Exerzitienvorträge für die Oblatinnen 1887

      

11. Vortrag: Über die Keuschheit

Dienstag Vormittag, 6. September 1887

Meine Kinder, es scheint, dass ich euch nichts mehr sagen sollte, dass die Exerzitien jetzt beendet sind. Die Ereignisse, die soeben eintraten [der plötzliche Tod einer Oblatin, die Teilnehmerin der Exerzitien war], sind so besonders, dass es uns scheint, nichts anderes zu tun zu haben, als ihnen ins Gesicht zu blicken und die persönlichen Folgen daraus zu ziehen, die notwendig sind, damit die Exerzitien gut zu Ende gehen und in uns große und vollständige Wirkungen hervorbringen. Doch wir müssen fortsetzen, und in Gegenwart dieses Sarges, dieses so schnellen Todes, dieses so unerwarteten Gottesurteils unsere Vorsätze fassen, um diese letzten Augenblicke der Exerzitien zu nutzen, damit die von Gott gegebene Lektion nicht verloren ist, sondern die Ergebnisse bringt, die er sich davon erwartet.
Heute Vormittag muss ich mit euch über das Gelübde der Keuschheit sprechen. Das Gelübde der Keuschheit, das ihr versprecht, verpflichtet euch ernstlich. Und wenn es ewig ist, verpflichtet es euch für immer.
Das ewige Gelübde der Keuschheit gestattet nicht, ohne Erlaubnis vom Heiligen Vater Verbindungen in der Welt aufzunehmen. Manchmal erhält man sie, aber es ist eine heikle Frage, und die Gründe, die man vorbringt, um sie zu bekommen, werden nicht immer angenommen. Man braucht dafür schwere Gründe, die allein die Kirche beurteilt. Diejenigen, die in einem anderen Sinn sprechen, sind sehr schuldig, denn so zu sprechen ist gegen das Gefühl der katholischen Kirche zu gehen und der Beweis dafür ist, wenn eine Person gegen die Lehre spricht, fällt sie in Schande und manchmal in das Verbrechen. Hütet euch vor dem, was gewisse Weltliche sagen können. Sie verstehen nichts davon und betrachten eure Gelübde als einfache Formeln. Im Augenblick der Versuchung, der Schwierigkeit kommen diese Dinge wieder in den Geist und können den Glauben der Nonne stark erschüttern.
Ich wiederhole es, meine Kinder, das Gelübde der Keuschheit hat immer eine wirkliche Verpflichtung, wenn es für immer abgelegt wird. Seht, wie ernst eure Verpflichtungen sind und wie viele Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden müssen, um sie auszuüben, wenn man zu Weltlichen eine Beziehung hat. Ich bemerke, dass, wenn man keine gute Nonne ist, diese Verbindungen in der Seele das Gefühl für die Verpflichtungen des Gelübdes der Keuschheit und damit den Ordenssinn schwächen.
Ich empfehle den regionalen Oberinnen, darüber äußerst aufmerksam zu wachen. Ich will unbedingt nicht, dass die Ordensschwestern, die k  Seele schal wird. Diese Beziehungen sind eine Unterhaltung, das Herz kann sich anklammern, und es klammert sich immer ein wenig an. Man hat keinen Frieden mehr, man hat nichts mehr von dem, was das Glück des Ordenslebens ausmacht, und manchmal kommt es so weit, dass man in den Widerwillen gegen seinen Stand verfällt, dass man seine Berufung verliert. Um das zu vermeiden, darf keine Ordensschwester eine Freundin in der Welt haben. Man sieht flüchtig eine Person, das ist gut. Aber es soll keine Vertrautheiten, keine innigen Bande geben, denn diese Vertrautheiten, diese Freundschaften bringen uns an einen gefährlichen Abhang. Wenn man hingegen Gott und seiner Aufgabe ergeben ist, die Liebe im Herzen hat, sind die Beziehungen zu den Nächsten immer gut und werden sogar eine Wohltat für unsere Seele, eine Wohltat für diesen Nächsten.
Ich will keine unnötigen Gespräche, keine unnötigen Beziehungen. Die Nonnen müssen die Stille einhalten und man darf sie nicht mit dieser oder jener brechen. Um die Keuschheit im Herzen zu bewahren, darf man als Vertrauten und Freund nur den Heiland haben. Keiner kann zwei Herren dienen, das Herz sowohl Gott und dem Geschöpf zugewendet haben. Das ist äußerst wichtig. Es ist die letzte Ernsthaftigkeit, denn der Teufel ist geschickt, weil heutzutage das Übel schrecklich wächst. Die Fanatiker verbreiten es mit allen Mitteln, weil sie wissen, dass sie so die Seelen verderben und von Gott trennen können.
Man muss also die größten Vorsichtsmaßnahmen treffen, um sich nicht auf Gespräche und Unterhaltungen mit Weltlichen des einen oder anderen Geschlechts einzulassen. Seid sehr vorsichtig selbst mit Geistlichen. Denn natürlich hat unser Herr das Bedürfnis geliebt zu werden, einen besonderen Anteil zu haben, ausgezeichnet zu werden, einen auserwählten Platz in der Zuneigung des anderen zu haben, in uns gelegt. Das liegt in der Natur. Ist es ein Fehler an sich? Nein. Gott hat das in alle Herzen gelegt, aber es ist eine Gefahr, vor der man sich in Acht nehmen muss. Und sobald man etwas fehlt, das nichts mehr nach Gott ist, sondern nach unserer persönlichen Anhänglichkeit, muss man widerstehen. Das ist umso heikler, als es eine gewisse Schamhaftigkeit gibt, diese Zuneigungen nicht zu gestehen. Diese ersten Gefühle verbirgt man, man verbirgt sie vor sich selbst, und gerade weil man sie verbirgt, findet man sie süßer. Man muss sich zuerst der Oberin anvertrauen, und wenn man ein wenig gehemmt ist, bitten man sie, ein kleines Wort zu sagen, um zu helfen, das Übel aufzudecken. Eine junge Christin sagt es beim ersten Aufleuchten dieser Versuchungen ihrer Mutter. Es ist keine Sünde und es ist noch nicht notwendig, es bei der Beichte zu sagen. Doch wenn ihr einen guten Beichtvater habt, sagt es ihm. Es ist schwer zu sagen, aber es ist wichtig, sich zu öffnen. Sonst kann das riesige Folgen haben. Sagt es also. Es geht um das ganze Glück eures Lebens. Sonst werft ihr ein entflammtes Holzscheit in euch. Diese Zuneigung wird euch schlecht machen, böse zu euren Gefährtinnen, ungerecht zu euren Oberinnen machen und euch alles Vertrauen nehmen, das ihr zu ihnen habt. Achtet gut darauf.
Meine Kinder, sehr, wie ihr verpflichtet seid, über euch selbst, über euer Herz und über eure Gefühle zu wachen, denn wenn man sich gehen lässt, wird man leicht mitgerissen. Das Herz wird erfasst, man denkt daran, man ist besorgt, das Feuer wird entfacht, und von da an kommt man zu sehr Bedauernswertem. Man muss also die größten Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, um keine vertrauten Beziehungen zu Weltlichen zu haben. Eine Nonne, die Sympathien, besondere Freundschaften außerhalb der Gemeinschaft hat, verrät ihre Berufung.
Ihr müsst über die jungen Mitschwestern wachen, die euch anvertraut sind. Und nicht nur die regionale Oberin muss es machen, sondern alle müssen ihr dabei helfen. Ich müsst wachen, Wache stehen, und ihr werdet ihnen einen großen Dienst erweisen, wenn ihr in dieser Hinsicht streng und hart seid. Es ist erschreckend, die Wortfreiheit zu sehen, die man sich derzeit vor den Kindern selbst in den christlichen Familien erlaubt: Was wird später aus diesen Kindern werden? …
Das Übel der Gesellschaft sitzt tief. Es wird immer ärger. Es droht alles zu verschlingen wie am Tag der Sintflut. Man darf sich mit diesem Geist nicht verbünden. Seid die feste Mauer um die Stadt. Seid fest, unerschütterlich und tragt das Merkmal der Gemahlinnen Jesu Christi durch eure Zartheit, Einfachheit und Liebe zu unserem Herrn.
Meine Kinder, ich werde heute Abend weiter über dieses Thema sprechen, um euch zu zeigen, wie sehr das Gelübde der Keuschheit das Gelübde eures Glücks ist. Es ist unser Glück. Dadurch schenken wir uns Gott, damit Gott uns liebt. Warum liebt uns Gott? Weil wir keusch sind, er liebt uns entsprechend unserer Keuschheit. Der geliebte Jünger war jungfräulich. Alles, was gegen die Keuschheit ist, ist die Zerstörung unseres Glücks, des Frohsinns unseres Herzens. Bittet Gott, dies zu verstehen. Seid eifrig, beständig, zurückhaltend, würdevoll, und sobald ihr im Herzen etwas fühlt, das es eurer Aufgabe entzieht, sagt es dem lieben Gott in der Betrachtung und zögert nicht, euch den Seelenführern zu öffnen. Das kostet, ich glaube es! „Ich habe kein Vertrauen“, werdet ihr sagen. Was macht das? Ich beichte bei diesem Priester, ich werde nicht schauen, ob ich Vertrauen habe, nicht vom Menschen erwartet man die Gnade, sondern von Gott.
Wenn ihr, meine Kinder, eine dieser Taten gemacht haben werdet, die etwas kosten, werdet ihr kommen, um es mir zu sagen, ihr werdet mir sagen, was euch der liebe Gott geschenkt haben wird, die Aufmerksamkeiten, die der Heiland für euch gehabt haben wird. Seid also mittels seiner heiligen Gnade großmütig. Amen.