6. Vortrag: Über den Eifer für das Heil der Seelen (Fortsetzung)
Mittwoch Abend, 16. September 1874
Meine Kinder, heute Vormittag sagte ich euch, dass ihr von Gott berufen seid, Hilfskräfte des Klerus zu sein, um dem Priestertum im Amt zu helfen, das es zu erfüllen hat für das Heil der Seelen, und ich fügte hinzu, dass ihr alles, was ihr macht, machen sollt, mit diesem Ziel, mit dieser Absicht. Der Kapitän eines Schiffes, die Matrosen, die die Hand an den Segeln haben, derjenige, der in seiner Kabine mit den Seekarten oder mit der Beobachtung der Bewegung der Gestirne beschäftigt ist, der am Steuerrad steht, alle arbeiten zusammen an der Fahrt des Schiffes. Ebenso ist es in einer Ordensgemeinschaft: jede hat ihre Beschäftigung, aber alle haben ein gemeinsames Ziel.
Was muss man machen, um am Heil der Seelen zu arbeiten, um sie für den lieben Gott zu gewinnen? Man braucht eine große Geduld, eine große Demut, eine große Loslösung von sich selbst. Die Dinge gehen nicht immer nach unseren Wünschen. Es gibt oft welche, die nicht gelingen; es gibt Personen, die unangenehm, ermüdend sind. Unsere Absichten werden nicht unterstützt, wir stoßen auf Ungerechtigkeit, bösen Willen, Vergessen, Undankbarkeit. Wohlan! Muss uns das entmutigen? O nein! Denn je schwieriger die Dinge sind, desto mehr muss man sie lieben, denn sie sind mehr in der Ordnung, im Willen Gottes. Das müssen wir verstehen.
Meine Kinder, wir müssen viel Geduld für die Arbeiten aufwenden, die wir zu machen haben, viel Geduld aufbringen für die Personen, mit denen wir in Beziehung stehen, viel Milde zu ihnen, zu allen zeigen. Bewahren wir eine große Geduld inmitten der Arbeiten, des Elends, der Widerwärtigkeiten, die von denen kommen, die wir mehr lieben. Wir müssen diese Geduld ständig üben. Der heilige Franz von Sales sagt: „O, das ist wohl der Honig, der Honig, den ich seit langen Jahren ansammeln will, der Honig der Milde, der Liebe!“ Sagt euch, meine Kinder: „Ich will auch einen Schatz an Honig haben, damit das, was ich angesammelt habe, nicht verloren ist.“ Bewahrt euren Schatz an Honig. Habt viel Geduld mit den Kindern, mit dem Nächsten, und dazu müsst ihr auch viel Demut haben.
Ohne Zweifel kommt es vor, dass wir mit Personen zusammenkommen, die uns durch ihre Erziehung, ihre Beschäftigung überlegen sind, die fähiger sind als wir. Wir haben weniger Bildung als sie, wir haben weniger Erfolg als sie. Haben wir Demut, seien wir klein, einfach, halten wir uns immer auf dem letzten Platz. Unser Herr hat gesagt: „Die Letzten werden die Ersten sein und die Ersten die Letzten“ (Mt 20,16). Und wieder: „Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen“ (Mt 18,3). Seien wir also wie kleine Kinder. Ein kleines Kind lässt sich führen, wie man will. Ein kleines Kind ist einfach. Haben wir diese Einfachheit, diese Offenherzigkeit. Der heilige Franz von Sales sagte: „Ich würde gerne hundert Schlangen für eine einzige Taube geben. Es heißt klug wie die Schlange, aber wie sehr ziehe ich dieser Klugheit die Sanftmut der Taube vor!“ Haben wir also die Sanftmut der Taube.
Wir brauchen eine große Geduld, eine große Demut und außerdem eine große Bescheidenheit. Man muss um das Notwendige bitten, aber achten wir darauf, von den Kindern nicht mehr zu verlangen als notwendig ist. Man muss Klugheit und Liebe anwenden, man muss bescheiden sein. Und wie sollen wir das machen? Man muss Gott um sie bitten. Der Physiker und Mathematiker Georges-Louis Le Sage sagte: „Gib mir die Weisheit, Herr, damit sie mich führt, damit sie alle meine Handlungen lenkt.“ Jedes Mal, wenn wir mit einem Kind zu sprechen haben, bitten wir um Bescheidenheit, Liebe und Demut. Das sind die drei Dinge, die ihr haben müsst. Versteht wohl, welche Aufgabe ihr habt. Warum hat unser Herr seine Passion durchlitten? Warum müht er sich in den Straßen Jerusalems ab? Warum geht er durch die Felder Judäas? Um auf die Suche nach Seelen zu gehen. „Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es würde [in den Seelen] schon brennen!“ (Lk 12,49)
O, mein guter Meister, es scheint mir, dass ich dein Wort gut verstanden habe! Ich will die Seelen, die du liebst, zu dir rufen, zu dir führen. Ich will sie ganz nahe zu dir stellen, Herr. Deine Schritte werden verkürzt werden, du wirst nicht so weit zu gehen haben, um sie zu finden, sie werden da sein, um dich herum, damit du sie segnest.
Meine Kinder, wenn ihr diese Aufgabe gut verstehen würdet, wie würde unser Herr euch segnen, welche Belohnung würdet ihr euch im Himmel verdienen, denn diejenigen, die auf Erden viele Seelen gerettet haben werden, werden im Himmel wie die Sterne des Firmaments strahlen, und denen, die treu waren, wird unser Herr sagen: Komm, treue Dienerinnen, ich werde euch hier in mein Reich aufnehmen. Ich erhebe euch über alle, weil ihr in dem Amt, das ich euch anvertraut habe, treu gewesen seid. Er wird ihnen einen Platz bei den Heiligen, den Aposteln, den Engeln geben, die um ihn herum sind.
Bitten wir, meine Kinder, bitten wir unseren Herrn um diesen Geist des Eifers, der den Geist der Abtötung gibt. Ihr seid die Töchter des Herzens unseres Herrn. Es ist an euch auch zu machen, was er macht. Ihr sollt nicht nur die Hand Gottes sein, die die Wunden heilt, sondern das Herz Gottes, das Magdalena verzeiht, das Herz, das zur schuldigen Frau sagt: „Frau, deine Sünden sind dir vergeben“ (Lk 7,48). Das ist die Aufgabe der Liebe, die Aufgabe der Seelen, für die der Heiland sich hingab. Es ist unsere Aufgabe. Bittet ihn, sie zu verstehen, und wenn ihr den Segen erhalten werdet, bittet ihn sogleich, dass er dieses Feuer in eure Seelen setzt, dass er seine Weisheit, seine Demut, seinen Rat hineingibt. Wenn dann der Tag des himmlischen Vaters kommen wird, wird er euch den Teil der Apostel, der Heiligen und der Engel geben, er wird euch die Ersten nennen, er wird euch diesen unaussprechlichen Teil geben, der den heiligen Bernhard sagen ließ: „O Herr, wenn ich etwas vom Glück und vom Ruhm bemerkte, den du im Himmel für mich bereit hältst, glaube ich, dass meine Liebe ohne Grenzen wäre.“
So wird es sein, meine Kinder, habt dieses Vertrauen, unser Herr wird es euch schenken, in de er euch segnet. Amen.