1. Vortrag: Die Wichtigkeit der Exerzitien
Montag Vormittag, 11. September 1876
Meine Kinder, wir werden heute Vormittag die Exerzitien beginnen, und ich lade alle eure Seelen ein, sogleich in die Sammlung einzutreten, die den Exerzitien angemessen ist. Unser Herr spricht nur zu den Seelen, die von sich selbst losgelöst sind und die sich nicht mit äußerlichen Dingen beschäftigen.
Die Exerzitien heißen bei uns geistliche Einsamkeit, weil sie nicht aus einer Folge von Gebeten und Übungen bestehen. Sie bestehen eher aus der innerlichen Sammlung, aus der ständigen Vereinigung mit dem lieben Gott. Wenn sich die Seele direkt mit Gott unterhält, ist es die Betrachtung, und wenn sie sich über Gott unterhält, ist es die Beschauung. Um die Exerzitien gut zu machen, müssen wir uns ganz besonders sammeln, müssen wir jeden Lärm, jeden Gedanken, jede Sorge von uns entfernen, um Jesus in uns zu rufen. Leben wir gut in seiner Vertrautheit, leben wir gut in seiner Liebe; lassen wir alle Sorgen beiseite, um ganz von Gott eingenommen zu sein.
Während der Exerzitien werdet ihr also gut die Stille einhalten, ihr werdet jedes Geräusch vermeiden, ihr werdet es für einen Fehler halten, ein Wort zu sagen, ein Zeichen zu geben; ihr werdet die Mitteilungen von draußen meiden, damit sich eure Seele nicht nach rechts und links zerstreuen, damit sie sich in größter Ruhe beim lieben Gott verhalten.
Unser Herr geruhte selbst die heilige Übung der Exerzitien zu weihen. Ehe er sein öffentliches, der Heiligung der Welt gewidmetes Leben begann, zog er sich in die Einsamkeit der Wüste zurück, wo er keine andere Zeugen hatte als Gott, seinen Vater und die Engel. Er macht vierzigtägige Exerzitien. Warum? Weil er drei Jahre inmitten der Welt verbringen sollte vor seiner Passion, in der Er leiden und sterben sollte. Und was geschah ihm in seiner Einsamkeit? Er wurde versucht. Wovon? Von Sinnlichkeit, Anmaßung, Stolz, Ehrgeiz. Nachdem er vierzig Tage gefastet hatte, war er hungrig. Und der Versucher näherte sich ihm und sagte: „Wenn du Gottes Sohn bist, so befiehl, dass aus diesen Steinen Brot wird.“ Dann stellte ihn der Teufel oben auf den Tempel und sagte ihm: „Wenn du Gottes Sohn bist, so stürz dich hinab; denn es heißt in der Schrift: Seinen Engeln befiehlt er, dich auf ihren Händen zu tragen, damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt.“ Schließlich bringt ihn der Versucher auf einen hohen Berg, zeigt ihm alle Reiche und Reichtümer der Welt und sagt zu ihm: „Das alles will ich dir geben, wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest.“ (Vgl. Mt 1,3-9).
Ihr seht es, meine Kinder, alle Versuchungen fallen unseren Herrn an. Aber was macht er? Er wendet sich an Gott, seinen Vater, er betet, und er ist siegreich. Wir werden so handeln. Wenn wir Versuchungen haben, wenn uns der Dämon des Stolzes überkommt, werden wir beten, damit die Engel auch zu uns kommen und unserer Exerzitien behüten und beschützen.
Alle großen Seelen machten vertrauliche, tiefe Exerzitien vor jedem wichtigen Akt ihres Lebens. Sehr die heilige von Chantal, ehe sie ihr Werk begann. Der heilige Franz von Sales lässt sie lange Exerzitien machen, und er sagte ihr: Wünschen Sie sich nichts, meine Tochter, als die reine Liebe unseres Herrn. Hier ist also, meine Kinder, ein sehr helles, auf unseren Weg geworfenes Licht; alle Heiligen machten eine geistliche Einsamkeit, ehe sie machten, was ihnen anvertraut wurde.
Der heilige Franz von Sales beruft euch zu sehr großen Dingen. O ja, er beruft euch, nicht um Großartiges zu machen, nicht um sogleich Seelen auszubilden, sondern um eure zuvor zu heiligen und dann die, die euch geschickt werden. Ohne Zweifel werdet ihr entlang eures Weges viele Hindernisse finden, aber ihr werdet standhaft sein.
Es steht in der Heiligen Schrift: „Wer also zu stehen meint, der gebe Acht, dass er nicht fällt.“ (1 Kor 10,12). Die Zeiten sind sehr schwierig, überall herrscht ein erbitterter Kampf; geheime Gesellschaften werden organisiert, um die Jugendlichen zu hindern, ihre Pflichten zu erfüllen, um sie vom lieben Gott zu entfernen. Nicht alle gehören zu diesen teuflischen Gesellschaften, aber ihr Atem verbreitet sich über die Erde und vergiftet alles, was sie umgibt. Es ist wie der Atem des Ungeheuers, von dem in der Apokalypse gesprochen wird, das alle Wesen vergiftete, die sich ihm näherten. Mit der Revolution herrscht der Satan. Er erzeugt Ruinen, riesiges Unglück. Das Gold und die Reichtümer in der Welt überdecken nur zahlreiches Elend. Es sind die vergoldeten Begräbnisse, an deren Grund nur Gestank und Korruption herrschen. Das ist die Welt von heute. Sie ist böse, aber sie ist vielleicht mehr unwissend als schuldig.
Meine Kinder, wir sind das Salz der Erde. Der liebe Gott hat euch inmitten dieses großen Babylons genommen, um die Seelen zu retten. Das ist die Aufgabe, die ihr zu erfüllen habt. Das ist eine wunderbare Aufgabe, die ihr nur gut erfüllt, soweit ihr heilig und eures Willens entledigt sein werdet.
Da das Übel sehr groß ist, da das Übel auf seinem Höhepunkt ist, muss auch die Heiligkeit auf ihrem Höhepunkt sein, sonst würde man nichts tun. Selbst wenn ihr bei dem, was ihr macht, nicht direkt am Heil der Seelen arbeiten würdet, tragt dennoch dazu bei. In einer Armee nehmen nicht alle am Kampf teil. Die einen bringen den Nachschub, die anderen kämpfen, doch alle sind am Krieg beteiligt. Es müssen also jene, die mit manuellen Arbeiten beschäftigt sind, sich als Teil dieser engelhaften Vereinigung betrachten, die den Zweck hat, am Heil der Seele zu arbeiten, dieser heiligen Armee, die in den Herzen die Liebe Gottes siegen lässt.
Das ist, meine Kinder, eure heilige Aufgabe. O, wie ist sie schön! Ehe ihr sie beginnt, sammelt euch, führt eure Seele zu unserem Herrn zurück, wie es die Apostel machten, als der Heiland sie zu zweit aussandte, um die Kranken zu heilen, die Gebrechlichen zu trösten und die Sünder zu bekehren. Er sandte sie aus, um Leib und Seele zu heilen. Wir sind wie sie. Mgr. Mermillod hat es uns gesagt, als er zur Einkleidung unserer beiden ersten Schwestern kam und uns versprach, mit uns zu sein. Er hat euch gesagt, dass ihr zu Großem, zu Erhabenem berufen seid, aber um es zu erfüllen, müsst ihr Heilige sein. Ihr würdet vergeblich arbeiten, würdet ihr nicht gänzlich rein sein, es würde euch nichts gelingen.
Während der Exerzitien, meine Kinder, werdet ihr euch auf eure Aufgaben vorbereiten. Aber denkt noch nicht an eure Berichte noch daran, was ihr später machen sollt. Ich verlange heute von euch eine tiefe Sammlung. Ihr werdet also noch nicht an eure Fehler denken. Ihr werdet eure Seele sammeln, das wird der Tag der Stille, der Tag der Sammlung sein, damit ihr unseren Herrn hören könnt. Ihr werdet ihm sagen: „Meister, wo wohnst du, sag mir, wo dich meine Seele finden kann! Sie braucht dich, nichts sonst kann ihr genügen. Du bist Teil meines Erbes, dich habe ich erwählt.“
Meine Kinder, heute werdet ihr also unseren Herrn suchen, ihr werdet ihn lieben, ihr werdet kein anderes Mittel haben, euch mit ihm zu vereinen, denn um diesen ersten Exerzitientag gut zu beginnen und das Wort des Heilands zu hören, muss eure Seele ganz nahe bei ihm sein. Amen.