8. Vortrag: Über den Geist der Berufung
Freitag Abend, 12. September 1884
Meine Kinder, während dieser Exerzitien sprach ich zu euch von euren großen Pflichten und zunächst von der Liebe, die das erste und größte aller eurer Gelübde ist, da der heilige Franz von Sales am Anfang des Direktoriums sagt: Wir haben kein anderes Band als das Band der Liebe. Und der heilige Augustinus am Anfang seiner Regel: Vor allem soll Gott geliebt werden und dann der Nächste. So ist also die Liebe zu Gott und zum Nächsten sowie eure drei Gelübde die Grundlage eures Ordenslebens. Ihr müsst diesen Verpflichtungen nachkommen, sonst fehlt ihr gegen die Pflichten eurer Berufung.
Unabhängig von diesen zwei großen Verpflichtungen gibt es noch andere, die ich die kleinen Beobachtungen nennen werde, und die jeder Kongregation eigen sind. Die Heimsuchung hat ihre besonderen Pflichten, die Barmherzigen Schwestern haben ihre. Auch ihr seid für einen besonderen Zweck gegründet, denn jeder Orden ist für einen Zweck gegründet, der ihm seinen eigenen Charakter verleiht. Ihr, meine Kinder, habt dem Klerus in seinem Apostolat bei den Seelen zu helfen. Ihr seid keine Barmherzigen Schwestern, ihr pflegt nicht die Kranken, aber ihr müsst in einem gewissen Grad machen, was die Priester machen.
Monsignore Mermillod wünschte, dass ihr eingerichtet werdet, um Hilfskräfte des Klerus zu sein. Diesen Gedanken hat er noch, er erinnerte mich mehrmals daran und er wünscht, dass wir uns baldigst Studien widmen, die uns gestatten, den religiösen Unterweisungen den Platz einzuräumen, den sie verdienen. Bisher konnten wir es nicht machen, weil wir mit materiellen Arbeiten beauftragt waren, die es uns nicht gestatteten. Aber wenn uns der liebe Gott Themen gibt, werden wir bald beginnen. Seht unsere Patres. Was machen sie? Sie hören Beichte, sie predigen, sie feiern die Messe. Andere sind mit der Verwaltung betraut. Die Kongregation der Oblatin und die der Oblatinnen müssen das gleiche Werk verrichten. Ihr hört nicht die Beichte, aber ihr bereitet auf die Beichte vor; ihr feiert nicht die Messe, aber ihr empfangt die Kommunion und bereitet die Seelen auf den Kommunionempfang vor. Ihr predigt nicht, aber ihr unterstützt die heilige Kirche durch eure Werke. Ihr empfehle diesen Gedanken eurer Frömmigkeit. Es ist unbedingt notwendig, dass sich der Geist des heiligen Franz von Sales verbreitet. Ich glaube, mein Leben diesem Gedanken gewidmet zu haben, der der Gedanke der Guten Mutter Marie de Sales Chappuis ist. Was braucht man für die Erziehung der Jugend? Gute Nonnen. Bedarf es großer Damen, um große Fräuleins aufzuziehen? Nein, aber eine Ordensschwester, die an die Beobachtung der Ordensregel gebunden ist und ihr Direktorium gut erfüllt, kann das Mädchen hoch erheben. Daher sehe ich mit großem Schmerz, dass die Heimsuchung ihre Internate schließt, und ich sehe mit Bitternis, dass die Erziehung nach dem heiligen Franz von Sales, die für die Ausbildung der christlichen Seelen so wichtig ist, aufgegeben wird. Ich weiß wohl, dass das heutige Jahrhundert für Vieles verantwortlich ist, die Schließung erschreckt oft die Eltern.
Jetzt, meine Kinder, bedarf es, um dieses Werk zu vollbringen, Köchinnen, Schneiderinnen, Wäschebetreuerinnen, Ordensschwestern, die sich um alles im Haushalt und im Geflügelhof kümmern, wie sich frühe in den alten Ordensgemeinschaften die Nonnen mit allem beschäftigten. Jede wirke so am gleichen Werk. Unsere Patres könnten nicht predigen, wenn man ihnen nicht ihre Kleidung, ihre Nahrung zubereitete. Ebenso könnten sich unsere Ordensschwestern nicht um die Erziehung der Mädchen kümmern, wenn es kein Personal geben würde, das sich um das Materielle annimmt. Diejenigen, die in der Küche sind, können den Seelen Gutes tun. Ich habe in der Heimsuchung immer gesehen, dass die Ordensschwestern, die sich mit den manuellen Arbeiten beschäftigten, dem Kloster den meisten Segen erwirkten. Es waren die besten, die heiligsten, und wenn viele Internatsschülerinnen der Heimsuchungsklöster gut geworden sind, wurden sie es dank der Heiligkeit dieser Nonnen. Jede von euch hat also Anteil an der Heiligung der Seelen, am priesterlichen Dienst. Wenn man euch ein Stirnband gegeben hat, das an die viereckige Kappe der Priester erinnert, einen römischen Mantel wie euren und ein schwarzes Gewand, so ist das, um euch daran zu erinnern, dass ihr eine Art Hilfsorden des Priestertums seid.
Die Haushaltsarbeiten, die Wäschekammer, die Kleiderstube, die Schuhkammer, all das hat seine Gnade, seine Wirkung. Man fühlt die Gnade kraft der Heiligkeit der Person, die sich damit beschäftigt. Der heilige Prudencius, Bischof von Troyes (+ 861), erzählte Folgendes: „Obgleich ich seit langem die priesterlichen Funktionen ausübte, hatte ich dennoch ein steinhartes Herz, wenn ich mich dem Altar näherte. Ich hatte keine Tränen zu vergießen, um sie mit dem Blut des Heilands zu vermischen. Aber seit ich den von Maura (827-850) hergestellten Chorrock anziehe, schmilzt mein Herz und ich bringe dem Heiligen Opfer den Tribut meiner Tränen.“ Was war der Grund dieser Veränderung? Der heilige Prudencius war ein großer Bischof, ein Gelehrter, einer der besten Geister seines Jahrhunderts und vor allem ein Heiliger. Wer hatte ihm diese Gnade vermittelt? Die heilige Maura, die den Chorrock gemacht hat, mit dem er sich bekleidete. Und als sie ihn machte, hatte sie gebetet, dass Gott durch dieses Mittel ihm seine Gnaden eingieße. Meine Kinder, so wird es auch mit den Dingen sein, die ihr machen werdet, wenn ihr sehr treu seid. Da liegt unser Glaube, unsere Sicherheit. Und ich behaupte, wenn wir Heilige haben werden, um sich um materielle Dinge zu kümmern, müssen diejenigen, die die von ihnen gemachten Kleider tragen und die von ihnen zubereiteten Speisen essen werden, ein sehr hartes Herz haben, wenn sie die Wirkungen der Heiligkeit nicht empfinden. Das ist unser Geist für die niedrigeren Ämter. Mögen nie, o niemals die, welche das Glück, das unendliche Glück haben, mit dem Haushalt betraut zu sein, nie nach etwas anderem streben. Die größten Heiligen, die vollkommensten Nonnen, die ich kannte, trugen das Gewand der Laienschwestern.
Ich machte in der Großen Kartause dieselbe Bemerkung. Ich ging einmal zu Exerzitien hin, und als ich dieses Kommen und Gehen von Besuchern sah, sagte ich mir: „Das missfällt mir, ich kam nicht her, um Zerstreuung zu haben, ich ziehe die Kartause von Bosserville vor.“ Dennoch hatte ich da etwas, um mich zu trösten, denn ich fand Pater Retournat, meinen ehemaligen Beichtvater wieder, der nun Novizenmeister war. Trotzdem sagte ich dem lieben Gott: „Mein Gott, ich bin nicht hierher gekommen, um mich zu zerstreuen, ich bitte dich, gib mir etwas Gutes, das ich mitnehmen könnte.“ Als ich im Gang spazieren ging, bemerkte ich eine kleine Luke. Ich schaute, sah, dass es die Küche war und sagte mir: „O! Wie ist da der liebe Gott!“ Und anstatt meiner Wallfahrt in die Kapelle oder in ein anderes Heiligtum zu machen, machte ich sie vor der Küche. Ich betrachtete das kleine Fenster, und das erzählte mir von Gott in unvergleichlicher Weise. Ich sagte also zu Pater Retournat: „Was ist da in Ihrer Küche?“ „Es gibt oft sehr schlechten Fisch und verschimmeltes Brot.“ „O!“, antworten Sie auf meine Frage: Was gibt es dort?“ „Es gibt einen heiligen Koch!“ Ich erzählte ihm also, warum ich den lieben Gott gebeten hatte und was ich gefühlt hatte. „Das erstaunt mich nicht“, antwortete er mir, „und ich werde Ihnen bei dieser Gelegenheit erzählen, dass mich ein junger Priester aus Nancy besuchen kam. Er läutete die Glocke. Ich öffnete ihm die Tür, ohne ihm etwas zu sagen, und er folgte mir, um zu beichten. Aber während er ging, sagte mir der Klang seiner Schritte sehr viel, und als er niederkniete, sah ich seine Seele in sehr vertrauter Weise und ich sagte ihm: „O, beichten Sie nicht, es ist unnötig, das haben Sie sich vorzuwerfen.“ Ich hatte die Heiligkeit in ihm gefühlt.“
Die Kartäuser lieben diese Dinge. Sie sprechen in ihrer Erholungszeit darüber, die es ungefähr alle vierzehn Tage gibt. Sie unterhalten sich dann über die Beobachtung der Ordensregeln. Die, welche einer Beschäftigung nachgehen, die ich nicht niedrig nennen werde, sind so glücklich, dass ihnen nicht der Gedanke kommt, sich zu verändern. Selig sind die, die dazu berufen sind! Hätte ich Oblatin sein können, hätte ich gebeten, die letzte in der Küche zu sein.
Diejenigen, die der liebe Gott für die Führung der Mädchen bestimmt, brauchen eine Gnade wie die des Priestertums. Der Priester braucht den Altar, den Leib und das Blut unseres Herrn. Daher nimmt er seine Kraft. Ihr, meine Kinder, findet sie in der Heiligen Kommunion, in der Einheit mit dem Willen Gottes. Wollt ihr hundert Mal am Tag kommunizieren? Erfüllt hundert Mal euer Direktorium und hundert Mal werdet ihr euch mit dem göttlichen Willen, dem Wort verbinden, mit dem Wort, das die Befehle Gottes ausdrückt. Das Wort ist Fleisch geworden, um sich mit den Seelen zu vereinen, und was ihr durch euer Direktorium empfangen werdet, ist das Wort Gottes, der Ausdruck des Willens Gottes.
Als ich in die Heimsuchung ging, fand ich die Gute Mutter Marie de Sales Chappuis wie gebadet, überflutet von Gott. Was gab ihr die so enge Verbindung mit dem Heiland? Ihre Treue, sich mit Gott zu vereinen, im gegenwärtigen Augenblick das Direktorium auszuführen. Sie schien den lieben Gott zu tragen, ihr Äußeres spiegelte die Heiligkeit, die Vollkommenheit, die göttliche Salbung wieder. Es schien, dass das in ihr war, durch sie hindurch ging, sie war davon durchdrungen. In diesem Augenblick hatte sie nicht die Heilige Kommunion empfangen, aber sie hatte sich mit dem göttlichen Wort, dem Direktorium verbunden.
Das ist eure Kommunion, meine Kinder, das ist eure besondere Gnade. Was ihr macht, ist von der Kirche genehmigt. Das will Gott von euch, das ist sein ganzer Wille. So teilt sich das Wort euch direkt mit. In der Apokalypse wird euch gesagt: „Der Himmel öffnete sich und ich sah nun das Wort Gottes; seine Kleider strahlten wie die Sonne“ (vgl. Offb 19,11-13). Unser Herr teilt sich euch nicht in dieser Erscheinung mit, es ist dennoch er wie in der Apokalypse des heiligen Johannes. Selbst wenn er persönlich käme, würde er nichts anderes von euch verlangen als das Direktorium von euch verlangt.
Meine Kinder, ich drücke da nicht nur einen frommen Gedanken aus. Die Grundlage eures Lebens, eures Seins muss die ständige Verbindung mit dem Wort Gottes sein. Die heiligen Kirchenväter sagten früher, dass man beim Lesen des heiligen Evangeliums nicht das kleinste Wort auslassen darf, denn man würde sich schuldig machen, wie es der Priester wäre, wenn er ein Teilchen der Hostie fallen ließe. Ebenso dürft ihr von eurem Direktorium nichts vernachlässigen, denn es ist auch für euch das Wort Gottes.
Das ist euer Geist, meine Kinder. Ihr seid in diesen letzten Zeiten geschaffen, um das Priestertum in dem zu ersetzen, was es nicht machen kann. Ihr habt ähnliche Arbeiten, ihr predigt auf eure Art, euer Amt nähert sich dem des Priesters. Ihr kommuniziert nicht so oft, so unmittelbar, denn beim Heiligen Opfer sind der Priester und unser Herr derselbe, aber ihr habt eine Ähnlichkeit, da ihr ständig mit dem Wort, mit dem Willen Gottes in Verbindung tretet.
Merkt euch das gut, meine Kinder, es ist euer Los, das werdet ihr bekommen, wenn ihr euere Exerzitien gut macht. Es ist der Gedanke von Monsignore Mermillod, dass ihr die Hilfskräfte des Klerus seid, und dass ihr dieselbe Stütze habt wie er. Was unterstützt den Priester? Der Altar, die Eucharistie. Euch, meine Kinder, schenkt sich der Heiland, er bietet sich euch nicht nur in der Gestalt von Brot und Wein an, sondern in der Form des Direktoriums.
Und nachdem ihr in diesem Leben so kommuniziert habt, werdet ihr an der kommunion der unauslöschlichen Wonnen teilhaben, an der Kommunion des großen Tages der Ewigkeit, der in alle Ewigkeit dauern wird. Amen.