6. Vortrag: Über den Gehorsam - Fortsetzung
Donnerstag Abend, 11. September 1884
Meine Kinder, heute Vormittag sprach ich zu euch über den Gehorsam und ich sagte euch, dass ihr euch schon heute daran machen müsst, indem ihr eure Seelen bereit haltet, alles zu machen, was man von euch wollen wird. Wenn man euch eine andere Arbeit gibt, euch in ein anderes Haus schickt, kann es vorkommen, dass ihr das hart findet. Nun, ich sage euch: Seid berührt von der Gnade, die euch der liebe Gott gewährt, um gehorchen zu können, um euch unterwerfen zu können. Der liebe Gott macht das Opfer süß. Der Gehorsam hilft sehr stark!
Wie müssen wir ihn verstehen? Eine Nonne sagte: „Der heilige Franz von Assisi lässt uns verhungern, der heilige Ignatius schindet uns, und der heilige Franz von Sales lässt uns zwischen zwei Polstern sterben.“ Das ist der Sinn unseres Gehorsams, meine Kinder. Ihr seid da zwischen euren beiden Polstern und wartet auf den Augenblick, atmen zu können. Ihr seid da, unbeweglich. Ihr leidet unter der Unbeweglichkeit, nicht nach eurer Idee handeln und wollen zu können. Ihr müsst vollkommen gehorchen, ununterbrochen. Ihr sollt nicht das Geringste außerhalb des Gehorsams suchen. Der liebe Gott hilft euch in seinem Erbarmen, denn es ist leichter innezuhalten, wenn man viel zu tun hat. Deshalb wollte der heilige Franz von Sales, der sehr gut, sehr milde war, seine Töchter nicht klausurieren, um ihnen eine gewisse Freiheit zu geben, ein gewisses Handeln draußen und ihnen so bei der Übung des Gehorsams zu helfen.
Seid großmütig. Nehmt die Opfer an, die sich bieten. Man beißt sich wohl ein wenig auf die Lippen, aber man schaut auf den lieben Gott und sagt: „Es ist getan! Wir denken nicht mehr daran.“ Man hatte seine Gedanken hierher gebracht, man bringt sie auf etwas anderes. Man hatte bis jetzt seinen Eifer auf etwas verwendet, man lenkt ihn anderswohin und alles ist gesagt. Man beginnt wieder, sich in einem anderen Haus aufzuopfern und man macht es gern, da nur eines gut für uns ist: für den lieben Gott zu arbeiten. Er ist unser Chef, unser Alles. Ob man uns hierhin oder dorthin stellt, wir werden ihn überall finden, wohin wir auch gehen werden. Als unser Herr seine Jünger zu sich ruft, sagen sie ihm: Herr, wo wohnst du? Kommt und seht, antwortete ihnen der Heiland. Und sie blieben bei ihm (vgl Joh 1,38-39). Als unser Herr sie in Jerusalem wollte, gingen sie hin und fanden ihn. Wenn sie von sich aus auf den Ölberg gegangen wären, hätten sie ihn nicht gefunden, wenn sie von sich aus in den Abendmahlssaal gegangen wären, hätten sie ihn auch nicht getroffen. Sie fanden ihn dort, weil der Heiland ihnen gesagt hat, dass sie dorthin gehen sollen.
Unser Herr ruft euch. Auf ihn müsst ihr schauen. Zu ihm geht ihr, wenn ihr gehorcht. O, wie wünschte ich, meine Kinder, dass ihr in diese Gedanken eindringt. Wie wünschte ich, dass ihr diese Dinge versteht! Unser Herr ruft uns. Wir brauchen nicht zu schauen, wohin er uns führt. „Herr, wo bist du? Wohin werde ich gehen, um dich zu finden?“ „Kommt und seht.“ „Herr, du hast Worte des ewigen Lebens! Wie gut tut es, dem geringsten Zeichen deines Willens, dem kleinsten Wörtchen, das du hören lässt, nachzukommen! Wie gut tut es, alles aus Liebe zu dir zu tun!“
Das soll eine Oblatin tun. Wenn ihr nicht so handelt, ist es sehr sicher, dass ihr unseren Herrn nicht finden werdet. Ihr sucht ihn, wo er nicht ist. Eine Oblatin darf unserem Herrn nicht außerhalb seines göttlichen Willens dienen. Außerhalb des Gehorsams kennt er euch nicht. „Ich kenne euch nicht, da ihr nicht dort seid, wo ich dachte, dass ich euch antreffe.“
Wie macht der Gehorsam unser Herz beweglich, unsere Gesicht milde, ruhig und heiter! Es ist in unserem Blick nur die Einfachheit der Taube, in unserem Herzen nur, was der Geliebte verlangt. Wir wollen und suchen nichts anderes. So werden wir von nun an den Gehorsam verstehen, meine Kinder.
Wir werden sogleich daran denken, wenn wir den Segen empfangen. Wir werden unseren Herrn bitten, zum Geruch seiner Wohlgerüche zu eilen, wir werden ihn bitten, wie die Gemahlin des Hoheliedes zu sein (vgl. Hld 3,1-4): „Ich habe dich gesucht,“ sagt sie, „ich bin durch alle Straßen der Stadt gegangen, durch alle Tore der Stadt, ich ruhte erst aus, als ich dich wiedergefunden hatte.“
Ich werde mich daran erinnern, dass ich jedes Mal, wenn ich in deinem Willen bin, bei dir bin, Herr, dass ich dann die Bevorzugte, die Freundin deines Herzens bin.
Das ist der Ordensgehorsam, meine Kinder, so soll es für euch sein. Amen.