1. Vortrag: Notwendige Anlagen, um die Exerzitien gut zu machen
Montag Vormittag, 14. September 1874
Meine Kinder, heute Vormittag beginnen wir die Exerzitien. Nach dem heiligen Franz von Sales sind die Exerzitien ein Rückzug, in dem man seine Seele beim lieben Gott ruhen lässt. Unser Herr sagte zu seinen Aposteln, als sie zu ihm zurückkamen: „Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus“ (Mk 6,31). Die Exerzitien sollen ein Ausruhen der Seele sein, ein Rückzug, wo wir beim lieben Gott sein sollen, um bei ihm auszuruhen. Sie sind eine Ruhestätte für unsere Seele, wo sie neue Kraft und Energie schöpft, um zu Gott zu gehen und seinen Willen zu tun. Heißt das, dass wir mit uns beschäftigt sein sollen? O, nein! Denn in dieser Zurückgezogenheit sollen wir nur mit Gott allein beschäftigt sein.
Wir leben viel zu sehr mit uns selbst, mit den Äußerlichkeiten. Wir stellen uns vor, dass wir, um sie gut zu machen, uns ständig damit beschäftigen, dort mit uns selbst sein zu müssen. Nein, meine Kinder, denn die freie Seele nährt sich von Gott. Er ist unser Leben, unser Trost, unsere Kraft, unser alles. Das Übrige ist nichts. Wer wird, wenn wir im Grab liegen, von uns sprechen, sich mit uns beschäftigen? Niemand. Wir werden in der Einsamkeit sein. Heißt das, dass wir vernichtet sind? Nein, denn wir werden dann im wahren Leben sein. Vorher waren wir in der Illusion. All das, was uns jetzt alles ist, ist dann im Nichts.
Ich will also, meine Kinder, dass ihr diese Exerzitien in großer Einheit mit unserem Herrn macht. Wenn ihr am Morgen erwacht, soll sich eure Seele in den lieben Gott hineinwerfen, wie das Direktorium sagt. In der Morgenübung mögt ihr euch die Gegenwart Gottes bewusst machen, nicht mit einer Anspannung des Geistes, die ermüdet, ihr sollt vielmehr mit Gott vereint sein, in dem ihr eure Seele zu ihm gehen lasst. So werdet ihr eure erste Betrachtung machen, die Heilige Messe mitfeiern und alle anderen Übungen der Exerzitien machen.
„O mein Gott, wie ist es gut, bei dir zu sein! Man empfindet keine Langeweile bei deinem Gespräch. Wie bist du gut zur Seele, die dich sucht! Wir suchen dich also, mein Gott! Und so beginnen wir unsere Exerzitien. Auch unsere Erholung werden wir unter deinem Blick machen, wobei wir uns bemühen werden, die Nächstenliebe zu üben. Wir werden sie fromm verbringen und unser Gespräch angenehm gestalten, um unseren Schwestern Erholung zu verschaffen.“ Den Christen sei gesagt: „Liebt einander, liebt eure Nächsten wie euch selbst.“ Aber den Nonnen sei gesagt – o, versteht das gut! – bei ihnen muss diese Vorschrift lauten: „Liebt euren Nächsten, liebt eure Schwestern mehr als euch selbst, macht es für sie besser als ihr es für euch machen würdet.“
Das Stundengebet werden wir fromm beten. Wir werden einen Vers sprechen, und wir werden denken, dass uns die Engel antworten. Während unserer Abendbetrachtung wird unsere Seele die heiligen Dinge sammeln, die ihr gesagt wurden. Und das letzte Stundengebet, die Komplet, die den Tag beendet, werden wir auch ganz gut sprechen.
Meine Kinder, sammeln wir unsere Seele, um sie in den heiligen Gedanken zu halten, die uns beschäftigen sollen, und nun werden wir in den Exerzitien sein. Zerstreuen wir uns nicht, beschäftigen wir uns nicht mit uns selbst. Wir sind nichts, der liebe Gott ist alles. Lassen wir uns beiseite. Wenn man in die Exerzitien geht, beschäftigt man sich mit Gott. Aber ihr werdet mir sagen: „Ich bin wie ein Körper ohne Seele, wie eine ausgetrocknete Pflanze, wie ein trockenes, wasserloses Land; ich bin wie in einer Wüste!“ O! Beklagt ihr euch so? War unser Herr nicht vierzig Tage in der Wüste? War er nicht allein? Er musste Hunger und Durst erleiden. Es war ihm nicht wohl, die Engel waren nicht bei ihm, seine Einsamkeit war so schrecklich, dass der Teufel glaubte, ihn versuchen zu können. Er sagte zu ihm: „Du bist mächtig genug, befiehl, dass sich diese Steine in Brot verwandeln. Mach etwas für mich, und ich werde dir die Reiche der Erde geben, denn alle Reichtümer gehören mir; ich gebe den Herrschern ihre Krone, von den Cäsaren, die in Rom herrschen, bis zu Herodes, den Tetrarchen von Galiläa, alle diese Seelen gehören mir“ (Vgl. Mt 4,1-11).
Und der Teufel könnte heute dasselbe sagen, wenn er auf der Erde erschiene, denn fast alle Reiche haben sich von der Kirche Jesu Christi entfernt. Die Leidenschaften von heute, die Männer, die Frauen, die Dinge sind denen sehr ähnlich wie zur Zeit unseres Herrn. Wenn sich die Kirche wieder erheben wird, wird ihr Triumph der Auferstehung Jesu Christi oder dem Sieg des Kreuzes unter Konstantin ähnlich sein.
Unser Herr war also in der Wüste, versucht, verlassen, entmutigt, wie er es nur sein konnte. War das eine unnütze Zeit? Nein, denn sie diente zur Vorbereitung seines Apostolates, seines öffentlichen Lebens. Nach seiner Zurückgezogenheit begann er, sein Evangelium zu verkünden. Was ist also geschehen? Er hatte Hunger und Durst. Hat er sich selbst gesucht? Hat er um Hilfe gebeten? O, nein! Bekam er viele Tröstungen, erst am Ende kamen die Engel, um ihn zu bedienen.
Versteht das wohl, meine lieben Kinder, so muss man es machen. So macht man seine Exerzitien gut. Man beschäftigt sich nicht mit sich. Wir sind wesentlich die Kinder unseres Herrn, die Kinder seines Herzens, seines inneren Lebens. Wenn unser Herr auf die Erde zurückkäme, wäre sein Leben unserem ähnlich, er würde machen, was wir machen. Wir sind nicht so groß wie andere Ordensgemeinschaften, aber wir sind unter den bevorzugtesten unseres Herrn. Der heilige Petrus war größer als der heilige Johannes, und dennoch liebte unser Herr den heiligen Johannes mehr. Wir sind keine Großen, aber wir sind in der Vertrautheit unseres Herrn, wir gehören zu seiner Familie. Was wir machen, hat er gemacht, und wenn er auf die Erde zurückkäme, würde er das machen, was wir machen.
Unsere Exerzitien sollen ganz Friede und Einfachheit sein, wir sollen sie in der geistlichen Sammlung verbringen. Seien wir einfach, verlassen; und wenn wir kein Gefühl haben, wenn wir nichts haben: Gott sei gelobt! Seien wir zufrieden. Ich sage nicht, dass man kein Leid empfindet, aber bleiben wir dabei nicht stehen. Unser Herr hat gesagt: „Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden“ (Mt 5,9). Das heißt: Selig die, welche sich selbst und die anderen ertragen können. Der heilige Franz von Sales war nicht zart zu sich selbst; alles, was er litt, war für den lieben Gott, er sagte es unserem Herrn. Er schaut nicht auf sich, sondern betrachtete, was er erlitt als etwas, das ihn dem lieben Gott näher brachte. Wenn eure Seele glücklich ist wie die der heiligen Maria von Betanien, haltet euch sanft zu Füßen unseres Herrn. Wenn sie wie Marta bei der Arbeit ist, wie Marta, die sich bei unserem Herrn beklagt, erinner euch, dass der Heiland Marta und Maria liebt. Er liebt die Seele, die sich mit ihm beschäftigt, selbst wenn sie es nicht verstehen würde.
Wir verbleiben dabei, meine Kinder. Ich fasse also zusammen: Heute werden wir uns in die Einsamkeit zurückziehen, uns ganz beim lieben Gott halten. Wenn wir Gefühle haben, umso besser; aber wenn wir nichts haben, ist es vorzuziehen. Der liebe Gott hat einen starken Willen liebe als die köstlichsten Gefühle. Man muss lieben, wie der liebe Gott es will, und Gott um seinetwillen lieben und nicht deswegen, damit er uns gibt. Macht euch euren Zufluchtsort im Herzen unseres Herrn, und macht eure geistige Kommunion, wie ich es euch gesagt habe. Verbringt so diesen ersten Tag der Exerzitien, und er wird im Himmel zählen. Ich verspreche es euch im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.