8. Vortrag: Über das kindliche und übernatürliche Vertrauen zu den Oberinnen
Samstag Abend, 4. September 1886
Meine Kinder, fasst guten Mut, um alle Mühen der Exerzitien zu ertragen. Das Durchhaltevermögen erhält die Krone. Nur wer bis zum Ende durchgehalten haben wird, wird gekrönt werden. Sammeln wir wohl all unsere Kräfte, alle unsere Zuneigungen, die ganze Energie unseres Willens, um dem lieben Gott zu dienen, damit diese Exerzitien nach seinem Willen fortgesetzt und beendet werden.
Während dieser Exerzitien sprachen wir viel über die Abhängigkeit und das Vertrauen zu den Oberinnen. Die meisten unserer Vorträge bezogen sich auf dieses Thema. Ich beharre darauf, weil es das wirksamste Mittel ist, um die Kongregation im Geist ihrer Gründung zu erhalten. An dem Tag, an dem ihr aufhören würdet, dieses ganz kindliche und übernatürliche Vertrauen zu euren Oberinnen zu haben, würdet ihr nichts mehr sein. Man könnte euch von der Liste der Ordensgemeinschaften streichen. Es ist Sache der Oberin, über die Beobachtung der Ordensregeln zu wachen und durch dieses Mittel das Institut seinem wahren Geist zu erhalten. Sie braucht also eine große Achtung für ihr Handeln und soll ihre Funktion mit Würde, Achtung und Demut ausführen. Sie muss demütig sein, zu sich selbst und auf ihr eigenes Elend zurückkehren, um zu erfahren, was sie ist, und wozu sie fähig ist. Wenn sie jeder Mitschwester mit diesen Gefühlen zuhört, wenn die Schwester, die zu ihr kommt, es übernatürlich macht, werden beide große Gnaden und Segnungen erhalten.
In der Gemeinschaft findet man die Nahrung seiner Seele, das Brot, das man braucht, das tägliche Brot. Wenn euch etwas fehlt, wird es euch die Gemeinschaft geben. Man empfängt sehr große Gnaden im Gemeinschaftsleben. Hat unser Herr nicht gesagt, er befindet sich inmitten derer, die in seinem Namen versammelt sind? Eine gute und heilige Nonne braucht ihre Gemeinschaft. Das ist ihr Leben, ihr Herz. Sie braucht ihre Kleidung, ihre Zelle, ihren Speisesaal. Sie braucht vor allem dieses übernatürliche Glück, das sie in ihren achtungsvollen und abhängigen Beziehungen zu ihrer Oberin findet. Sie braucht das, und wenn sie es nicht hat, fühlt sie, dass es ihr fehlt. Das ist die wahre Nonne. Diejenige, die eine gute Nonne ist, braucht alles, was das Gemeinschaftsleben ausmacht. Sie braucht es, wie der Fisch das Wasser braucht. Außerhalb findet sie nichts, was ihr Herz zufriedenstellen kann. Ich will, dass ihr solche Nonnen seid. Etwas anderes ist nicht mehr unser wahres Leben.
Es bedarf einer großen Verschwiegenheit von der Oberin und auch von der, die sich an sie wendet, damit alles vor sich geht, wie ich sagte. Meine Kinder, seid achtungsvoll und abhängig zu eurer Oberin ohne Ansehen der Person. Schaut nicht, ob euch die Schwester gefällt oder ob sie euch nicht gefällt. Erfüllt eure Pflicht. Sagt also nie: „Ich würde mich wohl an diese wenden, aber an jene ist unmöglich.“
Seht, dass eine alte Dorfbewohnerin zu ihrem Bischof kommt und zu ihm sagt: „Bischof, geben Sie uns doch einen anderen Pfarrer; der, den wir haben, passt mir nicht. Ich will nicht bei ihm beichten.“ Was würde aus dem armen Bischof werden, wenn man ihm ähnliche Beschwerden machte? Ihr sagt, ihr habt keine Zuneigung zu eurer Oberin, keine Lust, mit ihr zu sprechen, aber ihr geht nicht zu ihr, um euch wohlzufühlen. Folglich ist es wenig wichtig, welche Schwester Oberin ist, seid abhängig und achtungsvoll zu ihr und ihr werdet sehen, wie gut der liebe Gott zu euch sein wird. Macht die Erfahrung. O meine Kinder, ich bitte euch, es ist der Wille, es ist der Befehl Gottes, dass ihr euch eher der Mitschwester unterwerft, die der Gehorsam euch vorgibt, als jener anderen, die eure Wahl wäre. Ihr werdet vom lieben Gott die Fülle der Gnaden empfangen, wenn ihr so handelt.
Ich habe euch schon oft die Geschichte meines guten Dorfpfarrers erzählt. Ich will sie euch nochmals wiederholen, weil sie eine sehr ernste und sehr wahre Lektion enthält. Ich werdet sehen, dass ich nicht Unrecht habe, euch zu sagen, was ich euch sage. Ich hielt mich eines Tages in einem kleinen Dorf bei Annecy auf mit der Absicht zu beichten. Ich trat in den Garten des Pfarrhauses ein und sah dort einen biederen Mann mit Wollhaube und in Hemdsärmeln. Also ging ich in das Haus und fragte die Dienerin, ob ich den Herrn Pfarrer besuchen könnte. „Aber ja, Sie können ihn besuchen, da er dort ist, damit beschäftigt, sein Holz zu schlichten.“ Ich verstand also, dass der Herr Pfarrer niemand anderer war als der Mann mit der Wollhaube. Ich ging zurück und bat ihn, meine Beichte zu hören. Das kam ihm gerade recht, denn ich war fremd und kam, um ihm seine kostbare Zeit zu stehlen. Es gelang mir schließlich nach großer Mühe zu beichten. Nun, meine Kinder, ich versichere euch, nie hat ein Beichtvater mir solche Dinge gesagt, wie die, die mir dieser gute Priester sagte. Ich habe nie Schöneres gehört, es war tiefste Theologie, richtigste Philosophie. Er hatte meine Seele verstanden, und ich habe von diesem einfachen Priester mehr empfangen als von keinem meiner Beichtväter.
Ihr müsst mit eurer Oberin über eure Beschäftigung, wie ihr unterrichtet, den Ärger sprechen, den ihr in der Küche habt. „Aber wenn meine Oberin von meiner Beschäftigung nichts versteht? Wenn sie nie unterrichtet hat, wie wird sie mich beraten können?“ Sie wird euch vielleicht tatsächlich nicht sagen können, wie ihr unterrichten sollt, aber könnt ihr ihr nicht sagen, ob ihr es gut macht, ob ihr ungeduldig werdet, ob ihr für ein Kind nicht eine gewisse Abneigung habt oder eine zu fühlbare Bevorzugung für dieses andere, ob ihr eure Zeit gut verwendet, ob der Unterricht funktioniert oder nicht? Ihr werdet so allen Verdienst haben, eure Pflicht erfüllt zu haben. Und dann wird der liebe Gott da sein, er wird euch den Willen schenken, auszuführen, was euch befohlen werden wird. Ihr werdet das Licht und den Mut empfangen. Gott fehlt denen nicht, die treu sind.
Wenn ihr in der Küche seid, sprecht über euren Ärger, eure Schwierigkeiten. Man findet immer viel über seine Beschäftigungen zu sagen. Wenn ihr das demütig macht, wird der liebe Gott seine Engel schicken, um euch zu helfen und den Weg zu bahnen, um mit euch die Mühe, den Ärger, die Anstrengung zu ertragen. Seht wohl alles im Ordensleben mit den Augen des Glaubens. Es ist so schön und so gut! Richtet euren Blick auf diese Seite. Eine Nonne soll nur so leben.
Es ist manchmal sehr mühevoll, in der Küche zu arbeiten oder zu unterrichten, da ist nichts sehr Lustiges, aber wenn ihr handelt, wie ich gesagt habe, wird sich der liebe Gott spüren lassen, ihr werdet euren Beruf lieben, weil ihr ihn für ihn ausüben werdet, weil ihr fühlen werdet, dass ihr genau in der Reihe seid, die Gott von euch will. Durch die Treue zu den Dingen des Ordenslebens gelingt es, Glück in seine Beschäftigungen zu legen, das ist das große Mittel.
Meine Kinder, erhebt euch bis zu diesen Ansichten des Glaubens. Bleibt nicht am Boden haften. Der heilige Paulus sagte zu den Gläubigen seiner Zeit: „Unser Gespräch ist in den Himmeln!“ Aus wesentlicherem Grund kann man es Nonnen sagen. Wie werdet ihr eure Blicke und euer Gespräch in den Himmel tragen? Indem ihr mit eurer Oberin einfach seid, weil ihr dann mit ihr eure Beschäftigung, die äußere Beachtung der Ordensregel behandelt. Das sind Sachen des lieben Gottes. Was ihr macht, ist heilig, weil ihr es aus Gehorsam macht. Ihr empfangt da etwas wie einen Auftrag von Gott, einen Auftrag zu unterrichten, zu kochen oder sich um die Wäsche oder die demütigsten Dinge des Hauses zu kümmern. Sehr also, auf welcher Höhe ihr euer Herz, eure Seele stellen müsst, bleibt dann dort, steigt nicht wieder herunter. Der heilige Johannes Klimakos (* vor 579; † um 649) sagt, eine Nonne muss es wie Mose machen, sich bis zum Gipfel des Sinai erheben, um ihre Beschäftigung und ihre Angelegenheiten mit dem lieben Gott zu behandeln, und nicht mehr heruntersteigen, oder wenn sie heruntersteigt, möge sie diese Flammenkrone tragen, mit der die Stirn des Mose umgeben war, damit sie nach allen Seiten Licht und Kraft ausströmt, die sie beim lieben Gott geschöpft hat. Das ist das Ordensleben, sehr, wie schön und gut es ist!
Meine Kinder, ihr dürft nicht vergessen, was ich euch heute Abend sagte. Merkt es euch, um es auszuführen, macht euch ernsthaft daran. Euer Schutz wird in eurem achtungsvollen Gehorsam zu eurer Oberin liegen. Es ist also abgemacht, ihr werdet einfach zur Oberin gehen, wer immer sie auch sei. Ihr werdet über eure Beschäftigung sprechen, selbst wenn sie nichts davon verstünde, denn dann wird der liebe Gott ersetzen, was fehlen könnte. Die Gute Mutter Marie de Sales Chappuis sagte: „Wo mehr vom Menschen ist, ist weniger vom Himmel.“
Denkt also daran, sammelt eure Seele während dieser Exerzitien, damit ihr wohl die Kinder unseres Guten Vaters, des heiligen Franz von Sales, und unserer Guten Mutter Marie de Sales Chappuis seid, dass ihr gut das Merkmal ihrer Kinder tragt. Versteht wohl, dass das Ordensleben kein bodenständiges Leben ist, es muss die Seele erheben. Die Gute Mutter Marie de Sales Chappuis sagte, dass die Seele ein gutes Tier ist, das brav während seines ganzen Weges geht. Aber eine Nonne darf nicht nur auf dem Weg dahingehen, sie muss ihr Herz und ihren Geist erheben und sie dem Himmel zuwenden. Amen.