6. Vortrag: Über die Wichtigkeit des Direktoriums
Freitag Abend, 3. September 1886
Meine Kinder, setzen wir unsere Exerzitien mutig fort. Noch einmal: Es sind Übungen, die durch sich selbst wirken, die die Gnaden in unsere Seelen ziehen, wenn wir sie getreu durchführen. Selbst wenn man nur bösen Willen fühlte, selbst wenn man Versuchungen an Entmutigungen und Murren fühlte, wenn man treu ist, werden die Exerzitien fruchtbar sein. Legt also euer ganzes Herz, euren ganzen Mut und euren ganzen Willen hinein.
Meine Kinder, jedes Institut hat in seinen Ordensregeln seine Abtötungen. Ich sagte euch, dass es möglich wäre, dass wir vor Darlegung unserer Satzungen in Rom versuchen, einige der Abtötungen der Heimsuchung einzufügen. Ohne Zweifel werden wir das häufige Fasten der Heimsuchung nicht haben können, doch wir werden die Einfachheit und die Demut in den Beziehungen zu den Oberinnen von ihr nehmen können. Das unterwirft die Eigenliebe in untertäniger Weise. Also wird es in eurem Leben etwas geben, das wird euer Los, euer Anteil sein. Wenn ihr das gut macht, werdet ihr sehen, welche Gnaden ihr durch das Leben der Gemeinschaft empfangen werdet. In der Gemeinschaft findet die Nonne die Nahrung ihrer Seele, das Brot, das sie braucht, das tägliche Brot. Wenn euch etwas fehlt, gibt es euch die Gemeinschaft. Man empfängt sehr große Gnaden im Gemeinschaftsleben. Hat unser Herr nicht gesagt, dass er sich mitten unter denen befindet, die in seinem Namen versammelt sind?
Liebt also sehr euer Ordensleben, meine Kinder, liebt es in allen seinen Einzelheiten. Durch dieses Mittel könnt ihr nach dem Geist eurer Berufung den Seelen Gutes tun. Wenn ich euch daher die Wichtigkeit, die Heiligkeit in eurer ganzen Person empfehle, wenn ich euch sage, um euch herum diesen Duft der Frömmigkeit zu verbreiten, der den Nächsten erbaut, so geschieht dies nicht ohne Grund. Fassen wir also den Vorsatz, unsere Ordensregel und deren Beobachtung gut zu üben, unseren Launen und unserer Phantasie nicht zu folgen.
Meine Kinder, ich will heute vom Geistlichen Direktorium sprechen. Das ist gewöhnlich Thema unserer Gespräche in Troyes, und wenn ich den Postulantinnen einen Vortrag halte, geht es stets um das Direktorium. Ich gehen Kapitel für Kapitel vor, ich verlasse selten diese Gewohnheit. Ich spreche kaum an den großen Festen oder aus einem besonderen Grund über ein anderes Thema. Während der Exerzitien scheint euch das vielleicht überflüssig. Aber nein, denn ihr müsst verstehen, dass euer Wille und eure Gedanken dem Direktorium unterworfen sein sollen. Wenn es nicht so ist, liebt ihr Gott nicht genug, genießt ihr eine Gedankenfreiheit, die einer Nonne nicht gestattet ist. Ihr müsst wohl verstehen, dass ihr, als ihr Oblatinnen wurdet, ein Joch, eine Bürde aufgenommen habt, die ohne Zweifel leicht ist, da es unser Herr gesagt hat, die ihr aber nicht vermeiden könnt. Das Mädchen, das heiratet, übernimmt die Last eines Haushalts. Sie muss den Willen ihres Gatten erfüllen und für ihre Kinder sorgen. Sie hat eine Aufgabe, und ihr hättet keine? Es gibt Leute, die mit dieser Idee ins Kloster eintreten, dass eine Nonne nichts zu tun hat. Das ist ein allgemein verbreiteter Irrtum. Wenn also das arme Mädchen, das so denkt, sieht, dass man sich sein Brot im Schweiße seines Herzens und seines Willens verdienen muss, findet sie, dass das noch schwieriger ist, als es im Schweiße seines Angesichts zu verdienen und sie hält nicht durch. Das Ordensleben ist jedoch ein Arbeitsleben. Unser Herr hat gesagt: „Nehmt mein Joch auf euch“ (Mt 11,29). Er hat nicht gesagt: „Nehmt es in eure Hand“, weil man es sich da zurecht legen könnte, aber er hat gesagt: „Nehmt mein Joch auf euch.“
Das Ordensleben ist ein Leben der Unterwerfung, und es gibt nichts, das unterwerfender wäre, als das Leben einer Oblatin. Es ist mehr als von vielen anderen Nonnen. Eine Karmelitin isst nicht, was sie will, sie liegt nicht, wie sie will, das sind ihre Abtötungen. Sonst kann sie denken, woran sie will. Sie ruht ihren Geist aus, während ihr ihn nicht ausruht, wenn ihr treu seid. Seht also ernsthaft nach, ob ihr euer Direktorium gut durchführt, ob ihr euch ganz daran macht. Ich weiß wohl, dass der heilige Franz von Sales erlaubt, die davon zu befreien, die es nicht machen können. Ich vermute, dass ihr es augenblicklich nicht machen könnt. Bittet darum um die Erlaubnis im Gehorsam. Aber dehnt diese Erlaubnis nicht über die Absicht der Person hinaus aus, die sie euch gab. Oft sagt man: „Unser Vater hat das gesagt.“ Man lässt es sehr oft „Unser Vater“ sagen. Es ist möglich, dass er das gesagt hat, sicher ist aber, dass es ihm lieber wäre, dass seine Töchter ganz das Direktorium ausübten, dass sie ihr ganzes Herz hineinlegen. Meine Kinder, wenn ich eine Befreiung gewähre, gebe ich immer etwas als Ersatz, aber es kommt manchmal vor, dass die, denen ich eine Befreiung gewähre, nicht verstehen, dass ich etwas anderes zu machen gab.
Versteht also, meine Kinder, wenn euch die Befreiung gewährt wurde, seid ihr viel mehr verpflichtet zu machen, was euch stattdessen auferlegt wurde, als ihr es für das gewesen seid, wovon ihr befreit wurdet. Ihr beichtet, man gibt euch eine Buße auf. Ihr tut sie nicht. Und doch ist die Buße ein wesentlicher Teil der Beichte. Ebenso ist es bis zu einem bestimmten Punkt für das, was man euch empfohlen hat, als man euch eine Befreiung gab. Ihr nehmt es nicht wichtig, etwas anderes beschäftigt euren Geist. Ihr geht, ihr kommt, und dann beklagt ihr euch. Ihr sagt: „Ich habe nicht die Gottesliebe, ich kann nicht beten.“ Ich glaube es wohl! Was habt ihr gemacht, um die Hilfe vom lieben Gott zu bekommen? Ihr habt das Gegenteil von dem gemacht, das nötig war. Er lässt euch im Stich, er hat sehr Recht. Wenn er euch bestrafen würde, würde er richtig handeln, denn das würde euch verständlich machen, dass euer Zustand schlecht ist.
Ich komme wieder auf das zurück, was ich soeben gesagt habe. Wenn man von euch verlangt, weil ihr für einige Zeit euer Direktorium nicht ganz erfüllen könnt, nur der Ausrichtung der Absicht treu zu sein, wohlan, macht es umso getreuer. Man hat euch keine völlige Befreiung geben, da man euch diesen Artikel auszuführen gab. Man muss eine große Gottesfurcht haben, sonst würde euer Gebet nicht erhört werden. Gott würde sich von euch zurückziehen, ihr wäret nicht mehr bei ihm.
Ihr seid also durch die Ordensregel verpflichtet, euer Direktorium ganz auszuführen. Wenn ihr es nicht könnt, bittet um eine Befreiung, und wenn man euch sagt, diesen oder jenen Artikel daraus zu üben, seid dabei treu, dann wird euer Direktorium Gott ebenso angenehm sein, als ob ihr es ganz ausführen würdet.
Seid also sehr heikel, sucht nicht, euer Leben ganz allein zu führen. Wenn man sein Leben selbst führt, ist man nur der Lumpensammler, der seine Lumpen auf einen Karren häuft. Geht zu diesen Lumpen hin, und ihr werdet sehen, dass es nicht schön ist. Die Hausoberin kann euch von einem Punkt des Direktoriums nur für einige Tage befreien, sie kann nie eine längere Befreiung gewähren, zum Beispiel könnte sie nicht befreien, die Gedanken an den Tod acht Tage lang nicht zu fassen. Wenn eine Schwester Kopfschmerzen hätte, krank wäre, könnte sie die Oberin vom Direktorium befreien, aber sobald sie sieht, dass es der Schwester besser geht, muss sie ihr sagen, dass die Befreiung nicht mehr besteht. Wenn sie genötigt wäre, die Befreiung fortzusetzen, müsste die Hausoberin die Generaloberin davon unterrichten.
Legt also viel Herz in die gute Durchführung eures Direktoriums. Habt viel Vertrauen zu euren Oberinnen. Diejenigen, die da treu sind, sichern ihr Heil, denn der heilige Franz von Sales hat gesagt, dass dieses ganz kindliche Vertrauen der Schwestern zur Oberin das Paradies der Seelen bevölkern werde. Er sagt die Dinge, wie er sie sagen muss, er irrt sich nicht. Er verspricht uns, dass dieses Vertrauen den Himmel mit Seelen füllen wird. Wenn ihr hingehen wollt, meine Kinder, seht ihr, welcher Weg hinführt. Beschreitet ihn also großmütig und der liebe Gott wird euch segnen. Amen.