9. Vortrag: Über die Treue zur Gnade der Berufung
Freitag Vormittag, 18. September 1874
Meine Kinder, heute feiern wir das Fest eines Heligen, dem außergewöhnliche Gnaden zuteil wurden: das Fest des heiligen Josef von Cupertino (1603-1663). Dieser Heilige, der von den Dingen und Wissenschaften der Welt überhaupt nichts wusste, trat bei den Franziskanern ein. Er war Laienbruder und erfüllte ein niedriges Amt: er kochte und kümmerte sich um den Hühnerstall. Nun, der heilige Josef von Cupertino fand inmitten seiner allgemeinen Beschäftigungen, bei den niedrigsten Tätigkeiten außergewöhnliche Hilfen, reichliche Gnaden. Unter allen anderen Brüdern fiel er durch eine erhabene Tugend auf, eine tiefe Demut, eine große Abtötung und einem Geist der Buße, was ihn dazu brachte, seinen Körper sehr rau zu behandeln. Unser Herr gewährte ihm Enthüllungen, er befand sich in außergewöhnlichen Seelenzuständen. Daher bestimmten seine Heiligkeit und seine Wunder seine Oberen dazu, ihm die Weihen zu spenden. Er lebte nicht wie ein Mensch, sondern wie ein Engel. Sein ganzes Leben kam vom Wunder. Sein Tod war eher ein Triumph, eine Ekstase der Liebe, als eine Agonie.
Meine Kinder, ich legte Wert darauf, euch diesen Überblick über das Leben des heiligen Josef von Cupertino zu geben, weil ich vorhin bei der Messe ein wenig überrascht war, dass uns die heilige Liturgie heute an das Gleichnis des Königs erinnert, der seinem Sohn die Hochzeit ausrichtet.
Es heißt in diesem Gleichnis: „Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem König, der die Hochzeit seines Sohnes vorbereitete. Er schickte seine Diener, um die eingeladenen Gäste zur Hochzeit rufen zu lassen. Sie aber wollten nicht kommen. Da schickte er noch einmal Diener und trug ihnen auf: Sagt den Eingeladenen: Mein Mahl ist fertig, die Ochsen und das Mastvieh sind geschlachtet, alles ist bereit. Kommt zur Hochzeit! Sie aber kümmerten sich nicht darum, sondern der eine ging auf seinen Acker, der andere in seinen Laden, wieder andere fielen über seine Diener her, misshandelten sie und brachten sie um. Da wurde der König zornig; er schickte sein Heer, ließ die Mörder töten und ihre Stadt in Schutt und Asche legen. Dann sagte er zu seinen Dienern: Das Hochzeitsmahl ist vorbereitet, aber die Gäste waren es nicht wert (eingeladen zu werden). Geht also hinaus auf die Straßen und ladet alle, die ihr trefft, zur Hochzeit ein. Die Diener gingen auf die Straßen hinaus und holten alle zusammen, die sie trafen, Böse und Gute, und der Festsaal füllte sich mit Gästen.“ (Mt 22,2-10)
Nun, meine Kinder, fragte ich mich, warum uns die Kirche heute diesen Bericht des heiligen Matthäus vor Augen führt, der so endet: „Viele sind gerufen, aber wenige auserwählt“ (Mt 22,14). Die Kirche lehrt uns also, dass es viele Seelen gibt, die zu einer hohen Vollkommenheit berufen sind, und das Fest dieses Tages erinnert uns daran, dass Gott reichliche Gnaden hat, um aus euch Heilige und große Heilige zu machen, die fähig sind, ihn bis zum Kreuzestod zu lieben. Das sind die Gnaden, die Gott euch allen oder fast allen schenkt, um zu einem hohen Grad der Heiligkeit zu gelangen, wenn ihr dieser entsprechen wollt. Ich sage alle oder fast alle, weil niemand hingelangt, ohne es zu wollen. Man entschuldigt sich wohl mit der Schwäche, der Unfähigkeit, dem Mangel an Gesundheit, dem Mangel an Willen, die Schwierigkeiten, die man hat, um die Dinge zu machen. Unter einem Vorwand oder einem anderen macht sich jede vom Festsaal frei. Und dennoch würde sie leben, wenn sie eintreten würde. Sie würde eine reichliche Nahrung erhalten, alle Gnaden, die notwendig sind, um sich zur Vollkommenheit zu erheben. Ja, wenn Gott es will zu einer so großen Vollkommenheit wie die des heiligen Josef von Cupertino, dessen Büßerleben für die Natur so schrecklich war.
Meine Kinder, das ist eine sehr schöne Lehre, die auf alles, was ihr zu machen habt, auf alles, das ihr üben sollt, anzuwenden ist. Gott hat für jede von euch besondere Ansichten, damit ihr zu einer vollkommenen Heiligkeit gelangt. Er ruft euch mit allen möglichen Mitteln. Er ruft euch im Augenblick der heiligen Kommunion, er ruft euch dazu bei Exerzitien, in der heiligen Messer, mehrmals am Tag, in besonderen Umständen. Er sagt zu euch: „Kommt in den Festsaal, alles ist vorbereitet.“ Aber wir entschuldigen uns, wir sagen, dass wir nicht können, dass wir das nicht machen können, und gehen nicht hinein. Also wird die Tür geschlossen, weil wir uns geweigert haben hineinzugehen, und der liebe Gott reiht unsere Seele bei denen ein, die verloren sein werden, und die, wenn sie es nicht sind, erst hingelangen werden, nachdem sie durch das Wasser und das Feuer gegangen sind.
Ihr versteht das wohl, nicht wahr, meine Kinder? Ich war heute morgen sehr betroffen angesichts dieses Heiligen, der sich so hoch erhob, indem er so außergewöhnliche Dinge machte. Einer der größten Leuchten der Kirche, der heilige Thomas von Aquin, der engelhafte Lehrer, der vor ungefähr 600 Jahren lebte, sagte, dass er überzeugt sei, dass dreiviertel der Christen die Ordensberufung haben. Das heißt nicht, dass sie alle in einem Kloster leben sollten, aber viele von ihnen führen ein Ordensleben, das Leben eines Drittordens, innerhalb der Familie. Der heilige Ludwig lebte so. Die Ordensgemeinschaften waren weniger zahlreich als heute, aber viele eifrige Christen übten in der Welt die Tugenden des Ordenslebens. So gab es die Chorfrauen, die sich versammelten, um das Lob Gottes zu singen. Die Beginen, die noch in mehreren flämischen Städten Belgiens bestehen, sind ähnliche Einrichtungen. In Gent zum Beispiel gibt es noch mehrere hundert Personen, die Beginen genannt werden, die eine Art Drittorden bilden und wie Nonnen leben. Ich sage das, denn wenn es in der Welt so viel Elend gibt, so ist das deshalb, weil viele Christen nicht ihre Berufung leben, wo sie der liebe Gott wollte, weil viele auf dem falschen Weg sind und ihrer Berufung nicht entsprechen. Im Christentum sollte die Ordensberufung weniger selten sein, es sollte viel mehr Nonnen geben.
Dies nur nebenbei gesagt, anlässlich des Gleichnisses vom heutigen Evangelium. Kommen wir nun auf uns zurück. Wir haben alle eine vertrauliche, übernatürliche Berufung. Um zur Heiligkeit unseres Standes zu gelangen, haben wir die heilige Kommunion, die Betrachtung, die religiösen Übungen. Gott ruft uns oft in den Festsaal, und wir gehen nicht hinein, und wir wollen nicht hineingehen. Wir finden Entschuldigungen. Würden wir eintreten, uns für die Kleinste, die Letzte von allen halten, und uns auf den letzten Platz setzen, würde uns unser Herr zweifellos sagen, weiter hinaufzurücken. Und am jüngsten Tag würde er uns die Ruhmeskrone geben, die mehr strahlt als die Sterne des Himmels. Wenn wir eintreten, wird der Herr zu uns wie zum heiligen Johannes sagen, wir sollen an seinem Herzen ruhen, bis in die Geheimnisse dieses göttlichen Herzens vordringen und aus der Quelle seiner Liebe direkt schöpfen.
O Jesus, wie gut ist es, auf deinem Fest, wie gut ist es, in deiner Vertrautheit zu leben, wie gut ist es, an deinem Herzen auszuruhen! Und wir sind mutlos, willenlos, wir bleiben bei uns selbst … O, es ist so gut, so ruhmreich mit dir zu leben und bei dir zu wohnen und mit dir in den Festsaal einzutreten!
Für die heutige Übung, meine Kinder, bleiben wir weitgehend treu, um am Hochzeitsmahl teilzunehmen. Bleiben wir nicht an der Tür stehen, treten wir in den Festsaal ein, und wir werden reichlichen Frieden auskosten. Wir werden dort die Sicherheit unserer Heiligung finden. Wenn ihr euch bei der Tür aufhaltet, werdet ihr vielleicht nicht verloren sein, aber ihr werdet euch dort nicht wohl fühlen. Ist man gut, Herr, an der Tür deines heiligen Tempels? … Öffne uns. Wir werden dann sehr glücklich sein, wir werden mit dir von Herz zu Herz sprechen, du bist unsere Freude, unsere Liebe!
Heute wird es also ein Tag der großen Treue sein. O meine Kinder, macht, was euch etwas kostet, macht es, während ihr auf Exerzitien seid, macht es mutig. Verweigert unserem Herrn nichts, macht, was er von euch verlangt, damit ihr verdient, in den Festsaal einzutreten. Wir wissen wohl, dass man viel opfern muss, machen wir keinen kleinen Handel, haben wir keine geistigen Sorgen, kümmern wir uns weniger um Äußerlichkeiten, um uns selbst, unsere Person. Beschäftigen wir uns nicht mit dem, was uns passt, das uns nicht passt, mit dem, das wir mögen, das wir nicht mögen. Treten wir durch die Tür ein, die schmal ist, die aber die Tür des Lebens ist. Man muss nur einen ersten Schritt tun, um einzutreten, und wenn man einmal dort ist, will man nicht mehr hinaus. Ohne Zweifel muss man einige Opfer bringen, während man darauf wartet, in die Heilige Stadt einzutreten, von der man sagt, dass die Jungfrauen dem Lamm überallhin folgen werden, wohin es gehen wird, und dass sie einen Namen erhalten werden, der über jeden Namen steht, und den sie allein verstehen werden, der ihnen sagen wird, was Gott für sie gewesen ist und was er jetzt für immer und ewig ist. Ihre Freude wird vollkommen sein, sie werden das ewige Halleluja singen. Amen.