10. Vortrag: Die Beziehungen der Oblatinnen zu jenen Personen, die den Grundsätzen der Welt folgen – Fortsetzung. Über das Gelübde der Nächstenliebe, die Handlungsweise in der Erziehung der Kinder.
Freitag Abend, 6. September 1878
Meine Kinder, wir werden heute Abend das große Thema der Nächstenliebe fortsetzen. Ich fürchte, ich habe mich heute Vormittag nicht genügend verständlich gemacht.
Ich sprach zu euch über die Liebe, die man zu den Bösen, den Unwissenden, den hintergangenen oder getäuschten Personen haben soll. Ich sagte euch, dass ihr für diese Personen die Liebe des Gebetes, die Liebe des Mitleids haben sollt, die daraus besteht, nichts Böses zu sagen. Man muss also gut unterscheiden zwischen den Personen der Welt und dem Geist der Welt, der gegen den Geist unseres Herrn Jesus Christus ist. Ahmt dabei nach, was der heilige Franz von Sales machte. Er sagte nichts Schlechtes von den Menschen, aber er verachtete den Geist der Welt. Es gibt einen großen Unterschied zwischen den Personen und den Systemen. Da ist ein Heide, ein Verbrecher, machen wir nicht alles, was wir können, damit sie sich bekehren und gerettet werden? O ja, wir beten für sie aus ganzem Herzen, aber wir beklagen ihre Irrtümer und Verbrechen. Ebenso haben wir Mitleid mit den Bösen. Wir bitten Gott, er möge sie erleuchten, Erbarmen mit ihnen haben. Aber die Systeme, die sie anwenden, um den Seelen den Glauben zu nehmen, um die armen kleinen Kinder zu verlieren, um sie zu hindern, den lieben Gott zu erkennen und zu lieben, können wir nicht zu sehr verachten. Diejenigen, die sich ihrer bedienen, sind Wilde, Barbaren! Die Barbaren waren weniger schuldig als diese Leute. Sie nahem den Himmel nicht weg, jene nehmen ihn weg! Diese geführten Gottlosen sind abscheulich! Es ist der Anfang der großen Verfolgung, die der heilige Evangelist Johannes in der Apokalypse ankündigt, als er zum Thema dieser letzten Zeiten sagt: „Mögen die, welche stehen, darauf achten, nicht zu fallen, denn viele werden verloren gehen.“
Wenn ich über diese Dinge zu euch spreche, meine Kinder, so deshalb, damit ihr sie sehr verabscheut, damit ihr nicht einmal daran streift. Man berührt nicht Dinge, die den Tod bringen. Streift euch also nicht an diesen Lehren an. Aber da ist eine schuldige, von der Welt und ihren Grundsätzen geblendete Seele. Verlasst sie nicht, betet für sie. Wenn sie in ihrem bösen Wandel verharrt, betet wieder, und wenn ihr unbedingt mit ihr Verbindung aufnehmen müsst, macht es nur nach den Ratschlägen des Gehorsams und mit äußerster Vorsicht. Es ist eine Art tiefsten Abgrunds zwischen euch und den Personen, die die Lehren der Welt kundtun, ebenso wie zwischen Lazarus und dem bösen Reichen, von dem im Evangelium gesprochen wird (vgl. Lk 16,19-31). Um eine kleine Erfrischung zu erhalten, wendet scih dieser an Abraham, der ihm antwortet: „Zwischen uns und euch [ist] ein tiefer, unüberwindlicher Abgrund, sodass niemand von hier zu euch oder von dort zu uns kommen kann, selbst wenn er wollte“ (Lk 16,26).
Heute ist der Geist der Welt böse. Er ist in die meisten Familien eingedrungen. Anstatt zu Gott getragen zu werden, entfernen sich daher die Seelen von ihm. Deshalb schätzen viele Personen der Welt das Ordensleben nicht. Für die einen ist es etwas, das ihre Vorstellungen übersteigt. Andere machen sich eine völlig falsche Meinung darüber. Und, meine Kinder, ist eine Frau, die als wahre Christin in ihrem Haus lebt, nicht ebenfalls eine Art Nonne? Der Geist, der sie belebt, ist das nicht der Geist, der eine Nonne belebt? Ist ihr Leben nicht unser Leben, wie zwischen einer Christin, die heilig in der Welt lebt, und manchmal kaum noch ein Unterschied in der Kleidung besteht? Warum ist es nicht überall so? Weil der Geist der Welt böse ist. Er lenkt die Seelen vom rechten Weg ab und blendet dort die Geister. Ich übertreibe nicht. Was ich sage, ist wahr. Manchmal könnte ich euch ein wenig streng erscheinen. Aber nein, ich bin es nicht. Wenn ihr euch an das haltet, was ich euch lehre, wenn ihr mit der Vorsicht handelt, die ich euch empfehle, werdet ihr an einem sicheren Ort sein. Wenn ihr es nicht macht, werdet ihr ausgeliefert sein. Wenn ihr nicht nur die Vorschriften erfüllt, sondern auch die Ratschläge, seid ihr in der Stadt Gottes, wo Kraft und Sicherheit sind. Die Bösen können lange versuchen, euch zu schaden, euch zu erschüttern, es wird ihnen nicht gelingen, weil ihr in der Festung seid. Meine Kinder, noch einmal: ihr müsst euch vor der Welt hüten und ihren Einfluss fürchten.
Ich beharre darauf, weil die Zeiten schlecht sind. Man atmet eine lasterhafte Luft. Vielleicht war die Welt noch nie so verdorben wie heute, so dass Christen und Christinnen da sind, die wie Gottlose leben, die das Zeichen des Heils verwerfen. So ist leider die heutige Gesellschaft. So sehr, dass es nicht übertrieben ist zu sagen, dass zur Zeit des Heidentums die Welt nicht so schlecht war. Ja, ich wiederhole es, habt Nächstenliebe. Aber was die Personen betrifft, sie sich der Welt hingeben, die aus dem Kelch der Wasser von Babylon trinken, so muss es zwischen ihnen und euch eine unüberwindbare Entfernung geben. Nähert euch ihnen nur mit größter Zurückhaltung. Können ihre Seelen in den Himmel kommen? Ja, wenn das göttliche Erbarmen ihre Herzen berührt und ihre Augen öffnet, aber ihre Lehre ist höllisch, es ist die Lehre des Teufels!
Ich will euch also, meine Kinder, einen unendlichen Schrecken vor allen diesen Dingen vermitteln. Hört das gut an: in der letzten Unterweisung unseres Herrn für seine Apostel vor seinem Tod sagte er zu ihnen: Ich bete nicht für die Welt (Joh 17,9). Sehr, unser Herr betet für die Sünder, aber er betet nicht für die Welt. Diese Welt wurde also in dem feierlichen Augenblick vom Heiland verflucht, als er leide ging, um alle Seelen zu retten. O meine Kinder! Habt einen unüberwindlichen Schrecken für alles Schlechte, für alles Gottlose, und dieser Schrecken soll immer wachsen. Verabscheut die Welt, macht nicht gemeinsame Sache mit ihr.
Je mehr wir unseren Herrn lieben, desto mehr müssen wir die fliehen, die über ihn spotten, ihm ins Gesicht spucken und ihn kreuzigen. Bleiben wir ihm treu und glauben wir, dass er bei uns ist, um uns zu schützen und zu verteidigen. Ich fühle mich gemüßigt, mich ausführlich auf dieses Thema einzulassen. Viele unter euch können sich wegen ihrer Apostolate mit solchen Personen in Verbindung befinden. Ich würde fürchten, dass euch dieser Hauch, dieses Feuer der Hölle, diese so feinen und so gefährlichen Einflüsse erfassen.
Jetzt, meine Kinder, möchte ich euch noch ein Wort über das Versprechen, über das Gelübde der Liebe sagen, das zu machen ich euch geraten habe. Wenn es auch nur für vierzehn Tage wäre, macht es, ich bitte euch. Möge die Liebe von nun an euer Markenzeichen sein. Ich gebe euch als Beispiel die beiden Frauen von Alexandrien. Ich habe andere Beispiele von Nonnen, denen es nach Ablegung des Gelübdes der Nächstenliebe gelungen war, Widerwillen zu überwinden, der ihnen für die Übung dieser Tugend als unbesiegbar erschien. Ich kenne Seelen, die nach Ablegung dieses Gelübdes in äußerst kurzer Zeit zu einer großen Vollkommenheit gelangten. Sie kamen in kurzer Zeit zur Vollkommenheit der Liebe. Ich sage nicht zur Vollkommenheit ihres Standes, aber sie sahen, dass alle ihre Schwierigkeiten, ihr ganzer Widerwillen, alle ihre Ängste der Seele für die Liebe, für den Gehorsam von ihnen abfielen. Das ist ein wunderbares Mittel. Versucht es, und ihr werdet sehen, dass euch durch dieses Gelübde der liebe Gott unauslöschliche Begünstigungen und Gnaden ohne Zahl schenken wird. Es ist schwieriger, die Nächstenliebe zu üben als das Bußkleid, das Büßerhemd zu tragen, als hart zu liegen, als barfuß zu gehen. Es ist unvergleichlich verdienstvoller als die Abtötung. Wenn ihr diese Tugend nicht übt, wie ich es euch sage, werdet ihr nicht die Freude der Seele haben, werdet ihr nicht die Gabe Gottes erhalten. Wenn ihr treu seid, wird die Liebe bei uns Wunder wirken. Ich sage euch darüber sehr außergewöhnliche Dinge, aber ich übertreibe nichts. Die Übung, die die Soldaten machen, ist das Mittel, sie umzuformen, sie für einen Waffenberuf fähig zu machen, und es gelingt ihnen, ihn vollkommen zu machen. Wohlan! Die Liebe wird in uns diese Wunder wirken. Es wird die Übung sein, durch die ihr euch befähigt, alle eure Schwierigkeiten zu überwinden und gute und eifrige Nonnen zu werden.
Meine Kinder, einige unter euch haben sich erregt, weil ich sagte, dass ich die verfluche, die nicht die Liebe üben, wie ich es erkläre. Was ich gesagt habe, wiederhole ich, ich sage es heute Abend noch einmal. Ich würde die verfluchen, die vorsätzlich nicht diese Geist annehmen möchten und in ihren bösen Grundlagen bleiben. Oder eher nicht ich würde sie verfluchen, sondern unser Herr, der liebe Gott selbst. Denen, die die Liebe nicht üben würden, sage ich, dass sie schlechte Nonnen werden und schließlich ihre Berufung verlieren würden. Ich weiß nicht, wer für sie bürgen könnte. Ich bin sicher, dass der himmlische Fluch auf sie fallen würde, und ich weiß nicht, wie sie im Augenblick des Todes von Gott aufgenommen würden.
Ich sage nicht, dass Gott fordert, dass ihr keine Fehler mehr gegen die Liebe macht. Denn je mehr ihr daran arbeiten wollte, je mehr ihr euch anstrengen wollt, desto mehr werdet ihr auf diesem Gebiet versucht werden. Es ist ein Kampf, es ist ein Krieg. Der Kampf in diesem Punkt ist nützlich. Er ist jenseits von allem, was ihr euch vorstellen könnt. Und wisst ihr, warum ich von euch verlange, das Gelübde der Liebe abzulegen? Weil diese Tugend für euch unbedingt notwendig ist, sie ist eure besondere Berufung, es ist euer besonderer Charakter. Es ist der Stoff eurer Kämpfe, eurer Kriege und auch eurer Siege vor dem lieben Gott.
Meine Kinder, ich behaupte nicht, dass das, was ich euch sage, bewirken wird, euch von einem Tag zum anderen zu ändern, euch sogleich umzuwandeln. Ich behaupte auch nicht, ihr werdet Vorbilder der Nächstenliebe werden. Aber wenn ihr euch bemüht, zu machen, was ich euch heute sage, wenn ihr meine Worte bewahrt, werdet ihr in der Wahrheit sein, ihr werdet mit Gott Vater, Gott Sohn und Gott Heiliger Geist sein. Und wenn man mit Gott ist, ist man mit dem, der der Trost ist, und mit dem, der im Himmel ewig herrschen wird. Ich bestätige es euch im Namen unseres Herrn Jesus Christus. Und der heilige Franz von Sales bestätigt es euch mit mir.
Meine Kinder, gebt also dem lieben Gott dieses Versprechen. Fürchtet euch nicht, euch einzusetzen. Wacht über euch in dieser Beziehung, dass es eure ständige Beschäftigung, das Thema eurer Betrachtung sein möge. Ihr habt da einen unerschöpflichen Stoff.
Wenn ihr von euren Schwestern, von der Gemeinschaft, von den anderen Häusern der Kongregation sprecht, wenn man zu euch darüber spricht, muss man etwas Besonderes fühlen, das euer Institut charakterisiert und ihm einen besonderen Glanz in der Kirche Gottes verleiht. Ich sage es euch tausend Mal. Schließlich versteht ihr es und liebt es vor allem. Gebt also dieses Versprechen, und ihr werdet sehen, wie der liebe Gott euch von euch selbst lösen wird, wie ihr frei und unabhängig sein werdet.
Morgen Vormittag werde ich über die Liebe sprechen, die ihr zu den kleinen Nächsten haben sollt. Heute Abend werde ich euch schon einige allgemeine Überlegungen zu diesem Thema geben.
Die Liebe, die ihr zueinander haben sollt, muss sich auf die Kinder erstrecken, mit denen ihr euch befasst. Aber zu ihnen muss sie anders sein. Ihr sollt sie liebe, das ist sicher. Aber ihr sollt ihre Fehler sehen, sie tadeln, sehen, was in ihnen schlecht ist, und lieben, was gut ist. Ihr könnt sie nicht lieben wie eure Mitschwestern, denn über die Kinder habt ihr eine Rechtsprechung, einen Einfluss, den ihr über eure Mitschwestern nicht habt. Man muss sie lieben, sehr lieben, aber ist es, weil ihr in ihnen Intelligenz, etwas Angenehmes findet? Ist es, weil ihr für sie Sympathie empfindet? Es ist nicht verboten, sie deswegen ein wenig zu lieben, aber das soll nicht der einzige Grund sein, der euch an sie bindet. Es bedarf unter anderem und vor allem eines übernatürlichen Grundes. Die, welche bezüglich Intelligenz weniger begabt ist, die einen weniger guten Charakter hat, ein wenig angenehmes Äußeres, soll der besondere Gegenstand eurer Zuneigung sein. Ihr müsst euch sogar bemühen, zu ihr besser zu sein als zu den anderen. Es ist möglich, dass man eine natürliche Abneigung für ein solches Kind empfindet, für ein solches Mädchen, aber habt ein wenig Willen, man kann und man muss dieses Gefühl überwinden. Also, meine Kinder, bezeugt denen, die ihr nicht liebt, mehr Zuneigung, gebt für sie viel mehr als für die anderen, betet mehr für sie. Mit einem Wort, macht für diese Kinder, diese Mädchen, auch das, was ihr für andere machen würdet. Wenn ihr so handelt, macht ihr einen Akt, der vollkommen wird. Er ist übermenschlich und folglich in den Augen des lieben Gottes angenehm. Es ist ein Akt der Nächstenliebe ähnlich dem, den ihr mit denen eurer Mitschwestern machen müsst, für die ihr keine natürliche Anziehung empfindet.
Bei den Kindern, den Mädchen, die ihr liebt, hütet euch! Erinnert euch an euer Gelübde der Keuschheit. Man sündigt nicht nur gegen die Keuschheit, in dem man Fehler macht, die gegen sie sind. Man beleidigt diese Tugend auch durch Zeichen übertriebener Zuneigung, die man den Personen gibt, mit denen man in Verbindung ist. Wir müssen uns gut davor hüten, in eurem Herzen, eurer Vorstellung eine Freundschaft zu nähren, die ihr zu einem Mädchen wegen seines Gesichts, seines Betragens habt. Ohne Zweifel ist es nicht verboten, einem Kind ein Zeichen seiner Zufriedenheit zu geben, aber es wäre sehr schlecht, sich an einer anderen Zuneigung zu ergötzen als an der zu unserem Herrn. Wir sollen nur ihn lieben. Er ist ein eifersüchtiger Gott, achten wir darauf! Er verlangt von uns unser ganzes Herz: „Wenn man das Opfer bringt, das du verlangst, o mein Gott, belohnst du es unendlich! Dir allein will ich mein Herz schenken.“
Im Allgemeinen wurden die Mädchen, die sich am schlechtesten in der Welt zurecht fanden, die die Schlimmsten waren, am meisten von den Personen verwöhnt, die mit ihrer Erziehung betraut waren. Oft geschehen zwischen ihnen und ihren Lehrerinnen sehr bedauernswerte Dinge. Und wenn diese Fehler gemacht werden, verlässt die Gnade Gottes das Herz der Nonne und das des Kindes. Ein Zeichen des Fluches kennzeichnet die Seele dieses Kindes, denn es ließ die Schwester einen Teil der Gnaden ihrer Berufung verlieren und manchmal ihre Berufung selbst. Und die Lehrerin ihrerseits, die so gehandelt hat, ist die Ursache für den Verlust der Gnaden, die dieses Kind hätte empfangen sollen.
Achtet also gut darauf, denn diese Art von Zuneigung ist unbedingt von unserer Ordensregel verboten. Treffen wir alle Vorsichtsmaßnahmen, damit dieses Übel nicht in Erscheinung tritt, damit die menschliche Zuneigung weder in unser Herz noch in das unserer Kinder kommt. Ich sage nicht, dass wir ein kleines Mädchen nicht lieben dürfen, das sich seine Unschuld bewahrt hat, aber wir dürfen uns nicht natürlich an sie binden.
Möge Jesus, Quelle und Prinzip jeder Liebe, euch diese Dinge gut verstehen lassen und eure Herzen in den Grenzen halten, die er uns zum Thema Nächstenliebe gesetzt hat. Ich bitte ihn darum und segne euch im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.