8. Vortrag: Über den Gehorsam. Die Folgen der Fehler gegen dieses Gelübdes
Sonntag Abend, 4. September 1887
Meine Kinder, setzten wir unsere Exerzitien mutig fort. Wie ich euch schon sagte, sind die Exerzitien oft eine Zeit der Prüfungen, eine Zeit, in der man sich schlecht fühlt. Wenn sich ein Kranker pflegt, nimmt er oft Abstoßendes, Bitteres. Das ist ihm nicht angenehm. Würde er sich aber nicht pflegen, würde er sterben. Die Exerzitien sind manchmal auch für uns eine Zeit der Krise, der Prüfung, des Leidens. Da wir unserem Herrn nachfolgen sollen und seine Kinder sein wollen, müssen unsere Exerzitien wie seine sein. Seine Exerzitien fanden in der Wüste, am Tabor und auf dem Ölberg statt. Wie lange dauerten die am Tabor? Eine Stunde? Weniger? Wahrscheinlich dauerten sie nicht lange, denn kaum hatte der heilige Petrus gesagt: „Herr, hier ist es gut. Lass mich drei Hütten bauen“, da war die Vision verschwunden. Wenn wir also ein wenig vom Tabor haben, dann ist es kurz, vergänglich. Exerzitien, die nur mit Tröstungen vergehen würden, wären eine Ausnahme, eine Seltenheit. Exerzitien sind immer mühsam. Wir finden in ihnen die Abtötung. Es gibt Ängste, Angst vor der Beichte, das Urteil, das man sich zuzieht, den zu fassenden Vorsätzen, der Mühe, der Stille. Fasst Mut, meine Kinder, damit eure Exerzitien bis zuletzt gut sind. Wir sind ungefähr in der Mitte, es muss das Ende noch besser sein als der Beginn. Verdoppeln wir den Eifer, die Aufmerksamkeit.
Heute Abend will ich über ein sehr wichtiges Thema sprechen: über das Gelübde des Gehorsams.
In der Formel der Gelübdeerneuerung stellt der heilige Franz von Sales den Gehorsam an die Spitze als wichtigen Punkt, als wesentlichen Punkt des Ordenslebens. Die anderen Gelübde erfordern nur eine mehr oder weniger aktive Wachsamkeit. Das Gelübde des Gehorsams wiegt am schwersten, ist das mühsamste, aber auch das verdienstvollste. Der Gehorsam ist im Ordensleben alles, wie er auch in der Kirche alles ist. Man muss unserem Heiligen Vater, dem Papst, gehorchen, die Gebote der Kirche befolgen. Ebenso muss man die Ordensregeln, den Oberen völlig und strengstens folgen. Wir geloben es, man muss es erfüllen.
Woraus besteht der Gehorsam? Zunächst muss man der Ordensregel gehorchen. Allen, die nicht die Ordensregeln einhalten, fehlt es an Gehorsam. Der Gehorsam nimmt euch die Handlungsfreiheit. Ihr müsst machen, was euch gesagt wird, euch dessen enthalten, was euch verboten wird. Er nimmt euch die Sprechfreiheit. Ihr könnt euch nicht beklagen, eure Abneigungen mitteilen, schlecht von euren Mitschwestern, euren Oberinnen sprechen, eure Abneigungen, euer Elend, eure Schwierigkeiten kundtun. Warum? Weil die Ordensregeln es verbieten. Wenn ihr es macht, fehlt ihr gegen euer Gelübde des Gehorsams. Wie ich schon sagte, unterwirft der Gehorsam eure Handlungen. Ohne Erlaubnis könnt ihr nicht dahin oder dorthin gehen. Er unterwirft auch eure Gedanken. Ihr könnt nicht frei an dieses oder jenes denken. Ihr seid unter dem Joch des Geistlichen Direktoriums, das euren Geist unterwirft und eure Gedanken in eine Ordnung lenkt, die nicht eure Wahl ist. Wir machen das Gelübde des absolutesten Gehorsams, da dieses Gelübde sogar unsere Gedanken einschränkt. Eine Oblatin ist ein Wesen des Gehorsams, das nur aus Gehorsam lebt, handelt, spricht und denkt. Ich übertreibe nicht. Das ist unsere Situation gegenüber der Ordensregel und dem Geistlichen Direktorium.
Wem müsst ihr noch Gehorsam sein? Der Generaloberin, der Regionaloberin, der Novizenmeisterin und in einem geringeren Maß der Amtsschwester jener Beschäftigung, der ihr zugeteilt seid. Wie weit verpflichtet euch dieser Gehorsam? Hört gut zu. Der Gehorsam zur Ordensregel, sagen uns die Theologen, verpflichtet nicht durch sich selbst unter Sünde. Das heißt, wenn ihr heute die Betrachtung nicht macht, begeht ihr keine Sünde, weil ihr gegen die Ordensregeln fehlt, aber ihr lauft große Gefahr, eine zu begehen, weil ihr dabei euren schlechten Neigungen, eurer Faulheit, eurem Eigenwillen folgt.
Die Theologen schrieben lange Abhandlungen, um zu untersuchen, wann Ungehorsam eine Sünde ist und wann nicht, wann die Sünde schwer ist und wann nicht. Ich sage lieber ganz einfach wie die gute Frau vom Land: „Man muss gehorchen. Man sagt mir, das zu tun, es ist gut, ich mache es. Sonst fehle ich gegen meine Pflicht.“ Das ist klarer.
Jetzt ist der Gehorsam ernster, als das Verbotene direkt euer Gewissen interessiert. Zum Beispiel sagt eure Oberin zu euch: „Ich verbiete euch, dorthin zu gehen, das zu sagen.“ Wenn das Verbotene von Natur aus etwas Schlechtes ist, oder etwas, das euch zum Schlechten verführen kann, und ihr es trotzdem macht, begeht ihr eine Sünde, ihr lauft sogar Gefahr eine Todsünde zu begehen. Ihr habt keine Ahnung, wie ernst das ist. Man hat schreckliche Beispiele dafür. Da ist eine Nonne, der die Oberin sagt: „Ich verbiete Ihnen, an diesen Ort zu gehen.“ Der Schritt an sich wäre vielleicht gerade eine Sünde, aber die Oberin urteilt, dass es für diese Nonne eine Gelegenheit zur Sünde ist, und dennoch geht sie hin. Was geschieht nun? Der liebe Gott bestraft diese Schwester. Ihr Fehler war vielleicht an sich nur lässlich, aber er wird tödlich, weil er trotz eines formellen Verbotes gemacht wurde.
Man muss sich hüten, meine Kinder, den Oberen in Dingen ungehorsam zu sein, die unsere Seele, unser Gewissen betreffen. Die örtliche Oberin verbietet euch, an diesen oder jenen Ort zu gehen, euch mit dieser oder jener Person zu treffen, weil sie weiß, dass es gefährlich für euch ist, und ihr geht hin. Und selbst wenn dort keine Gefahr wäre, gäbe es einen Fehler, der schwer sein könnte.
Ihr ward ungehorsam, um eure persönliche Neigung, irgendetwas von eurem Herzen zufrieden zu stellen. Gebt Acht, der liebe Gott wird euch züchtigen, wie er eine ehemalige Nonne, die ich kenne, züchtigte. Warum trifft man in der Welt einige Frauen, die nach dem Verlust ihrer Ordensberufung ihr Leben in Tränen, Bitternis und Schande verbringen? Es ist die Folge eines Ungehorsams wie der, den ich euch darlege. Der Beweis ist, dass diese Seelen von der göttlichen Gerechtigkeit geschlagen worden sind, dass sie sich durch Verleumdung rächen, dass sie immer mehr in Verderbnis geraten. Und was kann ihnen Sicherheit geben, wenn sie an ihrem Totenbett angelangt sind? Sie gehen für immer verloren, wenn sie sich nicht bekehren, und es gibt viele, die sich nicht bekehren!
An welchem Tag betrat diese Seele den Pfad des Sich-Verlierens? An dem Tag, an dem sie ungehorsam war, als sie sich mit dieser oder jener Person unterhielt, um aus Leichtfertigkeit die Neigungen ihres Herzens zu befriedigen. Sie dachte nicht an die Folgen ihres Fehlers und sie wurde geschlagen mit dem Zeichen der Verdammnis. Sie wurde vom gläubigen Volk getrennt, sie fiel nach und nach und ihr Fall war entsetzlich. Was war dafür der Ausgangspunkt? Ein Ungehorsam. Habe ich Recht, euch zu sagen, dass es schwerwiegend ist? Die entsetzlichsten Fälle folgen auf diese Fehler gegen das Gelübde des Gehorsams.
Meine Kinder, ich übertreibe nicht, ich sage, wie es ist. Es ist die tägliche Erfahrung, es ist, was geschieht, es ist, was ist. Ihr macht einen Fehler, da sind seine schicksalhaften Folgen. So beginnt das immer, so geht es immer weiter und so endet es.
Warum hat Gott die Hölle erschaffen? Hört zu. Er hat die Hölle erschaffen, weil das Wesen, das er in seiner Vollkommenheit, seinem Glanz erschaffen hat, sagte: „Non serviam! Ich werde nicht dienen!“ Und Gott entzündete das Feuer der Hölle für Luzifer und für die, die seinem Aufstand folgten. Es gibt ein sehr starkes Wort des heiligen Bernhard von Clairvaux: „Beseitigt den Eigenwillen und die Hölle hat keinen Grund mehr zu bestehen.“ Legt den Eigenwillen ab und die Hölle wird aufhören zu sein. Auf wen fallen also Fluch und schrecklichste Strafen? Auf die, deren Eigenwillen sich gegen die Autorität auflehnt, die den Willen Gottes vertritt. Ich sage euch klar und deutlich, was die traurigen Folgen der Verfehlungen gegen das Gelübde des Gehorsams euch vor Augen führt. Ihr seht, dass ihr in gleichgültigen Dingen nicht ungehorsam sein dürft und noch weniger in gefährlichen Dingen, denn dann kann die Sünde leicht schwer werden und Gott bestraft sie so schrecklich, dass es der menschliche Geist nicht verstehen kann. Möge euch dieser Gedanke, diese Furcht erfassen und euch hindern, in den Ungehorsam zu verfallen. Ach! Man hat heute kaum noch Skrupel. Die Seelen, die die göttliche Gerechtigkeit fürchten, sind selten, aber diese Gerechtigkeit ist deshalb nicht weniger da. Manchmal denke ich an die Leute, die 1789 die Revolution begonnen haben. Alle wurden auf das Schrecklichste nicht nur in ihrer Person bestraft, sondern auch innerlich, in ihren Zuneigungen, in dem sie ihre Frau, ihren einzigen Sohn, ihr Vermögen verloren haben und durch unsagbare Ängste gingen. Wäre man in der Zeit des Glaubens, würde man sagen: „Seht die Gerechtigkeit Gottes!“ Aber jetzt geht das unbemerkt vorbei. Doch die Gerechtigkeit hat ihr Schwert nicht in die Scheide zurückgesteckt. Gott ist immer und überall der höchste Richter. Das ist ein großes Betrachtungsthema.
Macht es euch also nicht zur Gewohnheit, den Gehorsam als ein einfach so dahingesagtes Wort zu betrachten. Unsere Gelübde sind nicht einfach irgendwelche Worte. Sie währen nicht nur einen Augenblick. Ihr seid Nonnen für die Ewigkeit, und ihr werdet über den Gehorsam wie über die anderen Gelübde beurteilt werden.
Ich vertraue diese allgemeinen Gedanken eurer Betrachtung an. Ich übertreibe nichts. Überlegt vor dem lieben Gott die Schwere des Ungehorsams. Der heilige Bernhard von Clairvaux sagt: „Wenn ihr in die Hölle ginget, würdet ihr sie voll Eigenwillen finden.“ Er definiert auch die Hölle als den Ort, wo der eigene Wille herrscht, und was für ein Wille! Was haben die, die im Zustand der Todsünde sterben und in die Hölle kommen, für einen Gott, Meister und Vorbild? Es ist der Teufel, das heißt die Verkörperung des Aufruhrs des erschaffenen Willens gegen den Willen des Schöpfers.
Im Himmel wird unser Glück vollkommen sein. Je mehr Jahrhunderte vergehen werden, desto mehr wird sich der Ausdruck unserer Liebe vergrößern. Ein kleiner beim Heiland verbrachter Augenblick nach einer innigen Kommunion ist schon so gut auf der Erde! Wohlan! Meine Kinder, verlängert diesen Augenblick während der ganzen Ewigkeit! Das ist das Glück des Himmels. Die Hölle hingegen ist die Herrschaft Satans, die Herrschaft des Hasses. Der Verdammte ist verärgert gegen Gott, gegen den, der ihn verurteilte. Seine Wut, seine Geistesanlage ist die des Satans. Uns seine Wut wächst nur mit der Zeit. Seine Wut auf Gott vergrößert sich ständig. Das ist die Hölle. Man muss Angst haben auf diese Seite zu gehen. Man geht durch einen Ungehorsam hin, der euch an sich klein erscheint. Man hat euch verboten, an einen Ort zu gehen. Ihr folgt euch, ihr geht hin. Das Herz klopft ein wenig, ihr fühlt, dass es nicht gut ist, und trotzdem macht ihr es dennoch. Wenn Gott euch in seiner Gerechtigkeit behandelt – denn ihr seid dabei, einen vielleicht schweren Fehler zu machen – was wird dann geschehen? Was würde geschehen, wenn ihr im Zustand einer Todsünde sterben würdet? Ihr würdet in die Hölle kommen und da wäret ihr wütend auf Gott, der euch wegen einer Sache verdammt hätte, die ihr als leicht beurteilt. Und dennoch, Gott ist unendlich gerecht. Er hat euch gegeben, was ihr braucht, um euch zu retten. Er warnte euch immer vor der Gefahr, hundert Mal, tausend Mal, und ihr wolltet nicht auf ihn hören.
Die übernatürlichen Dinge sind wie die natürlichen. Da ist ein Kind, dem die Mutter verbietet, zu einem Kessel mit kochendem Wasser zu gehen. Kaum ist die Mutter weggegangen, geht es hin, steigt auf einen Stuhl, um besser zu sehen. Der Stuhl schaukelt und das Kind fällt in den Kessel. Gebt ihr zu, dass es auf seine Mutter zornig ist, wenn es noch lebend herauskommt? Versteht also diese Wahrheiten gut, meine Kinder. Morgen hoffe ich, euch Tröstenderes über den Gehorsam zu sagen. Aber heute Abend muss ich euch zeigen, wie der Ungehorsam zum ewigen Unglück führt.
Seien wir wie die heilige Maura von der Furcht in der Gegenwart der göttlichen Gerechtigkeit durchdrungen. Es schien ihr, die Stimme des Heilands zu hören, die, nachdem er am Kreuz seinen Vater angefleht hatte, die Seelen zu retten, ihre Verdammung aussprach, und sie fiel in Ohnmacht, so sehr empfand sie Angst und Schrecken bei dem Gedanken an das Jüngste Gericht. Der heilige Bernhard von Clairvaux sagte auch: „Ich zittere, mir ist bange, ich fürchte mich, ich habe Angst, wenn ich an das Urteil Gottes denke, das kommen muss, und das ich kommen sehe.“ Auch wir, meine Kinder, sollen von diesem heilsamen Gedanken durchdrungen sein. Amen.