Exerzitienvorträge für die Oblatinnen 1879

      

7. Vortrag: Über das gute Beispiel, das die Professschwestern geben sollen

Donnerstag Vormittag, 28. August 1879

Meine Kinder, ich bin überzeugt, dass die Vorträge, die ich euch halte, ein wenig streng sind. Und dennoch ist es nicht meine Absicht, sie zu mildern. Der Vortrag von heute Vormittag wird euch beweisen, dass ich zu euch spreche, ohne die Wahrheit zu verschleiern. Würde ich zu den Novizinnen sprechen, würde ich ihnen Ermutigenderes sagen, weil sie noch Kinder im Ordensleben sind. Aber die schon großen Personen, die ein arbeitsreiches Leben führen müssen, brauchen eine stärkere und inhaltsreichere Nahrung. Heute will ich euch also sagen, dass die Professen den Postulantinnen, den Novizinnen und allen Personen, denen sie begegnen, das gute Beispiel schulden. Es muss ihr gutes Beispiel wie der Weihrauch sein, der im Weihrauchbecken brennt und seinen milden Duft nach allen Seiten hin verbreitet. Man darf ihr Leben nicht in den kleinsten Einzelheiten sehen können, ohne davon erbaut zu sein.
Das ist eine sehr strenge Verpflichtung, meine Kinder, den Postulantinnen und den Novizinnen ein gutes Beispiel zu geben. Man denkt nicht genug daran. Und dennoch haben sie ein Recht auf dieses gute Beispiel. Sie kommen hierher, um wirksamere Mittel des Heils zu finden, um hier einen sichereren Unterstand zu finden, sich zu heiligen. Was verschafft ihnen dieses Mittel, um sich zu erbauen und zu heiligen? Was zieht sie zum lieben Gott? Nicht das Mauerwerk und das Dach gewähren ihnen Schutz, nicht die Gesamtheit dessen, was sie umgibt, es ist das Beispiel der älteren Mitschwestern, das Beispiel der Professschwestern.
Was ist das Ordensleben? Es ist das Leben, das von den Professschwestern eingehalten werden muss. Die Postulantinnen und die Novizinnen können es nicht gut verstehen, sich eine richtige Idee darüber machen, wenn sie dieses nicht von den älteren Mitschwestern ausgeführt sehen, was man sie im Noviziat lehrt. Wie soll eine Postulantin, eine Novizin werden, was sie sein soll, wenn sie nur schlechte Vorbilder vor Augen hat? Die Frage ist äußerst ernst. Das Ordensleben ist etwas, das man nicht auf die leichte Schulter nehmen kann.
Die Professschwestern müssen ein Beispiel nicht nur für die Übung der Ordenstugenden geben, sondern auch für den guten Ablauf im Haus. Sie müssen auf der Höhe ihrer Berufung sein. Das ist eine sehr schwere Verpflichtung, über die jede beim Gottesgericht ein sehr strenges Urteil erdulden wird. Ihr müsst durch das Beispiel ermutigen. Ihr macht es nicht. Ihr verletzt die Seelen, ihr haltet sie auf in ihrer persönlichen Heiligung und in dem Guten, das sie hätten wirken sollen. Diejenigen, die vor Gott sehr erhöht werden sollte, wird in ihrer Feder zusammengedrückt werden durch den schlechten Einfluss, den ihr auf sie ausgeübt haben werdet.
Meine Kinder, ihr denkt, dass ich zu streng bin? Ich sage euch tatsächlich Dinge, die ich euch ehedem nicht sagte, weil damals die Versammlung nicht nur aus Professschwestern bestand. Aber jetzt ist es meine Pflicht euch zu sagen, dass ihr die Zukunft der Ordensgemeinschaft in Händen habt. Wenn die Kongregation anstatt ein großer Baum zu werden, in dem die Vögel Schutz suchen, nur ein fruchtloser Wildling ist, ist es euer Fehler und nicht der des lieben Gottes.
Ihr wisst, was der liebe Gott für euch schon gemacht hat. Mgr. Mermillod und Mgr. Ravinet sagten, als sie von der Kongregation sprachen: „Dieses kleine Senfkorn wird ein Baum werden, der tiefe Wurzeln hat und seine Zweige weithin ausstrecken wird.“
Meine Kinder, wie werden diese Versprechen Wirklichkeit werden? Wer hat von Gott die Aufgabe erhalten, an der Entwicklung seines Werkes zu arbeiten? Das sind nicht die Fremden, die in der Welt leben und euch nicht kennen. Ihr seid damit betraut. Aber wie werdet ihr es machen, wenn ihr nicht gut erbaulich seid für die, die euch umgeben? Ihr seht schon jetzt, was eure Verpflichtungen sind. Ihr sollt kein Beispiel geben für die Gleichgültigkeit, den Ungehorsam, das Getratsche, das Geschwätz, von dieser unmöglichen Art des Ordenslebens, die man den Frauen der Markthalle überlassen muss. Ihr müsst ein gutes Beispiel geben, in dem ihr eure Leidenschaften, euer Verlangen zu sprechen, eure Neigungen abtötet, die, ließet ihr euch darin gehen, einen bedauernswerten Einfluss auf die Seelen hätten. Dieses gute Beispiel ist nicht nur nützlich, sondern äußerst notwendig. Denn, wenn das Erbarmen des liebe Gottes für die Sünder unendlich ist, ist es sehr kurz für die Ordensseele, die kein gutes Beispiel gibt. Dieses Gesetz verpflichtet euch noch mehr als andere, weil ihr beginnt und euer schlechter Einfluss der ganzen Kongregation schaden würde, in dem sie den Hauch des Heiligen Geistes schon am Anfang auslöscht. Hütet euch, den Geist Gottes auszulöschen, sagt der heilige Paulus (1 Thess 5,19). Und ich werde hinzufügen: vor allem, wenn er beginnt, sein Handeln fühlbar zu machen. Dieses Wort „nolite“ (hütet euch) ist ein starker Ausdruck in der heiligen Schrift: „Hütet euch wohl. Wenn ihr es macht, werdet ihr euch alle Bestrafungen zuziehen.“ Deshalb müsst ihr viel für die beten, die zur Profess zugelassen werden. Die Profess ist etwas sehr Ernstes. Sie ist äußerst schwer und vor ihr muss man innehalten und nachdenken.
Ihr müsst also das gute Beispiel geben, dass ihr darauf achtet, durch unachtsame oder sogar gleichgültige Gespräche nicht erbaulich zu sein. Eine Nonne darf nicht derartig führen. Sie soll überall in Einheit mit dem lieben Gott sein, sonst ist sie etwas Unbezeichenbares. Denkt daran, meine Kinder. Ich weiß wohl, dass ich euch bis jetzt keine so strengen Wahrheiten gesagt habe, aber die Zeit ist gekommen, euch eure Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten erkennen zu lassen. Ihr müsst wachsen in eurer Berufung, in der Achtung für den Gehorsam, in dem Wunsch euch zu heiligen. Es muss sich die Postulantin, die mit euch arbeitet, sagen können, wenn sie euch anschaut: „So soll ich sein.“ Alle werdet ihr für die geistige Zukunft der Postulantinnen und der Novizinnen verantwortlich sein, ihr alle werdet euch für ihre Heiligung verantworten müssen. Wenn ihr kein gutes Beispiel gebt, werden sie es sicher bemerken, es die Mädchen der Werke, sogar die weniger Gebildeten bemerken. Es haben mir einige gesagt: „Jene Schwester ist nicht fromm.“ Und dennoch hatte diese Schwester nichts gemacht, das schlecht erbaulich war. Aber die Mädchen fühlen wohl, wenn nichts im Herzen ist. Wenn ihr eine Nonne aus Stroh seid, seid ihr nichts, selbst wenn ihr ein gutes Äußeres hättet. Hört die Glocke, die jetzt läutet. Sie gibt einen Ton von sich, weil es Metal ist, aber wenn es eine Glocke aus Holz wäre, würdet ihr nur ein dumpfes Geräusch hören. Ebenso gibt die Nonne nur den Ton, den sie wiedergeben soll, nur die gute Erbauung erzeugt, die man sich von ihr erwartet, wenn sie innerlich etwas Gutes hat. Ihr werdet mir sagen: „Mein Vater, wir wussten das nicht, als wir unsere Gelübde machten.“ Und ich werde euch antworten: Wenn ihr es nicht wusstet, fühltet ihr es. Wenn ihr es nicht mit dem Ohr des Körpers hörtet, hörtet ihr es mit dem Ohr des Herzens. Also innerliche und äußerliche Erbauung für die Postulantinnen und die Novizinnen. Ich werde darauf zurückkommen, und ich werde noch ausführlich darüber sprechen.
Betrachtet jetzt, wie ungerecht man zu den armen Novizinnen ist, die kommen, um ihre Seelenruhe zu finden, die um Zuflucht kommen, wo sie glauben, den inneren Frieden zu finden, das übernatürliche Brot, das sie brauchen, diese Teil der Wahl des Lebens des Direktoriums, das macht, dass man Gnaden und Licht in Fülle hat. Zu wem sollen sie kommen, um um all das zu bitten, wenn nicht zu euch? Wohnt nicht ihr in diesem Haus, die dieses Brot geben und verteilen sollen? Und wenn ihr es ihnen nicht gebt, wie wollt ihr verhindern, dass sie verhungern? Hört ihr sie nicht sagen: „Wir folgen ihnen schon lange, und wir haben kein Brot!“ Seht, was unser Herr macht (vgl. Joh 6,1-15). Fünf Tausend Personen folgen ihm in die Wüste, um seine Worte zu hören, ohne sich um ihre Nahrung zu kümmern. Der Heiland sagt zu seinen Aposteln: „Habt ihr Brot?“ Hört das wohl. Unser Herr könnte gut durch seine Allmacht sagen: „Hier sind fünf Tausend Personen, die mir folgen, ich werde ihnen das Brot geben, das sie brauchen.“ Nein, er sagt zu seinen Jüngern: „Habt ihr etwas, um dieses Volk zu ernähren?“ Als ob er ihnen sagte: „Nicht ich muss sie ernähren. Was habt ihr denen zu geben, die mir folgen wollen?“ Seine Jünger antworten ihm: „Wir haben fünf Brote und zwei Fische.“ Aber versteht wohl denn Sinn dieser Worte. Unser Herr wird nicht sonst woher Brot holen. Er segnet und vermehrt die, welche ihm seine Jünger darbieten. Er nimmt sie Philippus aus der Hand, gibt allen davon und lässt die Rese in Körben einsammeln. Unser Herr gibt nicht immer direkt den Seelen. Wenn ihr, die Ersten, das Brot des guten Beispiels bringt, wir er es in euren Händen fruchtbar machen. Er wird es austeilen, wenn ihr es gebracht haben werdet.
Meine Kinder, erinnert euch an den Bericht des Evangeliums. Die Postulantinnen und die Novizinnen werden nur wahre Nonnen sein, wenn sie hier finden, wovon sie es werden. Die Jünger hätten sagen können: „Herr, du bist allmächtig, warum lässt du nicht das Manna fallen, warum erschaffst du nicht Brote?“ Nein. Der Heiland fragt seine Jünger, was notwendig sei, um die Menge zu ernähren, wie er die Gemeinschaft fragt, selbst den Ordensseelen zu geben, was sie brauchen. Meine Kinder, was ich euch da sage, ist sehr ernst, aber wenn ihr nicht fühltet, was das Leben der Oblatin ist, währet ihr nicht erschreckt, sondern mutig. Der liebe Gott will nicht durch sich selbst handeln, sondern durch uns. Seid also sehr treu und sehr großmütig, damit ihr viel geben und viel Gutes tun könnt, wie unser Herr es von euch verlangt.
O meine Kinder, bittet ihn, er möge euch wohl verstehen lassen, was das Ordensleben, das Leben der Einheit mit dem lieben Gott ist, was er will, dass wir mit ihm sind und dann werdet ihr ihm sagen: „O Herr, wenn du mich nach Brot fragen wirst, werde ich von diesem wesentlichen Brot des guten Beispiels haben. Lass mich, Herr Jesus, ganz der Aufgabe gerecht werden, die du mir anvertraut hast. Ich will zu den treuen Jüngerinnen gehören, zu denen du sagtest: Habt ihr etwas, das man ihnen geben kann?“ Amen.