Exerzitienvorträge für die Oblatinnen 1885

      

11. Vortrag: Über die Schwatzhaftigkeit

Sonntag Abend, 6. September 1885

Meine Kinder, ich lenke eure ganze Aufmerksamkeit und unser ganzes Bewusstsein auf das Thema, das ich euch heute Abend darlegen werde. Als ich mich am Anfang der Exerzitien bemühte, euch zu einem immer größeren Eifer anzuregen, habe ich euch nicht gesagt, dass eine der wesentlichen Ursachen für das Elend und die Krankheiten im Ordensleben die Schwatzhaftigkeit innerhalb und außerhalb der Gemeinschaft ist. Man hat euch etwas Hartes gesagt, ihr hattet eine Schwierigkeit mit einer unserer Mitschwestern, ihr geht zu unserer Mutter Oberin oder zu mir, ihr erzählt uns von eurer Angelegenheit. Es ist nicht möglich, dass man mit der Antwort nicht ein wenig eure Sichtweise annimmt, weil man weiß, dass ihr schwach seid. Man spricht mit euch ein wenig von der Schwester, mir der ihr eine Meinungsverschiedenheit hattet. Man könnte euch gänzlich Unrecht geben, aber man will es aus Nachgiebigkeit nicht. Und übrigens, wenn es etwas zwischen zwei Personen gibt, ist immer auf beiden Seiten ein wenig Unrecht. Wenn ihr also die Mitschwester seht, mit der ihr eine Unannehmlichkeit habt, wenn ihr ihr sagt: „Unsere Mutter Oberin – oder: Unser Vater – hat das über Sie gesagt“, erkennt ihr das Böse, das ihr mit einer solchen Handlung macht? Ihr erkaltet das Herz dieser Mitschwester und verschließt es für lange Zeit, vielleicht für immer dem Vertrauen zu denen, die die Aufgabe haben, sie zu führen und zu erleuchten. Ihr erfahrt etwas über eine Mitschwester, ihr wiederholt es oder erzählt eine Geschichte, die ihr in der Gemeinschaft passiert ist oder außerhalb, ihr stellt eure Überlegungen über diese Mitschwester an. Wenn sie es erfährt, ist sie tief verletzt.
Ihr müsst in diesem Punkt sehr wachsam sein, meine Kinder, weil ihr in einer Beziehung zu Mädchen seid, bei denen die Schwatzhaftigkeit das Feuer schüren kann, nicht das Feuer des Hasses, sondern dieses Gefühl der Abneigung, das in die Seelen, in die Geister eine Neigung legt, gegeneinander zu kämpfen, und das bewirkt, dass aus einem Haus wird, was die Heilige Schrift ein Wespennest nennt, wo jeder den anderen zu schaden sucht. Ich bräuchte nicht lange, um auf eine Gemeinschaft zu stoßen, die sich in ähnlichen Umständen befinden würde. Nun, meine Kinder, wir werden von diesem Fehler nicht ausgenommen. Und wenn eine Mitschwester in einer Schwierigkeit oder entmutigt ist, kommt sie meistens, um mir zu sagen: „Man sagte mir, dass eine gewisse Mitschwester das über mich gesagt hat.“ Die Mitschwester, die in diesem Augenblick diesen Schmerz empfindet, ist vielleicht nicht verschwiegener als ihr, sie wird sagen, was sie über euch weiß, und das zerstört die Einheit der Herzen, den Geist der Einfachheit.
Meine Kinder, passt gut darauf auf. Manchmal sagt man mir: „Mein Vater, Sie sprechen nicht mehr zu uns wie in den Anfängen.“ Es ist wahr, aber es ist, weil ich es nicht kann, weil der Geist der Einfachheit, der Geist der Familie in euch schwächer wurde. Seht, wie man in den guten Familien handelt, wo man weiß, was es heißt, Christ zu sein. Glaubt ihr, wenn der Vater, die Mutter mit einem ihrer Kinder über seinen Bruder spricht, dass das Kind diesem Bruder sagen wird: „Papa hat das über dich gesagt“? Nie! Es würde fürchten, ihm weh zu tun.
In der Heimsuchung, in der ich vierzig Jahre war, habe ich nie zu einer Schwester gesagt: „Man hat mir das über Sie gesagt.“ Ich gebe zu, dass es manchmal erlaubt ist, ein Wort zu sagen, aber um wiederherzustellen, um zu ermutigen, doch ohne Schmeicheleien zu sagen, aber nie, um zu verletzen, um Schmerz zuzufügen.
Ihr versteht die Folgen nicht, ihr wisst nicht, welchen Abgrund an bösem es nach sich ziehen kann. Ihr werdet mir sagen, dass ihr darauf nicht geachtet habt, aber ich achte darauf.
Eine andere Form des Fehlers, vom dem wir gerade sprechen, ist, den Oberinnen Absichten zu unterstellen, die sie nicht hatten. So sagt man manchmal, wenn man eine Mitschwester zu ihrem Gefühl leiten will: „Unser Vater hat gesagt, und man ist nicht sehr sicher, dass es wahr ist. Oder auch, eine Schwester wird um die Erlaubnis bitten, einer anderen etwas zu sagen, nur einmal mit ich ansprechen, dann dehnt sie die Erlaubnis aus und schließt daraus, dass sie immer mit ihr sprechen kann, und sie sagt geschwätzig: „Unser Vater hat mir gestattet, so zu handeln.“ Das ist für die anderen verletzend. Diese Handlungsweisen bilden eine schmerzhafte Situation für jene, die ein Amt haben, schließen alle Herzen und verhindern die Einheit in der Gemeinschaft. Es wäre mir lieber, ihr würdet einen offenkundigen Fehler machen. Das würde euch demütigen, ihr würdet es beichten und ihr würdet darauf achten, nicht mehr rückfällig zu werden. Dieser Fehler hätte wenigstens dazu gedient, euch wachsam zu machen, aber von einer Schwatzhaftigkeit kommt nur Böses. Was kommt von dieser bedauerlichen Gewohnheit? Ihr seit untereinander geschwätzig, ihr seid es dann bei den Weltlichen; was bleibt vom Ordensleben? Wo ist eure Liebe zu unserem Herrn? Sucht sie! …
Ihr werdet also in dieser Hinsicht sehr aufmerksam über euch wachen, meine Kinder. Ich kann nicht auf viele Einzelheiten eingehen, denn es ist ein unfassbares Übel. Man kann auf so viele Arten geschwätzig sein. Der heilige Franz von Sales hält die Tugend der Verschwiegenheit für das notwendigste Element des Gemeinschaftslebens. Daher habe ich in der Heimsuchung nie gehört, dass eine Schwester zu einer anderen sagte: „Man hat das über Sie gesagt!“ Nie, Nie! Ah! Man gewöhnte sie an die Verschwiegenheit. Dennoch erinnere ich mich, in einem Kloster eine Schwester gesehen zu haben, die geschwätzig war. Ich sagte der Oberin: „Wie ist das doch ärgerlich!“ Sie antwortete mir: „Was wollen Sie! Sie wurde schlecht erzogen.“ Das Ende dieser Schwester war ebenso traurig wie ihr Leben, denn es gefiel kaum den Engeln des Himmels, die ihr kein sehr schönes Gesicht machten, als sie sie aufnahmen. Dennoch hatte sie einen großen Glauben, eine tiefe Andacht, alles in allem war sie keine schlechte Nonne, aber es fehlte ihr die Verschwiegenheit.
Ich hoffe, dass mich jede gut verstanden hat. Ihr werdet es also vermeiden, zu erzählen, was euch gesagt wurde. Vor allem werdet ihr nie sagen: „Man hat mir das gesagt“, wenn man nicht gesprochen hat. Dann werdet ihr den festen Vorsatz fassen, nie wem auch immer zu sagen, was euch die Oberen gesagt haben werden, von den einen zu den anderen nur in heiliger Weise reden, angemessen, alle zu erbauen, die euch hören, wie es unser seliger Vater [Franz von Sales] verlangt. Wenn man euch über eine andere etwas sagen wird, werdet ihr gut darauf achten, es für euch zu behalten, ihr seid nicht ermächtigt, es zu wiederholen. Denn, ich sage es euch noch einmal, ihr würdet großes Übel nicht nur dieser Schwester sondern der Gemeinschaft selbst zufügen. Es wäre für euch besser, wie ich euch soeben sagte, einen anderen Fehler zu machen, denn ihr könntet ihn ausbessern und Verzeihung erlangen, aber es ist sehr schwer, eine Schwatzhaftigkeit wieder gut zu machen. Wenn sich jemand ein Bein oder einen Arm bricht, richtet man ihn ihm ein. Das ist kein unheilbares Übel. Gießt jedoch einige Tropfen Arsen in ein Glas Wasser, und die Person, der ihr dieses Wasser zu trinken geben werdet, wird nichts sehen, nichts fühlen und sterben, weil das Arsen ein starkes Gift ist. Wohlan! Moralisch ist es das Gleiche. Wenn ihr einen Gemeinschaftsfehler macht, wird man es euch verzeihen, werdet ihr euch daraus wieder erheben, aber die Schwatzhaftigkeit ist das Arsen, das man den anderen und euch selbst einflößt. Ich wiederhole es, wenn dieser Geist des Glaubens, der Einfachheit und der Hingabe, den man früher unter euch bemerkte, abnahm, so kommt das von begangenen Geschwätzigkeiten, die die Seelen und die Herzen einengten, die das kindliche Vertrauen daraus schwinden ließen.
Ich sage euch starke Dinge, meine Kinder, aber sie sind nicht übertrieben. Ihr werdet es durch ein Beispiel verstehen. Eine Novizin hat großes Vertrauen zu ihrer Meisterin. Ihr sagt ihr: „Meine Schwester, unsere Meisterin hat gesagt, dass ihre Berufung kaum beruhigend ist.“ Die Meisterin hat das ohne Zweifel nicht gesagt. Sie hatte höchstens sagen müssen, dass ihre Novizin nicht ganz hatte, was nötig war. Aber sehr das Übel, das dieses Wort dieser jungen Nonne zufügen kann. Wenn ihre Berufung nicht sehr gesichert ist, wird sie den Mut verlieren. Wenn ihre Berufung hingegen gut ist, wird sie leiden und kämpfen. Glaubt ihr, dass sie noch die Einfachheit haben wird, sich ihrer Meisterin zu öffnen? Nein, wenn man durch etwas verletzt wurde, das man über uns sagte, hat man nicht mehr das selbst Herzensvertrauen, das ist nicht möglich. Sonst ging diese Novizin zu ihrer Meisterin, um ihre Seele zu erleuchten und sich zu Gott führen zu lassen. Jetzt ist es aus, und sie wird wahrscheinlich nie eine sehr gute Nonne sein, weil sie keine Aufrichtigkeit, Einfachheit mehr haben wird. Ihr werdet sagen: „Sie wird sich einer anderen öffnen.“ Vielleicht, aber es wird nicht mehr durch den Ordensgeist sein, sondern aus natürlicher Sympathie. Sie wird nicht mehr verstehen können, was Gott ihr durch den Mund ihrer Oberin sagen wird. Sie glaubt nicht mehr an ihre Meisterin, das wird vielleicht dazu führen, sie zu verlieren. Wer wird die Ursache dafür sein? Ihr werdet es sein.
Und ihr werdet euch danach beklagen kommen, wie eine leidenden Seele zu sein, am Ordensleben keinen Gefallen mehr zu finden. Das ist nicht erstaunlich, ihr habt einer Seele Arsen gegeben.
Gott sagt in der Heiligen Schrift: „Ich werde das Blut deines Bruders von dir zurückverlangen. Meine Gerechtigkeit wird da sein. Was du auch machst, um wieder den Frieden zu erlangen, deine Mühe wird vergeblich sein. Ich werde ständig in dieser Welt und in der Ewigkeit das Leben deiner Schwester, ihre Seele von dir zurückverlangen.“ Es wird ein so strenges Urteil für diese Art von Fehlern geben, dass ich liebe tausend persönliche Ungerechtigkeiten begangen hätte als Grund für den Verlust einer Seele gewesen zu sein. Ihr werdet sagen: „Ich war mir des Übels nicht bewusst, das ich anrichtete, ich hatte keine böse Absicht.“ Aber ein Kind, das mit Zündhölzern spielt, das Haus in Brand steckt und seinen Vater und seine Mutter verbrennt, kann auch sagen: „Ich dachte nicht, so viel Böses zu machen.“ Es ist jedoch nicht weniger wahr, als wenn es im Alter der Vernunft für Verbrechen verantwortlich ist, die die Folge ihrer Tat sind.
Ich wiederhole es, meine Kinder, und ich mache daraus einen Punkt der Ordensregel. Sehr, welche Wichtigkeit ich diesem Übel beimesse. Es ist die Ursache für die Erkaltung des Eifers in der Gemeinschaft. Am Anfang der Exerzitien war ich mir dessen nicht bewusst, und ich klagte euch an, den lieben Gott nicht genug zu lieben. Aber nachdem ich gut nachgedacht hatte, fand ich den ersten Grund für diesen Fehler des Herzens und der Einheit und ich will ihm abhelfen. Die, die bei den Exerzitien sind, werden meine Worte denen zurückbringen, die nicht dabei sind. Man muss dieses schreckliche Übel, das bis zu den Wurzeln reicht, unbedingt verschwinden lassen.
Die Reblaus ist ein Insekt, das den Rebstock annagt und verhindert, Früchte hervorzubringen. Die Präfekten machten Erlässe, um diese Geißel zu bekämpfen – sie hätten besser daran getan, die Freiheit zu lassen, die Prozessionen des heiligen Markus zu machen. Man fand kein anderes Heilmittel, als die Wurzeln des Weinstockes auszureißen, die Erde aufzugraben und eine ätzende Flüssigkeit hineinzugeben, die das schädliche Insekt tötet. Mit einem Wort, man muss den Weinstock ganz zerstören, das Mittel ist radikal. Die Reblaus ist das Bild der Schwatzhaftigkeit im Ordensleben. Die Schwester, die verletzt wurde, wird nur nach einer beträchtlichen Zeit genesen können, oder vielleicht wird sie nie genesen. Früher war ihre Seele wie dieser Weinstock, der im En-Gedital bei Jerusalem wächst. Er streckt seine Zweige um sich aus und schenkt reiche Früchte. Der Morgen bricht an. Dieser mystische, von Gott behütete, von der Verschwiegenheit der heiligen Liebe, wie von einer lebenden Hecke umgebene Weinstock verbreitet den Duft seiner Blüten. Später bringt er reiche Früchte, die überall die heilige Trunkenheit des Glücks, der göttlichen Liebe erzeugen. Das ist der Weinstock, den der Herr in euer Herz gepflanzt hatte. Alles war gut für ihn. Die scheinbare Stille des Gehorsams, sogar die Kälte der Nacht, alles diente dazu, um ihn zu entwickeln und zum Blühen zu bringen. Aber die Reblaus der Schwatzhaftigkeit hat ihn angegriffen, die Blätter fallen ab, das Holz vermodert, der Weinstock stirbt.
Wenn der Frost über den Weinstock zieht, ist die Ernte verloren, aber die Pflanze stirbt nicht. Hat sie auch eine andere Krankheit, ja sogar wenn das Feuer sie austrocknet, sie widersteht. Es gibt nur ein Übel, das sie nicht überlebt, das ist die Reblaus, weil sie die Wurzel angreift.
Ihr werdet es nicht schlecht finden, meine Kinder, dass ich Erlässe wie die Herrn Präfekten mache, damit dieses Übel bei uns nicht fortbesteht. Denn ich würde euch nicht wiedererkennen, wenn ihr weiterhin diesen Weg beschreiten würdet, und am Jüngsten Tag würde der liebe Gott sagen: „Ich weiß nicht, wer diese Mädchen sind.“
Ihr werdet unseren Herrn um die Gnade bitten, in diese Art von Fehlern nicht mehr zurückzufallen. Und sollte es euch noch einmal passieren, erinnert euch, dass ihr nicht die Kommunion empfangen dürft, ohne euch durch ein Geständnis der Schuld gereinigt zu haben, das das große Mittel der Reinigung von den Fehlern des Ordenslebens ist. Wir werden dieses Übel völlig ausrollen und dann werden die Seelen, die der liebe Gott uns schicken wird, nicht mehr bedroht sein, durch Schwatzhaftigkeit in der Art, wie ich euch soeben dargelegt habe, zu Tode getroffen zu werden. Amen.