9. Vortrag: Über den Gehorsam zur Regel und zum Direktorium
Freitagvormittag, 15. September 1876
Meine Kinder, fassen wir Mut in dieser großen Arbeit der geistlichen Einsamkeit. Es gibt viel zu tun, eine große Arbeit ist in diesen Exerzitien zu bewältigen: eine große Arbeit an uns selbst, um uns von unseren Fehlern zu reinigen, um unsere Fehler zu verbessern, Tugenden zu erwerben; eine große Arbeit, um unsere Seelen auf die Kämpfe, die Arbeiten des Jahres vorzubereiten.
Ich bin ermutigt, weil viele von euch die Stimme Gottes schon gehört haben. Er hat zu euren Herzen gesprochen, und ihr habt ihm zugehört. Fasst den Entschluss, in Treue zu tun, was ihr könnt, damit er euch nicht verlässt. Möge für euch dieses Wort nicht gelten: Er ist in sein Eigentum gekommen und die Seinen haben ihn nicht aufgenommen (vgl. Joh 1,11). Möget ihr vielmehr Kinder der Gnade und des Segens sein! Hört wohl, was der Heiland euch durch sein inneres Wort sagt, was er von euch will. Und wenn ihr treu seid, wird er es auch sein. In der Heiligen Schrift sagt er: „Ich bin treu und gebe ihnen den Lohn“ (Jes 61,8). Fasst also Mut, um die Regen und die Übungen der geistlichen Einsamkeit mit großer Sammlung und großer Wachsamkeit zu machen. Ruht euch am Herzen unseres Herrn aus. Die Exerzitien sind keineswegs gemacht, um euch zu ermüden, sondern um eure Seele ausruhen zu lassen, damit ihr neue Kräfte schöpft und euch auf neue Kämpfe vorbereitet.
Heute Vormittag, meine Kinder, werde ich euch einige Worte über das Gelübde des Gehorsams sagen.
Der Gehorsam zur Ordensregel, zu den Satzungen und zum Geistlichen Direktorium ist ein Gehorsam, der sich nie ändert. Es ist ein unwandelbarer Gehorsam bei jeder Gelegenheit. Der Gehorsam zur Ordensregel muss zuerst ein innerer Gehorsam sein. Die Übung des Direktoriums im Allgemeinen, sowohl innerlich als auch äußerlich, soll aus einem Grund gemacht werden, der einzig allein euer Gewissen, eure innere Gerichtsbarkeit betrifft. Es muss euer Gehorsam nach dem Vorbild der Gemahlin des Hoheliedes schnell und vollständig sein. Bei den ersten Tönen der Stimme des Geliebten muss sich eure Seele wie ihre in einem Wohlklang des Lobes verströmen. Die Stimme des Geliebten ist die Stimme unseres Herrn, der Ordensregel, des Direktoriums. Diese Stimme unseres Herrn spricht zu jeder Tages- und Nachtzeit. Hört sie wohl! O, wie würdet ihr treu sein, wenn ihr dieses Geheimnis der Liebe gut verstehen würdet! Unser Herr kommt zu euch. Was ihr machen müsst, verlangt er von euch. Warum verweigert ihr es ihm? Ihr habt ihm doch gesagt, ihm versprochen, dass ihr im Leben und im Tod ihm gehören werdet! Hat es euch also an Aufrichtigkeit gefehlt?
Euer Gehorsam zur Ordensregel muss so vollständig sein, so liebevoll, dass ihr nie etwas so sehr liebt, als die Ordensregel auszuüben, die für euch in jedem Augenblick der Ausdruck des Willens Gottes ist. Unser Herr hat gesagt: Ich bin nicht „der Gott der Toten, sondern der Gott der Lebenden“ (Mt 22,32). Er ist der Gott des gegenwärtigen, des aktuellen Augenblicks, und wenn wir die Ordensregeln gut ausführen, wenn wir aus ganzer Seele das Direktorium erfüllen, sind wir im göttlichen Willen. Es ist sicher, dass wir dann das Werk Gottes tun, und sein Herz arbeitet mit uns. Sehr, meine Kinder, wie glücklich die Nonne ist, die ihre Ordensregeln und ihr Direktorium übt, wie ist sie gesammelt! Sie ist ganz von Gott umgeben!
Ich bin zufrieden, denn ich sehe, dass eure Seelen gesammelter, mehr mit Gott vereint sind. O, bewahrt euch wohl diese Anlage, macht so weiter! Noch einmal: Seid keine Trugbilder, keine Phantome von Nonnen, seid keine von diesen Schaufensterpuppen, die man aufstellt, um die Vögel zu schrecken. Das schreckt sie kaum. Eine Nonne, die von der Ordensgemeinschaft nur die Kleidung trägt, und die nicht mit Gott ist, ist nichts anderes als so eine Gestalt. Dieser Vergleich stimmt. Sie ist kein gefährliches Wesen, schadet auch niemandem, und niemand fürchtet sie, aber die Dämonen, verglichen mit den Vögeln des Himmels, kommen, um alle guten Körner zu essen, die man um sie herum ausstreut. Wenn diese arme Nonne mit einer Beschäftigung vertraut ist, kann das eine Zeitlang gut gehen, aber bestimmt nicht lange. Am Anfang kann man an ihre Geschicklichkeit glauben, aber man wird bald sehen, dass ihre Arbeit keine Frucht trägt. Achtet sehr darauf. Das ist der Zustand der Nonne, die nicht gehorsam ist, die dem Gehorsam zur Ordensregel nicht treu ist; das ist ein Phantom, das zu nichts nützt. Sie wird zuerst eine Arbeit sehr gerne ausführen, aber für ihre Nachfolge wird das nichts bringen, weil sie nur eine Maschine ist, eine Dampfmaschine würde vor Gott und den Menschen alles ebenso gut machen.
Unser Herr hat gesagt: „Ich bin der Weinstock und ihr seid die Reben. Jede Rebe, die keine Frucht trägt, wird abgeschnitten und ins Feuer geworfen werden.“ (vgl. Joh 15,1-6). Die Seele, die ihrem Direktorium und der Beobachtung der Ordensregel nicht treu ist, ist eine unfruchtbare Rebe, eine unnütze Rebe, gehört abgeschnitten und ins Feuer geworfen. Was wollt ihr mit einer verdorrten Weinrebe machen? Sie taugt zu nichts, nicht einmal zu einem Pfahl, um das Feld zu begrenzen! So ist es mit Priestern und Nonnen, die das Ziel ihrer Berufung nicht erfüllen. Unser Herr hat gesagt: „Ich bin der Weinstock, die Rebe wird keine Frucht tragen, wenn sie nicht mit dem Stock verbunden ist; das ist Holz, das zu nichts taugt“ (vgl. Joh 15,5-6). Die Personen der Welt können noch Holz sein, das zu etwas dient, aber die Nonne, die nicht mit unserem Herrn verbunden ist, ist eine verdorrte Rebe, ein Phantom! Achtet darauf. Man vergisst es, und dennoch gibt es keine Nonne ohne Einheit mit dem lieben Gott. Unser Herr ist der Weinstock und ihr seid die Reben.
Es heißt noch in der Heiligen Schrift: „Wenn nicht der Herr das Haus baut, müht sich jeder umsonst, der daran baut. Wenn nicht der Herr die Stadt bewacht, wacht der Wächter umsonst“ (Ps 127,1). Wenn ihr bei euren Unternehmungen Erfolg haben wollt, müsst ihr unbedingt mit Gott vereint und von ihm abhängig bleiben. Fasst also den Gedanken, der euch mit unserem Herrn vereint: „Mein Gott, ich kann das nicht alleine machen, hilf mir, schenk mir das Licht; während meine Hand arbeitet, möge mein Herz mit dir sprechen!“ Das sollt ihr machen, Tag und Nacht, immer, immer! Versteht ihr es? Fühlt ihr es? Warum sind unsere Handlungen so oft null und nichtig? Weil wir nicht in der Absicht, der Liebe des Direktoriums handeln, weil wir nicht den Gedanken des Direktoriums besitzen. Der Vergleich, den ich euch genannt habe, ist sehr auffallend: mit der Eiche, der Zeder macht man etwas, aber wenn die Weinrebe unfruchtbar ist, das heißt vom Weinstock getrennt, taugt sie nur zum Brennen, und sie hinterlässt nichts von ihrem Holz als ein wenig Asche, die man bald aus dem Haus bringt.
Meine Kinder, wir haben viel empfangen, aber wir haben auch große Aufgaben und Verpflichtungen. Sind sie schwer zu erfüllen? Muss man sich der Qual stellen? Nein, es ist sehr einfach: wir müssen mit Gott verbunden bleiben, wir müssen nur oft unsere Seele zu ihm zurückführen und ihm sagen, dass wir alles mit ihm machen wollen. Würden wir den lieben Gott lieben, würden wir gern alles wie er machen. Wenn wir den lieben Gott gern hätten, wenn wir ihm gefallen möchten, würden wir es sehr leicht machen, wir würden das Bedürfnis fühlen, sich ihm zu nähern. Wir wollen also gut mit Gott verbunden bleiben.
Möge Jesus, der gehorsam war bis zum Tod, möge Jesus, vor unseren Augen verhüllt im Tabernakel, möge Jesus, der Gehorsam des Tabernakels, der Ordensmann des Tabernakels, uns verstehen und fühlen lassen, was man machen muss, um wie er wirklich gehorsam, echter Ordensleute zu sein und so würdig zu werden, wie er zu regieren und sein ewiges Glück zu teilen. Amen.