3. Vortrag: Über den Gehorsam
Mittwoch Abend, 2. September 1885
Meine Kinder, machen wir unsere Exerzitien gut. Gehen wir mit ganzem Herzen daran, mit dem aufrichtigen Wunsch sie gut zu nützen und immer in Erinnerung zu behalten, was „unser Vater“ gesagt haben wird, was uns unser Gewissen eingegeben habe wird und vor allem, was uns der liebe Gott wird fühlen haben lassen. Die Exerzitien bringen ihre Gnaden mit und so wenig wir auch in jener Zeit treu sind, es ist unmöglich, keine dauerhaften Früchte daraus zu ziehen. Seid weiterhin gesammelt, damit eure Seelen Gott verstehen, denn schließlich, meine Kinder, sind Nonnen Nonnen.
Der Bischof von X., der kürzlich starb, sagte dem Erzbischof von Paris und Monseigneur Mermillod: „Wer wird mich denn von den Ordensschwestern befreien können?“ Dieses Wort traf nicht auf alle Nonnen seiner Diözese zu. Aber für einige hatte er Recht. Was ist also eine Ordensschwester, eine Ordensschwester in dem Sinne, wie er sie verstand? Es ist erstens eine, die ein Gewand hat, das sich von dem der anderen unterscheidet, die unterrichtet und die Kranke besucht, eine Person, bei der man einige äußerliche Andachtsübungen findet, aber daraus kein Ordensleben macht, nichts, nichts … Welchen Namen soll man dem geben? Wozu ist es gut? Daher sagte der gute Bischof mit Recht: „Wer wird mich denn von den Schwestern befreien können?“ Er hatte es satt, diese Art von Personen, die Werke der Nächstenliebe vollbringen, aber vom Orden nur das Gewand haben und es noch tragen, Gott weiß wie? Denn das Gewand wird nur von einer wahren Nonne gut getragen. Wenn eine Person nicht verunstaltet ist, passt ihr das Gewand gut. Wenn sie aber einen Buckel hat, kann ihr Gewand noch so elegant und nach bestem Geschmack geschmückt sein, es wird ihr schlecht passen. Nun, das Äußerliche ähnelt oft dem Inneren. Wenn das Innere mit dem Ordensgewand nicht in Einklang ist, wird es das Äußere auch nicht sein.
Meine Kinder, ich bekräftige euch vor Gott, wenn ihr in diesem Sinn Ordensschwestern sein solltet, würde ich unseren Herrn bitten, dass keine von denen, die beginnen, standhaft bleibt, dass sie sich retten, wie sie können! Möge Gott seinen Sturmhauch vorbeigehen lassen und nichts bleiben, wie der Herbstwind vorübergeht und alles Laub weit mitnimmt. Wir wollen die Oblatinnen des heiligen Franz von Sales gründen, wahre Töchter des seligen Vaters [Franz von Sales], die nicht nur den Namen, sondern den Aufdruck, das Siegel tragen. Ihr versteht mich, meine Kinder; und wenn ich so spreche, übertreibe ich nichts, denn eine Kongregation, die nur aus solchen Ordensschwestern besteht, von denen der gute Bischof sprach, wäre bedauernswert. Glücklicherweise gibt es das nicht, denn es gibt überall Eliteseelen, die über den anderen schweben. Denkt nicht, dass ich, wenn ich so spreche, euch in eurer Wertschätzung höher emporheben will als die anderen Kongregationen. O nein! Denn wenn man vor Gott die Gnadengaben betrachten würde, mit denen ihr überhäuft wurdet, und die, welche verschiedene Kongregationen empfingen und man andererseits prüft, wie die einen und die anderen dem entsprachen, wäret ihr wahrscheinlich die Besseren und die Treuesten.
Ich will also nicht sagen, dass ihr mehr Wert seid als die anderen, aber ich sage, dass bei uns alles ist, das nötig ist, um die Kinder Gottes zu werden, denn der liebe Gott zeigt sich dort äußerst gut und väterlich. In einer Familie werden alle Kinder geliebt, aber alle, die dazu berufen sind, in die Vertrautheit der Eltern einzugehen, zu Hause zu bleiben, sie zu betreuen, werden in Wirklichkeit vorgezogen. Das Herz ihrer Eltern wird zu ihnen mehr hingezogen. Ihr seid die Kinder des lieben Gottes. Er liebt euch ganz besonders, weil ihr den sehr sicheren Weg genommen habt, den er euch zeigte, um zu ihm zu gehen und ihm vertraulicher zu folgen. Meine Kinder, ich sage euch da die Wahrheit. Fragt gelehrte Priester, Ordensleute, die die Schriften des heiligen Franz von Sales studiert haben, was sie über seine Lehre denken. Alle werden euch sagen: „Der Weg des heiligen Franz von Sales ist die Vollkommenheit, der beste Teil.“ „Warum haben Sie ihn also gewählt?“ „Gott ruft nicht alle auf denselben Weg“, wird man euch antworten. Und wenn man euch zu Recht sagte, dass Gott nicht jeden auf denselben Weg ruft, wird man euch wiederholen, dass euer Weg unter allen hervorragend ist. Es ist also offensichtlich, dass euer Weg einer der besten ist, und was ich sage, behaupte ich vor Gott, vor der heiligen Kirche. Doch wenn ihr erkennt, dass euer Teil einer der besten ist, welche Folgen werdet ihr daraus ziehen? Ihr müsst umso treuer sein, umso mehr mit Gott verbunden, umso gehorsamer, da ihr mehr bevorzugt seid. Euer Teil ist ein Teil ganz besonderer Liebe, ein Teil der Wahl. Wir solltet ihr also euren Verpflichtungen nachkommen? Wenn Gott euch den besten Teil gibt, dürft ihr ihm nicht den schlechtesten geben, wenn er euch alles gibt, müsst auch ihr ihm alles geben.
Prüfen wir zuerst unsere Verpflichtungen gegenüber dem Gehorsam. Meine Kinder, geben wir uns über das ganze Ausmaß dieses Gelübdes Rechenschaft. Es umfasst den Gehorsam zur Ordensregen und zum Direktorium, den man den geschrieben Gehorsam nennt. Dann den Gehorsam zur Oberin, zu denen, die das Recht zu befehlen haben. Gebührt dieser Gehorsam denen, denen man ihn erweist? Nein, dem lieben Gott. Ob diese oder jene die Oberin ist, ist unwichtig, das ist nicht die Frage, da man ja Gott gehorcht.
Heute Abend werde ich zu euch über den Gehorsam ganz allgemein sprechen. Meine Kinder, glaubt es. Wenn euer Gewissen in dieser Hinsicht nicht sehr feinfühlig ist, werdet ihr nach und nach in eine Art Kälte verfallen, in das, was die Kirche Einfall der Lauheit nennt, und das gewisse sogar als den Anfang der Zersetzung bezeichnen. Wenn eine Person tot ist, hat sie keine Bewegung mehr. Nach einigen Tagen lösen sich die Bestandteile ihres Körpers auf, wie Ijob, der Patriarch des Leidens sagt: Das Fleisch hält sich nicht mehr an den Knochen. Der Körper fällt in diesen Zustand, der in keiner Sprache mehr einen Namen hat, und der in Schrecken und Entsetzen versetzt. Es ist die Auflösung. Nun, wenn ihr die Ordensregeln nicht übt, werdet ihr in diesen Zustand des Todes fallen. Ihr werdet Gott nicht mehr lieben. Ein Herz, das tot ist, liebt nicht mehr. Ihr werdet nichts mehr für das ewige Leben machen. Die Hände, die tot sind, handeln nicht mehr. Eure Füße werden tot sein, sie werden nicht mehr gehen, denn euer Kommen und Gehen wird nicht für Gott sein.
Wenn ihr in diesem Zustand der Lauheit bleibt, ich wiederhole es, meine Kinder, werdet ihr in die Auflösung fallen – was ich euch da sage, ist nicht zu stark – und wie es in der Apokalypse heißt, dann „werdet ihr einen Namen haben, man wird euch mit euren Namen rufen, als ob ihr lebendig wäret, aber in Wirklichkeit werdet ihr tot sein“, denn eure Werke werden tote Werke sein. Noch einmal, ist das zu stark? Nein, sicher nicht. Deshalb sagt der Bischof von X.: „Befreit mich von den Ordensschwestern.“ Mit diesen Worten bezeichnete er die sozusagen toten Seelen, die kein Ordensleben mehr haben und nicht mehr imstande sind, das Gute wirksam zu tun.
Eine Ordensschwester, die leicht gegen ihr Ordensregeln fehlt, ist nicht mehr wie ein lebendes Werk. Sie begeht keine großen Verbrechen, was soll sie machen? Wenn sie in der Welt wäre, würde sie nicht mehr beichten und die Kommunion empfangen, sie würde Gefahr laufen, sich zu verlieren. Eine Person, die ihre Standespflichten nicht erfüllt, ist sie nicht im Zustand der Todsünde? Doch, sicher, und ist eine Nonne, die ihre schweren Verpflichtungen nicht erfüllt, in einem besseren Zustand? Ich versichere euch, dass es nicht so ist, die Theologen sagen es. Dennoch beichtet und kommuniziert sie, sie scheint nicht große Fehler zu machen. Ah! Sie hat das Gelübde des Gehorsams abgelegt und sie erfüllt es nicht, sie ist ebenso im Zustand der Todsünde wie die, welche am Sonntag nicht zur Messe gehen, denn ihre Gelübde verpflichten sie ebenso wie die Gebote Gottes und der Kirche. Die Nonne, die das Gelübde des Gehorsams abgelegt hat und es aus bösem Willen nicht einhält, ist dadurch sogar im Zustand der Todsünde und der Beichtvater gibt ihr die Absolution nur, weil er es nicht weißt; wenn er es wüsste, würde er sie ihr nicht geben, denn die Theologen verbieten, die Sakramente in diesen Fällen zu spenden. Gibt es also Nonnen in der Hölle? Ja, das wird der Fall sein. Werden viele dort sein? Ich hoffe nicht. Und dennoch habt große Angst, meine Kinder, denn eine Nonne, die ihre Gelübde nicht erfüllt hat, wird sich schwer bekehren, sie sieht ihren Zustand nicht, ihre ständige Untreue hat ihr Gewissen verfälscht, sie nimmt diese Art von lauem und schuldhaftem Leben für etwas ganz Natürliches. Wird ihr das Licht zuteil werden, um im Augenblick des Todes zu beichten? … In welchen Umständen wird sie die letzten Sakramente empfangen? …
Wenn ich euch das sage, meine Kinder, sage ich euch nicht zu starke Dinge. Eine Nonne, die ihr Gehorsamsgelübde in dem, was diesem zugrunde liegt, nicht einhält, das die Seele schwer verpflichtet, setzt sich der Gefahr aus, im Zustand der Todsünde zu sein. Wie vieler Todsünden bedarf es, um in die Hölle zu kommen? Eine einzige genügt, der Katechismus sagt es euch. Es ist hart, aber es ist die Wahrheit.
Ich bestehe auf den Gehorsam, denn man achtet weniger darauf als auf anderes. Eine Verfehlung gegen dieses Gelübde schreckt nicht wie ein Wort, eine Handlung gegen die heilige Tugend der Reinheit, wie eine Verleumdung, ein Skandal, der dem Nächsten etwas wirklich Böses antun will, und dennoch ist es die gleiche Schwere.
Meine Kinder, das ist ein großes Wort über den Gehorsam im Allgemeinen. Ich werde darauf zurückkommen, um mehr auf die Einzelheiten einzugehen, aber heute Abend. Ich werde mich an den Gehorsam an sich halten. Um euer Gelübde nach seinem Geist zu füllen müsst ihr nicht nur eure Handlungen, sondern euren Willen, eure Urteilskraft unterwerfen. Heißt das, dass man es glauben muss, wenn etwas weiß ist, und man euch sagt, dass es schwarz ist? Nein, aber ihr müsst euch sagen: „Ich habe das Gelübde des Gehorsams abgelegt. Man befiehlt mir, das so zu machen, ich glaube, dass es besser wäre, es anders zu machen, aber ich unterwerfe mich für Gott wegen meines Gelübdes, ich will keinen Faden meines Willens zurückbehalten, denn das wäre kein Gehorsam mehr.“ Überlegen wir das, meine Kinder, wir lassen uns zu sehr gehen. Unsere Arbeit wird mehr, ändert sich, vieles um uns herum ändert sich und wir ändern uns nicht. Wir handeln heute, wie wir gestern handelten. Wir versuchen nicht, es besser zu machen, und wir bemerken nicht, dass unsere Gehorsam nicht vollständig ist, dass wir ohne das Licht Gottes wandeln und folglich ohne seine Hilfe.
Meine Kinder, wir werden uns heute Abend über den Grad unseres Gehorsams zur Ordensregel Rechenschaft ablegen, wir werden sehen, worin wir ihr nicht treu waren und wir werden den ernsten Vorsatz fassen, nicht nur nicht mehr dagegen zu fehlen, sondern es möglichst besser zu machen. Wir werden uns gut merken, dass wir, wenn wir schwer gegen unsere Verpflichtungen fehlen, im Zustand der schweren Sünde sind. Das ist sicher. Kein Theologe, kein Herr des geistlichen Lebens gibt zu, dass eine Nonne, die sich gewohnheitsmäßig befreit, ihren Gehorsam zu erfüllen, in der Gnade Gottes ist. Nein, sie ist es nicht, sie ist auf dem Weg zu Hölle. Was trennt sie von der Hölle? Ein kleines Brett, und wenn dieses kleine Brett bricht, fällt die Unglückliche in den Abgrund. Ich will, dass diese Exerzitien sehr ernst genommen werden, dass der Gehorsam für euch heilig wird. Er ist die Garantie des Glücks und der Heiligkeit der Ordensleute. Wenn ihr gehorcht, wendet sich alles zu eurem Vorteil. Die Engel beschützen euch und tragen euch in ihren Armen aus Angst, dass euer Fuß an den Stein stößt. Sie sind wachsam, liebend da, sie umgeben euch. Aber wer ist bei euch, wenn ihr außerhalb des Gehorsams seid? Es ist der, der als Erster ungehorsam war, es ist der Satan. Seht, welche Veränderung der Gesellschaft!
Meine Kinder, ich verstehe nicht, dass man zögert zu gehorchen. Denn kann man schließlich leben, ohne das Gelübde zu erfüllen, dass abzulegen man entschlossen ist, und dass man vor allen ausgesprochen hat? Ich erinnere mich, dass im kleinen Seminar alle, die sich auf das Priestertum vorbereiteten, einen mustergültigen Gehorsam hatten. Kinder sind Kinder, und dennoch gehorchten alle nicht nur den Buchstaben, sondern dem Geist des Gehorsams. Sie stiegen in das ein, was ihnen gesagt wurde. Es waren dennoch keine Ordensleute, sie wurden gute Priester, weil sie in aller Kraft des Ausdrucks gehorcht hatten. Der Gehorsam war für sie kein Spiel, sie verstanden ihn. Ich begreife nicht, dass man, wenn man das Gelübde abgelegt hat, es nicht so versteht. Unsere Gute Mutter Marie de Sales [Chappuis] sagte, man müsse entschlossen sein zu gehorchen, entschlossen sich nicht mehr zu ändern, sich nicht mehr in seinem Entschluss zu wandeln.
Ich habe heute Abend ausführlich gesprochen, meine Kinder, ich habe oftmals das Gleiche wiederholt, verzeiht mir. Aber es wäre für mich so hart, so bitter, nachdem ich mein Leben ausgab, in eure Seelen zu werfen, was in meiner ist – in meiner, es wäre wenig, wenn es von mir käme, aber der Heiland hat es Tag für Tag, Stunde um Stunde hineingelegt – es wäre so hast für mich, sage ich, zu sehen, dass es verloren ist. Wenn es von mir käme, wäre es nichts, aber es kommt vom Heiland Jesus, von seinem Herzen! … Wie wäre es schmerzhaft für mich, es durch euren Mangel an guten Willen, Großmut und Treue unnötig gemacht zu sehen! O, meine Kinder, ich beschwöre euch durch den, der sich euch so oft schenkt, der sich euch heute früh wieder ganz hingab, ich beschwöre euch durch seine Liebe, euch unter das Gesetz des Gehorsams zu stellen, unter das Gesetz, das die Erwählten auf Erden, die Seligen und die Heiligen im Himmel macht.
Meine Kinder, da ist mein Gelübde. Verwirklicht es, sprecht darüber mit eurem Herrn. Erinnert euch an jeden Tag eures Lebens daran. Und wenn der Gemahl kommen wird, um euch zu sagen: „Kommt zur Hochzeit“, werdet ihr ein letztes Mal die Augen öffnen und antworten: „Herr, ich glaube, dir immer gesagt zu haben: Dein Wille geschehe. Ich gehe vertrauensvoll zu dir, weil ich stets den Weg mit dir ging. Ich will ihn im Himmel fortsetzen.“
Beginnt heute, meine Kinder, euch ganz dem Gehorsam hinzugeben, um es euer ganzes Leben fortzusetzen. Ihr werdet eines Tages einen Platz im Gefolge des Lammes haben, wenn ihr verstanden habt, was ich euch heute Abend sagte und vor allem, wenn ihr es gut ausgeführt habt. Amen.