Exerzitienvorträge für die Oblatinnen 1877

      

9. Vortrag: Über das Schweigen. Über die Gespräche in der Erholung

Samstag Vormittag, 15. September 1877

Ohne Zweifel, meine Kinder, hätten wir zum Thema der christlichen Erziehung, von der ich gestern sprach, noch viel zu sagen. Aber unsere Vorträge sind gezählt und es ist nicht möglich, sie weiter auszudehnen. Ich bitte unseren Herrn, der die Kinder segnete, auch die zu segnen, mit denen ihr euch beschäftigt. Der Heiland segnete die Kinder so wirksam, dass alle, die er besonders segnete, große Heilige geworden sind. Der heilige Martial war, sagt man, bei diesen Kindern, die unser Herr liebkoste, während die Jünger sie von ihm fernhalten wollten. Er wurde einer der Apostel der Gallier, und er wirkte viele Wunder, weil er den Segen des Heilands erfahren hatte. Und wenn wir alle Heilige wären, könnte man hoffen, dass alle Kinder, mit denen wir beschäftigt wären, gerettet würden. Es war wohl so beim heiligen Bernhard. Er sagte, dass alle, die mit ihm in Clairvaux lebten, gerettet sein würden.
Nun, meine Kinder, ich glaube, wenn wir alle heilige Nonnen wären, dann könnten wir des Heiles unserer Kinder fast sicher sein. Um dorthin zu gelangen, müssen wir noch prüfen, wie es mit der Liebe zu uns selbst besteht. Wir werden sehen, ob wir unsere persönlichen Pflichten im Gemeinschaftsleben gut erfüllen. Ich habe von der Liebe zum Nächsten gesprochen; es bleibt uns also nun von der Liebe zu uns selbst zu sprechen. Was haben wir in der Gemeinschaft als fromme Oblatinnen zu tun? Was müssen wir vermeiden? Welche Pflichten haben wir für uns selbst zu erfüllen?
Zuallererst, meine Kinder, werde ich euch innigst das Schweigen empfehlen. Denn viele unter euch können nicht fasten, und dennoch müsst ihr Buße tun. Ich weiß wohl, dass ihr euch mit Vorträgen, mit der Erziehung beschäftigt, und das ist manchmal sehr mühsam. Aber da ich euch abtöten müsst, müsst ihr das Schweigen beachten. Sagt nie etwas Unnötiges außerhalb der Erholungszeit. Das Schweigen ist für euch euer Fasten. Ihr müsst etwas tun, es muss euer Ordensleben ein besonderes Siegel haben. Befleißigt euch also der Abtötung des Schweigens. Ich wiederhole es, sagt nie etwas Unnötiges außerhalb der Erholungszeit.
Während des großen Schweigens am Abend möge man sich daran erinnern, dass es das feierliche, unverletzliche Schweigen ist. Ist man ausnahmsweise genötigt, ein Wort zu sagen, soll man es so kurz wie möglich machen. Das große Stillschweigen ist jenes Schweigen, wofür ich es sogar wagen würde, es ein Sakrament zu nennen. Es ist das, das in allen Kongregationen eingehalten wird.
Das Schweigen besteht nicht darin, nichts zu sprechen, sondern keine unnötigen Worte zu sagen. Man bricht das Schweigen nicht, wenn man mit einigen Worten einer Schwester antwortet, die uns etwas Nützliches sagte. Man müsste unter diesem Umstand nicht durch Zeichen antworten, aber mit wenigen Worten. Es ist unser Geist, in aller Liebe angemessen zu sprechen. Es ist eine Sache, ein Wort zu sagen, und eine andere, ein Gespräch zu führen. Im letzteren Fall wäre es ein reines Geschwätz, eine Verfehlung gegen die Ordensregel.
Jetzt komme ich zur Erholungszeit. O, auf diesen Punkt, meine Kinder, lege ich eure ganze Aufmerksamkeit. Wir haben dann mit unseren Schwestern die Zeit der Herzlichkeit, des Gesprächs, der Unterhaltung. Worüber soll man in dieser Zeit der Erholung sprechen? Von guten, erbaulichen Dingen, von Dingen, die mir Erholung schaffen können. Vor allem sollt ihr diese Bemerkungen vermeiden, die gegen die Liebe sind. Wenn ihr sie macht, macht ihr einen Fehler. Ihr sprecht von etwas, von dem ihr nicht sprechen sollt. Ihr meint, dass ihr da kein schweres Vergehen begeht? Ich erinnere euch daran vor allem während der Exerzitien. Ihr musstet etwas Leidvolles in euren Beziehungen mit einer Schwester ertragen, sagt es eurer Oberin, sucht den Augenblick, um es ihr zu sagen. Aber wenn euch die Zeit fehlet, wenn ihr die Oberin nicht findet, oder wenn ihr nicht mehr daran denkt, umso besser! Man soll sich nicht beeilen, einen Schmerz zu erzählen, den die anderen euch verursachten. Wartet auf den nächsten, den übernächsten Tag. Wartet, dass sich eure Seele beruhigt, macht das mit unserem Herrn aus. Er wird euch etwas Gutes geben, weil ihr treu gewesen seid.
Es ist auch verboten, in der Erholung zu plaudern. Was ist plaudern? Es ist zu sagen: „Meine Schwester, tu dies, tu das.“ Als einer unserer Patres seinen Urlaub in Troyes verbrachte, machte er zu mir die Bemerkung, dass die Leute der Welt ihm oft Fragen stellten, auf die er keine Antwort wusste. Und er sagte mir, dass es ihm passierte, einfach Ja oder Nein zu sagen, um nicht den Anschein zu erwecken, es nicht zu wissen. Ich habe ihm geantwortet: „Da du Ordensmann bist, sag, dass du es nicht weißt, dass es nicht deine Angelegenheit ist, dich mit diesem oder jenem zu beschäftigen, dass du dich nur mit deinem Beruf zu beschäftigen hast.“ Diesen Rat, dem ich diesem Pater gab, gebe ich allen unseren Schwestern. Merkt euch diesen Hinweis gut, meine Kinder, und befolgt ihn. Es ist unwichtig, was man euch fragt, sagt, dass ihr es nicht wisst. Seid klein. Es fehlt euch nicht der Verstand, um eine richtige Antwort zu geben. Wenn euch eine Schwester solche Fragen stellt, werdet ihr sagen: „O, unser Pater hat das während der Erholungszeit strengstens verboten!“
Man muss es wohl so machen: nie Angelegenheiten der Gemeinschaft unter euch besprechen und noch weniger mit weltlichen Personen, die euch besuchen kommen. Die Gute Mutter Marie de Sales Chappuis duldete das in ihrem Kloster nicht. Sie sagte nichts zu den zwei oder drei Schwestern, die keinen besonders klugen Kopf hatten, aber alle anderen, die sie für vernünftig genug hielt, machte sie unversehens darauf aufmerksam.
Wenn man sich mit Tratschereien befasst, was ist dann der Unterschied zwischen einer Nonne und einer anderen Person von Welt? Warum seid ihr Nonnen geworden, wenn ihr handelt wie die Frauen in der Welt? Eure Regel gibt euch wenig Übung der Abtötung. Wenn ihr diese wenigen nicht macht, seid ihr keine Nonnen. O, ich verbiete absolut jedes Gespräch darüber. Denen, die da fehlen würden, würde ich die Heilige Kommunion verweigern, denn das ist am meisten gegen den Ordensgeist. Achtet also gut darauf, solche Tratschereien zu vermeiden.
Worüber kann man in der Erholung sprechen? Ich wiederhole es, meine Kinder, man kann über vieles sprechen, wenn ihr ein wenig Geist habt, belebt das Gespräch. Da ist ein guter Merksatz, ein erbauender Zug, den ihr in einer Lektüre gelesen habt, sagt ihn. Jedes Mal, wenn ihr euch über gute Dinge unterhalten habt, werdet ihr ermutigt sein. Diese Gespräche machen das Glück des Lebens einer Nonne aus, aber nicht, was auf dem Marktplatz gesprochen wird. Ihr seid zu Höherem berufen.
Es ist vor allem verboten über die Beschäftigung zu sprechen, unangebrachte Überlegungen über die Beschäftigungen der einen oder der anderen zu machen. Es ist verboten zu sagen: „Man hat dies oder das gemacht!“ Vermeidet vor allem diese Überlegungen. Aber, befinden sich zum Beispiel zwei Schwestern gemeinsam in derselben Beschäftigung, die die Mädchen betrifft, so können sie wohl ein wenig darüber sprechen, um einander zu helfen. Doch habt Acht, das ist sehr heikel! Passt auf, das ist sehr ernst.
Was geschieht, meine Kinder, wenn man sich daran gewöhnt hat, sich abzutöten? Man gewöhnt sich daran, Akte der Seelengröße zu machen, man wird seines Namens Nonne würdig, man unterhält sich nicht mit unnötigen Empfindlichkeiten, man lässt sich nicht auf Späße ein, auf Achtlosigkeiten. Der heilige Franz von Sales sagt: „Sie sollen starke, großherzige Töchter sein!“ Achtet gut darauf. Deshalb muss man es vermeiden, von der Angelegenheit einer andere zu reden, von den Ämtern, dem Wechsel in den Häusern. Wir halten uns auch an die Gewohnheiten der Oblatinnen, nicht von Politik zu sprechen. Wir lesen keine Zeitungen, wir müssen alle politischen Fragen, alle politischen Bewertungen vermeiden. Wir machen daraus keinen eigenen Artikel in den Satzungen oder des Direktoriums, aber wir beschäftigen uns nicht mit Äußerlichkeiten, sondern mit dem Inneren. Das kostet viel, das kostet manchmal sehr viel. Deshalb bedarf es einer großen Wachsamkeit, einer großen Geistesgegenwart. Man hat seine Eigenliebe, seine Neugierde. Wenn man sie abtötet, macht man einen Akt des Verzichts.
Meine Kinder, jede Nonne hat einen Schutzengel. Sie hat auch den Engel der Gemeinschaft. Es ist die Lehre der Heiligen und vieler Heiligen. Die Engel sehen das Angesicht Gottes. Es gibt welche, die auf die Erde mitten unter die Kinder des heiligen Franz von Sales kommen, und die dann wieder zum lieben Gott emporsteigen, um zu berichten, was sie gesehen haben. Wenn ihr nun gegen die Liebe fehlt, wenn ihr tratscht, gehen die Engel, die bei euch waren, weg, und der Satan kommt in eure Mitte. Die Engel haben auf euch einen Engelgroll, sie kommen nicht zurück. Es fehlt euch ihre Hilfe, ihr Schutz. Ihr seid nicht mehr in einer Atmosphäre der Gnade, und ihr spürt das. Wenn ihr solche Fehler gemacht habt, sind die Engel weggegangen. Sie sind gegangen, um dem heiligen Franz von Sales zu berichten. Und nun fallt ihr infolge einer dieser Unterhaltungen, sogar eines einfachen Wortes in die geistliche Trockenheit. Ihr werdet euch das gut merken.
Meine Kinder, hütet gut euer Herz für unseren Herrn. Hütet für ihn eure Ohren, eure Augen, hütet ihm vor allem eure Zunge, eure Worte. Wacht darüber mit großer Aufmerksamkeit. Die Seele, die nicht durch die Zunge sündigt, ist eine vollkommene Seele. Dies sagt der heilige Jakobus (vgl. Jak 3,2). Wenn ihr dadurch nicht sündigt, werdet ihr sehr sicher sein, dass der liebe Gott mit euch sein wird. Ihr habt diesen Fehler gemacht, sagt dafür euer „Mea Culpa“, sagt, ob ihr den Fehler aus Stolz gemacht habt. Wenn es aus Antipathie war, braucht ihr es nicht zu sagen, das würde schlecht erbauen. Aber wenn es aus Stolz ist, sagt man es; oder auch: „Ich habe es aus dem Geist der Geschwätzigkeit heraus getan, oder weil ich nur meinem Ich gefolgt bin.“
Ich verlange es von euch, meine Kinder, macht es so aus Liebe zu Gott. Das ist eure Abtötung. Wenn ihr das nicht macht, tragt ihr nicht das Bild unseres Herrn in eurem Herzen, seid ihr nicht seine Kinder, seid ihr nicht die Töchter unseres seligen Vaters [Franz von Sales], seid ihr nichts mehr.
Möge dieser selige Vater [Franz von Sales], der dieses Werk will, es als seines erkennen, und dass er euch fähig macht zu sein, was er will, dass ihr seid: starke, großherzige Töchter, die dem Wunsch alles zu erfahren oder zu erkennen, widerstehen, großherzige Seelen in Gott, die mit ihrer täglichen Nahrung zufrieden sind wie die treuen Israeliten, die das Manna mit Freude aßen, und die denen nicht glichen, die die Zwiebeln Ägyptens vermissten.
Meine Kinder, ihr werdet daran denken, euch nur mit der Nahrung des Himmels zu ernähren. Möge es so sein, und unser Herr wird mit euch sein und euch segnen. Amen.