Exerzitienvorträge für die Oblatinnen 1875

      

2. Vortrag: Über die Abtötung

Dienstagvormittag, 28.09.1875

Meine Kinder, es ist eine strenge Verpflichtung für alle Christen die Abtötung unseres Herrn zu üben. Wir müssen, sagt der hl. Paulus, mit uns in unserem Körper die Leiden, die Abtötung unseres Herrn tragen. Das ist ein Befehl, eine allen Christen gegebene Vorschrift. Und wenn dieser Befehl so formell den Ordensleuten gegeben. Und ich werden sagen, dass er uns nach besonderer als den anderen gegeben ist. Unsere Regel scheint nicht sehr streng zu sein. Sie ist es tatsächlich nicht, sie mehrt nicht die Abtötungen, die der Glaube der Kirche gibt. Aber wenn wir verpflichtet sind, uns wie Christen abzutöten, sind wir auch noch verpflichtet, uns wie Ordensleute abzutöten. Welche Art von Abtötung werden wir annehmen? Die Vorschrift des Apostels befiehlt uns nicht nur die Abtötung in uns selbst, sondern auch um uns herum. Welches Mittel müssen wir ergreifen, um diesen so klar gegebenen Befehl auszuüben?

Meine Kinder, ihr werdet es verstehen. Das wird euch vielleicht erschrecken. Aber: habt keine Angst. Die Karmelitin hat außergewöhnliche Strengen: sie schläft hart, sie hat keine Wäsche, sie ist sechs Stunden im Chor, sie hat eine sehr arme Nahrung, ihre Nahrungsmittel sind immer mager, was sie isst, ist schlecht gewürzt. Sie hat eine beträchtliche Abtötung, was ihr das Recht gibt, zu denken, dass sie die Abtötung unseres Herrn um sich herum trägt. Sie ist davon von allen Teilen umgeben. Nun werde ich euch sagen, meine Kinder, dass eine Oblatin unseren Herrn nachahmen muss und nach dem Beispiel des hl. Franz v. Sales muss sie die Abtötung noch beständiger, wenn möglich als eine Karmelitin tragen. Das scheint euch eigenartig? Nun gut, ihr werdet sehen. Das ist eine Wahrheit, der ihr euch ergeben müsst.

Der hl. Franz v. Sales aß wie jedermann. Er musste viel essen. Sein Appetit wäre für einen Karthäuser, eine Karmelitin, einen Einsiedler scheinbar beträchtlich erschienen. Und dennoch fand er das Mittel immer die Abtötung zu üben. Er übte sie so, dass die Ärzte nach seinem Tod die Galle ganz versteinert fanden, so hart wie Stein, und sie sagten, dass dieses Phänomen dem Zwang verdankte, den er sich sein ganzes Leben lang auferlegte, denn er musste kämpfen, er musste ständig kämpfen. Unser seliger Vater machte keine sehr hervorragenden Abtötungen, aber seine Abtötungen waren ständig, sodass sein physischer Zustand diesen Gegenschlag empfand.

Meine Kinder, das ist unser Vorbild. Die so geübte Abtötung scheint nicht viel, aber sie ist ständig: sie lenkt alle unsere Ansichten, alle unsere Gedanken, sie inspiriert alle unsere Handlungen. Und wenn der hl. Franz v. Sales mit 55 Jahren starb, so ist das vielleicht nicht infolge dieser Abtötung, dieser ständigen Marter, die er sich in allem aufzuerlegen wusste? Das ist das Vorbild, das ihr alle nachahmen sollt. Fürchtet nicht, dadurch euer Leben zu verkürzen.

Um euch zu helfen, unseren seligen Vater gut nachzuahmen, wirklich abgetötet zu sein, wie er es war, werde ich euch zwei Arten von Abtötung angeben. Ich werde nicht ausführlich sein, aber ich werde mich bemühen, klar zu sein.

Es gibt zwei Arten der Abtötung: die angebotene Abtötung und die auferlegte Abtötung. Die angebotene Abtötung ist die, die man nach eigener Wahl dem lieben Gott darbringt. Die auferlegte Abtötung ist die, die uns von der Regel vorgeschrieben wird. Der hl. Franz v. Sales übte diese beiden Abtötungen in wunderbarer Weise.

Meine Kinder, ich hefte diese Abtötungen an euer gewohntes Leben. Um die von der Regel auferlegte Abtötung zu üben, müsst ihr die Regel gut beobachten. Am Morgen müsst ihr beim ersten Glockenton aufstehen. Manchmal ist das schwer: man ist nicht geneigt, ein Tag wie der andere. Die Übungen sind mühsam, sie sind sehr hart. Im Speisesaal werdet ihr nicht bedient als wäret ihr Herrinnen. Im Speisesaal kann man zwei Arten von Abtötungen üben: die positive Abtötung, die darin besteht sich etwas zu versagen, und die negative Abtötung, die nicht nach unserem Geschmack ist, das unseren Sinnen missfällt. Ihr sollt nie den Speisesaal verlassen, ohne sich in etwas abgetötet zu haben, und wenn ihr euch einen Bissen Brot versagt. Wie der hl. Franz von Sales sagte, man soll nie herausgehen, ohne Gott ein kleines Angebot gemacht zu haben. Das gilt für die Mahlzeit.

Für die Erholung. Das ist die verdienstvollste Übung des Tages. Nicht alle gefallen euch. Dennoch macht ihr die Erholung aus ganzem Herzen aus ganzer Seele: diese Abtötung ist unserem Herrn angenehmer als jede andere. Ihr versagt nichts eurem Magen, aber ihr versagt etwas eurem Willen. Ihr lasst ihm nicht die Freiheit, mit euren Schwestern zu machen, was er will. Man kann die Heiligkeit einer Nonne durch zwei Dinge beurteilen: durch ihre Beobachtung der Ordensregel und die Art, wie sie ihre Erholungen verbringt. Ihr habt also etwas zu verzichten bei dieser Übung. Ihr seid in der Erholung mit euren Schwestern: diese spricht in einer Art, der ihr zustimmt, jene in einer Art, die euch überhaupt nicht gefällt, und ihr würdet lieber mit der Ersten gehen, ihr wäret zufriedener in ihrer Nähe. Aber wenn ihr unserem Herrn gefallen wollt, sucht ihr nicht die auf, die euch mehr gefällt, sondern ihr geht mit einer anderen, die euch weniger gefällt. Der hl. Franz von Sales hätte das gemacht.

Gehen wir zum Gebet über. Wenn ihr es lang und ermüdend findet, bietet es dem lieben Gott im Opfergeist an, und ihr erfüllt eine Pflicht. Ihr seht es, die Treue zur Regel ist von allen Abtötungen die beträchtlichste. Man muss genau machen, sondern was angegeben ist. Man muss die Abtötung unseres Herrn überall hintragen.

Außer diesen von der Regel auferlegten Abtötungen haben wir andere aus der Hand Gottes anzunehmen. Versteht das gut, meine Kinder. Jede von uns muss Abtötungen annehmen. Wenn wir krank sind, wenn wir Überdruss, Abneigungen, Widerwillen empfinden, wenn wir diese manchmal so mühevollen, so lähmenden Verdrießlichkeiten, diese Agonien empfinden, sind es diese Abtötungen, die man gut nutzen muss. Nichts heiligt so sehr wie die Krankheit, wie die Unmöglichkeit, das Gute zu tun. Nichts heiligt so sehr wie diese Ohnmacht, die bewirkt, dass wir zu nichts fähig sind, und die dennoch macht, dass wir mehr Nutzen für den Himmel haben als bei guter Gesundheit. Ich sage dies nebenbei.

Diese von der Regel angenommene Abtötung, diese von unserer Gesundheit angenommene Abtötung sind dem lieben Gott so angenehm, dass wir nicht nur uns selbst heiligen, sondern dass wir auch fähig sind, die anderen zu heiligen. Die hl. Theresa litt sehr an Zahnschmerzen. Manchmal verlor sie deshalb das Bewusstsein, sie fiel im Chor in Ohnmacht, man musste sie in ihre Zelle zurücktragen und zur Ader lassen. Wenige Personen litten wie sie, und das ständig. Auch der hl. Franz von Sales hat ständig Leiden erduldet vor allem am Ende seines Lebens. Meine Kinder, genug davon, glaube ich, um euch die angenommene Abtötung verständlich zu machen.

Nun füge ich nur wenig für die angebotene Abtötung hin zu, d.h. für die Abtötung, die wir freiwillig dem lieben Gott anbieten, weil wir sie machen wollten. Hört dies gut: Wir dürfen uns nicht mit den Abtötungen der Regel und der Krankheit zufrieden geben, wir müssen in unseren Gewohnheiten immer abgetötet sein. Da ist ein Kleid, das man uns gibt: es stört uns ein wenig. Seien wir zufrieden. Es muss immer etwas nicht gut gehen für unsere Seele und unserem Körper. Wenn wir etwas machen, muss immer etwas nicht so gehen, wie wir möchten. Wir sprechen mit einer Person, wir führen ein angenehmes Gespräch: und da versteht sich diese Person nicht mehr mit uns. Seien wir zufrieden, das für unseren Herrn zu beiden, lieben wir diese Abtötung.

Meine Kinder ihr sollt nie, nie, nie – ich wiederhole es drei Mal – ihr sollt nie mit etwas ganz zufrieden sein. Ihr müsst die Abtötung in jeder eurer Handlung finden. Und wenn der liebe Gott hineingelegt hat, muss man sie hineinlegen.

So also von der Regel angenommene Abtötung, Abtötung durch das Leiden, durch unseren Fleiß angebotene Abtötung, damit wir die Mittel finden, uns in allem, was wir zu machen haben, zu heiligen. Und wenn es manchmal vorkommt, dass wir die Abtötung vergessen haben, und der liebe Gott es zulässt, dass sie über uns kommt, preisen wir ihn. Wir plaudern mit einer unserer Schwestern: sie macht eine Bemerkung, die uns verletzt. Oh, seien wir sehr zufrieden! Wir sind überlastet, etwas fehlt uns. Seien wir zufrieden. Wir finden Kinder, die mit Undankbarkeit bezahlen, wir leiden unter der Überlastung, die wir durch sie empfinden. Seien wir zufrieden. Es wäre nicht notwendig, dass euch unser Herr begegnet, ohne dass ihr ein kleines Kreuz tragt. An dem Tag, wo ihr euer Kreuz nicht tragt, liebt ihr nicht den lieben Gott. Nein, ihr liebt ihn nicht, denn ihr handelt nicht wie er. Ihr liebt ihn nicht, ihr antwortet nicht auf das Zeichen, das er euch gibt. Ihr liebt ihn nicht, ihr handelt nicht, wie er sagt. Ihr liebt ihn nicht, ihr wollt nicht sein Kreuz mit ihm tragen. Ihr liebt ihn nicht, wenn ihr ihm nicht helfen wollt.

Das ist die Grundlage unseres Geistes. Nichts erscheint nach außen von das geschieht, sanft, milde, liebevolle mit dem Nächsten. Wir machen gute Miene zu allem, das uns abstößt, zu allem, das uns ekelt. Der hl. Franz von Sales hat so gehandelt. Meine Kinder, versteht das gut am Anfang dieser Exerzitien.

Möge Jesus jeden Tag seines Lebens den Leiden ausgesetzt, möge Jesus den Verfolgungen der Juden überlassen, möge Jesus in seiner Passion, möge Jesus sterbend am Kreuz euch ein Asyl in seinem Herzen geben, das schlagen aufhört!

Oh Jesus, als Johannes, der geliebte Apostel bei dir war, hörte er dir gut zu und du lehrtest ihn, sein Kreuz zu tragen. Im Augenblick deiner Passion, zu Füßen deines Kreuzes war er mit deiner hl. Mutter da. Sie hatte ihr Herz durchbohrt, verletzt, als sie deinem Schmerz, deine Demütigungen sah und bei der Kreuzigung dabei war. Sie teilte auch deine Leiden. Oh, Jesus, lass mich das gut versteht und die Erinnerung an deinen Tod möge mich ermutigen die Kreuze zu tragen, die die mir auferlegst, und die, welche ich mir für deine hl. Liebe auferlegen werde. Amen.