Exerzitienvorträge für die Oblatinnen 1885

      

10. Vortrag: Über das Herz, mit dem man seiner Beschäftigung nachgehen muss

Sonntag Vormittag, 6. September 1885

Meine Kinder, setzen wir unsere Exerzitien gut fort, vergessen wir nicht, dass in diesen Tagen der Sammlung alle Augenblicke kostbar sind, alle Übungen ihre Gnaden mit sich tragen. Es ist die Zeit der Fülle, die Zeit der Ernte, man darf sie nicht vorbeigehen lassen, ohne die Früchte einzusammeln, die er uns bringt. Geht vierzehn Tage nach der Ernte auf eine Feld, es wird euch trocken, dürr erscheinen. Ihr könnt vergeblich suchen, ihr werdet nur mehr einige verstreute Ähren finden. Ebenso ist es mit den Exerzitien. Ohne Zweifel wird der liebe Gott nachher wieder zu uns kommen, aber das wird nicht mehr die Gnade der Exerzitien sein. Nützt also alle kleinen Augenblicke, aber ohne Anstrengung des Willens, ohne Anspannung der geistigen Kräfte. Haltet eure Seele ganz einfach und vertrauensvoll in den Händen des lieben Gottes. Seid wie das kleine Kind, das seiner Mutter folgt. Es ist nicht beunruhigt, egal wohin sie es führt. Vorausgesetzt, dass sie bei ihm ist, hat es alles, was es braucht. Es hat seine Mutter, seine Beschützerin, sie verlässt es nicht. Handeln wir so, denn wir sind alle sehr klein vor dem lieben Gott, sehr klein im Verdienst und im persönlichen Wert. Handeln wir so, damit diese Exerzitien nicht nutzlos sind, sondern ernste und dauerhafte Früchte erzeugen.
Heute Vormittag will ich zu euch über das Herz sprechen, mit dem man seinen Beschäftigungen nachgehen muss. Der heilige Franz von Sales sagte: Wozu sind diese Halbherzigen gut? Ach, mein guter heiliger Gründer, was kann man mit denen machen, die überhaupt kein Herz haben? Versteht wohl, meine Kinder, die Notwendigkeit, in das euch Anvertraute ein Herz zu legen. Unser seliger Vater [Franz von Sales] sagte in Bezug auf die Sakristanin, dass sie ihre Arbeit leidenschaftlich gut machen muss, weil sie mit den heiligsten Dingen vertraut ist. Was er über die Beschäftigung der Sakristanin sagt, denkt er über alle anderen Beschäftigungen. Jede muss leidenschaftlich gut machen, was sie zu machen hat.
Der heilige Franz von Sales wollte nicht, dass die Heimsuchungsschwestern durch ihre Albernheiten, durch eine falsche Zartheit zu sich selbst, durch den Ekel der Seele, durch ihr Wünschen, durch ihren Mangel an Herz für die Arbeit Töchter waren, er wollte vielmehr in ihnen eine starke, großmütige Frömmigkeit, den Kampf zu unterstützen, sich hinzugeben, zu arbeiten. Und er hatte sehr Recht. Was ist mit einer sehnsüchtigen Nonne, die nur geht, weil man sie stößt, weil sie in einem Räderwerk gefangen ist und nicht anders kann? Das ist kein lebendiges Wesen, es ist ein träges Rad. Trennt es von der Maschine, legt es auf den Tisch, es wird nicht mehr gehen, da es nicht mehr von der Bewegung der Gesamtheit mitgerissen wird. In einem gewissen Sinn ist zwar sehr wenig notwendig, dass eine Nonne ein Räderwerk ist, da sie ihren Teil zu den Werken und Arbeiten der Kongregation beitragen muss, aber sie muss auch ihre persönliche Bewegung haben wie die Gestirne, die eine eigene Bewegung haben.
Ihr müsst euch also daran gewöhnen, leidenschaftlich gut zu machen, was ihr zu machen habt und euer ganzes Herz hineinlegen, wie unbedeutend es euch auch scheint, weil der liebe Gott es von euch verlangt und ihr ihm mit eurer ganzen Kraft dienen wollt, ihm fröhlich dienen, wie Marta unserem Herrn diente. Sie legte ihr ganzes Herz hinein, daher belohnte sie der Heiland dafür, in dem er ihr zugestand, eine große Heilige zu werden.
Jede möge sich diese Frage stellen: „Habe ich mit Herz gemacht, was ich zu machen hatte? Wenn mir nicht gelang, was mir anvertraut war, war es nicht deshalb, weil ich nicht genug Herz hineinlegte, weil ich es ungefähr so machte, wie es sich fand, ohne mir Mühe zu geben?“ Wie oft geschieht es denn, dass man sich gehen lässt, man rollt über den Abhang, auf dem man sich befindet, und man hat weder die Kraft noch den Willen, um zu reagieren. Die Arbeit, die man zu machen hat, wird nicht gut gemacht. Die Klasse, die einem obliegt, wird nicht gut geführt, die Kinder machen keinen Fortschritt, weil man sich nicht mit ihnen beschäftigt, man kein Herz in seine Beschäftigung legt, man sie nur verrichtet, wie um sich ihrer zu entledigen.
Meine Kinder, diese Handlungsweise ist verachtenswert! Der liebe Gott bestraft sie streng. Der heilige Apostel Johannes sagt am Anfang seiner Apokalypse, dass er eine große Vision hatte, in der ihm der Herr sieben Bischöfe von Asien zeigte, die er selbst geweiht und in ihre Diözesen eingesetzt hatte. Unter den sieben war einer, dem dieses Urteil zu sprechen der Apostel von Gott beauftragt wurde: „Weil du das Werk des Herrn nachlässig gemacht hast, werde ich deinen Leuchter bewegen und ihn anderswohin tragen!“ (vgl. Offb 2,1-7). Was wollte das sagen? Das bedeutete: Ich werde deine Macht einem anderen übertragen, dir das Licht nehmen, mit dem du mein Volk erleuchtet hast, dir die Macht entziehen, mit der ich dich betraut hatte, und deiner Seele jeden Trost nehmen, jede Kraft, um das Gute zu tun. Ich werde dir nicht mehr mit meiner Gnade beistehen, weil du nachlässig gearbeitet hast. Niemand wird dein Wort mehr glauben, du wirst beiseite geschoben werden, ich werde dich wie einen unnötigen Diener zurückweisen. Dennoch hatte er gearbeitet, aber er hatte es ohne Herz gemacht wie diese lauen Seelen, die die Arbeit verrichten, um sich ihrer zu entledigen, ohne weder Kraft noch guten Willen einzubringen. Sehr, welch schreckliches Urteil Gott der Nachlässigkeit vorbehalten hat.
Möge jede auf den Grund ihrer Seele hinabsteigen und sich fragen: „Wie mache ich meine Arbeit? Mache ich sie, weil ich anders nicht kann?“ Aber, werdet ihr sagen, meine Arbeit gefällt mir nicht. Das ist kein Grund. Es gibt Vieles im Leben, das nicht gefällt. Wenn ihr in der Welt wäret und euch euer Brot verdienen müsstet, müsstet ihr es wohl ertragen. Ah, eure Arbeit gefällt euch nicht … und als unser Herr vom Himmel herabgestiegen ist, als er über die rauen und steinigen Wege Judäas schritt, als er mitten in seinen apostolischen Arbeiten alle möglichen Verfolgungen von Seiten der Pharisäer erlitt, machte er es, weil es ihm gefiel? Als er an das Kreuz geheftet war, als er drei Stunden in den schrecklichsten Leiden der Agonie verbrachte, gefiel ihm das? Und ihr verlangt eine Arbeit, die euch passt! Und ihr verrichtet eine Arbeit nicht, weil sie euch nicht gefällt! Und ihr behauptet die Tochter, die Gemahlin unseres Herrn zu sein! O, nein! Ihr seid es gewiss nicht …
Verrichtet eure Arbeit mir eurem ganzen Herzen, mit aller Kraft eures Willens. Das wird euch zur Heiligkeit gelangen lassen. Ich sage es euch, das ist wahrhaftig das wirksame Mittel zum Gipfel der Vollkommenheit zu gelangen. Eure Arbeit gefällt euch nicht, ihr glaubt sie unter keinen Umständen machen zu können. Ihr müsst vielmehr dieser Versuchung energisch widerstehen. Ihr müsst innerlich gegen diesen Mangel an Herz, an gutem Willen ankämpfen.
Ob ihr mit dem Haushalt, dem Unterricht, der Sakristei oder jeder anderen Arbeit betraut seid, tut nichts zur Sache, macht es mit Eifer, dem Gedanken, dem Wunsch, sie mit der letzten Vollkommenheit zu erfüllen, denn ihr arbeitet nicht für euch, nicht einmal nur für die Gemeinschaft, sondern für den guten Herrn, für den, der euch liebt.
Seid also sehr energisch, meine Kinder, seid nicht mehr nachlässig, habt nicht mehr diese Wünsche, die von einem geschmacklosen Charakter zeugen und bewirken, dass die Arbeit nicht gelingt. Seid nicht wie dieser Mann, von dem in der Heiligen Schrift gesprochen wird. Seine Hand lässt entgleiten, was er hält, weil er keinen Willen, keinen Mut mehr hat, weil er gegen sein eigenes Elend nichts tun kann. Möge sich jede ernsthaft erforschen, um zu sehen, ob sie ihre Arbeit gut macht, nicht weil es ihr gefällt, sondern weil es Gott gefällt. Bemüht euch dann, sehr großmütig zu sein. Ihr seid es schuldig, meine Kinder, weil euch der liebe Gott viel schenkt. Die Gnaden sind immer stärker, zahlreicher, in den Anfängen einer Kongregation ist der Schwung immer größer. Die Gute Mutter Marie de Sales Chappuis sagte mir oft, wenn sie von euch sprach: „Sie werden mehr Gnaden empfangen, als wenn sie in der Heimsuchung wären, weil sie beginnen.“ Aber wenn ihr nachlässig arbeitet, welche Gnaden wollt ihr empfangen? Die Gnade wird euch reichlicher versprochen als anderen, weil ihr mehr zu kämpfen und zu arbeiten habt; mehr zu kämpfen, weil ihr durch mehr Gefahren gehen müsst, aber wenn ihr nicht arbeitet, werdet ihr den Fluch des lieben Gottes verdienen und nicht die Gnaden, die er für euch bestimmte.
Prüft also gut die beste Art, eure Arbeit zu verrichten und fasst einen guten Vorsatz, um sie mit Herz für die Liebe dessen zu erfüllen, der uns sein ganzes Herz, sein ganzes Blut schenkte. Hat er sich nur am Kreuzesbaum so hingegeben? O, nein! Ist er nicht soeben ganz in eure Seele gekommen? Sind nicht in diesem Augenblick die Engel da, um Jesus anzubeten, der in euch lebt, der in euch wie in einem lebenden Tabernakel atmet? Was hat euch dieser göttliche Heiland geschenkt? Er hat euch sein ganzes Leben, sein ganzes Sein gegeben. Und mit welchem Herz hat er es euch gegeben? Und was gebt ihr ihm? … Ist es der gleiche Teil? …
„Herr, wenn ich betrachte, was ich für dich mache, bin ich niedergeschlagen, denn ich schenke dir kaum ein Gefühl meines Herzens. Ich müsste dir alle meine Gedanken, meinen ganzen Willen schenken, und ich bin hingegen vor dir geblieben, ohne zu verstehen, was du für mich warst und was ich dir verdanke. Und du, Herr, liebtest mich mit einer unvergleichlichen, einer unendlichen Liebe, bis mir zu versichern, dass ich nur eins mit dir bin. O, wie schön ist mein Teil! Kann ich je so vieler Liebe entsprechen?“ „Ja“, antwortet der gute Meister, „wenn du mir großmütig dienst, wenn du mich liebst, wie ich dich liebe, wenn du dich schenkst, wie ich mich schenke, wenn du für mich bist, was ich für dich bin. Erinnere dich am Tag der Heimsuchung, der Versuchung, dass ich stets bei dir bin.“
„O Jesus, möge dein Herz mein Herz sein, möge es mich jedes Mal beleben, wenn ich dem entsprechen werden müssen, das du von mir verlangen wirst. Dein Herz wird mich bei allem beleben, das ich zu tun haben werde. Ich verspreche dir, Herr Jesus, ich verspreche es dir!“ Amen.