Exerzitienvorträge für die Oblatinnen 1886

      

12. Vortrag: Unser Herr im Allerheiligsten Sakrament – Vorbild der Unterwerfung im Ordensleben

Montag Abend, 6. September 1886

Meine Kinder, wir kommen an das Ende unserer Exerzitien. Ohne Zweifel werden sich morgen mehrere von euch mit den Vorbereitungen der morgigen Feier der Einkleidung beschäftigen müssen. Sie werden sich gut beobachten müssen, um sich nicht zerstreuen zu lassen und die Störung und die Überlastung ganz zu nehmen, und für die bei den Exerzitienübungen einzuspringen, die sie nicht machen können. Man darf nie diese Gelegenheiten versäumen.
Bemerkt meine Kinder, dass ich während dieser Exerzitien zu euch über Dinge gesprochen habe, die zeigen, wie sehr das Ordensleben eine ständige Unterwerfung ist. Es ist das Leben unseres Herrn, als er auf Erden war. Es ist das Leben unseres Herrn in seinem Sakrament der Liebe. Er war immer dem Willen seines Vaters unterworfen. Seht, welche Antwort er gibt, als die heilige Jungfrau ihm sagt: „Mein Sohn, sie haben keinen Wein mehr.“ Welche Antwort gibt er seiner Mutter? „Frau, was habe ich mit dir zu schaffen? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ Wie hart scheint das! Und dennoch, wer hat je seine Mutter so sehr geliebt wie unser Herr? Aber er scheint sagen zu wollen: Welche Gemeinsamkeit besteht zwischen meinem Willen und dem, was ich zu machen habe? Die Stunde, dieses Wunder zu wirken, ist noch nicht gekommen. Unser Herr unterwarf sich, die Dinge in der von seinem Vater bezeichneten Stunde zu machen. Unser Herr gehorchte immer der heiligen Jungfrau, er hat ihr nie etwas verweigert, er wollte alles, was sie wollte. Ein einziges Mal als 12-Jähriger hatte er ihr geantwortet: Muss ich mich nicht um die Interessen meines Vaters kümmern? So war er also jederzeit in einer völligen Unterwerfung.
In anderen Ordensgemeinschaften hat man die Unterwerfung, indem man hart liegt, eine wenig reichliche und wenig angenehme Nahrung bekommt, nicht in das Sprechzimmer gehen darf, nicht mit jedweder sprechen soll, mit der Welt, mit seiner Familie ganz zu brechen. Ihr, meine Kinder, habt nicht die Unterwerfung der Abtötung in einer strengen Form, aber ihr habt eine andere große Unterwerfung, die Unterwerfung unter die Ordensregel, unter das Geistliche Direktorium, unter die Umstände, in denen ihr euch befindet, die Unterwerfung unter den Gehorsam, unter die Nächstenliebe, die Unterwerfung in euren Beschäftigungen, unter alles, was eure Seinsweise ausmacht. Alles muss für eine Oblatin Unterwerfung sein, und zwar völlige Unterwerfung. O selig, die sich nie wie auch immer frei fühlen. Sie haben den Charakter, das Temperament der Ordensgemeinschaft, in die sie berufen wurden, sie sind wahrhaft Oblatinnen.
Alles, was die Freiheit zu den Bewegungen, Gedanken und Neigungen nimmt, ist im wahren Sinne der Ordensregel. Alle unterworfenen Seelen sind Seelen, die Gott erwählt hat, um große und heilige Dinge zu vollbringen. Seid glücklich, in euch und um euch herum diese völlige Unterwerfung zu tragen, die macht, dass ihr euch frei fühlt, dass ihr immer etwas habt, das euren Willen, eure Urteilskraft in Ketten legt. Es ist wie ein Druck des Willens Gottes auf euch.
Ich weiß nicht, wer eines Tages zu den Nonnen der Heimsuchung sagte: „Man erdrosselt die Karmelitinnen durch den Hunger und lässt sie durch die Hungersnot ins Paradies eingehen. Während man euch in der Heimsuchung zwischen zwei Matratzen tötet, euch erstickt.“ Aber, wenn der liebe Gott euch dazu ruft, ist es gut, meine Kinder, dieses Leben zu leben. Selig ist die, die immer gelitten hat, die dem Gehorsam, ihrer Beschäftigung, den Umständen ständig unterworfen war. Was ist das Leben? Ein Augenblick im Warten auf die Ewigkeit. Was sind die hundert Jahre im Vergleich mit der Ewigkeit? Überhaupt nichts. Wenn ihr auf Erden euren Willen, eure Freiheit gut aufgegeben habt, werdet ihr euch im Himmel einer viel größeren, viel vollständigeren, viel glücklicheren Freiheit erfreuen. Ihr werdet dem Lamm überallhin folgen, wohin er gehen wird, er wird euch mit einem Namen rufen, den er niemand sagen wird. Das göttliche Versprechen ist das, es wird sich erfüllen.
Unser Herr war während des ganzen Verlaufs seines sterblichen Lebens untertan. Er war der Arbeit, dem Gehorsam unterworfen. Das Evangelium sagt uns, dass er Maria und Josef untertan war, er war Mühen und Elend des Lebens unterworfen, so wie den Personen, für die er arbeitete. Da wollte er hindurchgehen. Und welches Vorbild in seinem eucharistischen Leben! Wo ist er? Man sieht ihn nicht. Und man kann nach dem heiligen Thomas von Aquin wiederholen: „Auf dem Kreuz, Herr, sieht man deine Gottheit nicht, aber in der Eucharistie sieht man nicht einmal, ob du etwas bist. Du bist vernichtet, den Augen, den Sinnen des Menschen verborgen. Du bist unbemerkbar.“
Meine Kinder, warum ist unser Herr in seinem Tabernakel? Aus Liebe zu uns, um uns als Vorbild zu dienen. Er ist bei uns, sein Leben, seine Person, sein ganzes Wesen ist wie vernichtet. Man sieht nichts, alles ist verborgen. Wir müssen ihm ähnlich sein, es ist das Geheimnis unseres Lebens, es ist unser Geheimnis. Wie gelangen wir dorthin? Durch die Unterwerfung unter alles, was auf uns zukommt. Unterwerfen wir uns aus Liebe zu dem, der sich vernichtete, der sich täglich im Geheimnis des eucharistischen Opfers verbirgt. Seht, meine Kinder, wie sehr ihr die Heilige Kommunion lieben sollt, wie sehr ihr unseren Herrn in seinem göttlichen Sakrament lieben sollt!
Unser Leben ist eines von denen, die seinem am Ähnlichsten sind, eines von denen, die dem in seinem Sakrament der Liebe verborgenen Leben unseres Herrn am nächsten kommen. Dort ist nichts Äußerliches, nichts Sichtbares. Der Novizenmeister unserer lieben Frau von Einsiedeln, der hochwürdige P. Claude Perrot, von Einsiedeln hat mir sehr oft gesagt: „Das Leben der Oblaten ist nichts anderes als das Leben unseres Herrn im Allerheiligsten Sakrament. Die Seelen, die sich unserem Herrn in diesem Leben schenken, sind eucharistische Seelen, Seelen, die ihn nicht nur als Vorbild nehmen wollen, sondern aus seinem Leben, aus diesem verborgenen Leben leben wollen, das kein eigenes Sein, keinen besonderen Charakter hat. Möge jede Persönlichkeit in euch so tot sein, dass ihr nur noch in Jesus Christus lebt. Möge euer Leben in dem verborgen sein, der euch alles ist, in dem, der für euch in seinem Sakrament der Liebe ist, damit ihr von seinem Leben leben könnt! Versteht das gut, meine Kinder, es ist die Grundlage unseres Geistes. Seht wie schön und einfach alles ist! Wir besuchen nicht, wie man sagt, Mittag um 14.00 Uhr, wir müssen nicht sehr weit gehen. O nein, alles ist da im Tabernakel, in Jesus im Allerheiligsten Sakrament. Ihr braucht nichts anderes zu tun, als was er in seiner Vernichtung, in seinem Opfer erzeugt. Daher soll die Heilige Kommunion für euch alles sein, sie soll wie ein Herzensbedürfnis sein. Man ist glücklich, wenn man mit denen zusammen ist, die man liebt. Unser Herr ist da, wir brauchen ihn, weil er der einzige Gegenstand unserer Liebe ist. Wir brauchen ihn, weil er unser Heiland ist. Er ist da, und ihr seid zu seinen Füßen. Es möge keine Entfernung sein Herz von unserem trennen. Zwischen seiner Handlungsweise und eurer möge es keinen Unterschied geben.
Meine Kinder, möge die Heilige Kommunion alles für euch sein. Wenn ihr die Heilige Kommunion nicht als Sakrament empfangen könnt, macht es geistig. Möge unser Herr jedes Mal, wenn ihr dem Heiligen Messopfer beiwohnt, in euch kommen. Das ist der wahre Sinn unseres Lebens, unseres Seins. Der heilige Franz von Sales sagt, dass die Heilige Kommunion wie die Sonne unserer geistlichen Übungen sein soll. Ebenso wie alle Planeten die Sonne umkreisen, müssen sich unsere Übungen um ein und denselben Mittelpunkt drehen, um die Heilige Kommunion. Die Heilige Kommunion ist eine Sonne der Gnaden, der Wonnen unter den vernichtenden Schleiern von Brot und Wein. Meine Kinder, seid sehr fromm zur Heiligen Kommunion, zu unserem Herrn im Allerheiligsten Sakrament. Er hat euch erwählt, um ihm ganz besonders ähnlich zu sein. Das ist sehr schön, man muss dieser Wahl entsprechen. Andere sind hundert Mal besser als ihr, ich weiß es, aber immer haben sehr wenige Leben die Ähnlichkeit, die Gleichheit des euren mit dem unseres Herrn. Ihr sollt keinen anderen Geist haben als seinen, keine andere Sichtweise als seine.
Noch einmal, gehört unserem Herrn im Allerheiligsten Altarssakrament. Empfangt ihn mit aller Zärtlichkeit eurer Seele, mit allem Jubel eures Herzens. Dazu müsst ihr nicht eure Vorstellungskraft erhöhen, euren Geist quälen. Empfangt ihn im Frieden, in der Freude, in der Traurigkeit, wenn ihr traurig seid. O, es ist gut, ihn in der Traurigkeit zu empfangen! Er tröstet gut. Glaubt ihr, dass die Apostel immer Freude hatten, als sie bei ihm waren? Konnten sie zufrieden sein, als sie ihren göttlichen Meister verfolgt und von Feinden umgeben sahen? Glaubt ihr, sie konnten sich freuen, wenn unser Herr sie tadelte und zu ihnen sagte: „Wie sind eure Herzen hart und zögernd im Glauben?“ Oder auch als sich in Kafarnaum die Jünger von ihm entfernten, weil sie nicht verstehen konnten, was er ihnen sagte, und als der Heiland sich an Petrus wandte und sagte: „Und ihr, wollt auch ihr gehen?“ Das war nicht lustig. Unser Herr war traurig, die Apostel waren traurig, und als ob er seinen Meister trösten wollte, rief Petrus: „Herr, zu wem sollen wir gehen, du hast Worte des ewigen Lebens“ (vgl. Joh 6,66-68). Und bis sie den Heiligen Geist empfangen hatten, wie viele Versuchungen, wie viele Zweifel, wie viele Heimsuchung! Wenn er der Sohn Gottes ist, warum lässt er sich gefangen nehmen? Warum stürzt er nicht alle seine Feinde? Das war Traurigkeit, Elend, Schwäche, und unser Herr lebte mitten in all dem.
Meine Kinder, die Apostel und die Jünger waren nicht so gut behütet wie ihr. Auch die einfachen Gläubigen haben nicht alle Vorteile, die ihr habt. Es ist nicht ihre Berufung, unseren Herrn zu umgeben, eins mit ihm zu sein. Sie haben anderes zu tun. Die Heilige Kommunion ist für sie nicht so beseligend, so vertraut wie für euch. Sie ist nicht so vollständig. Es ist nicht notwendig, dass ihr Geschmack, Trost, Freude empfindet. In dem Augenblick, wo ihr dem Heiland unterworfen seid, so wie er zu handeln, ist die Einheit ganz vollständig. Nichts trennt euch von ihm, weil ihr wie er seid, ganz wie er. Mögen die Heilige Messe, die Besuchung des Allerheiligsten Altarssakramentes, die geistige Kommunion eure Wonne, eure Zuneigung, euer Brot, euer Betlehem, euer Domus panis, euer Zuhause sein.
Der Heiland ist die Nahrung eurer Seele. Er vereinigt sich mit euch in einer ganz vertrauten Vereinigung. Nichts kann euch von ihm trennen. Merkt euch die Gedanken gut, die ich euch heute Abend gebe. Sie mögen die Grundlage eures Lebens, eurer Lehre, eurer Seinsweise sein. Bemüht euch darum euer ganzes Ordensleben lang. Jesus ist jetzt im Heiligen Tabernakel untertänig, wie er im kleinen Haus in Nazaret untertänig war, wie er es inmitten seiner Jünger war. Ihr seid seine Apostel, seine Jünger, seine Mutter. Ihr seid um ihn wie Maria Magdalena, wie die heiligen Frauen. Sagt unser Herr nicht: „Diejenigen, die den Willen meines Vaters erfüllen, sind meine Mutter, meine Brüder, meine Schwestern?“ Er sagt es, er behauptet es (vgl. Mk 3,33-35).
Euer Leben, meine Kinder, das niemand sieht, soll ein Leben des Todes, der ständigen Vernichtung sein. Ihr sagt nichts darüber, ihr macht kein Aufsehen davon. Es ist verborgen wie das unseres Herrn im Allerheiligsten Sakrament. Die Heilige Eucharistie ist euer Herz, euer Mittelpunkt, wie das Herz der Mittelpunkt des Blutkreislaufes ist. Und um mich eines Ausdrucks der heilige Agnes zu bedienen, werde ich sagen: das Blut des Heilands verleiht eurem Gesicht Farbe.
Die Gute Mutter [Marie de Sales Chappuis] ging nie zum Altar für die Heilige Messe oder die Heilige Kommunion, ohne dass sie ganz verwandelt und ganz erleuchtet war. Sie war da in der Fülle ihres Seins, denn sie fühlte, dass sie da war, wo Gott in seiner ganzen Fülle wohnte. Machen wir es wie sie, leben wir vom Leben des Heilands in der Eucharistie. Diese Gewohnheit wird uns süß werden. Wir brauchen nicht zu suchen, alles ist da in diesem verborgenen Leben, in diesem Leben der Unterwerfung. Sagen wir unserem Herrn: „Ich kann nichts, aber du kannst alles. Ich bin nur schwach und elend, aber du bist allmächtig. Ich will leben wie du, in Abhängigkeit, in Gehorsam. Der Priester sagt dir zu kommen, und du kommst. Er sagt dir, die zu segnen, die deinen Altar umgeben, und du segnest sie, du öffnest ihnen dein Herz, du bist also in völliger Abhängigkeit, und ich liebe dich und will abhängig sein wie du.“
Was gebt ihr also an die Stelle eures Willens, da ihr darauf so völlig verzichten wollt? Nichts anderes als unseren Herrn in seinem Sakrament der Liebe. Ich weiß nur das zu sagen, und ich kann euch nur das sagen. Ich suche, ich erforsche unser Leben, und ich sehe, dass alles in den abschließenden Gedanken des heutigen Abends mündet. Alles ist für uns da, sonst ist es nichts mehr bei uns. Unser Platz, unsere Bleibe ist es, bei unserem Herrn zu sein. Man ist Zuhause, wenn man bei unserem vernichteten Herrn ist. Man fürchtet nichts mehr, man erträgt das Leiden gut, man ist milder zum Nächsten. Das ist der Schluss unserer Exerzitien, ein glücklicher und praktischer Schluss. Alles, was wir gesagt haben, finden wir in unserem verborgenen Herrn, der sich für uns vernichten ließ, in unserem Herrn, dem wir gleichen wollen, mit dem wir uns für immer vereinen wollen. Amen.