Exerzitienvorträge für die Oblatinnen 1876

      

3. Vortrag: Über die Gewissenserforschung

Dienstag Vormittag, 12. September 1876

Meine Kinder, um Exerzitien so zu machen, wie es der heilige Franz von Sales wünscht, muss man verschiedene Zustände durchmachen. Und da uns die Exerzitien mit Gott vereinen sollen, glaube ich, dass euer erster Tag in der Stille, der Sammlung vergangen ist, in Achtung und Ehrfurcht vor dem lieben Gott, und dass ihr eure Gedanken und euren Willen zu ihm zurückführtet.
Heute werden wir die Erforschung unseres Gewissens beginnen, denn die Exerzitien sollen auch unsere Seele reinigen. Und wie ist sie zu reinigen? Wir können es nur machen, wenn wir ihre Fehler, ihr Elend, ihre Flecken und Sünden kennen. Heute Vormittag müssen wir uns also in die Gegenwart Gottes versetzen, die Fehler und Verfehlungen suchen, die wir begangen haben und vor allem die Gründe, die uns zu Fall brachten. Wir müssen auch unsere schlechten Neigungen suchen, um sie gut zu kennen, zu studieren und zu verabscheuen, und wir werden feststellen, wie groß und gefährlich sie sind. Nachdem wir uns an den Fuß des Kreuzes gestellt haben, werden wir sehen, was uns die Fehler begehen ließ: ob es der Stolz ist, die Sinnlichkeit, die Suche nach unserer persönlichen Befriedigung, die Eigenliebe, die unmäßige Liebe zu unserem Wohlbefinden. Und wir dürfen keinesfalls die Gründe verringern, die uns diese Fehler begehen ließen.
Heute Vormittag, meine Kinder, werden wir also diese Gewissenserforschung ernsthaft machen. Wir müssen uns wohl demütigen. Wir werden allgemein die Fehler unseres Lebens erforschen und was ihre Gründe waren. O, wenn wir immer den Bewegungen der Gnade gefolgt wären, wie schön und rein wäre unsere Seele vor dem lieben Gott geblieben! Wir müssen also einen Blick auf unsere Fehler werfen, unsere Sünden verabscheuen und unseren Herrn um Verzeihung bitten. Wir werden gut prüfen, ob die Selbstgefälligkeit, die Wertschätzung unserer Urteilskraft, unser Eigensinn der Grund unserer Fehler war, ob wir von der Esslust getrieben wurden; schließlich werden wir alle Neigungen prüfen, die an unserer elenden Natur hängen. Wir müssen auch sehen, ob wir unserer Fehler aus Mangel an Aufrichtigkeit, Offenheit begehen, ein Laster, das von der Lüge kommt. Die Lüge ist dem Teufel eigen. Der Teufel ist der Lügner schlechthin. Er täuschte unsere ersten Eltern Adam und Eva. Wenn wir zum lieben Gott, zu den anderen, zu uns selbst, bei unserer Tätigkeit nicht aufrichtig sind, nennt man das Doppelzüngigkeit.
Schauen wir also, was die Quellen unserer Fehler sind, was uns handeln ließ. Ist es der Stolz? Ist es die Doppelzüngigkeit? Ordnen wir alle diese Fehler in unserem Geist, machen wir so eine allgemeine Erforschung unseres Gewissens.
Meine Kinder, man muss diese Erforschung fromm machen, ohne sich dabei entmutigen zu lassen. Begeben wir uns dazu zu Füßen des Tabernakels. Je mehr wir auf den lieben Gott vertrauen, desto mehr werden wir unserer Fehler aufrichtig gestehen, um so größer wird für uns das Erbarmen Gottes sein. Gehen wir auf den Grund unserer Seele, auf den Grund unserer armen und elenden Natur und schauen wir, ob bis hierher die Taten unseres Lebens nicht von der Doppelzüngigkeit, vom Stolz motiviert wurden. Schauen wir, ob wir genügend Herz für den lieben Gott haben, ob wir nicht alles gemacht haben, um unseren Stolz zu befriedigen, um das Urteil der anderen zu unseren Gunsten zu fälschen, um uns in der Welt in den Vordergrund zu stellen, um uns das Wohlwollen der anderen zuzuziehen. Wir lassen uns zu sehr gehen. Es gibt zu viel Unordnung und Verwirrung im Haus unserer Seele, dass der liebe Gott nicht hineinkommen kann. Das ist der Zustand unserer Seele, wenn wir in unserem Stolz, in unserer Doppelzüngigkeit leben.
Meine Kinder, geht wohl auf den Grund eurer Seele. Und wenn ihr hinabsteigt, werdet ihr dort eine helfen Hand fühlen! Es wird die Hand des Heilands sein, der euch suchen kommen wird. Wenn ihr nicht hinabsteigt, werdet ihr ihn dort nicht finden. Wenn ihr euch jedoch gut erforscht, wenn ihr euch dort hinbegeben, auf euren Platz, wird der Heiland kommen, er wird euch die Hand reichen und euch helfen.
Setzen wir unsere Exerzitien fort, seien wir nicht zerstreut, sorglos. Die Sache ist der Mühe wert. Bitten wir Jesus, der sich bis zum Tod am Kreuz demütigte, Jesus, der im Tabernakel gegenwärtig ist, um uns sehen zu lassen, um uns gut selbst verleugnen zu lassen, um uns den Abgrund unseres Elends und den Abgrund seines unendlichen Erbarmens fühlen zu lassen. Amen.