11. Vortrag: Über das Ordensgewand – Über die Gnade der Berufung
Samstag Vormittag, 19. September 1874
Meine Kinder, die Feier von morgen Vormittag, die Einkleidung, ist nicht nur die Feier derer, die in die große geistige Familie der Bräute des Herrn eintreten, sie ist für alle und für jede von euch eine Belehrung, aus der ihr Nutzen ziehen sollt. Ich werde euch einige Worte zu diesem Thema sagen.
Gewöhnlich bewahrt eine Nonne das Gewand der Welt nicht auf; und dennoch könnte man Nonne sein, wenn man es aufbewahrt. Unser Herr, die Apostel hatten keine andere Kleidung als die, die man gewöhnlich trug. Aber später fand man es angebracht, dass sich das Gewand der Nonnen von den anderen Personen unterschied. Die Nonne ohne Gewand hat einige Mühe, dass die anderen ihr ihren Nonnenstand glauben.
Als man die Oblatinnen gründete, sprach man davon, ihnen die gewöhnlichen Kleider zu lassen, also jene der Personen, die in der Welt leben. Dieser Gedanke wurde von mehreren für gut befunden. Aber als man zur Durchführung kam, sah man, verstand man, dass man für die Errichtung einer Ordenskongregation ein spezielles Gewand brauchte. Als wir begannen, mussten wir uns also mit eurem Gewand beschäftigen. Und wie der heilige Franz von Sales seinen ersten Nonnen ein Gewand gegeben hat, das etwas Besonderes hatte, und das sie von den gewöhnlichen Damen unterschied, näherten wir uns so weit wie möglich dem, das die heilige Johanna Franziska von Chantal und ihre beiden Gefährtinnen trugen, als sie in dem kleinen Haus der Galerie in Annecy eingesetzt wurden. Ich dachte – weise, glaube ich – dass, um die meisten manuellen Arbeiten, die ihr macht, um am Unterricht der Jugend zu arbeiten, man das Gewand, das ihr tragt, anpassen musste, dass man kein Gewand haben wollte, das schmutzanfällig ist, leicht zerreißt. Euer Gewand wurde genehmigt von Mgr. Mermillod, von Mgr. Ravinet, dem Bischof von Troyes, und besonders auch vom Erzbischof von Paris. Dieses Gewand ist passend. Es ist ein schweres Gewand, das euch heilige Gedanken gibt, das euch verstehen lässt, dass ihr Gemahlinnen des Herrn seid, dass ihr Gott gehört, da ihr seine Kleidung tragt. Sie trennt euch von der Masse der Welt. Ihr habt also ernste Gründe, es zu achten. Das ist der Gedanke des heiligen Franz von Sales.
Mit dieser Feststellung sage ich denen, die das heilige Gewand annehmen sollen, dass sie wohl daran denken, dass sie äußerlich nicht mehr erkennbar sein werden. Man wird sie wohl an ihren Zügen erkennen, aber man wird sie nicht an ihrer Kleidung erkennen. Wohlan, meine Kinder, diese Veränderung muss sich ebenso in eurem Inneren, in eurer Seele vollziehen. Es muss alles geändert werden. Möge euer Geist, euer Herz es sein, man möge nichts Weltliches mehr in euch wiederfinden. Haltet euch nicht mehr in euren Gefühlen auf, seid nicht mehr persönlich, habt nichts, das Eigenliebe anzeigt. Wenn das Gewand der Welt verschwindet, müssen gleichzeitig auch die Töchter der Welt und die Neigungen der Töchter Adams verschwinden. Mögen die, die das heilige Gewand empfangen werden, diejenigen, die es empfangen haben und die, welche der Feier beiwohnen werden, aber das heilige Gewand noch nicht annehmen werden, sich fragen, ob es einen gänzlichen Unterschied zwischen ihnen und den Töchtern der Welt gibt. Wenn sie in der Welt nach ihrem eigenen Willen lebten, mögen sie sehen, ob sie sich, um Nonnen zu sein, entschließen nach ihrer Berufung zu leben. Sie werden unseren Herrn bitten, der sie seit einiger Zeit gerufen hat und schon lange rief, er möge ihnen geben, was nötig ist, um eine gute Nonne zu sein: „Die größte Schönheit der Tochter des Königs kommt von den Anlagen ihrer Seele.“ Mögen die, welche das heilige Gewand noch nicht empfangen haben, unseren Herrn bitten, dass er auch Teil ihres Erbes ist.
O, wie ist es süß, wie ist es gut, sich an Gott zu binden! Wie ist sein Teil besser als der der Welt! Es gibt keinen Vergleich. Wenn er uns sagen wird: „Kommt, triumphiert über tausende Seele, erfreut euch des Glücks ohne Ende, ohne Grenzen, für die Ewigkeit.“ Welch große Freude werden wir haben! O meine Kinder, wenn unser Herr euch ruft, wenn er euch sagt: Kommt, ist es nicht, um euch in die Irre zur führen! Wenn er euch sagt: Kommt, ist es auch nicht, um euch unglücklich zu machen; er liebt euch und will euer Glück.
Meine Kinder, ihr seid gerufen worden; aber macht es nicht wie der junge Mann des Evangeliums, der zu unserem Herrn sagte: „Was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?“ Der Heiland antwortete ihm: „Du kennst die Gebote.“ – „Herr, ich habe sie von Kindheit an befolgt, aber ich möchte es besser machen.“ „Verkaufe alles, was du hast, gib es den Armen und folge mir nach“, sagte ihm nun unser Herr. Dieser junge Mann war reich. Er schaut den Heiland an und ging ganz traurig weg. Armer junger Mann! Was wurde aus ihm? Man weiß es nicht. Er hat der Gnade nicht entsprochen; man kann fürchten, dass er nicht gerettet wurde. Unser Herr sah ihn weggehen und er war auch traurig. Unser Herr hatte zu ihm gesagt: „Komm, löse dich von deiner Eigenliebe, von der Liebe zur Welt, von deinem Luxus, den Dingen der Welt.“ Und er wollte es nicht! …
Meine Kinder, unser Herr hat zu euch gesagt: Kommt. Er sagt es manchmal sehr leise, man könnte fast sagen: „Ich habe es nicht gehört.“ Aber er ist zart, er ist eifersüchtig; und das geringste Zeichen seiner verachteten Liebe verzeiht er schwer. Sein Herz wurde verwundet, er wird immer fühlen, dass ihm diese Seele nicht gehört hat.
Das sind also die Gedanken, die euch beschäftigen sollen, sowohl die, die das heilige Gewand empfangen werden, als auch die, die es empfangen haben. O, möge Jesus euch alle mit dem Ordensgewand bekleiden! O, möge alles in eurer Art zu sein, zu handeln und zu sprechen, den Ordensgeist fühlen! Wir können nicht predigen, wenn wir auf den Straßen und öffentlichen Plätzen gehen; aber wenn wir bescheiden sind, wenn unsere Gesten gesammelt sind, wenn alles zusammen unser ganzes Äußeres religiös ist, tragen wir die Gottesliebe zu den Seelen.
Eines Tages sagte der heilige Franz von Assisi zu Bruder Léon: „Bruder, wir gehen predigen!“ Und sie gehen durch eine erste Straßen, eine zweite; sie gehen in eine Kirche und beten dort, dann kehren sie in das Kloster zurück. Erstaunt sagte Bruder Léon zu ihm: „Vater, Sie sagten, dass wir predigen würden; wir haben es nicht gemacht!“ „Doch, Bruder Léon, denn als wir durch die Menge gingen, hatte ich die Absicht, die Gottesliebe in die Seelen zu bringen, denen ich begegnen würde, und Gott hat mir gesagt, dass ich erhalten habe, worum ich ihn bat.“
Meine Kinder, wir werden uns also daran erinnern, dass das Äußere der Nonne unseren Herrn geliebt machen soll. „O mein guter Meister, möge dein göttliches Herz seine Salbung über uns verbreiten, diese Salbung, von der in den heiligen Büchern gesprochen wird, und dass wir dieses heilige, ruhige Leben ohne Aufsehen lieben. Dass man fühlt, wenn man uns sieht, dass wir nur dich wollen, dass wir dir gehören, und dass wir nichts anderes wollen als deine Liebe in unserem Herzen, als deine Liebe in allen Herzen!“ Amen.