Exerzitienvorträge für die Oblatinnen 1876

      

6. Vortrag: Über die Notwendigkeit eifrige Nonnen zu sein

Mittwoch Abends, 13. September 1876

Meine Kinder, der heilige Franz von Sales gibt uns den Weg vor, dem für die Exerzitien zu folgen ist. Der erste Teil ist eine Folge von Überlegungen, eine Folge von Betrachtungen über unser Elend, unsere Fehler und unsere Sünden, um uns zu helfen, unsere Seele zu reinigen. Ich hätte sehr viel zu diesem Thema zu sagen, aber ich erinnere euch nur an das, was ich euch heute Vormittag über das Elend unserer Seele, über das Leben in uns selbst, über dieses Elend sagte, das in uns jedes starke, großherzige Gefühl vernichtet, das uns zu allem Guten fähig macht. Ich sagte euch das kurz, aber ich glaube klar. Ihr werdet es euch merken, meine Kinder, und ihr werdet es nützen.
Wir kommen jetzt zu dem, was unser seliger Vater das erleuchtende Leben nennt, das heißt, das, in das man eintritt, nachdem man seine Seele durch die Tränen der Buße gereinigt hat. Ich will nicht sagen, die Tränen, die uns in die Augen kommen – diese kosten mehr – aber ich meine die Tränen des Herzens, die durch ein großes Bedauern, eine große Zerknirschung verursacht werden, dass man Gott beleidigt hat, der unendlich gut ist. Ich lasse mich nicht weiter darauf ein. Ich überlasse es euch, euer Gewissen gut zu erforschen. Ich zähle auf euch. Ihr werdet alle Aufmerksamkeit darauf verwenden, um eure Seele gut zu reinigen.
Heute Abend, meine Kinder, geleite ich Herrn Hochwürden Vosdey zurück. Er brachte Überlegungen zum Ausdruck, die meinen Gedanken gut rechtfertigen und auch den des heiligen Franz von Sales, und die eure Seelen erleuchten sollen. „Sie haben scheinbar,“ sagte er mir, als er von euch sprach, „alle die gleiche Erziehung.“ Ich sagte ihm, dass tatsächlich die mehr oder weniger große Ähnlichkeit die Treue zum Direktorium bezeuge. Er machte mir diese Bemerkung, dass es zwischen euch ein Familiensiegel, ein Siegel der Ähnlichkeit gebe, das man anderswo nicht findet. Obgleich die Nonnen der anderen Kongregationen heiliger sind als ihr, haben sie alle nicht diese Ähnlichkeit, diese Familienzüge, die ihr habt. Das ist Herrn Vosdey aufgefallen. Tatsächlich üben diejenigen, die die größte Ähnlichkeit mit unserem seligen Vater haben, das Direktorium am besten aus.
Als Herr Vosdey von euch sprach, sagte er noch: „Aber aus welcher Region kommen sie?“ „Aus verschiedenen Gegenden“, antwortete ich ihm, „nicht den gleichen Gegenden, aus denen sie kommen, verdanken sie diese Ähnlichkeit, sondern dass sie alle im Haus des heiligen Franz von Sales wohnen.“
Macht euch das Direktorium zur Gewohnheit, meine Kinder. Obgleich ich es euch jeden Sonntag erkläre, empfehle ich euch neuerlich, es gut zu üben. Denn ich glaube, euch seine Wichtigkeit während der Exerzitien besser erkennen zu lassen.
Und bei dieser Gelegenheit werde ich euch eine Kleinigkeit sagen, die an euch gerichtet ist. Das ist keine Bemerkung, die mir Herr Vosdey heute machte. Nun gut! Ich sehe, dass ihr eifriger, frömmer sein müsst, als ihr seid. Es ist gut, dass ihr gut seid, aber ihr müsst das Ordensleben mehr übern, ihr müsst eine vertraute, völlige Übung davon haben. Herr Vosdey fand eine große Ähnlichkeit unter euch, aber vielleicht wäre er nicht auf denselben Eifer bei all denen gestoßen, die die Exerzitien machen, als bei denen, die sich auf die Profess vorbereiten. Wir sind nicht ernst genug, wir sind nicht genug aufmerksam bei der Übung des Direktoriums, es ist für uns keine grundlegende Gewohnheit, es ist für uns keine Hauptsache. Um eine gute Oblatin zu sein, muss man das Direktorium gut verstehen.
Meine Kinder, man muss de Entschluss fassen, es zu üben, es zu lieben. Man muss das Ordensleben sehr schätzen. Sehr im heiligen Jahr, wie eifrig die Mädchen waren, die Nonnen wurden! Sehen wir, was wir sind, wir, die wir erst beginnen. Wenn wir nicht eifrig sind,was werden die sein, die nach uns kommen? Seien wir also nicht so ruhig, seien wir nicht so still, seien wir nicht so in Frieden! Gott gegenüber müssen wir feuriger, eifrige sein. Seht, was die Liebe zum lieben Gott und zur Ordensregel ist! Seht eifrige Nonnen, welche Angst haben sie, ihre Pflichten zu versäumen, welche Selbstabtötung, wie sind das wahre Nonnen! Das sind nicht nur Personen, die anders gekleidet sind als die anderen, das sind Nonnen. Versteht das wohl, meine Kinder, macht es, und ihr werdet sehen, wie ihr um euch herum Segen anzieht.
Ich rechne damit, dass diese Exerzitien für alle eine sehr ernste, völlige Erneuerung sein werden. Macht nichts Ungefähres, sondern macht etwas Nützliches für den lieben Gott, etwas Absolutes. Ich habe euch soeben gesagt, was euch fehlt, es ist der Eifer bei euren Handlungen. Im Ordensleben ist der Eifer ein heiliges Feuer, das uns handeln lässt. Er ist ein heiliges Feuer, das uns verstehen lässt, das uns unsere Aufgaben schätzen lässt. Wisst ihr, was das Ordensleben ist? Es ist ein Stück auf die Erde herabgestiegener Himmel. Indem ihr Nonnen werdet, seid ihr euch eures Heiles sicher. Ich kann euch wohl sagen, was der heilige Bernhard seinen Nonnen sagte: keine von euch wird verdammt werden, wenn sie nicht abtrünnig wird. Und ihr werdet nicht nur gerettet werden, ihr werdet auch vom lieben Gott gut aufgenommen werden. Ich bin sehr imstande, euch dies zu sagen. Ich verspreche euch allen euer Heil. Das soll euch ermutigen, nicht nur euer Heil zu verdienen, sondern den lieben Gott umso mehr zu lieben, als er mehr für euch gemacht hat.
Ergebt euch also wieder, meine Kinder, Gefühlen der Achtung, der Gottesliebe und des Eifers, damit ihr alle verjüngt werdet, und dass eure Werke nicht tot sind. Ihr werdet keine schmachtenden Seelen sein, Seelen, die weder Form noch Beständigkeit haben, unentschlossene Seelen, empfänglich zu wollen und nicht zu wollen, bald Gutes, bald Schlechtes zu tun, wenig oder fast nichts zu machen. Die heutige kanonische Prüfung hat gezeigt, dass ihr Kinder derselben Familie seid, und dass ihr sehr gute Nonnen sein könnt. Aber wir müssen uns alle prüfen. Lassen wir unsere Seelen nicht schwach werden und verkümmern, lassen wir sie nicht zu nichts werden.
Werden wir eifrig sein, indem wir lärmen? O nein, der Eifer ist etwas Sanftes, Mildes, er ist das Feuer in uns. Wenn unser Herr sogleich auf dem Altar sein wird, um euch zu segnen, bittet ihn wohl, dass er in euren Seelen dieses heilige Feuer des Eifers, dieses heilige Feuer des Antriebs entzünde. Ich bin auf die Erde gekommen, um das Feuer in die Herzen zu bringen, und was will ich sehen, außer dass es sich dort entzündet? Das ist der Wunsch Gottes! (Vgl. Lk 12,49) Während seines irdischen Lebens hat unser Herr nur zweimal einen innigen Wunsch geäußert. Er hat sich gewünscht, mit seinen Jüngern Ostern zu feiern: „Ich habe mich sehr danach gesehnt, vor meinem Leiden dieses Paschamahl mit euch zu essen.“ (Lk 22,15). Und er wünschte sich unsere Liebe: Ich bin gekommen, um das Feuer auf die Erde zu bringen, und ich will sehen, dass es sich in den Seelen entzündet (Lk 12,49).
Werdet ihr angesichts dieses Wunsches des Heilands kalt und gefühllos bleiben? O nein, ihr werdet nicht so handeln! Ihr seid das Salz der Erde. Das Salz macht Lebensmittel haltbar. Wenn es seine Kraft verliert, wäre es nichts mehr wert, es würde weggeworfen. Es ist das System des Teufels, den Eifer in den frommen Seelen zu verringern. Nun ist das Salz schal geworden, es ist nichts mehr wert und kann nur die Seelen schwächen.
„O Jesus, du wolltest in diesen Tabernakel kommen, für uns bist du darin eingeschlossen! Du wolltest auf die Erde kommen, um in den Herzen das Feuer deiner heiligen Liebe zu entzünden. O, diese Wünsche hast du für mich erfüllt, und ich wäre sehr undankbar, schuldig, verrückt, würde ich dem nicht entsprechen!“
„O Jesus der Eucharistie! Gib uns die Gnade des Eifers, leg ihn in unsere Seele, bewahre sie, damit wir immer deine göttlichen Wünsche erfüllen!“ Amen.