Exerzitienvorträge für die Oblatinnen 1884

      

10. Vortrag: Das Glück der Ordensberufung

Samstag Abend, 13. September 1884

Meine Kinder, wir sind am Ende der Exerzitien angelangt. Ihr habt, wie der heilige Franz von Sales sagte, eure Seelen „gesammelt“. Ihr habt sie zum Heiland gebracht und ihr habt ihm gesagt: „Sie gehören dir für immer.“ In diesem sinn habt ihr alle eure Vorsätze für die Zukunft gefasst. Dazu hat euch auch der liebe Gott auserwählt, um ganz in seinem Dienst zu sein. Sie möge die selige Seele sein, der der Heiland das Zeichen seiner Liebe aufdrückte. Sie kann sehr sicher sein, dass er ihr nicht untreu sein wird, und dass er ihr immer geben wird, was er ihr versprochen hat. Er wird ihr sogar beim zweiten Mal noch sehr viel mehr geben als beim ersten. Das Ordensleben ist das Leben des Paradieses: „Sie werden von Glück zu Glück, von Gnade zu Gnade, von Licht zu Licht gehen bis zum vollen Besitz Gottes.“
Wenn man bei einem Heiligsprechungsprozess besonders das Ende eines Lebens untersucht, so deshalb, weil die letzten Tage von sehr fruchtbaren Gnaden gezeichnet sind. „Sie werden von Ruhm zu Ruhm, von Glückseligkeit zu Glückseligkeit gehen bis zum vollen Besitz Gottes.“
Wenn man in der Welt eine Verpflichtung übernimmt, scheint alles zu lächeln bis auf einen Punkt. Es ist wie ein dämmriger Punkt am Horizont, wie eine kleine Wolke. Was ist das für ein Punkt? Man weiß nichts darüber. Diese kleine Wolke wächst, sie dehnt sich aus, sie trägt ein schreckliches Gewitter in sich. Das ist die kleine Wolke, die man in allen Zuneigungen der Welt findet. Man hat Angst, dennoch bricht sie nicht immer in gleicher Weise los. Im Ordensleben ist es nicht so. Was der liebe Gott vorbereitet ist sicher. Wir sehen am hellen Tag nichts Unbekanntes, keine Überraschung. Wir erkennen die Dornen, die Gefahren, wir können sie meiden. Nichts wird unvermutet kommen. Man wird sich nie sagen: „Wenn ich gewusst hätte!“ Denn wenn man in allem den göttlichen Willen im Vorhinein umfängt, weiß man alles im Vorhinein.
Danken wir also dem lieben Gott, nachdem wir diese guten Exerzitien gemacht haben, denn wir haben sie gut gemacht. Der Hauch, der davon zu mir zurückkam, sagte mir, dass ihr euren Weg verstanden habt, dass ihr ihm folgen wollt. Ich fühlte eure Seelen, die sich bis zu Gott erhoben, um sich ihm für immer zu weihen.
Selig sind die, die hier in dieser Kapelle die Reihe der Seelen beginnen, die kommen werden, um den Heiland um seinen ewigen Segen zu bitten und zu sagen: „Mein Gott, nimm mich an der Hand, ich werde dir überall hin folgen, wohin du gehen wirst. Meine gute Mutter Marie de Sales Chappuis, ich werde zum Geruch deiner Düfte, zum Geruch deiner Tugenden eilen, mein Herz hat sie verstanden, ich komme, um bis dorthin zu gehen, wohin du gegangen bist.“ Das wird hier geschehen. Viele Seelen werden kommen, um diesem Weg zu folgen, der zum Glück der Exerzitien, zum Glück der Ewigkeit führt. Meine Kinder, ihr seid in der Morgenstunde, im Frühling des Werkes, am Anfang einer Ausstrahlung des Geistes der Guten Mutter Marie de Sales Chappuis. Ihr werdet die Erstlingsversuche haben. Die Gnade des Anfangs ist immer besser, die Frucht beginnt mit der Blüte. In der Familie lächelt das kleine Kind seiner Mutter zu. Wenn die Sonne aufgeht, ist es der lieblichste Augenblick des Tages.
Und ihr, meine Kinder, die ihr euch morgen dem lieben Gott weihen werdet, habt Vertrauen und seid dankbar. Morgen wird der große Tag für euch sein. Wir werden euch um euer Glück beneiden, ihr werdet an der Quelle der Gnade sein, aber ihr werdet keine Egoistinnen sein, ihr werdet in Fülle bitten, ihr werdet sagen: „Herr, ich gehöre dir, das genügt mir, aber ich werde die Fülle der Gnaden, die du mir gibst, über die anderen verbreiten.“ Unter dem Leichentuch betet dann gut. Es ist nicht das Leichentuch für euch, sondern das Lebenstuch. Man wird euch sagen: „Erhebt euch, die ihr unter den Toten schlaft“. Das heißt, dass alle Bitterkeit des Lebens nichts mehr für euch ist, sie wird euch nicht erreichen. Dieses Symbol zeigt, dass da eine Trennung zwischen den Nonnen und den Mühen des Lebens ist. Der Tod ist ein riesiges Chaos, jenseits von dem man nichts mehr fühlt.
Eure Gelübde werden euch über alles stellen, das betrübt, denn ihr werdet den lieben Gott bei euch haben. Alle irdischen Leiden werden vorbeigehen, aber die große Wirklichkeit wird immer bestehen, die große Wirklichkeit der Seelen, des ewigen Glücks. Im Himmel wird man sich eines Tages treffen. Viele werde von Tyrus und Sidon, vom Orient und vom Okzident kommen. Aber alle werden einander verstehen, wenn sie sich sehen. Möge diese Hoffnung euer Vertrauen, eure Freude sein. Amen.