Exerzitienvorträge für die Oblatinnen 1876

      

2. Vortrag: Über die innere Stille

Montag Abends, 11. September 1876

Meine Kinder, wie wir heute Vormittag sagten, soll dieser erste Exerzitientag in der Stille vergehen. Wir müssen jede Zerstreuung, jeden fremden Gedanken entfernen, damit unser Herr kommt und zu uns spricht. Wenn in der geistigen Einsamkeit jemand spricht, so soll das nicht der Jünger, sondern der Meister sein. Bis morgen Vormittag, bis zum Vortrag entfernen wir jeden Gedanken, jeden Wunsch, halten wir Ruhe in unserem Geist. Rufen wir Jesus, den Geliebten unserer Seele, sagen wir ihm, dass wir mit ihm eng vereint sein wollen, dass wir nichts für uns haben wollen, sondern dass alles für ihn ist. Möge nichts in uns dieser Anlage entgegenstehen. Sie ist wesentlich, sie ist unbedingt notwendig, um in Exerzitien zu gehen. Ohne sie wären die Exerzitien fruchtlos, es gäbe wenig zu ernten und zu sammeln.
Wir fassen gute Vorsätze, meine Kinder. Wenn sich aber der Versucher einmischt und wir uns auf uns selbst stützen, werden wir sicher mehr erschüttert, heimgesucht und von der Versuchung gequält werden, als wir es vorher wurden. Wir müssen also unsere Seele gut beruhigen. Halten wir nicht nur die äußere Stille, sondern auch die innere. Halten wir die Stille in unseren Gedanken, die Stille unserer Abneigungen für dies oder das, für diese oder jene Person. Bitten wir unseren Herrn, dass in unsere Seele Ruhe einzieht, damit wir nicht mehr diese Schwierigkeiten, diese innerliche Arbeit haben. Bringen wir zum Schweigen, was uns Sorgen macht, entfernen wir alle unnötigen Gedanken, die uns dazu bringen können, uns mit unserer Gesundheit zu beschäftigen, mit unseren Verwandten, mit Widerwärtigkeiten, die wir kommen sehen, mit Verwirrungen, in die wir geraten könnten. Das wäre verlorene Zeit.
Wir sehen im Evangelium des vergangenen Sonntags diese Worte unseres Herrn: „Seht euch die Vögel des Himmels an: Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in Scheunen; euer himmlischer Vater ernährt sie. Seid ihr nicht viel mehr wert als sie? Wer von euch kann mit all seiner Sorge sein Leben auch nur um eine kleine Zeitspanne verlängern? Und was sorgt ihr euch um eure Kleidung? Lernt von den Lilien, die auf dem Feld wachsen: Sie arbeiten nicht und spinnen nicht. Doch ich sage euch: Selbst Salomo war in all seiner Pracht nicht gekleidet wie eine von ihnen.“ (Mt 6,26-29) Wir müssen es ebenso für unsere Seele machen, sich nicht viel sorgen, sich nicht sagen: „Wie werde ich dies oder das machen, wie wird sich dies oder jenes regeln lassen?“ Ich spreche für unser Persönliches, denn wenn es Dinge sind, die von der Gemeinschaft unserer Sorgfalt anvertraut werden, Dinge, die wir verwenden, ist diese geistige Einsamkeit gut, der Gehorsam hat sie uns übertragen, man muss sie ordnungsgemäß ausführen, aber alles, was unser Eigen ist, müssen wir zum Schweigen bringen.
Meine Kinder, die innere Beschäftigung mit uns selbst missfällt dem lieben Gott. Was vermag er in einer Seele, die von sich selbst eingenommen ist, und in der sich alles mögliche Elend befindet? Wenn Gott uns mit uns selbst beschäftigt sieht, geht er weg, und wenn er weg ist, kommt er nicht zurück. Fürchtet Jesus, der vorbeigeht und nicht mehr zurückkommt. Tatsächlich ist Jesus, der vorbeigeht, eine verlorene Gnade. Es war die Gnade des Augenblicks, die Gnade der Exerzitien, und alle Folgen dieser Gnade sind verloren.
Bringen wir alle unsere Schwierigkeiten, unsere Verwirrungen, unsere Befürchtungen und alles Persönliche, alles, das uns betrifft, zum Schweigen. Leben wir in uns, als ob wie bei einem anderen als bei uns wären; bringen wir unsere Abneigungen, die Aufmerksamkeit auf uns selbst, unsere Vorlieben, unsere Zuneigungen zum Schweigen, denn wenn wir eine Zuneigung außerhalb des lieben Gottes haben, sind wir nicht rein. Wenn unser Herz jemand außerhalb der Gottesliebe liebt, fehlen wir gegen unser Keuschheitsgelübde. Da wir nur für uns leben, kommt unser Herr nicht in unser Inneres. Wir empfangen ihn, wenn ihn uns nichts lärmt, wenn er dort die Stille der Zuneigung, der Aufmerksamkeit auf uns selbst findet. Der Herr kommt nicht in den Lärm, und nichts macht so viel Lärm wie die Umgebung unserer Zuneigungen, dessen, das von uns selbst ist. Das ist der große Lärm, den man stoppen muss. Es ist nicht der Lärm der Straße, der Wagen, der Hämmer, der Kinder. Unser Herr liebt die kleinen Kinder, da er sagte: „Lasst die Kinder zu mir kommen.“ (Mt 19,14). Man beruhigt sich sehr über den Lärm von draußen, das hindert nicht unseren Herrn in unser Inneres zu kommen.
Die Kanaanäerin nähert sich unserem Herrn und die Apostel waren verärgert über den Lärm, den sie machte. Sie sagten zum Heiland: „Befrei sie (von ihrer Sorge), denn sie schreit hinter uns her.“ (Mt 15,23). Das ist nicht dieser Lärm, der unserem Herrn missfällt. Ein anderes Mal nähert sich eine kranke Frau, die in der Menge von hinten an ihn herantrat und das Gewand der Herrn berührte und sogleich war sie geheilt. Im selben Augenblick dreht sich der Heiland um und sagt: „Wer hat mein Gewand berührt?“ Die Jünger antworteten ihm, vielleicht ein wenig ungeduldig: „Du siehst doch, wie sich die Leute um dich drängen, und da fragst du: Wer hat mich berührt?“ – Tatsächlich“, sagt Jesus, „eine Kraft ist von mir ausgegangen, ich habe es gefühlt.“ (vgl. Mk 5,30-31).
Beachtet noch diesen Abschnitt des Johannesevangeliums, wo gesagt wird, dass Heiden Philippus bitten, ihnen unseren Herrn zu zeigen, und Philippus sagt: „Meister, Leute sind von weit her gekommen, um dich zu sehen. Und unser Herr antwortete: „Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht wird … Vater, verherrliche deinen Namen!“ Und man hörte eine Stimme vom Himmel, die sagte: „Ich habe ihn schon verherrlicht und werde ihn wieder verherrlichen.“ (Vgl. Joh 12,21-28). In diesem Augenblick sah unser Herr alle Nationen zu ihm kommen, damit sie durch seine göttlichen Verdienste gerettet werden.
Ihr seht es, meine Kinder, das Auffallendste des Lebens unseres Herrn tritt auf, wenn er gebeten wird, von allen Seiten bedrängt wird. Ich wiederhole es: zu vermeiden ist nicht so sehr der äußere Lärm, sondern vor allem der innere. Wir müssen unsere Leidenschaften der Abneigung, des Widerwillens, des Stolzes, der Selbstgefälligkeit, der Beschäftigung, Aufmerksamkeit und Sorge für uns selbst zum Schweigen bringen. Diese Leidenschaften machen so viel Lärm, dass sich die Stimme unseres Herrn kein Gehör verschaffen kann. Wir müssen bei allen unseren Überlegungen, Abneigungen, Selbstbeobachtungen und Selbsterwägungen die Stille herstellen. Es ist das Getöse, das so viel Lärm macht. Wir machen zu viel Aufsehen mit diesen Überlegungen. Fassen wir also den Entschluss, sie so gut zum Schweigen zu bringen, dass nur noch die Stimme unseres lieben Jesus zu hören ist.
Wenn ihr ungeduldig werdet, meine Kinder, ist dann nicht der Lärm, der in eurem Herzen entsteht, viel lauter, als der Lärm, den ihr nach Außen hin macht? Wenn ihr euch selbst bemitleidet, ist dann dieses Gefühl in euch nicht stärker, als ihr es nach Außen hin ausdrücken könntet? Wenn ihr euch über etwas ärgert, ist dann der Lärm in euch nicht stärker als die Bewegung, die eure schlechte Laune kennzeichnet? Es ist also der Lärm in euch viel lauter als der von Außen. Auch wenn ihr mit dem heiligen Johannes in der Wüste wäret, oder seit fünfzig Jahren bei den Einsiedlern von Thebaïs, wenn ihr inneren Lärm machtet, käme unser Herr nicht zu euch.
Möge dieser göttliche Heiland, der unser aller großes Vorbild ist, euch lehren, das innere Schweigen zu bewahren. Sehr ihn, meine Kinder, er ist in seinem Tabernakel, er macht keinen Lärm, er hat keine Abneigung. Er bleibt äußerlich völlig gleich, egal ob ihr nicht gut vorbereitet seid, ihn zu empfangen, oder besser vorbereitet. Wenn ihr besser vorbereitet seid, liebt er euch mehr, aber er zeigt euch das nicht äußerlich.
O Jesus, schweigend in deinem Sakrament der Liebe, lehre uns, diesen Tag gut zu beenden, damit sich die Stille gut in unserer Seele ausbreitet, du könntest ja zu uns sprechen. Möge jede von euch, meine Kinder, dem Heiland sagen: „Sprich, Herr, denn deine Dienerin hört dir zu! Sprich, o mein göttlicher Meister, damit ich heute Abend und morgen Früh bei dir bin, dass du bei mir bist. Auch im Himmel werde ich dir nahe sein, damit ich mich im Geheimnis meines Herzens mit dir unterhalten kann.“ So möge es sein! Amen.