Exerzitienvorträge für die Oblatinnen 1878

      

9. Vortrag: Über die Liebe - Fortsetzung. Die Beziehungen der Oblatinnen zu jenen Personen, die den Grundsätzen der Welt folgen

Freitag Vormittag, 6. September 1878

Meine Kinder, gestern Abend sprach ich zu euch über euer wesentliche Verpflichtung zur Liebe untereinander. Ich erklärte euch die Art, wie ihr euch gegenüber zu verhalten habt und dass ihr die Achtung und Rücksicht wahren sollt, die der heilige Franz von Sales verlangt und wovon er selbst euch ein Beispiel gab. Seht, welcher Worte er sich dafür bedient! Seht, wie alles, was er sagte, angemessen, achtungsvoll und höflich zu jedem war! Macht es ebenso, meine Kinder. Ihr seid Schwestern unter euch, nicht der Natur nach, sondern der Gnade nach, nach Gott. Erinnert euch daran, dass jede etwas Großes vor Gott ist, was auch immer ihre Fehler, ihre Schwächen, ihre Gebrechen sein mögen. Und es ist der Beweis, dass sie etwas Großes ist, da der liebe Gott sie unter Tausenden erwählte und in sein Haus aufnahm. Ihr müsst also Achtung vor jeder von euch haben und euch nie harter, spröder oder vertraulicher Ausdrücke bedienen. Ihr müsst zu eurer Mitschwester wie zu einer Person sprechen, die ihr sehr schätzt. So müsst ihr es machen. Geht von dieser Handlungsweise nicht ab, bedient euch stets nur der von der Ordensregel erlaubten Ausdrucksweise. Sprecht immer herzlich, jede andere Art ist nicht zugelassen. Sie wäre vom heiligen Franz von Sales nicht angenommen worden und folglich wurde sie auch von unserem Institut nicht angenommen. Bedient euch also untereinander sehr höflicher, sehr achtungsvoller Worte. Behandelt euch nicht mit Vertraulichkeiten, sondern mit Achtung und Zuneigung. Warum? Weil eure Ordensregel es so will, und das muss euer besonderes Kennzeichen sein. Daran soll man euch viel mehr als Nonne erkennen als an eurem Gewand. Eure Kleidung ist übrigens nicht streng. Sie drückt nicht große Armut und völlige Trennung von der Welt aus. Ihr müsst also in eurem Verhalten vor allem etwas haben, das euch von den anderen Personen unterscheidet. Ihr sollt mit dem Gewand der Nächstenliebe bekleidet sein. Ihr müsst euch durch die Milde eurer Worte, durch eure Liebe, durch eure Handlungsweise unterscheiden, und in der Art und Weise eurer Beziehungen zum Nächsten. Alles in euch soll zeigen, dass ihr die Kinder des heiligen Franz von Sales seid.
Es wäre gut, dass jede einen festen Vorsatz fasst, ein ernsthaftes Versprechen macht, zum Nächsten herzlich zu sein, die Nächstenliebe gemäß der Gelübde zu üben. Ihr müsst alle versprechen, das zu machen, was ich euch gestern sagte. Es soll euer wesentlicher Exerzitienvorsatz sein. Aber dieses einfache Versprechen genügt nicht. Macht es wie ein viertes Gelübde. Bemüßigt euch dazu, meine Kinder. Es gibt viele Kongregationen, die ein viertes Gelübde ablegen. Gebt also dieses Versprechen, gebt es wie eine Art Gelübde, das ihr von Zeit zu Zeit erneuern werdet. Gebt es und wenn es jedes Mal nur für vierzehn Tage wäre, damit die Nächstenliebe euer besonderes Kennzeichen ist. Das also zum Thema Nächstenliebe unter euch. Ich hoffe, dass ihr mich alle gut verstanden habt.
Nun, wie soll man die Liebe zu Fremden üben? Ich nenne jene Fremde, die nicht zur Kongregation gehören und nicht im Haus leben. Hier müssen eure Beziehungen zu ihnen geprägt sein nicht nur von der Achtung, die der Anstand erfordert, sondern von der Ehrerbietung und Demut, die man bei einer Nonne immer antreffen soll. Wenn wir die anderen achten, achtet man uns. Seid also voll Achtung zu jedem und möge diese Achtung immer einen gewissen Abstand zwischen den Personen der Welt und euch aufrecht erhalten. Man soll euch nicht zu nahe kommen. Meine Kinder, verbindet euch mit niemandem, hängt euch an niemandem. Achtet gut darauf.
Was die Seelen betrifft, die Gott fern sind, so betet für sie. Bittet unseren Herrn, er möge sie zur Wahrheit zurückführen, aber verbündet euch nicht mit ihnen. Hört gut, was ich euch sagen werde. Da ist ein Heide und ein Abgeordneter, die nicht an Gott glauben. Nun: der Heide ist ehrbarer in meinen Augen als dieser schöne Herr. Die Welt ist heidnisch, wie sie es seit 1900 Jahren ist. Habt höchste Verachtung für ihre Lehren, habt eine unüberwindliche Abneigung, einen großen Schrecken vor ihren Grundsätzen. Der heilige Paulus spricht die Verdammung über jene aus, die unseren Herrn nicht lieben. Habt also nichts gemeinsam mit dem, was die Welt sagt, und macht nichts gemeinsam mit ihren Lehren. Sie sind von Gott verflucht, und am jüngsten Tag wird unser Herr zu denen sagen, die ihr Verhalten an diese angepasst haben: „Geht, Verfluchte, ins ewige Feuer mit euren Büchern und Lehren, damit sie verbrennen!“
Ihr habt mich gut verstanden, meine Kinder. Werft weit von euch weg, was nach Grundsätzen der Welt riecht, und seid sehr vorsichtig bei Personen, die sich zu ihnen bekennen. Bitten wir den lieben Gott für diese armen Seelen, bitten wir ihn, er möge sie retten, aus dem Kot ziehen, aus dem Schmutz, in dem sie sich befinden. Wenn es geschieht, dass man euch mit ihnen zusammenbringt, seid sehr vorsichtig, betet viel, bittet den lieben Gott, dass er sich bekehrt, denn ihre Seelen sind unsterblich. Unser Herr ist gestorben, um sie zurückzukaufen. Sprecht mit ihnen aus Gehorsam, macht es wie der heilige Franz von Sales. Er hat den Schutzengel des Ortes, durch den er kam, den Schutzengel der Personen, die er besuchen ging, um Hilfe gebeten. Er betete für sie, ehe er mit ihnen sprach.
Versteht es gut, meine Kinder, es muss eine unüberwindliche Schranke zwischen euch und den Lehren der Welt geben. Habt Liebe zu den Personen, die sich zu ihnen bekennen, macht, was unser seliger Vater [Franz von Sales] sagt, betet, bringt Verzicht und Opfer. Seid zu ihnen ohne Zweifel sehr gut, aber, ich wiederhole es, verabscheut ihre Grundsätze, verabscheut, was sie sagen, denn alles in ihren Grundsätzen und in ihrer Wesensart ist darauf aus, die Seelen von unserem Herrn zu entfernen. Wenn ihr wüsstet, wie viele Unwissende es auf dieser Welt gibt! Wie viele Leute, die nicht wissen, was sie sind und sagen, dass sie vom Affen abstammen! Das ist nach ihnen ihr Ursprung, ihr Ruhmestitel. Also höchste Verachtung für die Welt, für ihre Eitelkeiten, für ihre Lehren, aber Liebe für die Personen.
O, preist oft den lieben Gott, dass ihr unter dem Hirtenstab unseres guten heiligen Franz von Sales vereint seid und nicht mehr inmitten der Welt! O, wie ist es gut und süß miteinander zu leben, als Schwestern einander zu lieben und nicht mehr mit dem Bösen in Verbindung sein zu müssen.
Heute Vormittag wollte ich euch vermitteln, wie die Nächstenliebe mit dieser Art von Personen zu üben ist. Das wahre Mittel ist das Gebet, und bei den Beziehungen, zu denen euer Amt euch nötigt, seid vorsichtig und macht vor allem nie etwas außerhalb dessen, das euch geraten wurde. Schreckt euch nicht, meine Kinder, quält euch nicht, weil ich euch diese Dinge gesagt habe. Ich will euch gegen die schlechte Luft rüsten, die man heute atmet. Täuschen wir uns nicht. Der Teufel ist der König der Welt. Es findet der unbegreifliche Kampf Satans gegen Christus und seine Kirche statt, um seine Herrschaft anzugreifen, um ihn zu zerstören, um unseren Glauben zu vernichten. Hat nicht er den Vorsitz bei allen Versammlungen der Freimaurer inne? Und dennoch war trotz der Entfesselung der Hölle der Glaube nie so groß und so schön!
In Preußen sind die Bischöfe zum Schweigen verurteilt, in Italien ist der Papst im Vatikan gefangen, in Russland werden die Priester nach Sibirien geschickt und sterben im Eis. Die Verfolgung war selten so heftig, nie war die Welt so verdorben. Wir erleben also einen Kampf, den Kampf der Hölle gegen die Kirche Gottes. Und dieser Kampf ist erbitterter als in den ersten Jahrhunderten des Christentums. Aber wir werden siegen! Die arme kleine Nonne, die ihren Rosenkranz betet, der Priester, der sein Brevier betet, die Christin, die ihre Kinder gut erzieht, die junge Arbeiterin, die fromm bleibt, der junge Mann, der das Gesetz wahrt, bereiten den Sieg der Sache Gottes vor. Dank ihnen wird die Wahrheit eines Tages die Welt beherrschen. Das ist der Sieg, der uns erwartet! Unser Glaube muss die Gottlosen zurückführen, er wird die Welt retten und sie zwingen, sich aus dem Schmutz zu erheben. Haben wir Vertrauen! Seien wir nicht stolz, sondern glücklich, dass wir auf der Seite Gottes sind, unserem Herrn gehören. Ja, meine Kinder, seid mutig, preist Gott, dass ihr nicht in der Welt seid, dass ihr nicht gegen sie, gegen ihre Grundsätze kämpfen müsst, dass ihr das allgemeine Gesetz nicht zu ertragen braucht.
„O mein Gott, wir preisen dich, dass du uns gerufen hast! In jenen Tagen, als du mit deinen Jüngern Ostern gefeiert hast, suchten dich deine Feinde, um dich zu töten, und in demselben Augenblick hast du die Eucharistie eingesetzt! Du hattest nur einige Jünger bei dir, und wieder war unter diesen Jüngern ein Verräter! Und es ist dieser Augenblick, als du dich selbst hingabst, als du das Sakrament deiner Liebe einsetztest, als du dich mehr den je schenktest!“
Auch heute, meine Kinder, möchten die Feinde unseres Herrn ihn in den Seelen töten. Es ist also für uns mehr denn je der Zeitpunkt, uns nach dem Beispiel der treuen Jünger um ihn zu drängen, und er wird sich in ganz besonderer Weise uns schenken. Preisen wir ihn, dass wir nicht zu den Leuten gehören, die den Grundsätzen der Welt folgen, beten wir für sie, aber haben wir nichts gemeinsam mit ihren Gefühlen. Unser Herr hat gesagt: Ich bitte nicht für die Welt. Diese Welt müssen wir verabscheuen, sie muss für uns ein Gegenstand des Ekels sein. Haben wir keine Beziehung zu ihren Ideen und Ansichten.
Möge euch unser Herr in seinem Sakrament der Liebe die Wahrheit zeigen. Er ist der Weg, dem ihr folgen sollt, er sei euer Leben, eure Kraft, euer Licht, um gut durch diese schlimmen Tage zu kommen, durch die wir gehen! Amen.