Exerzitienvorträge für die Oblatinnen 1876

      

4. Vortrag: Über die Gewissenserforschung (Fortsetzung)

Dienstag Abends, 17. September 1876

Meine Kinder, nach der allgemeinen Betrachtung unserer Fehler, unserer Verstöße und unserer schlechten Neigungen müssen wir zur einzelnen Erforschung kommen bezüglich der Anklage unserer Sünden.
Nach der Ordensregel müssen wir unser Gewissen zwei Mal am Tag erforschen: am Morgen und am Abend. Der heilige Franz von Sales will, dass wir diese beiden Gewissenserforschungen auf gleiche Weise vorbereiten, und dass wir die Fehler der vorausgegangenen Erforschung hinzufügen, um sie beim Bußgericht anzuklagen. Das ist also unsere alltägliche Verpflichtung. Aber wir machen wir diese doppelte Gewissenserforschung?
Bei der Gewissenserforschung am Vormittag achten wir darauf, wie wir unsere Morgenübung und unsere Betrachtung gemacht haben, wie wir die heilige Messe mitfeierten, wie wir die verschiedenen Arbeiten erledigt haben. Wir müssen auch darauf achten, ob wir uns nicht in unseren persönlichen Neigungen gehen ließen, ob wir in unserer Beziehung zum Nächsten gegen die Nächstenliebe gefehlt haben. Dann sollen wir uns an die Hauptfehler der vorangegangenen Gewissenserforschungen erinnern und den Akt der Reue machen.
Am Abend ist die Gewissenserforschung ein wenig umständlicher, weil die Rekreation Gelegenheit zu vielen Fehlern bietet. Wir müssen schauen, welche Beziehungen wir mit dieser oder jener Schwester hatten, ob wir Worte sagten, die gegen die Liebe waren, ob wir der Eigenliebe, Selbstsuche dienten, ob wir von uns gesprochen haben, ob wir uns in unseren persönlichen Neigungen, den Zerstreuungen gehen ließen. Wenn dann die Gewissenserforschung am Abend gemacht ist, muss man sie, wie das Direktorium angibt, mit einem Akt der Reue beenden und dem lieben Gott versprechen sich zu bessern. Das ist die Einzelerforschung, die eine entfernte Vorbereitung auf die Beichte ist.
Die dritte Gewissenserforschung, die man vor einer Beichte macht, soll die täglichen Erforschungen vereinen. Wie lange soll sie dauern? Ich glaube, dass zehn Minuten genügen, denn das ist die Zeit, die wir brauchen, um einen Blick auf die Gesamtheit unserer Fehler zu werden und sie uns in Erinnerung zu rufen, da wir ja gewohnt sind, unser Gewissen zu erforschen.
Wenn die Gewissenserforschung gemacht ist, müssen wir unsere Beichte vorbereiten, damit sie nicht eine Geschichtsstunde ähnelt. Wir sollen nicht die Geschichte unseres Lebens seit unserer letzten Beichte Tag für Tag, Stunde für Stunde erzählen. Unsere Beichte ist nicht die Geschichte all dessen, was uns in den Sinn kam oder wir gewollt haben. Die Beichte einer Oblatin braucht nicht lang zu sein, sie sei vielmehr kurz. Hier ist der Grund dafür: die Beichte von guten und heiligen Nonnen ist immer kurz. Ihr werdet mir sagen: „Sie sind Heilige, sie begehen weniger Sünden als wir.“ Ja, das ist wahr, aber sie können auch ihre Fehler zusammenfassen und mit wenigen Worten sagen.
Ein Beispiel: diese Woche hattet ihr mehrere Verfehlungen. Ihr ward sehr zerstreut, sehr wenig fromm, ihr habt es versäumt, euch rechtzeitig bei den Übungen einzufinden aus Abneigung, aus Nachlässigkeit. Da muss man sagen: „Ich klage mich an, diese Woche mehrere schlechte Tage verbracht zu haben, in dem ich aus Faulheit, Abneigung, Erschlaffung, Nachlässigkeit meinen Neigungen folgte.“ Oder ihr habt euch vorzuwerfen, bei eurer Arbeit gegenüber dieser oder jener Schwester launisch gewesen zu sein. Ihr sagt: „Ich klage mich an, gegen die Nächstenliebe, das Eingehen auf meinen Nächsten, die Schwester im Amt gefehlt zu haben.“ Ihr werdet abgelenkt, zerstreut, ihr habt euch euren Gedanken hingegeben, besonders während der Heiligen Messe, was sehr schlecht ist, weil ihr da nur beten sollt. Ihr müsst sagen: „Ich klage mich an, mich in Unannehmlichkeiten, Entmutigungen gehen gelassen zu haben.“ Das Wort Entmutigung ist nicht salesianisch, ich habe es nie bei den Heimsuchungsschwestern gehört. „Ich klage mich an, während der Heiligen Messe meinen Gedanken gefolgt zu sein.“ Ihr habt eure Woche nicht gut mit dem lieben Gott verbracht. Ihr sollt es nur mit eigenen Worten sagen. Ich glaube, dass eine wöchentliche Beichte mit fünf oder sechs Sätzen gemacht werden kann, denn man soll keine Geschichten erzählen, sie sind dafür nicht schön genug. Der heilige Franz von Sales will es nicht.
Meine Kinder, ihr müsst eure Beichte sorgfältig vorbereiten, damit sie gut zusammengefasst ist, sie kurz machen, vieles mit wenigen Worten sagen. Die lange Beichte ist ganz gegen den Ordensgeist. Ihr werdet denken, dass ich das sage, weil ich euch die Beichte abnehme und euch nur wenig Zeit schenken kann. Nein, ich sage das, weil eine gute Nonne mit einigen kurzen und einfachen Sätzen beichten können muss.
Ihr müsst euch des Grundes anklagen, der euch diesen Fehler begehen ließ: ob die Antipathie, die geistige Faulheit, die Selbstsuche oder irgendeine Leidenschaft die Ursache ist, ob ihr unangenehm berührt seid über das, was man euch gesagt hat und ob ihr euch nicht beherrscht habt. Versteht das, meine Kinder, und mögen eure Beichten gut vorbereitet sein, damit ihr sie in fünf oder sechs Sätzen machen könnt. Wenn ihr es so macht, werdet ihr sie immer gut machen, und es ist unbedingt notwendig, dass eine Nonne gut beichten kann.
Es müssen also die Postulantinnen und die Novizinnen lernen, gut zu beichten, wie es das Direktorium angibt, denn ihr müsst alles in gleicher Weise machen.
Wenn es notwendig ist, um eine Aufklärung zu bitten, oder in einem Augenblick der Versuchung oder in einem besonderen Umstand sich auszusprechen, kann man es machen; aber das soll nicht zur Gewohnheit werden.
Meine Kinder, ihr müsst also eure Beichten gut vorbereiten. Macht sie so, dass sie sehr klar sind, ohne jedoch schöne Sätze zu machen, aber sie sollen gut gesagt werden. Bemerkt, wie der heilige Franz von Sales bei den Versammlungen und überall will, dass die Schwestern gut sprechen, dass alles, was sie sagen, einfach gesagt wird, aber gut passend und in angemessenen Worten. Umso mehr muss das für die Beichte gelten. Ich wiederhole also, wenn ihr sieben Minuten dazu verwendet, um eure Fehler der Woche zu finden, müsst ihr wohl drei oder vier dazu verwenden, um die Weise zu suchen, sie so kurz und schnell wie möglich zu sagen. Das ist eine Übung der Intelligenz. Es ist wohl war, dass unsere Seinsweise draußen immer die ist, wie wir uns gerade im Innern befinden. Wenn unser Herz gut geordnet ist, sind es auch unsere Worte: der Mund spricht immer, wovon das Herz voll ist. Wenn das Innere gut ist, ist es auch das Äußere.
Wenn die Gewissenserforschung und die Beichtvorbereitung beendet ist, muss man unmittelbar danach den Akt der Reue machen. Diese Reue muss tief sein, denn die Fehler, die wir machen, sind zu beträchtlich. Sind sie sehr schwer? Nein, hoffe ich, aber für eine Nonne sind sie immer zu groß. Wenn ihr also eine würdevollere Person beleidigt, die euch großes Interesse entgegen bringt, ist ihr euere Beleidigung fühlbarer, als wäre sie von einer Person gemacht, die sie nicht kennt. So ist es auch bei uns, wenn wir den lieben Gott beleidigen. Da er uns unendlich mehr als andere liebt, sind wir schuldiger als die, die ihm nicht gehören. Als der heilige Bernhard von müßigen, unnützen und vor allem unbedachten und leichtfertigen Worten sprach, sagte er, dass sie im Mund von Laien nichts seien, aber im Mund von Priestern und Ordensleuten seien es Gotteslästerungen. Deshalb müssen die Nonnen getreu den Ernst in ihren Worten wahren, die leichtesten Fehler fürchten und sehr bekümmert sein, sie begangen zu haben.
Seht den heiligen Aloisius von Gonzaga. Er weinte bitterlich über seine geringsten Fehler. Auch der heilige Franz von Sales weinte bitterlich über einen kleinen Diebstahl, einen kleinen Ungehorsam. Er hatte keine Lüge zu beklagen, er hat nie gelogen. Je mehr sich die Heiligen Gott nähern, desto mehr fühlen sie die Schwere ihrer Fehler und die Notwendigkeit, sie zu bedauern.
Meine Kinder, nachdem ihr die Gewissenserforschung gemacht habt, müsst ihr euch zur Reue anregen, euch in dem Augenblick am Fuß des Kreuzes halten, als unser Herr stirbt, und denken, dass sein Blut für uns vergossen wird, denn er ist nur für euch gestorben. Er hat es ganz für euch vergossen. So ist es auch in der heiligen Eucharistie. Wenn man die heilige Hostie empfängt, empfängt jeder unseren Herrn ganz. Ebenso ist er gestorben für jeden von uns. Sein Leiden, seine Qualen, seine Angst sind auch für uns. Sein letzter Blick, sein letzter Seufzer, alles gilt uns! Deshalb will der heilige Franz von Sales, dass wir uns zu Füßen des Kreuzes unseres Herrn stellen, wenn wir uns auf die Beichte vorbereiten, damit wir dem Empfang des Bußsakramentes großen Ernst entgegenbringen.
Meine Kinder, möge unser Herr, der euch sogleich segnen wird, euren Herzen diese Grundsätze einprägen und euch die Gnade schenken, immer treu zu sein. Amen.