4. Vortrag: Über das kindliche und natürliche Vertrauen zu den Oberinnen
Donnerstag Abend, 2. September 1886
Meine Kinder, setzt eure Exerzitien mutig fort, weil die Temperatur schwer zu ertragen ist. Die Übungen, die Veränderung von Ort und Gewohnheiten, das alles ermüdet. Es ist eine ständige Abtötung. Nehmt sie ganz an, biete sie dem lieben Gott an, um die Exerzitien gut zu nützen.
Ich sagte euch heute Vormittag, dass es zur Sicherung des Ordenslebens bei den Oblatinnen ein besonderes, unerlässliches Mittel gibt. Es ist das Vertrauen zu den Oberinnen. Es ist unbedingt notwendig. Man kann nicht Oblatin sein, ohne ein kindliches und übernatürliches Vertrauen zu seinen Oberinnen zu haben. Ich wiederhole es, es ist unerlässlich. Wer würde euch sonst unterstützen, die Ordensregel einzuhalten? Wie werdet ihr wissen, ob ihr es gut macht?
Ihr müsst von dieser Handlungsweise durchdrungen werden, die der Seele immer eine große Wohltat bringt. Man liest bei den Kartäusern in fast allen Gängen und über einigen Türen einen lateinischen Vers, der ungefähr bedeutet: Durch die Einsamkeit, die Stille und die Visitation bewahrt der Kartäuser die erste Glut seines Institutes. Die Visitation ist bei den Kartäusern, was das kindliche und übernatürliche Vertrauen bei uns ist. Der Obere begibt sich in jede Zelle und nach einer genauesten und eingehendsten Inspektion stellt er dem Ordensmann Fragen nach der Art, wie er die Ordensregel übt und beobachtet. Es wird also eine Überwachung über den Kartäuser durchgeführt. Dieses Mittel hat gemeinsam mit der Einsamkeit und der Stille dem Orden seinen Eifer erhalten. Deshalb brauchte er nie eine Reform.
Der heilige Franz von Sales wollte auch, dass seine Nonnen keine Reform brauchen und er gab ihnen dafür dieses kindliche und übernatürliche Vertrauen, das ich euch so nachdrücklich empfehle. Sehr, die Heimsuchung wurde nie reformiert. Sie ist noch in ihrem ersten Eifer, sie hat sich den Geist ihrer Gründer bewahrt. Für die Oblatinnen gibt es auch drei Mittel, um durchzuhalten, und diese Mittel sind das Geistliche Direktorium, die Nächstenliebe und das kindliche Vertrauen. Keine Oblatin ohne Direktorium, ohne Nächstenliebe und ohne kindliches Vertrauen. Aber mit diesen drei Dingen brauchen sie keine Reform, keinen Wechsel, keine Änderung. Sie werden sich im Eifer ihrer Gründung erhalten. Es ist von größter Wichtigkeit, sie zu beobachten. Sie sind für uns wie drei Mittel, ohne die wir nicht ins Paradies gelangen können, wir hätten mit dem heiligen Franz von Sales und der Guten Mutter Marie de Sales Chappuis nichts gemeinsam, wir würden nicht zur Familie gehören, wir hätten nicht ihr entscheidendes Merkmal.
Man kann bei der Oberin Rechenschaft ablegen über die Beschäftigungen, die Übung des Direktoriums, der Ordensregel und der Nächstenliebe Das Direktorium befolgt ihr von Morgen an Artikel für Artikel, das Aufstehen, die Betrachtung, die Heilige Messe. Sagt, was euch während der Stille beschäftigt. Stille nennt an die ganze Zeit des Tages außer der Erholungszeit. Man soll nicht sprechen, sich eitlen und unnötigen Worten ergeben. Man wird sehen, ob man die von der Ordensregel verlangte Übung bei allen Mahlzeiten gut gemacht hat. Ob man bezüglich seiner Kleidung, seiner Nahrung die Abtötung gut angenommen hat, die sich geboten haben könnte, ob man dem lieben Gott die Schwierigkeiten angeboten hat, die sich aus dem Gemeinschaftsleben ergeben. Seht, ob ihr das alles wie aus der väterlichen Hand unseres lieben Gottes und Heilands kommend genommen habt. Bezüglich eurer Beschäftigung ist es gut zu sagen, wie ihr sie erfüllt, was ihr in eurer Klasse, in der Küche oder in jedem anderen Amt macht. Diejenige, die euch zuhört, wird die Gnade bekommen, um euch zuzuhören und um euch Mut zu machen. Ihr könnt auch von der Nächstenliebe, den Schwierigkeiten sprechen, die ihr mit dieser Mitschwester, diese Maßnahme, dieser Reform, mit dem, was man von euch verlangt, habt. Eine Oblatin, die nicht mit ihrer Oberin verbunden ist, handelt nicht im Geist ihrer Berufung.
Jede Seele muss sein, was der liebe Gott will. Das große Merkmal des Geistes des heiligen Franz von Sales ist die Einfachheit, die gute Urteilskraft. Ihr wollt Heimsuchungsschwestern sein, seid Heimsuchungsschwestern. Ihr wollt Oblatinnen sein, seid Oblatinnen. Aber wenn ihr eine Heimsuchungsschwester mit großen Gefühlen, großer Wirkung seid, ist es das nicht mehr. Ebenso werdet ihr eine Oblatin immer nur durch die Übung des Geistlichen Direktoriums, der Nächstenliebe und des kindlichen und übernatürlichen Vertrauens sein. Wenn ihr keine Heimsuchungsschwester sein wollt, wenn ihr keine Oblatin sein wollt, verlasst das Kloster, geht weg, warum bleibt ihr dort?
Meine Kinder, was ich euch da sage, ist sehr stark, aber es ist das Gefühl des heiligen Franz von Sales. Seht, was er im Direktorium sagt: „Jedes andere Mittel, so gut es auch sein mag, bringt Ihnen nichts.“ Was ist eine Oblatin ohne Direktorium, eine Oblatin ohne Liebe? Ihr wirkt Wunder? … aber ich kümmere mich nicht um eure Wunder. Eine Oblatin muss ihrem Direktorium gehören. Macht es, wenn ihr wirklich Oblatinnen sein wollt. Ich habe das unseren Patres gesagt und alle versicherten mir, dass sie nie so gut verstanden hätten, was unser Geist ist. Sie waren zufrieden. Ein Mann, der Oblate sein will, muss alles tun, was dafür nötig ist. Er soll nichts anderes sein, nicht mehr als ein Schlosser, ein Tischler sein kann. Jeder muss in seinem Umfeld bleiben. Gewiss wird ein Schlosser nicht in das Geschäft eines Tischlers arbeiten gehen und kein Tischler in die Werkstatt eines Schlossers.
Es ist das große Merkmal der Kinder des heiligen Franz von Sales übernatürlich und vernünftig zu sein und viel Gemeinschaftssinn zu haben. Sprecht oft dieses kleine Gebet: „Herr, gib uns die Weisheit, die an deinem Thron weilt und deine Ratschläge lenkt, damit ich deinen heiligen und göttlichen Willen erfülle.“ Bittet um die Verschwiegenheit, bittet um die Gnade zu erkennen, was richtig ist, damit ihr euer Ziel erreichen könnt, treue Oblatinnen des heiligen Franz von Sales zu sein. Vermeidet gut alle Fehler, von denen ich soeben sprach. Peilt nicht das Originelle an, die originellen Personen ermüden die anderen. Ihr müsst einfache, kluge, tief gläubige und an Gott und den Nächsten gebundene Personen sein. Wenn wir alles gut machen, was die Pflicht unserer Berufung ist, lassen wir in uns erstehen, was der heilige Paulus die Bescheidenheit unseres Herrn nennt, das heißt die Gesamtheit seines Lebens, seiner Seinsart. Dafür sind wir Oblatinnen.
Versteht gut den Geist eurer Berufung. Geht einfach zu eurer Oberin, um ihr zu sagen, wie ihr die Ordensregel, das Geistliche Direktorium und eure Beschäftigungen ausführt, um durch diesen Akt der Abhängigkeit Licht und Mut zu erhalten. Ich wiederhole es: eine Oblatin ist eine Seele, die ihr Direktorium erfüllt, die Nächstenliebe übt und von ihrer Oberin abhängig ist. Um Oblate oder Oblatin zu sein, ist es wesentlich, sein Direktorium auszuführen und die Nächstenliebe zu üben. P. Rollin behält nicht die Novizen, die gegen die Nächstenliebe fehlen. Wir finden ihn manchmal ein wenig streng, aber im Grunde hat er Recht: ohne die Liebe sind wir nichts. Ihr fehlt nicht gegen die Nächstenliebe, wenn ihr eine Antipathie gegenüber einer Mitschwester empfindet, nein, aber wenn ihr diesem Gefühl nachgebt, dann fehlt ihr dagegen.
Fasst den Entschluss, über eure äußerlichen Verfehlungen gegen die Satzungen sehr vollständig, sehr herzlich und sehr einfach Rechenschaft abzulegen. Wie hat die Heimsuchung sich so genau ihren Geist bewahrt? Durch dieses Mittel. Wenn ihr wollt, bewahrt auch ihr euch den Geist, in dem ihr gegründet seid. Seid getreu in dieser Abhängigkeit von euren Oberinnen. Ihr braucht es mehr als alle anderen. Welches Ziel habt ihr? Wozu seid ihr berufen? Bischof Mermillod will, dass ihr Hilfskräfte des Klerus seid, aber der Klerus macht vieles, vom einfachen Landpfarrer bis zum Apostel in fernen Gegenden. Etwas pointiert gesagt: Ihr habt kein Merkmal, kein besonderes Siegel, ihr seid gegründet, um zu machen, was alle besser machen als ihr. Was ist also euer Siegel? Das Geistliche Direktorium, die Nächstenliebe, das Vertrauen zu euren Oberinnen. Daran soll man eine Oblatin erkennen. Die Gute Mutter Marie de Sales Chappuis sagte mir, dass ihr in der heiligen Kirche sehr viel Gutes tun würdet, dass ihr dazu bestimmt seid, den heiligen Franz von Sales in den letzten Zeiten verstehen und lieben zu lehren. Pius IX. ernennt den heiligen Franz von Sales zum Kirchenlehrer, weil in seinen Schriften alles groß, wahr und würdevoll ist.
Meine Kinder, ihr habt mich gut verstanden, nicht wahr? Geht ganz ein in das, was ich euch sage. Ihr wollt Oblatinnen sein, seid Oblatinnen, macht was nötig ist, um es zu sein. Die Gabe der Wunder ist ein sehr schönes Geschenk. Weder der heilige Franz von Sales noch die Gute Mutter Marie de Sales Chappuis haben je die Versuchung gespürt, diese Gabe zu erhalten. Und dennoch glaube ich, dass es wenige Heilige im Himmel gibt, die mehr Wunder gewirkt haben als der heilige Franz von Sales. Wem verdankt er diese große Macht? Der Übung des Geistlichen Direktoriums. Der heilige Franz von Sales führte sein Direktorium aus. Jeden Abend gab er seinem Vikar, Herrn Michel, über die Art und Weise Rechenschaft, wie er den Tag verbracht hatte. Das war nichts Außergewöhnliches. Und dennoch war der liebe Gott deswegen mit ihm, so dass er ihn Wunder wirken ließ. Denkt wohl daran, meine Kinder, unser Leben ist sehr schön, wenn man es so betrachtet. Amen.