3. Was ein Mädchen denken soll (aus dem Jahre 1885)
Meine Kinder, am Morgen habe ich euch empfohlen, dem Viertelstündchen Gottes alle Tage eures Lebens treu zu sein. Ich habe euch gesagt, wie man diese Viertelstunde verbringen muss. Glaubt nicht, um sie zu halten, sei das Alleinsein und eine sehr tiefe Sammlung notwendig. Nein, wählt einfach einen etwas ruhigeren Augenblick und macht dann dieses vertrauliche Gebet, das Gott stets hört. Es ist überdies nicht nötig, große Reden zu halten. Wie ich euch heute Morgen gesagt habe, sollt ihr mit dem Heiland sprechen wie mit einem Vater, mit einer Freundin, mit eurem Beichtvater. Sprecht mit ihm von euren Wünschen und Hoffnungen, euren Schwierigkeiten und Entmutigungen. Das Gebet ist etwas so Liebenswertes! Liebt es also, denn es entspricht eurem Herzen so sehr. Was macht es, wenn ihr recht überlastet seid? Das ist kein Grund, nicht zu beten, im Gegenteil, sagt: „Mein Gott, ich opfere dir das Übermaß an Arbeit und die Mühe auf, die es mir macht.“ Gewöhnt euch das an, meine Kinder. Ihr werdet euch dabei wohlfühlen, das verspreche ich euch. Der hl. Philipp Neri sagte: „Gebt mir eine Seele, die jeden Tag ihres Lebens zehn Minuten mit unserem Herrn Zwiesprache hält. Ich verbürge mich für ihr Heil, ja ich sage, dass sie eine große Heilige wird.“ Deshalb, meine Kinder, möchte ich euer Herz für dieses vertrauliche Gebet begeistern, von dem ich heute Morgen gesprochen habe.
Diesen Abend will ich euch sagen, woran ein Mädchen denken soll. Wir sind nie ohne einen Gedanken, nicht einmal während der Nacht, wenn wir träumen. „Denkt also an heilige Dinge“, sagt ein Heiliger, „denn euer Geist kann keine Ruhe ertragen.“ Jeder hat seine Gedanken. Manche sind traurig, weil sie es in günstigem Licht betrachten. Unsere Gedanken machen uns zu dem, was wir sind.
Was muss ein Mädchen vom Gebet denken? Soll es sich vorstellen, dass es etwas Langweiliges, Ermüdendes ist? Nein, meine Kinder. Es soll im Gegenteil denken, dass es ein großes Glück, eine Wohltat für seine Seele ist, auf diese vertrauliche Weise zu Gott gehen zu können, die bewirkt, dass man fast immer der Erhörung sicher ist. Liebt den Ort, wo ihr betet. Wenn ihr in der Kirche seid, dann seid ihr im Haus Gottes. Betet also von ganzem Herzen und glaubt, dass euch das Gebet sehr glücklich machen wird, dass die Kirche ein Ort des Glückes ist. Wenn unser Herz rein ist, recht an seinem Platz, ist das nicht in der Tat ein Glück? Ihr arbeitet viel, ihr werdet müde. Ruht nahe bei Gott aus, lasst euer Herz mit ihm sprechen. Als unsere Stammeltern im irdischen Paradies waren, kam Gott jeden Abend, um sich mit ihnen zu ergehen. Sie lebten in Ruhe und Glück. Meine Kinder, findet euer Paradies an eurem Platz in der Kirche. Hier ist es wirklich, nicht im Geld, denn die Sorge um die Glücksgüter verhindert gewöhnlich das Glück, und die Reichen sind oft unglücklicher als die armen Mädchen, die ihr Brot verdienen gehen. Wenn ihr daher überzeugt seid, dass ihr euer Glück in der Nähe Gottes findet, dann wird der Tag euch erfrischen. Denn vor allem für die Mädchen ist die Vorstellung, die Idee, die man sich macht, alles.
Und was werdet ihr von der Arbeit denken? Habt ihr von der Auffassung, die ich euch nennen werde? Nichts macht glücklicher, als das Brot zu essen, das man im Schweiß seines Angesichtes verdient hat. Ein Mädchen der „Werke“, das heute Schwester im Kloster der Heimsuchung ist, Julie Daubonne, kam eines Tages strahlend zu mir und sagte: „Herr Abbé, ich habe 30 Sous verdient!“ (Anm.: „Damals war ich noch ‚Herr Abbé‘“). Ich antwortete ihr: „Das ist gut, mein Kind, aber du bist nicht reich…“ – „Oh“, sagte sie, „wenn Sie mein Glück ermessen könnten, dass ich zum ersten Male den Lohn für meine Arbeit erhalten habe! Ich glaube, dass ich nicht glücklicher wäre, wenn ich ein Vermögen erhalten hätte.“ Dann vermehrte sie nach und nach die Summe und kaufte sich ein halbes Dutzend Hemden. Sie war entzückt, dieses halbe Dutzend Hemden zu besitzen, den Ertrag aus ihrer Arbeit. Da erfuhr sie, dass ein Mädchen aus ihrem Bekanntenkreis, dessen Eltern in Armut lebten, sehr krank war. Dieses Mädchen hatte nichts anzuziehen, und seine Eltern konnten ihm nichts geben. Von Mitleid gerührt gab Julie ihm diese Hemden, deren Besitz sie so befriedigt hatte. Nach diesem Akt der Nächstenliebe erhielt sie die Berufung zum Ordensleben.
Merkt euch gut, meine Kinder: das glücklichere Leben ist nicht das der Großen und Reichen. Die alles im Überfluss haben, sind nicht so glücklich, wie diejenigen, die ihren Lebensunterhalt verdienen. Wer die Hand ausstreckt, um den Tageslohn zu empfangen, gleicht unserem Herrn. Ich bin stolz auf euch, denn ich halte eure Seele für groß genug, um mich zu verstehen. Seid also stolz darauf, eure Löhnung zu empfangen. Denkt an die heilige Jungfrau, an den hl. Josef und an Jesus in der Werkstatt von Nazareth. Es macht hundertmal glücklicher, zu arbeiten, als arbeiten zu lassen, denn der Segen ist viel größer für den, der arbeitet. Unser Herr war der ewige König der Zeiten. Als solcher wollte er nicht auf Erden erscheinen. Er war ein einfacher Arbeiter, der sein Brot im Schweiß seines Angesichtes verdiente. Er wollte lieber Arbeiter sein, denn dann würde ich versuchen, ihm auf Schritt und Tritt zu folgen, und die Gesellschaft des hl. Josef nicht zu verlassen. – Ich übertreibe nicht, meine Kinder: das sind die Gedanken, die ihr über die Arbeit haben müsst.
Nun will ich euch ein Wort sagen über die Meinung, die ihr davon haben sollt, was ihr in der Welt hört. Die Mehrzahl der Arbeiter und Arbeiterinnen erlaubt sich Reden gegen Gott, gegen die hl. Jungfrau. Welchen Eindruck müsst ihr davon haben? Das muss tiefes Mitleid mit diesen armen Menschen in euch wecken, die in ihr Verderben und in die Verworfenheit laufen. Arme Wesen, die nichts Menschliches mehr haben. Man darf sie nicht mit der Zange anfassen… Seht diese Gestalten, entstellt vom Laster. Hört die Lästerungen, die aus ihrem Munde kommen. Was sind das für Wesen? Und das ganze Unheil hat die schlechte Lektüre angerichtet! Um so weit zu kommen, mussten es diese Unglücklichen gewiss wie die Juden machen und die Stimme ihres Gewissens ersticken. Die Juden wollten unserem Herrn trotz seiner Wunder nicht glauben, und sie warten heute noch auf den Messias.
Die bedauernswerten Mädchen, die sich so verführen lassen, wissen nicht, was sie tun und was sie sagen. Sie sagen nach, was sie hören. Sind sie ganz verantwortlich? Nein, aber sie werden nie gute Mütter und gute Gattinnen werden.
Seht auch die Frauen, die so elegant sind, die ganz exzentrische Kleider haben: Manche von ihnen sind der Schandfleck ihrer Familie. Das Unglück wird schwer auf ihren Kindern lasten. Es gibt oft mehr Traurigkeit und Leiden unter Seidenkleidern, als man bei einfachen Arbeiterinnen findet. Seht, wohin die schlechte Lektüre führt. Ich danke Gott für die Gnade, die er mir erwiesen hat: Ich habe nie in meinem Leben eine einzige Zeile in einem schlechten Buch gelesen. Nun denn, meine Kinder, versprecht unserem Herrn fest, dass ihr darin je ebenso wenig lesen werdet, denn das wäre das Verderben eurer Seele!
Folgt der Lebensweise, die ich euch angebe. Haltet euch stets ganz nahe bei Gott, und ihr werdet keinen Schaden nehmen. Ihr werdet durch das Feuer gehen und euch nicht verbrennen. Beugt wie die drei Jünglinge im Feuerofen euer Knie nicht vor dem Tagesgötzen, seid stark wie sie inmitten der Flammen, und ihr werdet stets ruhig und glücklich sein.
