Exerzitienvorträge für die Oblatinnen 1888

      

2. Vortrag: Über das wahre Leben der Oblatin

Montag Abend, 3. September 1888

Meine Kinder, wir müssen den liebe Gott wohl für das schöne Wetter preisen, das er uns schickt. Wir können uns für die Exerzitien wahrlich nichts Besseres wünschen, da uns das schöne Wetter gestattet, draußen zu bleiben und die gute Luft zu atmen. Es gibt in dieser Jahreszeit etwas, das die Seele zur Sammlung, zu ernsten Gedanken einlädt, etwas, das uns veranlasst, uns dem lieben Gott, dem Gegenstand unserer Liebe zu nähern, so dass das Wetter, die Jahreszeit, alles dazu beiträgt, diese Exerzitien für uns günstig und folglich fruchtbar zu machen. Man bedenke es wohl, meine Kinder, der liebe Gott macht nichts ohne Grund. Alles, was geschieht, wird von seiner tiefen Weisheit und von seiner unendlichen Güte befohlen. Wir müssen ihm also sehr für das schöne Wetter danken, das er uns schenkt, um diese Exerzitien zu machen.
Wie ich euch heute Vormittag empfohlen habe, müsstet ihr euren Tag bei unserem Herrn verbracht haben und ihn gebeten haben, euch zu sagen, was er von euch haben will, damit ihr es besser versteht, damit ihr es liebt. Ihr müsstet eure Seele bei ihm zur Ruhe gebracht haben, wie Maria zu Füßen des Herrn. Heute Abend will ich euch den wahren Sinn eurer Berufung zu Oblatin erklären. Was besagt dieses Wort: Oblatin? Oblatin kommt vom lateinischen Wort oblatus, das heißt: der sich anbietet, der sich hingibt, die sich nicht mehr gehören. Wenn man sagt: ein Schneider ist ein Mann, der Kleidungsstücke macht; ein Schlosser ein Mann, der sich damit beschäftigt, Schlösser herzustellen. So sagt man, eine Oblatin muss eine Nonne sein, die sich in jedem Augenblick des Tages dem lieben Gott anbietet, ihm ihr Herz, ihre Gedanken, ihre Handlungen schenkt und unter allen Umständen ihren Willen mit dem seinen vereint. Oblatin sein besagt schließlich, dass wir jedes Mal, wenn wir eine Mühe, eine Prüfung haben, jedes Mal, wenn der liebe Gott etwas zulässt, das uns überlastet, uns ärgerlich, unangenehm ist, es annehmen, es dem Heiland schenken, weil wir uns Gott angeboten haben.
Bemüht euch, gut zu verstehen, was ich euch heute Abend zu diesem Thema sagen werde. Ich weiß, dass ich sehr oft darauf zurückkomme. Aber ist es nicht nützlich und sogar notwendig, oft dasselbe zu wiederholen? Warum sind wir in der heiligen Kirche des lieben Gottes, wenn wir uns nicht so anbieten, wenn wir nicht diesen besonderen Charakter haben? Die Sacre Coeur Schwestern führen ein sehr hartes, sehr strenges Leben der Buße. Sie fasten oft, stehen um vier Uhr morgens auf, und diese Härte macht sie zu Sacre Coeur Schwestern. Die Karmelitinnen haben, wie ihr wisst, einen Leben ganz für die Abtötung: Abtötung der Sinne und des ganzen Wesens, Abtötung bei der Nahrung, bei der Kleidung, beim Schlafen, und so sind sie Karmelitinnen. Aber wie seid ihr Nonnen, was habt ihr dem lieben Gott zu geben, wenn ihr nicht sehr ruhig euren kleinen Beschäftigungen nachgeht? Wenn ihr nicht die Verpflichtungen des täglichen Lebens um jeden Preis erfüllt, wie es kommt, wie man es findet, frage ich mich, was ihr seid. Einige, die nur euer äußerliches Leben sehen, sagen, dass die Oblatinnen keine Nonnen sind. Und in einem gewissen Sinn dürfen sie so denken, da unsere Abtötungen ganz innerlich sind. Was macht uns also zu Ordensleuten? Dass wir uns dem lieben Gott in jedem Augenblick unseres Lebens anbieten, wir schenken ihm unseren Willen unter allen Umständen, wir nehmen aus Liebe alles Mühsame an, das er uns schickt. Ist das wenig? O nein, meine Kinder, denn seinen Willen unaufhörlich mit dem Willen Gottes vereinen, das ist die Heiligkeit.
Nehmt euer Geistliches Direktorium! Was sagt es? Man muss durch die Ausrichtung der Absicht am Beginn jeder unserer Handlungen den lieben Gott um die Gnade bitten und ihm im Vorhinein anbieten, was es bei dieser Handlung zu leiden geben wird; dass wir die Mühe und Abtötung annehmen müssen, die sich in dem, was wir zu machen haben werden, in dieser oder jener Beschäftigung, die wir ausführen werden müssen, befinden werden. Es muss, meine Kinder, unsere Seele der Abtötung, dem Opfer zuvorkommen, und wir müssen sie sogar noch ehe wir sie erduldet haben, annehmen. Wenn ihr das nicht macht, was für einen Unterschied gibt es dann zwischen euch und den Weltlichen? Keinen. Und ihr seid sogar unter der Frau, die in der Welt lebt, weil sie viele andere Mühen, andere Ärgernisse, andere Arbeiten, andere Sorgen, andere Demütigungen zu erleiden hat als ihr. Sie hat mehr Mittel sich zu heiligen als ihr, wenn ihr euch nicht durch die Mittel heiligt, die ich euch da angebe.
Man darf sich nicht einbilden, dass das Ordensleben ein leichtes Leben ist, in dem man gewisse kleine Opfer bringt, um deren viele andere zu vermeiden, ein Leben, in dem man viel Ruhe hat, wo man sich nicht viel mühen braucht, wo einem die Sorgen für die Notwendigkeiten des Lebens erspart werden und wo man alles in allem seine Tage dahinfließen lassen kann und so ohne zu viel Mühe, ohne viel Erschütterungen, ohne zu viel Einschränkungen zum Tod gelangt. Meine Kinder, das ist nicht das Leben einer Nonne. Eine Nonne muss abgetötet sein, nicht nur in einer Sache, sondern in allem und überall. In allem, was zu machen, zu leiden ist, müssen wir entschlossen sein, in jedem Augenblick das Kreuz anzunehmen, das Kreuz, das man auf den Armen, auf den Schultern trägt, das Kreuz, das man im Herzen, im Geist, im Körper trägt, das Kreuz, das durch die Mühen, die Krankheiten, die Gebrechen über uns kommt. Ihr werdet mir sagen: „Mein Vater, das ist sehr hart formuliert.“ Nein, meine Kinder, das ist überhaupt nicht hart formuliert. Unser Leben muss ein abgetötetes Leben sein, sonst sind wir keine Nonnen, sind wir nicht einmal Christinnen, denn die Christinnen, die in der Welt leben, müssen leiden und oft viel. Sie gehen zwar auf diese Leiden nicht zu, aber sie haben ihren Teil an Schmerzen und Ängsten, und dieser Teil ist oft größer, beträchtlicher als unserer.
Versteht wohl, meine Kinder, wir müssen in allem die Abtötung unseres Herrn tragen. Ist es eine laute, raue, abstoßende Abtötung? Aber nein, es ist die Abtötung unseres Willens. Und wenn wir den Heiland aufrichtig lieben, wird er für uns fast keine Abtötung mehr sein, es wird einfach eine Zustimmung zu dem sein, was er von uns will. Wenn wir unseren Herrn getroffen hätten, als er nach Kalvaria hinaufging, wären wir da nicht der Spur gefolgt, die sein Kreuz im Staub des Weges hinterließ? Hätten wir nicht gestöhnt und geweint wie die Frauen von Jerusalem? Hätten wir nicht unseren Schleier genommen, um sein Gesicht abzuwischen? Hätten wir nicht versucht, sein Kreuz mit ihm zu tragen? Hätten wir nicht an allen Schmerzen und Bitterkeiten seines Leidens teilgenommen? Das ist das Herz einer Oblatin, einer Nonne. Meine Kinder, wenn wir nicht diese Liebe in uns haben, was sind wir dann? Wir sind verkleinerte, an Herz, Seele und Willen eingeengte Wesen. Was ist in uns? Wir sind nichts …
Warum werden wir Nonnen? Um die Gefährtinnen unseres Herrn zu sein. Er ist nicht mehr auf Erden wie während seines irdischen Lebens, aber er ist noch durch seinen Willen und seine Vorsehung da. Wir wissen alles, was er will. Alle seine Absichten kennen wir. Wir fühlen alles wieder, was er gelitten hat. Wir müssen unser Kreuz schon am Morgen mit großer Treue und großer Liebe ergreifen und uns durch die Übung des Geistlichen Direktoriums mit dem göttlichen Willen vereinen, so dass wir immer das sehr sanfte, sehr liebenswerte, aber sehr beständige Joch des Heilands Jesus tragen.
Was braucht man dazu? Man muss ihn lieben und sich ihm sehr schenken wollen. Es wäre sehr sonderbar, wenn man sich dem lieben Gott schenkte, ohne im Herzen ein Gefühl der Liebe für ihn zu haben, ohne wenigstens einmal gefühlt zu haben, dass er in unserem Leben etwas ist. Aber wie ist Jesus etwas in unserem Leben? Ohne Zweifel schenkt er sich uns ganz in der Heiligen Kommunion, durch seine Gnade. Aber da ist er es, der alles für uns macht, und was machen wir für ihn? Was geben wir ihm zurück? Ist es wahr, wenn wir ihm sagen, dass wir ihn lieben? Hat das Wort Liebe ein Echo in unserem Herzen? Und wenn es eines hat, welchen Platz hat dieses Gefühl in unseren Zuneigungen inne? Und dennoch: wir gehören dem Heiland, wir sind seine Dienerinnen, seine Gemahlinnen, wir sind die Geliebten und Auserwählten seines Herzens. Noch einmal, ich sage es vor Gott – und wenn ich vor dem Jüngsten Gericht wäre in diesem feierlichen Augenblick, wo die geheimsten Gedanken geoffenbart werden, würde ich nicht anders sprechen – den Teil, den der Heiland euch zuwies, als er euch zum Ordensleben berief, tritt er keinem anderen ab.
Also, meine Kinder, Sursum Corda! Erheben wir unser Herz! Wir müssen das Herz oben haben! Verbleiben wir nicht, wie wir vielleicht in diesem Jahr waren, mit dem Fuß auf der Erde, verkapselt in uns selbst, in unserer Eigenliebe, in unseren Zuneigungen, in unseren persönlichen Vorlieben, den Abneigungen unserer Natur, unseres Geistes. Zu oft wohnten wir in unserem eigenen Haus, das ein Totenhaus ist. Wir lebten in diesem Jahr nicht genug von diesem Leben der Abtötung und der Vereinigung mit Gott, das das wahre Leben der Nonne ist. Woher kommt das? Das Fehlen wurde ganz von uns selbst verursacht. Hat uns die Gnade gefehlt? Hat uns der liebe Gott verlassen? Haben wir ihn immer betrachtet, um ihn um seine Hilfe zu bitten, ohne dass er sie uns gab? Haben wir ihm ein einziges Mal gesagt: „Ich brauche dich“, ohne dass er uns geholfen und unterstützt hat? Ja, der Heiland war uns treu, aber haben wir ihm dafür nur einmal im Jahr aber aus ganzem Herzen gesagt, dass wir ihn lieben? Denkt wohl daran, meine Kinder. Unsere Berufung ist eine Berufung ganz aus Liebe, unsere Opfer sind ganz aus Liebe gegebene Opfer, unser Leben ist ein Leben ganz aus Liebe, es hat kein anderes Ziel als Gott zu lieben und alles, was sein heiliger Wille ist. Sonst, meine Kinder, ist nichts in uns, unser Herz ist trocken, unser Geist ist zerstreut, unser Wille ist schwankend, wankelmütig. Die Dinge des lieben Gottes berühren uns nicht. Die Gabe Gottes lässt uns gleichgültig. Welche unter euch hat in diesem Jahr gesagt, nachdem sie vom lieben Gottes etwas empfangen hat: „Es schenkte mir Gott ein großes Licht. O Herr, wie sehr liebe ich dich. Wie bin ich dir dankbar, dass du mich mein Unrecht verstehen ließest. Ich werde mich bemühen, es besser zu machen und zu befolgen, was du mir gesagt hast.“ Es gäbe dann ein Gespräch, eine vertrauliche Unterhaltung eurer Seele mit ihm. Es ist eine eigenartige Weise, jemand zu lieben, ohne je mit ihm zu sprechen, ohne je für ihn etwas zu machen, zu erdulden, sich mit seinen Leiden verbinden zu wollen, an seinen Schmerzen mitzuleiden, seine Ängste zu teilen. Möge jede, meine Kinder, eine ernsthafte Gewissenserforschung machen und Gott bitten, er möge in sie die Grundlage der Liebe legen, ohne die es kein Ordensleben geben kann. In der Heiligen Schrift heißt es von jenen, die nicht an Gott glauben (vgl. Ps 14; Ps 53): „Ihr seid für immer tot.“ Gehören wir nicht zu diesen Toten; dass man nicht sagen kann, wenn man uns sieht: „Der Tod ist da, es ist die Kälte, es ist das Eis, es gibt kein Leben mehr, es ist aus.“
Der Geist unseres Institutes, der Geist einer wahren Oblatin ist also ein Geist ganz voll Liebe. Man muss schon am Morgen sein Herz nehmen, um es Gott großmütig anzubieten und zu sagen: „Mein Gott, dieser Tag, der beginnt, gehört dir. Was willst du von mir? Ich werde gut horchen, was du von mir verlangen wirst, was dein Wille für mich ist.“ Und unser Herr wird euch antworten: „Dass ihr das Geistliche Direktorium ausführt.“ Also führt man sein Geistliches Direktorium gut aus und legt sein ganzes Herz hinein. Aus diesem Anlass, meine Kinder, werde ich zu euch über die Art sprechen müssen, wie man das Geistliche Direktorium ausführt. Von nun an werden wir es ganz laut machen, damit jede an der Wohltat der Ausrichtung der Absicht, den Gedanken an den Tod und den viertelstündlichen Anrufungen teilhat. Ich werde euch sagen, was ihr mit den Internatszöglingen, den Schülerinnen, den Mädchen in den Fabriken und untereinander zu tun haben werdet. Ihr werdet es, hoffe ich, großherzig tun. Wenigstens wird es dieses äußerliche Zeichen eurer Treue zu Gott geben, und wie die Engel sehen, was äußerlich ist, werden sie sehen, dass ihr die Ordensregel erfüllt und sie werden euch Gottes Gnade und die Hilfe bringen, die ihr braucht, um gut zu handeln, und eure Treue wird täglich wachsen.
Um Gottes Willen, meine Kinder, bemühen wir uns ein besseres Jahr zu verbringen als das so eben vergangene. Gestehen wir demütig, dass wir im Allgemeinen dem lieben Gott und seiner Liebe nicht genügend entsprochen haben. Es möge jede gut ihr Mea Culpa sagen. Würde man in eine Waagschale legen, was Gott euch geschenkt hat, und in die andere, was ihr für ihn gemacht habt, würde es sicher kein Gleichgewicht geben. Ihr habt nicht nur nicht genug Verdienste angehäuft, sondern ihr habt Schulden gemacht. Es heißt im Heiligen Evangelium: „Wer im Kleinen treu ist, wird es auch im Großen sein.“ (vgl. Mt 25,21) Wer hingegen nach und nach versagt, wird schließlich in den Abgrund fallen. Gott ist treu, das wisst ihr, er liebt nicht die Untreue. Die Seelen, die treu sind, bindet er immer mehr an sich, aber die untreuen Seelen schaut er nicht mehr an, die verwirft er.
Habt ihr gut verstanden, meine Kinder, was unsere Geisteshaltung ist? Für uns gibt es zwei wesentliche Dinge: zuerst müssen wir aus ganzem Herzen, aus Liebe unser Geistliches Direktorium erfüllen und nie dagegen fehlen. Warum? Weil es die Kette, das Band ist, das uns mit dem lieben Gott verbindet. An zweiter Stelle müssen wir großmütig die Abtötungen, die Ärgernisse annehmen, die uns von der einen oder anderen Seite zukommen. In den mühsamen Dingen, den Prüfungen, den Krankheiten muss man wie die Gute Mutter Marie de Sales Chappuis dem lieben Gott sagen: „Mein Gott, da du es willst, ist es gut für mich. Ich verbinde mich mit deinem Willen.“ Aber vor allem muss man die Ärgernisse annehmen, die sich durch den Nächsten ergeben, denn da finden wir die häufigsten Gelegenheiten, den göttlichen Willen anzunehmen. Wenn wir das tun, meine Kinder, sind wir auf dem Weg der Heiligkeit. Wenn wir es nicht tun, sind wir keine Oblatinnen, sind wir kaum Christinnen.
In der Zeit der frühen Kirche sagten die Heiden von den Gläubigen: „Seht, wie sie einander lieben.“ Man müsste, wenn man die Oblatinnen sieht, auch sagen können: „Seht, wie sie einander lieben!“ Wie werdet ihr euch also einander lieben? Wird es aus Sympathie sein? Weil die Charaktere übereinstimmen? Nein, das wäre nicht genug übernatürlich. Es wäre besser nicht zu lieben als so zu lieben. Man muss Gott gemäß lieben, das heißt lieben, weil Gott es will, ohne unseren natürlichen Neigungen Rechnung zu tragen. Aber dann, werdet ihr sagen, liebt man nicht wirklich? Was nennt ihr den lieben? Was ihr Liebe nennt, ist Selbstsucht, es geht darum euch an dieser oder jener Eigenschaft eurer Schwester zu gefallen. Wen liebt ihr dann? Die Mitschwester oder euch?
Untersuchen wir gemeinsam euer Herz und ich werde euch zeigen, dass ihr euch liebt, und dass ihr ausgesetzt seid, der, zu der ihr diese Zuneigung habt, Böses und viel Böses anzutun. Ihr fürchtet nicht, dass sie euretwegen Gott beleidigt, dass sie die Zuneigung verliert, die sie zu ihrer Oberin haben soll. Ihr liebt also euch, ihr seid euer Idol. Was ist in eurem Herzen? Nichts als ein engstirniger Egoismus, der außer eurer Persönlichkeit nichts sieht. Es ist sehr ernst, was ich euch da sage. Diese natürliche Zuneigung ist ganz gegen die wahre Liebe, gegen die, die der heilige Franz von Sales will, dass ihr sie übt, und die er euch zu einer ganz besonderen Verpflichtung macht. Ihr wisst doch, dass er am Anfang nicht wollte, dass es im Ordens der Heimsuchung eine eigene Regel gibt, nicht einmal Gelübde. Er wollte nur die beständige und getreue Übung der Liebe. Die Übung der heiligen Liebe ist das sicherste Mittel, euer Leben zu heiligen, um die Abtötung, den Verzicht hineinzubringen, die gewollt sind, um gute Nonnen zu sein. Bemüht euch, dies gut zu verstehen, meine Kinder, es ist äußerst wichtig. Man möge also gut darauf achten. Wir werden auf dieses Thema noch zurückkommen, es ist ein wesentlicher Punkt.
Ich will euch heute Abend nicht durch einen zu langen Vortrag ermüden. Ich werde euch also nicht mehr sagen, aber ehe ich ende, fasse ich zusammen. Eine Oblatin muss wirklich Oblatin sein, das heißt, dem lieben Gott hingegeben, geschenkt. Jedes Mal, wenn sie merkt, dass sie sich zurücknimmt, dass sie sich selbst sucht, muss sie sich sagen: „Ich habe nicht das Recht, das zu tun, denn ich gehöre nicht mehr mir, ich gehöre dem lieben Gott.“ Sie muss dieses Gefühl haben und nicht mehr das Ich fühlen. Es scheint mir, dass es sonst keine Oblatin geben kann. Das macht also das Fundament unseres Lebens aus: nie sich zu gehören. „Unsere Bleibe“, sagt der Apostel, „ist nicht in uns, sie ist im Himmel“ (vgl. Phil 3,20). Wir dürfen uns nicht beachten, nicht als etwas zählen. Und außer diesem allgemeinen Gefühl, dieser Seelenanlage, die wir haben sollen, müssen wir uns Gott Stunde um Stunde, Minute um Minute durch die Übung des Geistlichen Direktoriums schenken. Es ist ein ständiges Angebot, das wir aus uns selbst dem Heiland machen. An dritter Stelle müssen wir uns in allem dem Heiland schenken, das mühsam und gegen die Natur ist, das unserem Charakter, unserem Geschmack entgegensteht. Noch einmal, ihr müsst es, meine Kinder, weil es unsere große Abtötung ist. Euer Leben ist äußerlich nicht hart oder mühsam wie das der Karmelitinnen oder der Klarissinnen. Und dennoch seid ihr Nonnen wie sie. Was ersetzt die körperliche Strenge, die ihr nicht übt? Es wird die Unterwerfung unter das Geistliche Direktorium sein, die großmütige Annahme des Willens Gottes und vor allem, das Opfer der Neigungen eures Herzens. Vergesst es nicht, die Liebe ist für uns das große Mittel der Heiligung und deshalb fällt es uns so schwer, sie zu üben. Der liebe Gott besiegelt es. Dadurch will er euch zum Grad der Heiligkeit gelangen lassen, den er für euch bestimmt hat.
Wenn ihr so eure Pflichten als Oblatinnen versteht, meine Kinder, werdet ihr alle ein besseres Jahr verbringen. Seid gerecht zu euch selbst und überlegt vor dem lieben Gott, ob ich nicht Recht habe zu sagen, dass ihr in diesem Jahr mehr als eine Gelegenheit versäumt habt an Mut, Energie und guten Willen, in den Geist des Instituts hineinzuwachsen. Bittet den Heiland inständig, der euch gleich segnen wird, es euch gut verstehen zu lassen und euch seine Gnade zu schenken, damit ihr den Vorsatz fasst, euch eifriger zu bemühen, von nun an ein Leben als wahre Oblatin zu führen. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.