7. Die richtigen Vorbilder des Predigens
Sehen wir uns nun einige Vorbilder der Predigtweise an, deren Regeln wir oben angeführt haben. Das große Vorbild des Predigers ist unser göttlicher Heiland. Der Oblate des hl. Franz v. Sales soll wie unser Heiland predigen. In den Predigtvorträgen unseres Herrn, wie sie uns von den Evangelisten aufgeschrieben worden sind, sind die belehrenden Darlegungen und Beweisführungen kurz gehalten – die einzige Predigt nach dem letzten Abendmahl ausgenommen, bei der nur die Apostel anwesend waren. Diese kurze und gedrängte Darlegung der Lehre bringt Jesus vor und passt sie an das Verständnis seiner Zuhörer an in der Form von Gleichnissen, Vergleichen und Bildern. Ein zugkräftiger, lebensfrischer Vergleich, eine bildliche Wendung, entsprechend der Denkart der Zuhörer, entnommen dem alltäglichen Leben, lenkt die Aufmerksamkeit auf sich und hält sie weiter aufrecht. Der Lehrinhalt wird so tiefer erfasst, prägt sich dem Gedächtnis tiefer ein, wird nicht mehr so schnell vergessen. Der göttliche Heiland redet nach der Art seiner Zuhörer und spricht mit ihnen über Dinge, die sie kennen und verstehen. Hält er sich in den Ebenen Galiläas auf, mitten unter ackerbautreibenden Landbewohnern, dann trägt er ihnen das Gleichnis vom Unkraut und vom guten Samen oder jenes von den Arbeitern im Weinberg oder vom Sämann. Wie lebendig ist doch gerad das Bild vom Sämann! Man sieht ihn fast, diesen Mann, wie er sein Haus verlässt, man sieht, wie das Samenkorn zu Boden fällt, wie es keimt, das alles spricht die Augen an und zugleich den Geist und das Herz… Jesus weilt am Gestade des Sees Genezareth: inmitten einer Bevölkerung von Fischern: „Das Himmelreich ist gleich einem Fischernetz, das ins Netz geworfen wird…“ Er spricht dort vom Bankwesen, von geliehenem Geld. Sieht er unter seinen Zuhörern junge Leute, dann spricht er: „Ein Vater hatte zwei Söhne, der jüngere kam und bat ihn um seinen Teil von der Erbschaft…“ oder es heißt ein andermal, wie ein Sohn sich umfänglich weigert, in den Weinberg arbeiten zu gehen, dann aber sich eines besseren belehrt und schließlich gehorcht. Hat er junge Mädchen vor sich, dann spricht er ihnen vom Gang zur Hochzeitsfeier: „Das Himmelreich ist Jungfrauen gleich, die mit ihren Lampen dem Bräutigam und der Braut entgegengehen.“
Achtet darauf, was er zur Samariterin spricht, die kam, um Wasser zu holen: „Gib mir zu trinken!“ Dann sagt er weiter: „Si sciras donum Dei!“ – Hört euch die Bergpredigt an. Er hatte eine große Volksmenge vor sich. Es wäre ihm schwer gefallen, durch einen einzigen Vortragsgegenstand die Aufmerksamkeit aller zu fesseln. Deshalb entwirft er ihnen im Zusammenhang den Gesamtinhalt seiner Lehre. Er spricht von den Grundgedanken seiner Heilslehren und zwar in kurz abgerundeten, bilderreichen, packenden Wendungen. Er wendet sich an das Herz der Unglücklichen, der Leidenden und Erschöpften. Und diese armen Leute, ermüdet durch die brennende Sommerhitze, durch die Strapazen der langen Wanderung, durch ihre inneren Leiden, hören ihm gerne zu und nehmen seine Worte an. „Beati!“ sagt er ihnen zu allererst: die Seligkeit! Das Wort „Glück“ lässt sie gespannt aufhorchen! Und Jesus zeigt ihnen, wie sie dieses Glück finden in der Armut, im Hungern und Dursten nach der Gerechtigkeit. Wenn er tadelnde Worte spricht und mit Wehrufen droht, tut er es, weil ihm die heuchlerischen Pharisäer entgegentreten: „Tut was sie euch sagen, aber nach ihren Werken sollt ihr nicht handeln.“
Unterhält er sich mit Nikodemus, dann spricht er in Redewendungen, wie sie ein Gesetzeslehrer verstehen kann. Hätte er Hofleute aus dem Palast des Herodes oder die römischen Senatoren vor sich gehabt, dann hätte er gewiss in einem anderen Ton gesprochen. Er spricht, also zu den Zuhörern, die er vor sich hat, und die Redeweise, der er sich bedient, entspricht dem Stande, der Seelenverfassung, der Lebensweise jener, die ihm zuhören. Er spricht ihnen von Dingen, die sie in der Lebensweise jener, die ihm zuhören. Er spricht ihnen von Dingen, die sie interessieren und er sagt ihnen gerade das, was sie notwendig erfahren müssen.
Außer dem göttlichen Heiland sollt ihr auch noch den hl. Paulus betrachten. Auch seine Worte passen sich dem jeweiligen Charakter und der Eigenart seiner Zuhörer an. Er spricht vor dem Areopag zu Athen, welch herrliche Ansprache! Wie gut wäre es, wollten auch die Oblaten so predigen: „Gibt es in der Welt ein Volk, das mehr religiösen Sinn hätte, als gerade ihr Athener?“ und er verkündet ihnen den unbekannten Gott, dem sie einen Altar errichtet hatten, dem Gott, der uns so nahe ist, dem Gott, der unser Vater sein will… Er spricht von der Buße, vom Gericht und wie Jesus von den Toten auferstanden ist. Alle stehen verwundert da. Die einen glauben, andere wiederum schwanken und sagen: „Wir wollen dich ein andermal hören…“
Spricht Saulus Paulus zu den Hebräern, zu den Juden von Jerusalem, dann zeichnet er ihnen in großen Zügen ihre nationale Vergangenheit seit Adam bis auf den göttlichen Heiland. Seine Rede ist bewegt, hinreißend, sie packt die Zuhörer in ihrem zartesten Empfinden. Es ist nicht eine kühle, haarfein einstudierte Rede. Derselben musterhaften Methode in der Beredsamkeit bediente sich auch der hl. Johannes Chrysostomos, wenn er vor seinen Gläubigen zu Antiochien und Konstantinopel predigte. In der einen wie in der anderen Stadt waren Küstenbewohner seine Zuhörer. Ein guter Teil seiner Vergleiche ist dem Leben an der Meeresküste entnommen. Fanden sich Weltdamen oder hochstehende Hofdamen unter seinen Zuhörern ein, dann entlehnte er seine Vergleiche Dingen wie Kleinodien und Edelsteine, die sie doch gut kannten, die sie liebten und mit denen sie sich die Zeit vertreiben. Und er verstand es gut, ihnen Wahrheiten zu sagen. Er predigte ihnen, wie man das Leben nützlich zubringen soll. Er sprach von der Arbeit und vom Segen derselben. Er predigte vom Unheil, das die Trägheit und die Eitelkeit stiften. „Zeigt mir eure Hände“, rief er aus, indem er sich den Seeleuten unter seinen Zuhörern zuwandte. Seht doch eine durchfurchte, schwielige, gebräunte Hand. Was für eine Hand, die man küsse, die man verehren soll. Und dann wandte er sich an die Damen, die ihre Eitelkeit zur Schau trugen: „Und nun zeigt mir eure Hände: Sie sind schlank, parfümiert, mit Edelsteinen geziert… Was tun denn diese Hände? Sie tun nichts, sie dienen nur der Eitelkeit, sie sind Werkzeuge der Hölle! Oh, schreckliche Hand! Verschwinde nur von meinen Augen, die Hand Luzifers!“
Er predigt über das Seelenheil: „Wer war heute Morgen im Hafen? Was habt ihr dort bemerkt? Ihr habt die Fischer gesehen, die ihre Boote zurechtlegten, die Schiffsleute, die ihre Waren auf den Schiffen aufstellten. Die Abfahrt findet zu der und der Stunde statt, alles muss also zur festgesetzten Zeit bereit sein. Ihr habt ebenfalls eine Reise zu machen. Habt ihr wohl eure Segel in Ordnung gebracht. Habt ihr überlegt, was ihr im Schiff mitnehmen könnt und was ihr am Ufer zurücklassen müsst?“ – Manchmal scheint es mir, als schwärmte ich zu viel für den hl. Johannes Chrysostomos und fast möchte ich meiner eigenen Hochschätzung für ihn misstraue aber sooft mir eine Seite von ihm unter die Augen fällt, packt mich immer wieder dieselbe Begeisterung. Nun nehmt aufs Geratewohl aus eurem Brevier irgendeine Stelle, vom hl. Chrysostomos, die ihr gerade findet! Da nehmt z.B. die Samstagslektionen von der Fronleichnamsoktav! Ich übersetze es wörtlich. Er spricht vom allerheiligsten Altarsakrament: „Es ist notwendig, Vielgeliebte, sich in dieses wunderbare Geheimnis zu vertiefen und uns zu fragen, was es denn eigentlich ist, warum es uns gegeben worden ist und welchen Nutzen es uns bringt. Wir werden in der hl. Kommunion ein Leib mit Christus. Die Glieder, so sagt er uns selbst, von seinem Leibe, von seinen Gebeinen. Wir sind darin eingeweiht, wir wissen, was diese Worte bedeuten, Löwen gleich, feueratmend sollen wir von diesem Tische weggehen. Wir sind dem Teufel ein Gegenstand des Schreckens geworden, da wir im Geiste die Macht Christi erwägen, der unser Haupt und unser Führer ist und seine Liebe, die er uns erweist. Oft kommt es vor, dass die Väter und Mütter ihre Kinder anderen Leuten zur Erziehung und Ernährung anvertrauen.“ – „Ich“, so sagt Christus, „werde nicht so handeln. Ich nähre euch, meine Kinder, mit meinem eigenen Fleisch. Ich überlasse euch mich selbst. Ich will, dass einer in einen ganz anderen Stand verwandelt werde. Ich will euch hienieden hingegeben, das werde ich es desto mehr in der Zukunft tun. Ich wollte euer Bruder werden. Euretwegen habe ich mich mit eurem Fleisch, mit eurem Blut vereinigt, wodurch ich einer von euch geworden bin.“
Seht, mit welchen rührenden, erhabenen, aber doch für alle verständlichen Ausdrücken er unseren Herrn in seiner Eucharistie sprechen lässt. Seht, wie lebendig und wahrheitsgetreu seine Sprache ist. – Ein Vorbild noch sollen wir ohne Unterlass vor unseren Augen in unseren Händen haben, nämlich den hl. Franz v. Sales. Wir sollen uns von seinem Geiste durchdringen lassen. Wir sollen uns auch seine Art zu predigen, uns zu Eigen machen. Es wird uns nützlich sein, seine Predigten zu studieren. Gewiss gibt unser Heiliger, ohne daran zu zweifeln, der Geschmackrichtung und dem Kunstempfinden seiner Zeit etwas nach, aber diesen kleinen Mangel abgesehen, finden wir bei ihm die größte Weisheit, wahre Wissenschaft und eine gediegene praktische Lehre. Seht, wie eifrig er die hl. Schrift, die Theologie und die Väter benützt. Seht, wie treu er sich immer an den großen Grundsatz hält: dass man für seine Zuhörer reden soll. Seht, wie er sich an die Leute wendet, die vor ihm stehen. Unter welchen Umständen er auch immer spricht, redet er, nicht und einfach zu reden. Er wechselt den Ton und sein Verhalten, je nachdem es die Verhältnisse und die Personen erfordern. Darüber könnte man eine recht schöne Untersuchung anstellen.
Das wären nun unsere hauptsächlichen Vorbilder. Hütet euch, die Prediger des 14., 15. oder auch des 16. Jahrhunderts nachzuahmen. Da hat man ja doch meist einen Haufen feingekünstelter Redensarten, die das Ohr kitzeln, aber für den Geist und erst recht für das Herz so ziemlich nutzlos sind. In jener Zeit schrieb man Meisterwerke in Theologie, verfasste unvergleichlich schöne geistliche Bücher mit herrlichem, begeistertem Inhalt. Dafür lag aber, wie aus völliger Geisteserschöpfung, die Kanzelberedsamkeit ganz darnieder bis zur Unerträglichkeit. Das kam sogar bei unserem guten hl. Thomas v. Aquin vor. Ich weise nur auf eine Predigt von ihm über die hl. Magdalena, die die Krone dieser Kategorie von Predigten bildet. Er vergleicht sie mit dem Mond und mit den Sternen. Um mich kurz zu fassen, die Väter haben gute Predigten, vorzügliche Homilien geliefert, wie ich solche auch von euch verlange. Von da gehen wir über auf den hl. Franz und H. Lejeune und auf die großen Prediger zurzeit von König Ludwig XIV. Aber damals hielt man keine Homilien und Christenlehren. Alle waren in religiösen Fragen gebildet, alle kannten das Evangelium. Die Homilien und Christenlehren werden ausschließlich für die Landbewohnern und Dorfansässigen gehalten, die nicht genügend vorgebildet waren, um hochgelehrte Predigten zu verstehen. Das 18. Jahrhundert hat uns nichts von Bedeutung zurückgelassen. Schließlich sei noch erwähnt, dass wir auch in unseren Tagen einige tüchtige Prediger aufzuweisen hatten.
