3. Vortrag: Über den Ordensgeist
Dienstag Vormittag, 23. September 1873
Meine Kinder, als ich vorhin die Heilige Messe feierte, bat ich unseren Herrn, der auf dem heiligen Altar gegenwärtig war, jeder von euch einen besonderen Ordensgeist zu geben. Ich bat ihn, euch darin einzuhüllen, euch damit zu bedecken wie mit einem Schleier unter den Erscheinungen des Ordenslebens wie er selbst im Tabernakel verborgen ist unter den anbetungswürdigen Arten der heiligen Eucharistie. Dieser Ordensgeist, der euch von der Bestechlichkeit trennt, ist der Geist Gottes. O, versteht es gut! Dies ist der Geist unseres Herrn. Er hatte in seiner ganzen Person etwas so Gesammeltes, so Einfaches und so Sanftes, dass er alle an sich zog, und dass die Menge instinktiv niederkniete, um ihn anzubeten.
Beschäftigt euch nicht mehr mit der Welt. Ihr habt sie verlassen. Ihr habt nichts mehr in ihr zu tun. Ohne Zweifel habt ihr dafür noch ein wenig Zuneigung, aber hängt euch nicht daran. Eine Nonne gehört sich nicht mehr, sie darf sich nicht mehr sich selbst gehören, sie gehört ganz unserem Herrn. Ihr habt euch ihm geweiht, ihr habt euch ganz ihm geschenkt, lebt also nur noch für ihn, in ihm und mit ihm. Lasst die Welt für das, was sie ist, und beschäftigt euch nur mehr mit Gott.
Gestern habe ich zu euch über die Abtötung gesprochen. Heute Vormittag spreche ich zu euch über die inner Sammlung, denn diese beiden Tugenden sind die Hülle des Ordensgeistes. Ich wiederhole: Eine Nonne soll in ihrer ganzen Person die Bescheidenheit unseres Herrn haben. Ihr müsst euer ganzes Äußeres damit umhüllen. Stellt euch eure Seele wie ein lebendes Bild unseres Herrn vor und sagt Gott, er möge es behalten und mit seinem göttlichen Geist erfüllen. Nichts ist schöner als eine Nonne, in der Milde, Sanftmut, Frieden und Demut unseres Herrn wieder ersteht. Wie tut sie Gutes all jenen, die sie sehen! Und nichts ist hässlicher als eine Nonne, die sich den Geist der Welt, die Sprechweise der Welt bewahrt. Man muss jedes Gespräch meiden, das euch ohne schlecht zu sein nichts Gutes tun würde. Beschäftigt euch daher nie mit Angelegenheiten, die die Ehe betreffen, mit dem, was dieser oder jener dazu sagt; der heilige Franz von Sales verbietet es. All das zieht euch vom Ordensgeist weg, entfernt euch vom lieben Gott. Wir müssen uns bei ihm aufhalten und uns oft fragen: „Was habe ich zu machen, um eine wahre Oblatin zu sein? In welcher Verfassung bin ich, wenn ich die Kommunion empfange? Handle ich wie eine Nonne? Wie nutze ich meine Gebetszeiten? Wie ist meine Haltung, mein Benehmen im Refektorium, in der Erholung? Wie soll ich mich in meinen Beziehungen zur Welt, zu den Mädchen verhalten?“ Und so weiter. Ihr werdet dadurch alles erfahren, was ihr zu machen habt, um die Abtötung und die innere Sammlung gut zu üben. Bewahrt euch also immer auch äußerlich eine innere Sammlung, habt vor allem diese Bescheidenheit, die die keuschen Seelen charakterisiert. Wie schön ist diese keusche Generation, wie groß ist sie in den Augen des lieben Gottes! Es gibt nichts Schöneres als eine keusche und reine Seele, die nur für Gott atmet und lebt, die nur an Gott denkt! Was ist eine reine Seele? Es ist die, welche ihre Sinne hütet, nur in der Liebe zum Heiland und im Gehorsam lebt, der der Hüter der Reinheit ist, und so entzückt sie das Herz Gottes.
Seid auch sehr genau, meine Kinder, im Bewahren all dessen, was euch anvertraut ist, verliert nichts, nicht einmal ein Stück Faden, denn alles, dessen ihr euch bedient, gehört Gott, ist sein Gut, sein Eigentum. Man muss sehr darauf achten. Euch gehört nichts, und wenn ihr Gott ganz gehören wollt, behaltet nichts, löst euch von allem und bindet euch an Gott allein. Habt ihn immer gegenwärtig in eurem Herzen. Wenn ihr die Kommunion empfangt, unterhaltet euch oft mit unserem Herrn tagsüber, teilt ihm alle eure Gedanken mit, beschäftigt euch mit ihm, arbeitet sanft und fromm mit ihm. Wenn ihr beichtet, macht es, ohne euch selbst zu suchen, ohne zu sehr mit euren Fehlern beschäftigt zu sein. Geht mit einem ruhigen, gesammelten Gesicht zur Beichte, denkt daran, dass ihr geht, um zu Gott zu sprechen, dass ihr ihn besucht. Tragt also zum Heiligen Gericht alle Einfachheit eures Herzens. Sagt unserem Herrn, dass ihr Kinder seid, die noch beim Stottern sind, bittet ihn, er möge euch das alles gut verstehen und ausüben lassen. Bittet ihn, dass er euch den göttlichen Geist schickt, um euch zu erleuchten und zu stärken.
O, verlasst unseren Herrn für keinen einzigen Augenblick! Er hat uns so gerne bei sich! Wir sehen es aus diesem Wort, das er selbst der Stadt Jerusalem sagte: „Jerusalem, Jerusalem … wie oft wollte ich deine Kinder um mich sammeln, so wie eine Henne ihre Küken unter ihre Flügel nimmt; aber ihr habt nicht gewollt.“ (Mt 23,37). Bemühen wir uns, dass dieses Wort nicht eines Tages an uns gerichtet wird.
O meine lieben Töchter, versammelt euch alle bei unserem Herrn, seid nur eins mit ihm, verlasst ihn nicht. Und nachdem ihr euer Leben in den heiligen Tugenden des Gehorsams, der Armut und der Keuschheit verbracht habt, tretet ihr am letzten Tag vor Gott als eine, die als wahre Oblatin des hl. Franz von Sales gelebt hat. Nun werdet ihr im himmlischen Jerusalem das ewige Halleluja singen. Ihr werdet einen Namen bekommen, der nur von euch verstanden werden wird, und unser Herr wird euch Dinge sagen, die andere nicht verstehen werden. Warum? Weil Gott euch unter Tausenden und Zehntausenden ausgewählt haben wird, seine bevorzugten Gemahlinnen zu sein. Dann werdet ihr nur noch eins sein mit unserem Herrn, der von Ewigkeit lebt und herrscht. Amen.