7. Vortrag: Über die Armut
Donnerstag Vormittag, 7. September 1882
Meine Kinder, setzen wir unsere Exerzitien in der inneren Sammlung unserer Seele fort, trennen wir uns nicht vom Heiland, damit er jederzeit zu uns spricht. Und ich wiederhole es, wenn sein Wort nicht hörbar ist, wenn wir auf rauen, wasserlosen Wegen gehen, seien wir nicht furchtsam. Der heilige Antonius glaubte in seinen Augenblicken der Angst, der liebe Gott habe sich von ihm entfernt. Und dann fragte er ihn: „Herr, wo warst du?“ – „Antonius, ich war da, bei dir.“ Da verstand er, dass der Herr umso näher bei ihm gewesen war, als er ihn fern glaubte.
Heute Vormittag werde ich euch einige Worte über das Gelübde der Armut sagen. Keiner zweifelt, meine Kinder, dass ihr nicht den Wunsch habt, gute und heilige Nonnen zu sein. Wohlan! Eines der wirksamsten Mittel, uns zu heiligen, ist die Armut. Worin besteht die Armut? Nichts für sich zu haben, nichts zu wünschen. Wir können nicht unsere Güter, unsere Möbel, unser Geld haben. Ein Armer hat nichts, er ist ohne alles. Auch wir müssen allem entledigt sein. Wir müssen es für die materiellen Dinge sein, als ob wir tot wären. Ein Leichnam im Sarg besitzt nichts mehr. Die Nonnen müssen ebenso sein, sie sollen überhaupt nichts besitzen.
Meine Kinder, wenn euch ein Gut von euren Eltern bleibt, dürft ihr es dann verwalten? O nein! Ich kenne ein Ordenshaus, dessen Schwestern sehr reich waren. Die Oberinnen hatten die Schwäche, die dort zusammen lebenden Schwestern ihre Güter selbst verwalten zu lassen. Sie schenkten nach allen Seiten, der Kirche, den Armen. Nun? Dieses Haus wurde auf schreckliche Weise heimgesucht. Gegenwärtig geht es diesem Kloster wieder etwas besser, allerdings dauern die Heimsuchungen immer noch an. Man ist dort unglücklich. Es scheint, dass die Bestrafung Gottes auf dieses Haus fiel. Es kann dort nichts gelingen. Wen Gott sehr liebt, den straft er sehr, so sehr, dass man sich dort nicht mehr halten kann. Man muss das Geschäft aufgeben und streng zur Beobachtung der Ordensregel zurückkehren.
So also, meine Kinder, seid ihr arm. Da ihr nichts habt, könnt ihr nichts verschenken. Ihr könnt euch sogar nichts wünschen. Der Wunsch, etwas zu haben, verhindert das wahre Ordensleben. Das Opfer muss ganz und andauernd sein. Deshalb verbietet die Kirche, in die Ordensgemeinschaften Personen aufzunehmen, die Schulden haben oder sich um ihre Eltern kümmern müssen. Wenn durch unvorhergesehene Umstände eine Schwester sich genötigt sieht, sich mit ihren Eltern zu beschäftigen, soll sie es der Oberin sagen. Vor allem aber soll sie die Treue verdoppeln und in wenigen Tagen der Treue wird sie alles vom lieben Gott für sie erhalten, was sie von ihm will, denn unser Herr wird nicht zulassen, dass die Treue der Nonne ihren Eltern nicht verschafft, was sie brauchen. In diesem Fall muss man sich dem Willen der Oberinnen fügen, und der liebe Gott macht mehr als man sich vorstellen kann. Sonst bleibt die Nonne in einem Zustand der Unsicherheit und der Versuchung an ihrer Berufung, sie ist nicht mehr glücklich. Man soll nicht sagen: „Ich werde dies oder jenes machen, ich werde diese Angelegenheit auf diese oder jene Weise regeln,“ weil man dann Gefahr läuft, in einen schweren Fehler zu verfallen. Die Kirche ist in allem sehr streng, was zur Verfügung der Güter und der Personen neigt.
Wie übt ihr Oblatinnen die Armut? Ihr, meine Kinder, müsst Achtung vor der heiligen Armut haben. Ihr müsst fürchten, irgendwie gegen sie zu fehlen. In diesem Jahr werden wir dafür Maßnahmen ergreifen, denn ich fürchte, dass einige gegen das Gelübde der Armut fehlen, ohne sich dessen bewusst zu werden, in dem sie über einige materielle Dinge verfügen.
Ich glaube also, meine Pflicht zu erfüllen, wenn ich euch aus dem Zustand hole, von nun an gegen euer Gelübde zu fehlen. In jedem Haus werden die Rechnungen der Generaloberin übergeben. Ohne die getreue Übung der Armut ist es einer Nonne unmöglich, ihre Seele zu retten.
Nun ist es unbedingt notwendig, meine Kinder, dass ihr eure Gelübde übt. Man darf nicht selbst verfügen, wie eine Person der Welt handeln oder wie eine Hausfrau walten. Man möge nicht tun, wie man will, dem geben, den man will, sonst würde man es wie eine Besitzerin machen, was völlig verboten ist. Also, meine Kinder, werden wir euch in die Lage versetzen, eure Gelübde gut zu üben, damit ihr am letzten Tag dem lieben Gott sagen könnt: „Herr, das sind die Gelübde, die ich dir versprochen habe. Ich bin nicht abtrünnig geworden. Ich habe zwar einige Fehler gemacht bei der Übung der Armut, aber sie gehören nicht zum Wesen des Versprechens, das ich dir gegeben habe.“
Ich wiederhole es euch, meine Kinder, verfügt über nichts, weder über eure Nahrung noch über eure Bekleidung. Man muss in allem vom Gehorsam abhängen. Wenn ihr anders handelt, übt ihr nicht das Gelübde der Armut. „Aber“, sagt ihr, „sind die Oberin und die Ökonomin Herrinnen?“ O! Aber nein, sie sind noch weniger Herrinnen als ihr. Die Satzung ist da. Ihr Amt ist viel schwerer als eures. Gott ist der Herr, und die Oberinnen müssen das Gelübde der Armut noch strenger einhalten. Das Urteil des lieben Gottes wird für die Oberinnen viel strenger sein. Es gibt ein sehr strenges Urteil für die, welche die anderen führen. Man liest in der Heiligen Schrift: „Der Geringe erfährt Nachsicht und Erbarmen, /
doch die Mächtigen werden gerichtet mit Macht“ (Weish 6,6).
Meine Kinder, das sind die großen Linien der Armut. Wenn man irgendwelche kleinen Dinge behält, so soll das mit Erlaubnis sein. Denn, wenn man das Geringste ohne Erlaubnis für seinen Gebrauch behält, fehlt man gegen die Tugend der Armut. Um ihr treu zu sein, seid sehr einfach und nicht verschlagen, denn die Verschlagenen haben keinen Erfolg. Ich habe zahlreiche Beispiele von Nonnen, die für besitzlos gehalten werden, und sie haben kleine, geheime Dinge zurückbehalten, die einfach kleine Nester für den Teufel sind. Der Teufel wird dort einziehen. Und da es die große Arbeit des Teufels ist, uns zu versuchen, sind diese Nonnen gestört. Sie wissen nicht, wie es um sie steht. Sie wissen nicht mehr, wohin sie gehen. Es scheint ihnen dennoch, dass sie nicht ganz in einem schlechten Zustand sind, aber sie sehen nicht klar, weil ihnen der Teufel den Blick verdunkelt.
Ich wiederhole es euch, meine Kinder, habt nichts im Geheimen. Ich sehe immer, dass die großen Seelen die Armut hegen. Die heilige Johanna Franziska von Chantal, die Gute Mutter Marie de Sales Chappuis liebten die Armut. Ich war in der Heimsuchung sehr betroffen, als ich die Armut der Mutter Paul-Séraphine Laurent sah: die ärmlichsten Kleider, die abgenutzteste Wäsche, das suchte sie.
Was geschieht, wenn man so der Übung der Armut treu ist? Der liebe Gott geht bei uns spazieren wie im irdischen Paradies. Die Engel kommen die Gemeinschaft besuchen, wie sie Abraham unter der Eiche von Mamre besuchten, während man aber nicht liest, dass der Herr und die Engel Salomo in seinem Palast besuchten. Nichts bringt vom lieben Gott mehr als die Armut. Welche Ordensgemeinschaften sind die glücklichsten, die fröhlichsten? Es sind die ärmsten. Der liebe Gott verbindet einen ganz besonderen Segen schon auf dieser Welt mit der Armut.
Eine Schwester der Heimsuchung, Schwester Marie-Louise, deren Vater Präsident bei Hof war, übte extrem die Armut. Sie trieb es sogar ein wenig zu weit. Daher sage ich euch nicht, ihr sollt es machen wie sie, diese Dinge sind eher zu bewundern als nachzuahmen, und man könnte sie nicht üben ohne besondere Erlaubnis. Aber so sehr verlieben sich die heiligen Seelen in die Armut.
Wenn man in Gemeinschaft ist, sagt der heilige Franz von Sales, müssen wir essen, was man uns vorsetzt. Als unsere Kleidung nehmen wir ebenfalls an, was man uns gibt. Wenn uns das etwas kostet, bieten wir es dem lieben Gott an, und wir werden schöne, sehr schöne Armut leben.
Durch die Armut, meine Kinder, werden wir die Gabe der Betrachtung, die Gabe der Gottesliebe erhalten. Das Himmelreich gleich einem wertvollen Stein. Um ihn zu erwerben, muss man alles verkaufen, an dem man besonders hängt: seine Annehmlichkeiten, seine Vorlieben, alle diese kleinen Einrichtungsgegenstände, an denen man so hängt. Die Gaben Gottes hängen an der Armut.
Ich will euch keine Vorwürfe machen, aber es ist fünfzig Mal leichter, die Armut bei den Männern als bei den Frauen durchzusetzen, weil der Mann nicht so viele Kleinigkeiten braucht. Doch da ich viele heilige Frauen die Armut üben sah, glaube ich, dass auch ihr es gut könnt. Unsere Gute Mutter Marie de Sales Chappuis liebte die Armut so sehr!
Meine Kinder, wir werden unseren Herrn bitten, diese Tugend wie er zu üben. Würdet ihr nach Loretto gehen, würdet ihr sehen, wie arm es ist. Es gibt noch einige Gegenstände, der kleine Teller, aus dem das heilige Jesuskind aß, all das ist von einer köstlichen Armut. Wenn wir den guten Meister sehr lieben, werden wir die schöne Armut gerne üben.
Ich habe Lust, auf diesen Punkt noch ein wenig einzugehen. Ich weiß wohl, meine Kinder, was nötig ist, damit die Dinge schicklich sind. So werdet ihr nicht ein Stück Stoff auf eurem Schleier befestigen und euch auf eurem Kopf auch keinen gelben Schleier setzen. Man muss angemessen gekleidet sein. Man wirft uns vor, dass euer Kleid zu elegant ist. Der Kardinal von Paris, Mgr. Guibert, hat es nicht so beurteilt. Er hat es als sehr fromm beurteilt. Wir bekamen auch die Genehmigung von Mgr. Mermillod. Schließlich genehmigte es die Gute Mutter Marie de Sales Chappuis, so wie es ist. Wenn man euch diese Tracht gab, so deshalb, weil die Oblatinnen Oblatinnen sind, und da sie dazu bestimmt sind, unter die Mädchen zu gehen, sollen sie eine Tracht haben, die nicht das strenge oder sonderbare Aussehen vieler Ordenstrachten haben.
Wir müssen, meine Kinder, eine große Sorgfalt für unsere Sachen haben. Wir sind arm, wir haben nicht die Mittel, etwas anderes zu kaufen. Aber es gibt welche unter euch, die die Armut nicht ganz so verstehen. Diejenigen, welche ich meine, geben nicht mehr aus als die anderen, sie pflegen ihre Sachen vielleicht besser als alle anderen, aber sie haben einen Winkel in ihrem Geist, der noch nicht verstanden hat. Sie haben keine Liebe zur Armut. Sie haben nicht die Armut des Herzens. Sie müssen den lieben Gott darum bitten. Sie müssen kommen, um unserer Mutter Generaloberin und mir zu sagen: „Jetzt habe ich verstanden.“ Ich wende mich an die, die einen kleinen Winkel in ihrem Gehirn haben, der die Armut nicht ganz zulässt. Wenn es ihnen möglich wäre, nicht arm zu sein, würden sie sich sofort von ihr befreien.
Das sind einige allgemeine Überlegungen über das Gelübde der Armut. Ich denke, wenn diese Bemerkungen nicht alle von euch betreffen, hat dennoch eine jede von euch ihren Teil in dem gefunden, das ich soeben sagte.
Meine Kinder, zieht den Heiland in euch, um euch, zu euch, durch eure große Liebe zur Armut. Sagt ihm oft: „O armer Jesus, wie liebe ich dich, möge ich arm sein wie du!“ Amen.