4. Vortrag: Die drei Exerzitien unseres Herrn - Über den Tod
Freitag Abend, 2. September 1887
Meine Kinder, ich habe kürzlich unseren Patres Exerzitien gehalten. Und zuerst sagte ich ihnen, dass es die Exerzitien sind, die die Exerzitien machen, die Übungen also, die man in den Exerzitien findet, um sie gut und hervorragend zu machen. Ich hatte ihnen eine große Treue zur Stille mit Hilfe aller Übungen empfohlen, und während der ganzen Zeit, die sie dauerten, nicht das kleinste zu laut gesprochene Wort oder die geringste Verfehlung gegen die Übungen. Doch das Wetter war heiß, ermüdend, schwer zu ertragen, und das hinderte sie nicht, mit einer wahrlich wunderbaren Pünktlichkeit meinen Einladungen zu folgen.
Ich sagte ihnen noch, dass es drei Arten von Exerzitien gibt, und sie haben es gut verstanden. Wir geloben, unseren Herrn nachzuahmen, in allem und überall mit ihm zu sein, ihn nie zu verlassen. Man muss sich also daran gewöhnen, immer mit ihm zu sein. Das bildete die Grundlage ihrer Exerzitien. Ich füge hinzu, dass unser Herr während seines apostolischen Lebens drei Exerzitien gemacht hatte: seine vierzigtägigen Exerzitien in der Wüste, seine Exerzitien am Tabor und seine Exerzitien am Ölberg. Ich machte ihnen diesen Vergleich – oder ich schloss eher daraus – dass wir, ehe wir Abbilder unseres Herrn auf Erden sind, ihm in allem ähnlich sein müssen. Unsere Exerzitien müssen also seinen gleichen.
Die längsten Exerzitien unseres Herrn waren die vierzigtägigen, die er in der Wüste machte. Wie waren sie? In der Versuchung, dem Hunger, dem Durst, der Entbehrung jeglichen Trostes und aller Arten von Gefühl. Er litt körperlich durch das Bedürfnis, Nahrung zu nehmen, seelisch durch die Trockenheit und das Fehlen jeder inneren Freude. Das, meine Kinder, waren diese Exerzitien für unseren Herrn. Er fastet vierzig Tage, sein Körper leidet, er hat Hunger und Durst und nichts von dem, was er braucht. Seine Seele ist gewiss in der Hingabe. Der Teufel näher sich und kommt, um ihn zu versuchen. Ohne Zweifel konnte unser Herr nicht versucht werden wie wir. Das konnte nur eine Einflüsterung sein. Der Teufel rät ihm, dieses oder jenes zu tun, diese oder jene Tollkühnheit, seine Macht anzuwenden, um seinen Hunger zu befriedigen, sich ein gewisses physisches Wohlbehagen zu verschaffen. Wenn du der Sohn Gottes bist, sagt er zu ihm, befiehl, dass diese Steine zu Brot werden. Es wird vorkommen können, meine Kinder, dass ihr darunter leidet, dass ihr hinsichtlich Nahrung und kleiner Bequemlichkeiten nicht alles habt, was ihr euch wünscht. Diese erste Versuchung ist die der Sinnlichkeit, der Unbußfertigkeit.
Der Teufel schlägt dann unserem Herrn vor, sich über Gott hinwegzusetzen, alles durch sich selbst zu machen. Er führt ihn auf den Tempel hinauf. Wenn du der Sohn Gottes bist, sagt er zu ihm, stürze dich hinunter, denn es steht geschrieben: Die Engel werden dich auf ihren Händen tragen, damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt. Meine Kinder, es kann sein, dass diese Exerzitien für viele unter euch so sind. Die Eigenliebe wird versuchen, sich zu erheben: „Man verkennt meine Talente, meine Fähigkeiten.“ Der Teufel wird euch auf die Zinne des Tempels eures Stolzes stellen. Man sagt zu euch: „Gebt acht, hütet euch.“ „Aber da ist keine Gefahr für mich“, antwortet ihr. „Ich werde gut durchkommen, ich habe genug Klugheit, Tugend und alles, was man braucht, um gut zu handeln.“ Das ist die Versuchung der Eigenliebe, der Selbstsucht, des Selbstvertrauens.
Nach der Versuchung des Stolzes greift der Teufel unseren Herrn durch die Versuchung der Gottlosigkeit an: „Fall auf die Knie und bete mich an“, sagt er zu ihm. Und unser Herr stößt ihn zurück, indem er ihm antwortet: „Es steht geschrieben: Den Herrn sollst du anbeten und nur ihm allein dienen.“ Der Teufel wird auch euch glauben lassen, dass man anbeten muss, was die Welt anbetet, lieben, was sie liebt, besser finden, was sie euch vorschlägt, dass ihr besser eure Meinung habt als alles, und glauben, was man euch sagt und mehr Vertrauen zu den Ratschlägen habt, die ihr außerhalb der Gemeinschaft erhalten könntet als zu denen eurer Oberinnen.
Was macht unser Herr, um diese Versuchung zurückzuweisen? Er betet und als er das Gebet beendet hatte, kamen die Engel und brachten ihm Speisen, die seine Seele mit unaussprechlichen Tröstungen sättigte. Und ich sagte unseren Patres: Erwartet euch nicht, dass eure Exerzitien weniger erprobt, weniger aufgewühlt werden als die unseres Herrn, aber ihr werdet dann auch ihre Wohltaten fühlen.
Andere Exerzitien des Heilands sind die von Tabor, die der Tröstungen. Unser Herr wird ruhmvoll erhöht, er spricht mit Mose und Elia, seine Seele ist voll Wonne. Aber wie lange dauern diese Exerzitien? Einige Augenblicke. Während der Exerzitien gibt es also weniger Tröstungen als Prüfungen.
Schließlich sind die dritten Exerzitien die Exerzitien schlechthin, die des Ölbergs. Unser Herr leidet, er fällt mit dem Gesicht auf den Boden, er ist durchnässt von blutigem Schweiß, weil er sich fürchtet, den Kelch anzunehmen, der für ihn vorbereitet ist. Er fürchtet ihn so sehr, dass ihm die Kräfte schwinden und er ohnmächtig wird. Gott schickt ihm einen Engel, um ihn zu unterstützen, und er gibt ihm die Kraft zu sagen: „Mein Vater, dein Wille geschehe, nicht der meine.“ Selig die Seelen, die so ihre Exerzitien machen. So sah ich sie im Kloster der Heimsuchung von meiner Schwester Marie-Louise und meiner Schwester Marie-Geneviévè machen.
Ich sagte unseren Patres, man müsse Mut fassen, denn die Exerzitien machen die Exerzitien. Die Treue zur Stille, zu den Übungen bringt Gnade. Und es wurde mir der Trost zuteil, zu sehen, dass sie kein einziges Wörtchen weder laut noch leise sagten und keiner Übung ohne ausdrücklicher Erlaubnis fern blieben. Sie waren zahlreicher als ihr. Es waren da mehr als fünfzig Männer, und diese fünfzig Männer setzten nur eine einzige Handlung. Es war immer eine wahre Übung des Himmels, des Paradieses. Der Wille des lieben Gottes war in jedem ganz. Ich war von ihren Exerzitien sehr erbaut. Bittet ihre guten Engel euch zu helfen, zu machen, was sie machten, eure Exerzitien mit denselben Anlagen, derselben Einfachheit, demselben Glauben, derselben Gottesliebe zu machen; die Vorträge wie sie mit großem Vertrauen, einer großen Hingabe der Seele anzuhören. Was immer ich ihnen auch sagte, ihre Blicke tranken mein Wort, sie nährten sich daran.
Dennoch fehlen ihnen nicht die Sorgen und die Arbeit auch nicht. Ich wünsche mir, dass sich eure Exerzitien ihre zum Vorbild nehmen.
Meine Kinder, heute Abend wollte ich euch ein Wort über den Tod sagen. Der Tod ist das Ende unseres Lebens, der Tod ist vielleicht nicht sehr fern von uns. Dem Tod wird sogleich das Gericht folgen, wo im selben Augenblick in dem wir sterben, alle unsere Gedanken, Worte und Handlungen vor Gott erscheinen werden. Der Tod wird den Augen Gottes alles Gute und alles Böse, das wir gemacht haben werden, vorlegen, damit es durch seine Gerechtigkeit beurteilt wird, und Gott wird ein unwiderrufliches Urteil sprechen. Denken wir wohl daran. Wir müssen uns jederzeit gewohnheitsmäßig und getreu daran erinnern. Sagen wir ihm: „O Tod, komm, dein Urteil ist gut. Ja, komm in jedem Augenblick des Tages, um mir zu sagen, dass ich dieses oder jenes tun muss. Mein Gott, wie viele verlorene Handlungen, weil ich sie nicht für dich vollzogen habe. Mein Gott, schau nicht auf sie, verzeih mir. Ich werde diese Handlungen mit ganzem Herzen machen, um die gutzumachen, die ich bis jetzt nicht gemacht habe.“ Seht, meine Kinder, welches Mittel zur Heiligung ihr an diesen Gedanken an den Tod habt, der jederzeit kommen kann.
Meine Kinder, ihr werdet sterben müssen, aber ihr sollt nicht wie alle sterben, ihr sollt einen heiligen Tod haben. Deshalb müsst ihr euch schon jetzt darauf vorbereiten. Stellt euch also dem Tod entgegen, um euch besser zu beurteilen. Das ist eine Handlung, die ihr machen werdet. Vermeidet die Doppelzüngigkeit, die Falschheit. Warum würdet ihr in einer Weise handeln, während euer Herz in einer anderen denkt? Es wäre, um Vorwürfe, einen Tadel zu vermeiden, um zu vermeiden, schlecht beurteilt zu werden. Gebt Acht, man täuscht den Tod nicht, sein Urteil ist unübertrefflich. Man fängt den lieben Gott nicht, man täuscht den Todesengel nicht. O Tod, dein Urteil ist sicher, gewiss, wahr!
Bin auch ich wahr zu Gott? Bin ich wahr zu meinen Oberinnen, zur Einhaltung der Ordensregeln? O Tod, Wie ist dein Urteil sicher, es scherzt nicht, es ist gerade und äußerst sicher. Meine Kinder, achtet darauf. Diejenigen, die einen gewissen Hang zur Doppelzüngigkeit haben, sich selbst zu verzeihen, mögen ihre Handlungen beim Licht der geweihten Kerze beleuchten, die man ihnen im Augenblick des Todes in die Hand geben wird. Dieses Licht, diese Helligkeit wird ihr Leben beleuchten.
Woraus gehen eure Handlungen hervor? Aus eurem Stolz oder aus eurer Liebe zu Gott? Aus eurer Selbstsuche oder aus einer geraden Absicht? Sind sie aufrichtig? … Fürchtet den Tod, die Gottesurteile. Es fiel mir immer auf, wenn ich in den alten, christlichen Familien sah, wie sehr man an den Tod dachte. Die Oberin des Heimsuchungsklosters von Troyes, die die Kinder „Meine liebe Lehrerin“ nannten, die Mutter Marie de Sales de Bellaing, erzählte mir viele Züge von der Art, wie man sie in ihrer Familie lehrte, an den Tod zu denken. Ihr Onkel sagte ihnen: „Wenn ihr einen Lebensstand wählen werdet, zieht den Tod zu Rate. Wenn ihr auf den Ball gehen wollt, zieht den Tod zu Rate. Bittet ihn immer um Rat, eher ihr handelt. Sein Rat ist gut, er ist sicher und wird euch nicht täuschen.“ Diese Überlegung hatte diese Kinder so beeindruckt, dass sie es sich angewöhnt hatten, vor ihren Handlungen zum Tod zu sagen: „Beurteile mich, sage mir wie ich handeln soll.“
Ihr, meine Kinder, seid umso mehr verpflichtet, an den Tod zu denken, da das Geistliche Direktorium will, dass ihr jederzeit daran denkt. Aber es sollen für euch Gedanken sein,die Früchte tragen. „Ja, o Tod, dein Urteil ist sicher. Ich will handeln, wie du mir sagst. Ich will mich vor meinen Sarg stellen, vor den letzten kleinen Augenblick, den ich haben werde, im meine Seele zu retten. Du wirst mir die Wahrheit sagen, du wirst mir sagen, wie es steht.“ Ich wiederhole es, meine Kinder, an den Tod zu denken, ist eine der wesentlichsten, den wichtigsten Aufgaben des Geistlichen Direktoriums. Seid dabei genau zu jeder Tages- und Nachtzeit, wenn ihr nicht schlaft.
O, wenn wir es getreu machen würden, wie würden wir unser Leben, unsere Gedanken bessern, wie würden wir unsere Fehler, unsere Eigenliebe angreifen, anstatt uns von Jahr zu Jahr zum Abgrund ziehen zu lassen! Wer wird uns aufwecken? Wer wird uns gute Ratschläge geben? Der Gedanke an den Tod. Stellt euch vor euer Totenbett. Sagt, möchtet ihr sterben, wie ihr in diesem Augenblick seid? Möchtet ihr bleiben, wie ihr seid? Möchtet ihr die Gefühle haben, die in diesem Augenblick in eurem Herzen sind? Die Gedanken, die ihr über eure Berufung, eure Verpflichtungen habt? Wie steht es um euer Gewissen? Möchtet ihr mit diesen Anlagen vor Gott erscheinen? Achtet darauf! Der Tod kann kommen und der liebe Gott kann euch als Strafe in dem Zustand lassen, indem ihr heute seid. Ich befand mich selten, aber doch manchmal am Totenbett von frommen Seelen, oder eher von solchen, die es hätten sein sollen. Ich kenne die tiefe Bitternis, die große Angst und die Verzweiflung, die jene Toten begleiten. Was gibt es andererseits? Zu dem mit Angst vermischten Schrecken, der diesen Todesfällen vorangeht, denkt man, dass der Abgrund gähnend da ist.
Denken wir daran, niemand täuscht den lieben Gott. Niemand täuscht den Tod. Er urteilt nach dem, was ihr getan habt. Er packt euch, ergreift euch, wirft euch ins Grab und liefert euch dann der Gerechtigkeit Gottes aus. Da sagt er die ganze Wahrheit, ohne etwas zu verschleiern, ohne etwas zu ändern. Denkt an den Tod, nehmt seinen Rat an, sprecht oft mit ihm. Jederzeit. Fragt ihn, was er über euren Seelenzustand, die Gefühle denkt, die euer Herz bewegen, und über die Handlungen, die daraus folgen.
Meine Kinder, ihr werdet den Tod befragen. Ihr werdet nicht nur daran denken, dass ihr sterben müsst, sondern ihr werdet ihn befragen, ihr werdet ihn fragen, was er denkt und fühlt. Ihr werdet euch sagen: „Da bin ich im Augenblick des Todes, wo stehe ich?“ Ja, lasst euch vom Tod beurteilen, damit ihr von unserem Herrn nicht verurteilt werdet, wenn er Herr eures Lebens sein und euch ins Grab stürzen wird.
Wir werden also wohl die Gedanken dieser Stunde erfassen und zum Tod zurückkehren, wir werden ihn befragen, um Rat bitten, und wir werden machen, was er uns sagen wird. Amen.