bemerkt, dass es, um den Gehorsam zu üben, wie der heilige Franz von Sales es wünscht, nicht genügt, sich dem Befohlenen äußerlich zu unterwerfen. So folgt ihr beim Unterrichten der angegebenen Methode. Das ist gut, aber ihr urteilt, dass diese Methode nicht die beste ist, dass die Oblatinnen diese Methode ergriffen haben, eigentlich nicht mehr angebracht ist. Ihr sprecht darüber mit der einen, mit der anderen, ihr fühlt euch bestätigt, das menschliche Elend ist immer da, um diese Art der Kritik zu billigen. Ihr habt vielleicht ein wenig mehr Intelligenz als eine andere, ihr unterlasst es nicht, einige Willensäußerungen vor euren Karren zu spannen, und ihr macht jedes Mal, wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt, entsprechende Bemerkungen bald für eine Sache, bald für eine andere. Ihr trennt eine Mitschwester von ihrer Oberin, und ihr sammelt um euch herum einen kleinen Kreis, der wie ihr außerhalb des Gehorsams ist. Und ihr glaubt, dass ihr so als Oblatin handelt? O, gewiss nicht, denn für eine Oblatin ist der Gehorsam ein Gehorsam aus ganzem Herzen, er bedeutet, einfach zu gehorchen und auch sein Urteil diesem Gehorsam zu unterwerfen.
In der Ordensregel der Oblaten des heiligen Franz von Sales hatte ich die Unterwerfung des Urteils nicht aufgenommen, und in Rom hat man sie dazugefügt. Und es ist hart für einen Mann, sein Urteil unterwerfen zu müssen! Wenn ich so nun selber etwas befehle, sollen sie sich sagen: „Unser Vater hat Recht und es soll so sein.“ Würden sie hingegen gegen die Vollkommenheit des Gehorsams fehlen, sich ein anderes Urteil bilden und dies auch anderen sagen, würden sie diese in denselben Fehler hineinziehen.
Meine Kinder, wenn es unter euch welche gibt, die aufgrund ihrer Geistesstärke oder charaktermäßig gerne diese oder jene an sich binden, sollen sie nicht Oblatinnen werden, mögen sie um Gottes Willen nicht bleiben, weil sie ihr Heil und das der anderen gefährden. Es gibt keine schrecklichere Verantwortung als die Seelen ihrer Pflicht zu entziehen. Das ist die Sünde gegen den Heiligen Geist. Wenn ich das sage, übertreibe ich keineswegs. Es ist einer Seele, die andere verliert, fast unmöglich, sich zu retten. Es ist das Unglück allen Unglücks. Es ist das Übel der Leute von heute, jener, die sich bemühen, den Glauben verlustig zu machen. Wenn das Böse, das sie begangen haben, nur ihnen selbst Unrecht tut, könnten sie sich bekehren, aber wenn sie den anderen Böses getan haben, ist es für sie sehr schwer, zu Gott zurückzukehren.
Jeder Ordensmann, jede Nonne, die irgendjemanden seiner Pflicht entzogen hat und diesen dazu führte zum Schaden der Autorität zu seiner Art zu sehen und zu urteilen führte, läuft Gefahr, sich nie zu bekehren. Solche Personen sind für eine Ordensgemeinschaft äußerst gefährlich und zu fürchten. Man dürfte nie Nonne werden, wenn man das Bedürfnis hat, sich Zuneigungen zuzuziehen, seinen persönlichen Einfluss außerhalb des lieben Gottes auszuüben, außerhalb des Gehorsams und des Ordensgeistes. Ich sage es euch, diese Personen sind wahrhaftig in größter Gefahr, sie sind nicht auf dem richtigen Weg. Ihr Weg ist ein Weg des Verderbens, der unweigerlich zum Tod führt. Die Heilige Schrift behauptet es. Man ist heutzutage so sehr an diese Art von Ärgernissen gewöhnt, dass man nicht mehr darauf achtet, man erachtet es als nichts. Aber die Person, die das Ärgernis gegeben hat, wird von Gott verurteilt. Auch wenn sie nur einem kleinen Kind ein Ärgernis war, sagt unser Herr: Es wäre besser, man würde ihr einen Mühlstein um den Hals binden und sie ins Meer stürzen (Vgl. Mt 18,6). Es scheint nichts zu sein, einem kleinen Kind Ärgernis zu geben, die Eindrücke verlöschen bei ihm so schnell. Was wird es also für die anderen Ärgernisse sein? Leider haben einige Geister diese Neigung, die anderen mitzuziehen und sie von den Oberinnen zu entfernen. Diese Neigung muss man unbedingt verbannen. Warum? Weil sie mit dem Gelübde des Gehorsams unversöhnlich ist. Was ich euch da sage, ist sehr ernst. Ihr werdet eure Gelübde ablegen, ihr werden sie in meine Hände ablegen, ich werde sie entgegennehmen, also bin ich vor dem lieben Gott dafür verantwortlich. Es ist eine riesige Last, die mir anvertraut wird. Wenn ich sie verlorengehen lasse, werde ich es verantworten müssen.
Ihr müsst also, meine Kinder, voll und ganz verstehen, was der Gehorsam ist. Achtet ihn und macht, dass er um euch herum geachtet wird, und wenn jemand vor euch dagegen fehlen will, müsst ihr genügend Mut und Autorität haben, um es zu verhindern. Ich wiederhole es, das Gelübde des Gehorsams ist wie das elfte Gebot Gottes. Es ist euch verboten zu stehlen, Gott zu lästern, ein falsches Zeugnis zu geben, euren Nächsten zu schlagen, ihn zu töten. Es ist euch verboten, ungehorsam zu sein, das ist auf einer Linie. Wenn ihr einen Akt des Willens macht, einen Gedanken, eine Absicht habt, die nicht die eurer Oberin ist, so fehlt ihr, wenn nicht gegen das Gelübde des Gehorsams, wenn der Stoff leicht ist, zumindest gegen die Vollkommenheit der Tugend des Gehorsams. „Aber wir wussten das nicht …“ Ihr wisst es jetzt, und ich wiederhole es euch, was ich euch sage, ist völlig in der Lehre des Gelübdes des Gehorsams, wie es die Theologen lehren. Ich war sehr überrascht, als die ich die Abfassung der Satzungen der Oblaten des hl. Franz von Sales erhielt und darin die Worte fand: „Sie werden ihr Urteil unterwerfen.“ Es gibt nichts Härteres für einen Mann: sein Urteil unterwerfen! Die Ordensregel sagt also, dass man auch sein Urteil unterwerfen muss. Wenn ihr es nun nicht macht, hindert ihr auch die anderen daran, sich zu unterwerfen, und ihr glaubt dann noch, dass der Segen Gottes auf euch ruht? Ihr beichtet, aber ihr seid deshalb nicht gerechtfertigt. Die Gerechtigkeit Gottes ist da, um euch im entsprechenden Augenblick zu bestrafen. Ihr erhöht die Zahl jener, die in dieses Abseits gefallen sind, und die, wenn sie sich nicht verlieren, nur gerettet werden, wenn sie durch Wasser und Feuer gehen.
Meine Kinder, merkt euch das gut, man schreibe es auf, man setze es um, man nehme es in sich auf, man verstehe, was die Gelübde bedeuten. Wenn ihr euch nicht mutig fühlt, sie auszuführen, macht es nicht. Es gibt fromme Vereinigungen, wo die Mitglieder nicht durch Gelübde gebunden sind und folglich eine gewisse Freiheit behalten. Geht hin! Heißt das, dass die Leute, die in diese Vereinigungen eintreten, nicht gut sind? Doch, sie sind sehr gut, sehr tugendhaft, sie sind mehr wert als ihr, wenn ihr gegen eure Gelübde fehlt, aber sie sind keine Oblatinnen, sie haben nicht alle Verpflichtungen des Ordenslebens.
Jetzt, meine Kinder, was wird aus denen werden, die den Gehorsam so üben werden, wie ich ihn euch soeben beschrieben habe? Sie werden Nonnen werden, wie es die Gute Mutter Marie de Sales und meine Schwester Marie-Geneviève Labille (sie war eine Laienschwester im Kloster der Heimsuchung von Troyes) waren, wie es alle Heimsuchungsschwestern waren, die ich im Laufe dieser vierzig Jahre kennenlernte. Das ist wohl der Mühe wert! Der Gehorsam vollbringt Wunder, er macht Heilige aus uns. Das ist wahr, meine Kinder, aber der Gehorsam vollbringt diese Wunder nur, weil er viel kostet. Es ist das Härteste. Auch unser Herr selbst geruhte, seine Last zu tragen und seine Bitternis zu kosten gemäß dem tiefen Wort des Apostels Paulus: „Obwohl er der Sohn war, hat er durch Leiden den Gehorsam gelernt“ (Hebr 5,8). Das heißt: ganz Gott, der er war, wollte unser Herr irgendwie selbst die Schwierigkeiten, die Widerwärtigkeiten und Ängste empfinden, die dem Gehorsam eigen sind. Das ist das Mühsamste bei diesem Gelübde. Es ist für uns die schwerste Verpflichtung, das Gelübde, das am meisten abtötet.
Möge Jesus Christus, der gehorsam war bis zum Tod, gehorsam bis zum Tabernakel, bis zum Heiligen Messopfer, wo er auf die Stimme eines manchmal sehr elenden Menschen hin auf den Altar herniedersteigt, euch verständlich machen, was ich euch soeben sagte. Und dieser Vortrag möge euch einen ernsten Grund geben, der euch bewahrt, in die schweren Fehler zu fallen, von denen wir soeben gesprochen haben.
Ich halte meine Ausdrücke aufrecht. Es müssen die, die ihre Gelübde ablegen werden, verstehen, dass sie zusätzlich zu den Geboten Gottes neue Verpflichtungen eingehen; dass der Gehorsam darin besteht, sich nicht nur dem Wort, sondern auch den Absichten und dem Willen der Oberin zu unterwerfen. Dass sie nicht nur ihre Handlungen, sondern auch ihr Urteil dem Gehorsam unterwerfen müssen. Diejenigen, die das Gelübde abgelegt haben, und das nicht machen wollen, setzen sich der Gefahr aus, sich zu verlieren, vor allem, wenn sie andere auf diesem Unglücksweg mitziehen. Ich behaupte, dass ich hier nicht zu viel sage. Eine lange Erfahrung mit den Seelen hat mich gelehrt, dass in dieser Hinsicht sehr schreckliche Strafen auf die untreuen Nonnen fallen. Und wie traurig wäre es, meine Kinder, Nonnen zu werden, um sich zu verlieren. Besser wäre es, in der Welt zu bleiben und dem gewöhnlichen Weg zu folgen. Man würde dort vielleicht wenigstens einige Befriedigungen, einige Freuden auskosten. Zwar sind diese Befriedigungen und Freuden scheinbar sehr wenig, wenn man ohne Rückkehr verloren ist.
Möge euch unser Herr diese Dinge gut verstehen lassen. Sie mögen in eure Seele fest eingeschrieben bleiben. Der heilige Johannes sagt vom Wort: „Das Licht kam in die Welt und die Welt hat es nicht aufgenommen“ (Vgl. Joh 1,9.11). Etwas weiter fügte er hinzu: „Diejenigen, die es nicht aufgenommen haben, sind schon gerichtet, weil sie nicht an das Licht geglaubt haben“ (vgl. Joh 3,18). Denen aber, die alles glauben, was ich soeben gesagt habe, und es völlig zugeben, öffnen wir glücklich unsere Reihen. Für die anderen ist es besser, nicht bei uns zu bleiben.
Meine Kinder, ihr werdet vor dem lieben Gott allein ernsthaft bedenken, was ich euch soeben sagte. Ihr werdet unseren Herrn den ganzen Tag inständig bitten, euch zu erleuchten. Ihr werdet sorgfältig und aufmerksam eure Fehler der Unterwerfung des Urteils, eure Gefühle gegen den Gehorsam sichten, der für euch wie das elfte Gebot Gottes ist. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.