Exerzitienvorträge für die Oblatinnen September 1874

      

2. Vortrag: Notwendige Anlagen, um die Exerzitien gut zu machen (Fortsetzung) – Über die Gewissenserforschung

Montag Abend, 14. September 1874

Meine Kinder, heute Vormittag sagte ich euch, dass wir unseren Herrn nachahmen sollen, ihn nachahmen in seinen Augenblicken der Einsamkeit, in seinen Augenblicken der Zurückgezogenheit. Die Exerzitien, die wir jetzt machen, sollen uns also mehr seiner Verhaltensweise näher bringen. Die Zurückgezogenheit unseres Herrn war keine Zurückgezogenheit des Trostes, der Freude, da er völlig verlassen war und lebhafte Ängste empfand. Sehr die kleine Einsamkeit, die er an die zwei Stunden lang auf dem Ölberg verbrachte, wir traurig ist da seine Seele! Und inmitten seiner Traurigkeit sagt er: „Mein Vater, wenn dieser Kelch an mir nicht vorübergehen kann, ohne dass ich ihn trinke …“ (Mt 26,42). Und sein Leiden ist so groß, dass er in Agonie fällt und ein Engel ihn trösten kommt.
Ist es so mit allen Exerzitien? Nein, alle sind nicht so schmerzhaft, alle sind nicht ohne Trost. Aber es ist der Sinn des christlichen Lebens, viel von den anderen zu ertragen, viel, und noch viel mehr von sich selbst, viel zu erdulden, aber ohne sich zu beklagen, ohne gemäß unserem Bedürfnis unsere Schwächen zu zeigen. Unser Herr hat gesagt, dass man täglich sein Kreuz tragen müssen, ohne sich zu beklagen. Er hat das Beispiel gegeben: er bemühte sich, glücklich und zufrieden zu erscheinen. Das ist der Sinn unseres Lebens, von allem, was wir während unserer Exerzitien machen sollen. Ihr werdet mir sagen: „Aber es bedarf einer sehr starken, sehr großmütigen Seele, um alles so zu ertragen. Wir sind es nicht gewohnt, und das muss sehr hart sein.“ Nun, nein, das ist nicht hart. Ich erinnere mich an ein Wort von Mgr. von Ségur. Ich sagte zu ihm: „Aber, Monseigneur, Ihre Blindheit muss sie sehr leiden lassen?“ „Früher, vor vielen Jahren, ehe sie vollständig war, ja“, sagte er mir, „aber jetzt, nein.“ Und er sagte mir das so einfach, dass man bemerken konnte, dass es ihm große Willensanstrengungen gekostet haben musste. Ohne Zweifel wendete ich mich an einen Heiligen, denn nur ein Heiliger konnte eine ähnliche Antwort geben. Wohlan! Unser Ganzes Leben muss dieses Siegel tragen. Es ist etwas Ruhiges, Einfaches, das sich dem lieben Gott anvertraut und ihm sagt: „Ich weiß, dass du gut bist, dass du mich liebst und nur mein Bestes willst, und ich vertraue mich dir völlig an und gebe mich dir hin.“
Treten wir also in diesen Geist ein, der so hervorragend der Geist unseres seligen Vaters ist. Und was ist nun der Grund, dass man zufrieden oder nicht zufrieden ist, dass man in den Exerzitien ermutigt oder nicht ermutigt wird? Man braucht starke, großmütige Seelen, die nicht zart mit sich selbst sind. Genau das sagt der heilige Franz von Sales in den Satzungen im Kapitel der Novizenmeisterin, dass sie starke, großmütige Seelen machen soll und darin nicht erschlaffen soll.
Macht es so, meine Kinder, vertraut euch Gott an. Der Augenblick der Versuchung, der Entmutigung kommt. Niemand wird euch sagen, dass es gut ist, aber sicher in diesem Zustand ist, dass er die Gelegenheit zu einem außergewöhnlichen Verdienst ist. Man rettet damit viele Seelen, und man rettet seine eigene. Nehmen wir dieses Gefühl an, das etwas Ernstes, Einfaches, Liebevolles hat, wie der heilige Franz von Sales sagt. Man weiß, dass es ein Vater ist, der gut ist und der uns so behandelt, weil er uns liebt. Ich sage nicht, dass man nicht großen Widerwillen empfindet; man wäre versucht, dem lieben Gott zu sagen: „Ich will dich nicht mehr lieben.“ Unser Herr hat diesen Widerwillen gefühlt, da er in Agonie viel und es heißt, dass er in tiefe Traurigkeit fiel. Das hat unser Herr für uns getan.
Haltet eure Seele einfach, sehr ruhig, stark und mutig. Wenn das Gewitter dröhnt, müsst ihr euch ganz nahe bei unserem Herrn aufhalten. Sagt ihm: „Herr, es scheint mir, dass dich meine Seele fürchtet, ich habe Angst vor dir! … Dennoch weiß ich, dass du mir gut bist, dass du mein Vater bist, und dass du mich mehr liebst, als ich mich selbst liebe! Ich verhalte mich wie die Apostel. Als das Meer stürmisch war, riefen sie: Herr, rette uns, denn wir kommen um!“ Verwenden wir diese Methode für unser ganzes Verhalten. Sie möge ruhig und einfach sein, weil wir die Kinder des Heilands sind und nichts anderes machen wollen, als was er gesagt hat. Sehen wir also in unseren Ordensregeln immer unseren Herrn. Wir können uns wohl vornehmen, die heilige Jungfrau nachzuahmen, weil sie die Mutter unseres Herrn ist. Das Nachahmen eines Heiligen oder einer Heiligen ist gut, aber in der Ordensregel steht, dass wir uns ganz nahe bei unserem Herrn halten sollen, dass wir handeln sollen, wie er gehandelt hat, dass wir alles annehmen mögen, das er uns schickt. O, wie möchte ich, dass ihr das versteht! Es ist sehr gut durchzuführen; und wenn wir das tun, befinden wir uns auf dem königlichen Weg, wir nehmen die Worte des Heilands an, seine Gefühle, das Schalgen seines Herzens, wir machen, was er machte, und sagen alles, was er sagte.
Seht nur eines, meine Kinder, die Übung der Ordensregel. Macht das. Zwar habt ihr Schwierigkeiten, Versuchungen, Leidenschaften; aber beschäftigt euch nicht zu viel mit euch, das ist nichts. Beschäftigt euch mit dem, der euch berufen hat, der zu euch sagt: Kommt mit mir!
Morgen könnt ihr schon beginnen, euer Gewissen zu erforschen. Ich will euch wohl die Erlaubnis geben, euch dazu ein wenig mit euch zu beschäftigen. Seht, wie eine Oblatin ihr Gewissen erforschen soll: Ihr müsst euch über eure Gelübde prüfen. Prüft also, wie ihr den Gehorsam übt, ob ihr da gefehlt habt; prüft euch über die Armut, über die Keuschheit, über die Nächstenliebe, über die Übungen des Tages und über die Gebote Gottes und der Kirche.
Meine Kinder, wenn ich euch sage, ihr sollt euch nicht mit euch beschäftigen, so heißt das nicht, dass man die Fehler nicht bemerken muss, zu denen man sich hinreißen ließ. Prüft euch gut vor unserem Herrn. Sagt ihm: „O Meister, der du bist zum Tod und bis zum Tod am Kreuz gehorsam warst, sag mir, wobei ich mehr fehle und welche meiner Fehler gegen den Gehorsam sind, die dir am meisten missfallen.“ Und ihr werdet Material zu eurer Gewissenserforschung finden.
Für die Armut. Stellt euch unseren Herrn in seinem kleinen Haus in Nazaret vor, wie er arbeitet, um sich sein Brot und seine Kleidung zu verdienen. Er isst das Brot seiner Arbeit, er macht sich keine Renten, er lebt von einem Tag zum anderen, und während seines apostolischen Lebens hat er keinen Besitz. Die Füchse haben ihre Höhlen, die Vögel des Himmels haben ihre Nester; und der Menschensohn hat nichts, wohin er sein Haupt legen kann! Man gibt ihm seine Kleidung, seine Nahrung, er hat nichts. Und als er sich eines Tages beim Brunnen der Samariterin ausruhte, hatte er Durst, und bat um einen Trunk. Es war Mittag. Die Apostel kamen, baten ihn und sagten: „Meister, iss.“ Aber er antwortete ihnen: „Wisst ihr nicht, dass ich eine ganz himmlische Nahrung habe, die ihr nicht kennt; es ist den Willen meines Vaters tun, der im Himmel ist.“ Unser Herr hat also nichts. An einem Sabbat rissen seine Jünger, die ebenso arm waren wie er, Getreideähren ab, die sie in den Händen zerrieben, um sie zur großen Empörung der Pharisäer zu essen. Als er ein andermal an einem Feigenbaum vorbeikommt, sucht er Früchte und findet keine. Seht, welcher Mangel!
Habt ihr je verstanden, was es heißt, arm zu sein? Habt ihr gut alles befolgt, was in den Satzungen über die Armut steht?
Die Keuschheit. Sind wir vollkommen keusch, wenn wir uns so viel mit uns beschäftigen? Man fehlt gegen die Reinheit, wenn man sich in unehrenhaften und derben Dingen gehen lässt; aber man fehlt gegen die Ordenskeuschheit, wenn man sich so viel mit sich selbst beschäftigt, sich zu sehr sucht und sich beklagt. Man sagt sich manchmal: „Man versteht mich nicht, man lässt mich im Stich.“ So sprechen die Frauen der Welt, sie sagen: „Ich habe einen Gatten, der mich nicht versteht, ich bin nicht glücklich!“ Es scheint, dass es so außergewöhnliche Wesen sind, dass sie niemand verstehen kann. Man muss sich mit ihnen beschäftigen, sie betrachten. Aber diese Frauen haben nicht das Gelübde der Keuschheit abgelegt.
Meine Kinder, ich komme zum Ende und ich fasse zusammen. Lebt also vom Leben unseres Herrn, von seinem Leben der Einheit mit dem göttlichen Willen. Macht, was der Herr machen würde, wenn er hier in unserer Mitte wäre. Morgen werdet ihr euch dann über die drei Gelübde erforschen. Mögen diejenigen, die sich darauf vorbereiten sie abzulegen, sehen, wie sie sie schon üben. Bittet wohl unseren Herrn, er möge euch erleuchten; fragt ihn, was er von euch will, und ihr werdet sehen, dass ihm sehr viel nicht gefällt.
Wenn man das Herz unseres Herrn darstellt, ist es immer von einer Dornenkrone umgeben. Ob es sich nach rechts oder nach links neigt, stützt es sich also immer auf Dornen. Habt ihr daran gedacht? Und dieses Herz ist das Herz eines Gottes! So wird es auf der Erde dargestellt! Aber im Himmel ist es nicht mehr mit Dornen gekrönt, es wird von Liebe gekrönt, von Flammen, von ewigem Ruhm.
Betrachtet das wohl, meine Kinder, und wenn ihr es betrachtet haben werdet, werdet ihr Nutzen daraus ziehen. Ich erbitte es von unserem Herrn im Namen seines göttlichen Herzens. Amen.