7. Vortrag: Über die Armut
Donnerstag, 1. September 1881
Meine Kinder, achten wir auf unsere innere Sammlung. Die Exerzitien wirken vor allem durch die Stille unserer Seele, die Stille all unseres Tuns. Es ist eine Atmosphäre, die unser ganzes Sein umhüllt und durchdringt. Harren wir bei unserem Herrn aus. Ohne ihn haben wir weder das Leben noch die Freiheit, haben wir nichts. Die Einheit mit ihm ist die Grundlage unserer Exerzitien. Wie ich euch in den vorherigen Vorträgen sagte, muss unser Herr das Vorbild unseres Gehorsams sein. Wenn wir Versuchungen, Schwierigkeiten haben, machen wir es, wie es uns das Direktorium sagt. Betrachten wir unseren Herrn bei der Übung seiner Tugenden und wir werden sehr getröstet sein, uns wird sehr geholfen werden.
Wie müssen heute über das Gelübde der Armut sprechen. Meine Kinder, seid ihr wirklich arm? Übt ihr die Armut der Heiligen, die Armut des heiligen Franz von Sales, die Armut des Heilands? Die Armut unseres Herrn ist so wunderbar! Er ist arm in der Krippe; nichts ist elender als diese Krippe, in der man den Schafen das Futter gab, wenn man sie vor starkem Wind beschützen wollte. Hier ist der Palast des Königs des Himmels, hier sind seine Reichtümer. Der heilige Franz von Assisi sagte, dass unser Herr in seinen Entbehrungen so vollkommen war, dass er zu ihm mit folgenden Worten betete, wenn er eine Gunst erhalten wollte: „Herr, ich beschwöre dich bei deiner Armut!“ Durch sie wirkte er so viele Wunder. Der heilige Franz von Assisi war ein so großer Freund Gottes, dass ihm die Wundmale gewährt wurden; und warum? Wegen seiner Armut und seiner Liebe zum gekreuzigten Jesus. Man wird demnächst den seligen Benedikt-Joseph Labre (1748-1783; Gedenktag: 16. April) heilig sprechen. Wie wurde er heilig? Weil er die Armut im höchsten Grade übte.
Die Armut ist in den Augen Gottes so schön! Der heilige Franz von Assisi sagt uns, als unser Herr kam, um auf Erden eine Gemahlin zu suchen, wählte er die schönste, die seine Augen am meisten anzog, und das war die Armut. Daher war der Heiland arm bei seiner Geburt, arm in seinem Haus, arm in seinem Leben, arm in seinem Tod, arm in seinem Grab, da man ihn in einem geliehenen Grab beisetzte. O, wie ist sie schön, wie ist sie schön die Tugend der Armut! Sie entzückt Gottes Herz. Sie bewirkt Großes, sie ist die Macht des Ordenslebens.
Üben wir die Armut, meine Kinder? Wir werden gemeinsam nachsehen.
Wie sollen die Oblatinnen die Armut üben? Wie die Töchter des heiligen Franz von Assisi, der barfuß gehen, hart liegen und ihr Brot erbetteln? Nein. Unsere äußerlichen Werke gestatten es nicht. Diese großen Abtötungen sind für die Nonnen, die nicht direkt mit dem Nächsten zu tun haben. Wie also werden wir die Armut üben? Hört gut zu!
Die Armut besteht ohne Zweifel darin, an nichts zu hängen. Aber es gibt eine wesentliche Art, die Armut gut zu üben. Was wir gebrauchen, gehört uns nicht, es ist das Gut der Gemeinschaft. Aber um wirklich arm zu sein, müssen wir dieses Gut achten, sorgfältig damit umgehen. Die Armut ist für uns die, welche der heilige Franz von Sales empfiehlt. Er will zunächst, dass unsere Kleidung, alle Gebrauchsgegenstände, unsere Zellen ordentlich und sauber sind. Die Sauberkeit, die darin besteht, alles, was wir verwenden und gebrauchen, sorgfältigst zu erhalten. Der heilige Franz von Sales sagt, dass unser Herr ärmlich, aber sauber gekleidet war. Der Heiland liebt die Armut, aber nicht die Unsauberkeit. Es gibt keine religiöse Armut, die sich mit Schlamperei verträgt. Sonst gäbe es nur die Einschränkung, nur das sich zu irgendetwas zwingen, es wäre der Sieg der Lässigkeit und Faulheit. Man würde nichts mehr pflegen, das uns umgibt, das wäre eine abstoßende Nachlässigkeit.
Es ist also, meine Kinder, die Sauberkeit die wesentliche Eigenschaft der Armut. Der heilige Franz von Sales war sehr arm, aber sehr gepflegt. Man bewahrte in La Roche seine Wohnung mit den Möbeln auf, wie sie zu seinen Lebzeiten waren. Man bemerkt dort eine vollkommene Ordnung, eine erlesene Einfachheit, alles ist dort in einer wunderbaren Armut. Armut gibt es nicht ohne Ordnung, ohne Sorgfalt. Macht sie euch zur Pflicht, zur wesentlichen Tugend, um euer Gelübde zu erfüllen.
Die Armut in der Nahrung. Eure Nahrung soll einfach sein. Und ihr wisst es, ihr sollt keine Mahlzeit einnehmen, ohne euch abzutöten. Wenn die Suppe nicht gut ist, ist eure Abtötung gemacht. Wenn alles nach eurem Geschmack ist, macht dennoch eine kleine Abtötung. Ihr werdet immer das Mittel dazu finden. Und wenn etwas nicht nach eurem Geschmack ist, esst es dennoch, macht diese Abtötung. So liebte ich die Übung der Armut in der Nahrung für mich wie für euch. Gewöhnen wir uns ein einfaches Essen an, nichts, das schmeichelt, nichts Ausgesuchtes. Ich spreche nicht von den Kranken, aber selig sind die, die sich mit einfachen Speisen zufrieden geben können. Also die Armut in unseren Speisen, die Armut in unseren Möbeln, in unserer Kleidung, die Abtötung in unserem ganzen Handeln. Haben wir immer etwas, das uns stört, etwas, das der Teil des lieben Gottes ist. Vergessen wir das nicht.
Nun etwas sehr Schweres, sehr Ernstes für die Oberinnen, die Ökonominnen, für die, die mit den Ausgaben befasst sind. Nichts ist so bedauernswert wie das, was im Ordensleben nach Luxus riecht. Es soll also alles arm sein. Wenn man etwas kauft, soll es sehr einfach und bescheiden sein. Man kann allerdings auch nicht mehr aus hölzernen Gedecken essen wir zur Zeit des heiligen Dominikus.
Die heilige Johanna Franziska von Chantal wollte nicht, dass im Haus, bei den Möbeln etwas nach Reichtum riecht, außer in der Kirche. Und sie sagte, wenn im Kloster ein zu schönes Möbel steht, muss man es verkaufen, damit nichts nach Reichtum riecht. Jedes Mal, wenn ich die Heimsuchung betrat, war ich sehr berührt von der Armut und der Sauberkeit, die dort herrschten. Alle meine Heiligen übten dort völlig die Armut. Die guten alten Schwestern übten diese Tugend hervorragend mit Liebe.
Seid also sehr glücklich, meine Kinder, die Armut zu halten. Liebt das Arme, das macht euch unserem Herrn ähnlich. Die Sachen, die er verwendete, waren arm. Und da wir mitten in der Welt leben, müssen wir beim Umgang mit Geld sehr wachsam sein.
Ich fasse zusammen: Die Sauberkeit ist die erste Eigenschaft der Armut. Die arme Frau achtet auf ihre Kleider und behält sie, denn wie sollte sie sie ersetzen? Armut in der Nahrung, aber nicht wie die der Armen von heute, denn sie essen wie die Reichen, daher spricht man nicht von den Armen, sondern von den Unglücklichen. In dem Maße wie die Armen in der Welt weniger werden, und da unser Herr die Armen sehr liebt, muss er sie in den Ordensgemeinschaften und vor allem bei uns finden. Bemühen wir uns, dass er uns findet. Seine Freunde, die Apostel, waren arme Fischer aus Galiläa. Sie besaßen nur ihr Boot und ihre Netze. Mit ihnen verbrachte unser Herr die letzten drei Jahres seines Lebens. Sie waren arm, aber nicht unglücklich. Es muss also der Heiland Arme unter uns finden.
Die Armut! Welches Siegel drückt sie der Seele auf! Sie bekleidet uns mit unserem Herrn. Sie ist das Kleid, das ihn bedeckte, mit dem er in der Welt erschien. Sie ist das Kleid seiner Zuneigung, seine Wahl, seiner Bevorzugung. Lieben wir die heilige Armut, damit wir ihr Siegel tragen. „Selig die Armen, selig die, die leiden, selig die, denen etwas fehlt, selig die nichts haben!“ Ich machte diese Bemerkung in der geistlichen Begleitung der guten Mutter Marie de Sales Chappuis. Sie hatte Geschmack für das Schöne. Wenn man ihr etwas zur Auswahl für das Haus brachte, war ihre erste Reaktion: „Das ist schöner“. Aber sie nahm das Einfachere. Für alles werden wir es so machen, meine Kinder, um unserem Herrn zu gefallen, um würdig zu sein, mit ihm zu leben und ihm zu gehören. Die Armut macht uns würdig, Mitbewohner seines Hauses zu sein.
Eines Tages fragte eine Nonne die heilige Teresa von Avila, was unserem Herrn am meisten gefalle. Die Heilige antwortete: „Die Armut.“ Die Nonne sagte ihr: „Meine Mutter, wir sind sehr arm, da wir keine Schuhe haben und unser Kleid sehr hässlich ist.“ „Aber“, sagte die heilige Teresa, „ist auch Euer Geist arm?“ „Nein“, antwortete die Mitschwester, „weil ich mir manchmal Sachen wünsche, die wir nicht haben dürfen.“
Die Armut ist der Schein der Ähnlichkeit mit unserem Herrn. Wenn wir diese Tugend lieben, lieben wir, was der Heiland bevorzugt. Man erkennt das durch die Wertschätzung, die man ihm zollt. Lieben wir also die Armut, da unser Herr sie geliebt und gesucht hat.
Wir betrachten heute dieses Gelübde, und wenn wir uns unsere Gedanken dazu machen, werden wir die Mittel ergreifen, es auch zu üben. Gehen wir zu Jesus in seinem Allerheiligsten Sakrament der Liebe. Seine Armut und seine Aufgaben sind dort so groß, dass er uns da genau zeigt, was er ist.
O Jesus, wir lieben dich. Wir werden mit dir arm sein. Mach, dass wir nicht die Augen voller Wünsche haben, mach, dass wir die Armut lieben. O Jesus! Bewahre unseren Körper, unsere Seele, unsere Augen, unseren Geist unter dem Mantel deiner Armut. Amen.