3. Vortrag: Über die geistliche Sammlung
Dienstag Vormittag, 5. September 1882
Meine Kinder, gestern lenkte ich eure Aufmerksamkeit auf sehr wichtige Punkte, um euch zu zeigen, wie notwendig die Exerzitien für euch sind. Angesichts eurer großen Verpflichtungen, angesichts auch der Verfehlungen, die wir während des Jahres machten, empfinden wir natürlich das Bedürfnis, uns zu sammeln, diese Verfehlungen zu suchen, diese Verpflichtungen mit dem lieben Gott zusammen zu ergründen. Die Exerzitien werden uns zu diesem Zweck geschenkt.
Heute, meine Kinder, führt eure Seelen zum Heiland zurück. Er sagt auch zu euch wie damals zu seinen Jüngern: „Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus“ (Mk 6,31). Das Jahr war ermüdend, ihr habt Heimsuchungen erduldet, ihr habt Versuchungen gespürt. Alle diese Erschütterungen, die die Seele ermüden, fordern etwas Zeit der Ruhe und des Friedens. Wohlan, meine Kinder, der liebe Gott bietet euch diese Zeit an. Nützt sie gut! Macht es wie die Kinder, dreht euch um den Heiland, sucht ihn zu sehen, unterhaltet euch mit ihm, damit ihr wohl wisst, was er für euch ist, was ihr vor ihm seid. Habt keine Angst, fürchtet euch nicht. Sein Gespräch hat nichts Betrübliches oder Erschreckendes, denn seine Unterhaltung ist sanft und mild. Kommt alle zu ihm: Venite adoremus – Kommt, lasset uns anbeten.
Meine Kinder, es sei eure heutige Beschäftigung, den Heiland zu suchen. Wie werdet ihr es machen? Es ist nicht schwer. Jedes Mal, wenn man den Gedanken hat, ihn zu lieben, ihm zu gefallen, jedes Mal, wenn man ihn bittet, wenn man ihn fragt: „Herr, wo bist du?“, jedes Mal wird er antworten: „Hier bin ich.“ Machen wir das heute, suchen wir den Heiland in der Einsamkeit unseres Herzens. Sagen wir ihm: „Herr, wer wird mich bei dir sein lassen? O, wie ist es gut, bei dir zu sein! Ich will den Tabernakel meiner Seele dorthin stellen.“
Meine Kinder, um eurer Frömmigkeit, eurer Erbauung zu helfen, kommt zum Heiland, macht euren Besuch beim Allerheiligsten Sakrament gut, kommt gerne, um ihn anzubeten. Er ist da für euch, er ist euer Gott. Im Himmel verkündet er seinen Ruhm dem ganzen Hof der Erwählten. Aber da im Tabernakel, in der kleinen Zelle, die er sich auswählte, wohnt er für euch. Er ist fort für euch allein, um euch zu unterstützen, zu erleuchten, zu ermutigen. Drängt eure Seelen um den Heiland in der Heiligsten Eucharistie. Die Liebe ließ ihn den Himmel verlassen, um auf die Erde zu kommen. Die Liebe hält ihn gefangen. Meine Kinder, kommt, umgebt ihn. Damit heute ein Tag der geistlichen Sammlung ist, ein Tag, an dem ihr eure Seelen beruhigt, wie unser seliger Vater [Franz von Sales] sagt, damit der Friede in uns einkehrt, und damit ihr, wenn ihr den Frieden habt, das göttliche Licht seht.
Mögen alle eure Übungen mit großer geistlicher Sammlung gemacht werden, damit ihr bei der Betrachtung, bei der Heiligen Messe, beim Stundengebet und im Refektorium vom Heiland besucht werdet. Unser Herr ist sehr gut im Refektorium, die wahren Nonnen finden ihn dort immer. Man begegnet ihm auch in der Einsamkeit, in der täglichen Arbeit, man fühlt ihn, man sieht ihn. Der heilige Franz von Sales empfiehlt, dass man jeden zweiten Tag seinen Geist beruhigt, um mit dem Heiland allein zu sein, damit nichts zwischen uns und ihm ist, damit wir wegen unserer Fehler keine Angst haben, sondern damit wir den Vorsatz fassen, ihn zu lieben, ihm von nun an zu gehorchen. Was unser Herr sagt, tut unserer Seele so gut, ist für unser Herz so süß!
Ihr werdet ihn in allen euren Übungen finden, im Stundengebet, in der Betrachtung, im Refektorium. Ihr werdet ihn während der Stille finden, in Betanien oder in dem kleinen Haus von Nazaret. Mache es so, meine Kinder. Das werdet ihr heute üben, es wird eine große geistliche Sammlung sein, eine wahre Einsamkeit beim Heiland. Sucht nicht wieder eure Fehler, euer Elend, kommt allein! O, kommt zu ihm! Wie gut ist es in der Gesellschaft des Heilands. Die Exerzitien sind gelungen, wenn sie in uns die geistliche Sammlung bewirken und das Vertrauen und den Geist der Hingabe hervorbringen.
Ich werde heute Vormittag nicht mehr darüber sagen, meine Kinder, weil ich das Wort dem Heiland überlassen will. Wendet euch nicht nach rechts und nach links, geht geradewegs zu ihm. Bei ihm und mit ihm müsst ihr die Exerzitien machen. So machten es die ersten Mütter der Heimsuchung. Und wenn ihr heiliger Gründer [Franz von Sales] sie abends besuchen kam, sagten sie ihm: „Wir haben ihn gefunden, das hat er uns gesagt, so fühlen wir ihn, so sehen wir ihn.“
Welch schöner Tag ist dieser zweite Tag! Welch Tag der Liebe, welch Tag des Glücks! Wir sind wie die Heiligen und die Engel im Himmel. Gehen wir mit unserer ganzen Seele in diese geistliche Sammlung, und der Heiland wird uns verstehen lassen, wie gut es ist, bei ihm zu sein. Er wird uns das Bedürfnis fühlen lassen, oft dahin zurückzukehren und immer dort zu bleiben. Amen.