Wie soll ein Oblate des hl. Franz von Sales predigen?

      

5. Über die große Rolle des Predigens und was nicht gepredigt werden soll

Der Hochwürdigste Herr Bischof Mermillod war ein großer Redner, den alle Weltpriester und Laien verstanden und gerne hörten, weil er zu jedem in seiner Sprache reden konnte. Er sagte mir einmal – es war vor 1869 – dass das Studium der Predigt auf Grund des vatikanischen Konzils ganz besonders behandelt werden soll. Eine Eingabe wäre vorbereitet worden mit der Bitte, eine allgemeine Reform in der Art und Weise des Predigens durchzuführen. Man sollte Regeln aufstellen und eine andere als die bis dahin befolgte Methode einschlagen. Bischof Mermillod selbst, sollte, wie ich glaube, einer der Antragsteller sein. Leider konnte das Konzil nicht beendet werden, und als ich mit ihm einmal darüber sprach, da gab er mir zu verstehen, wie ungehalten er gewesen sei, dass man nicht dazu gekommen wäre, diese so wichtige Frage anzuschneiden.

Wie lautet nun nach Msgr. Mermillod die große Frage des Predigers? Die große, um nicht zu sagen, die einzige Regel, die man beim Predigen einhalten muss, lautet: Man soll für seine Zuhörer predigen. Man predige, um von den Leuten, die vor uns sind, gehört und verstanden zu werden. Und man muss ihnen eben das sagen, was auf sie Bezug hat, das, wessen sie bedürfen, das, was sie begreifen und zu Gott hinführen kann.

Die anwesende Zuhörerschaft, die „hic et nunc“ (Anm.: „im Hier und Jetzt“) euch gegenübersteht, soll eure Regel und euer Gesetz sein. Ihr werdet vor Dorfbewohnern keine Moralpredigten halten, wie man es etwa vor 250 Jahren auf dem Hofe König Ludwigs XIV. hätte tun können. Der Prediger achte zuallererst darauf, wen er vor sich hat. Er soll zu den Leuten sprechen, die vor ihm sind, und zwar von Dingen, die jeder brauchen kann. Lasst niemals diesen wesentlichen Grundsatz außer Acht, dieses große ja einzige Gesetz der Kanzelberedsamkeit, dass zwar so einfach ist, aber doch so oft verkannt wir. Sprecht für die Leute, die ihr vor euch habt, sprecht und berücksichtigt dabei ihren Bildungsgrad, ihre Fassungskraft und die Begriffswelt, in der sie leben, achtet gleichfalls auf ihr Alter. Sprecht darüber, was sie fassen und begreifen können, was sie lieben und was sie zu tun imstande sind. Sprecht insbesondere, was ja der Zweck der Predigt sein soll, entsprechend ihren seelischen Bedürfnissen, sagt ihnen gerade das, was sie dringend wissen und tun müssen. Und dann fasst eure Predigt nicht in einer abstrakten Form ab, sondern in greifbar lebensnaher Art und Weise, stets Rücksicht nehmend auf die Gläubigen, die ihr vor euch haben werdet. Das also ist die richtige Methode, es gibt keine andere, die zum Ziele führt. So werdet ihr das Evangelium in die Herzen der Gläubigen wieder einprägen und zwar das lebendige Evangelium, so wie es ist, nämlich das Evangelium für eure Zuhörer. Von dieser oben aufgestellten Regel, die doch so einfach und einleuchtend ist, lasst uns nunmehr die Schlussfolgerungen ziehen:
1. Was dürfen wir nicht predigen?
2. Was sollen wir predigen?
Wovon sollen wir nicht predigen?
1. Wir dürfen keine Predigten halten, wie sie im 17. oder 18. Jahrhundert in Übung waren. Im Seminar lehrte man uns alle – ich habe hier die ältesten von uns im Auge – wir sollten predigen wie Bourdaloue, wie man zurzeit von Ludwig XIV. zu predigen pflegte. Die Predigten nach Art von Bourdaloue waren vorzüglich im 17. Jahrhundert – zu einer Zeit, wo die Gläubigen in religiösen Dingen gut beschlagen waren, wo sich die Schar der Zuhörer aus Männern zusammensetzte, die zum größten Teil Theologie studiert hatten. Denn damals studierte man auf den Universitäten die Theologie mit gleicher Vorliebe, wie z.B. heute die Rechtswissenschaft. Es gehörte zum guten Ton, in die Kirche zu gehen, um die Predigt anzuhören. Die Darlegung der christlichen Wahrheiten wurde in gelehrten Ausdrücken gegeben, die Predigt waren mit aller Sorgfalt gegliedert, geschmackvoll zu-frisiert, mit einer fehlerlosen Aussprache vorgetragen, so dass man ihr mit lebhaftester Anteilnahme folgte. Wo gibt es nun heute Zuhörer, die eine solche Predigt verstehen könnten. Ihr möget die schönste Predigt von Bourdaloue vortragen, keiner von euren Zuhörern wird etwas davon begreifen.

Der würdige Pfarrer Boulage von St. Pantaleon in Troyes, von dem ich euch bereits gesprochen habe, hatte einmal zu seinem Patrozinium den Vikar von der St. Johannes-Pfarrei als Festprediger eingeladen, der nebenbei ein geistvoller und begabter Mann war. Die Predigt war gut gegliedert, schön abgerundet, sorgfältig einstudiert, ganz im Geiste der Predigtwerke des 17. Jahrhunderts gehalten und fehlerfrei vorgetragen. Nach der Feier harrte der Prediger recht zufrieden mit seiner Leistung mit einer bescheidenen Miene, in der Sakristei auf die üblichen Lobeserhebungen. Pfarrer Boulage geht zu ihm hin, reicht ihm die Hand und sagt: „Sie haben es vortrefflich gemacht. Aber sagen Sie mir, Herr Confrater, für wen haben Sie gepredigt?“ – „Für Ihre Pfarrkinder, Herr Pfarrer“, sagte der Vikar, etwas aus der Fassung gekommen. – „Für meine Pfarrkinder?“ – „Nein, vielleicht für die Pfarrkinder meiner Amtsvorgänger. Aber meine Pfarrkinder haben bestimmt nichts von all den schönen Dingen verstehen können, die Sie gepredigt haben. Sie hätten ihre Einleitung abändern müssen und eingangs hinunterrufen: ‚Meine lieben Brüder! Räumt die Kirche! Geht alle hinaus! Man soll die Pforten der Kirche schließen: was ich predigen will, gilt nicht für die Lebenden, nicht für die jetzigen Menschen… Und ihr Toten, die ihr seit 2 oder 3 Jahrhunderten unter den Grabplatten dieser Kirche ruht, erhebt euch und kommt meine Predigt anhören! Ihr seid allein imstande, mich zu verstehen…‘ Mein lieber Freund“, sagt der schalkhafte Pfarrer, „fassen Sie den Vorsatz, wenn ich Sie ein anderes Mal einladen werde, und ich lade Sie für das nächste Jahr hiermit ein, dann nicht mehr zu den Pfarrkindern meiner Vorgänger, sondern zu meinen eigenen zu reden.“

Ich hörte die Predigt desselben Herrn im folgenden Jahre: und der hatte aus der Lektion seinen Nutzen gezogen. Er sprach anregend und praktisch zu den Schäflein des H. Pfarrers. Nein, meine Freunde, ihr sollt nicht predigen wie zurzeit König Ludwigs XIV. Die Methode des Grande siecle hatte ohne Zweifel auch ihr Gutes. Die Predigt wurde ordentlich durchgearbeitet, sorgfältig nach Abteilungen und Unterabteilungen gegliedert, mit logisch aufeinanderfolgenden Beweisgründen verstärkt und strotzte von Klarheit und Kraftfülle. So etwas hatte einen festen Halt und war wie aus einem Guss. Behalten wir nun diese Bearbeitung und Gliederung, die Klarheit und Kraftfülle und Ideen bringen sollen, die zwingende Folgerichtigkeit in der Entwicklung der Gedanken, behalten wir all das nur bei, wie bereits zwei Mal gesagt, aber behalten wir es für uns und persönlich nur, und stellen wir nicht unsere Pläne und Skizzen breit aus vor unseren Zuhörern.

Studieren wir recht eifrig Bourdaloue, eignen wir uns auch einige seiner Methoden an. Nehmen wir besonders alle seine Gedanken herüber, aber hüten wir uns, ihn einfach wortwörtlich zu kopieren. Verarbeiten wir das, was er über diesen und jenen Gegenstand gesagt hat, verdauen wir es gut und übersetzen wir es in die Sprache, die unsere Zuhörer verstehen können. Flechten wir in den Hauptfaden der strengen Logik von Bourdaloue Vergleiche, erbauliche Einzelheiten und zeitgemäße Beobachtungen ein, die den geistigen Fähigkeiten und seelischen Bedürfnissen jener entsprechen, die euch zuhören. Oder nehmt so einen Bossuet. Man findet bei ihm wunderbare Ideen, Gesamtüberblicke und Gedankenflüge. Greift so einen Gedanken auf, der euch gefüllt, entwickelt ihn noch mehr und macht ihn eurer Zuhörerschaft verständlich. Arbeitet aus demselben eine Predigt aus, die alle begreifen können, die sich der Denk- und Redeweise aller anpasst.

2. Wir dürfen keine theologische Gelehrsamkeit predigen. Wir sollten beim Ausarbeiten unserer Predigten recht fleißig die Theologie benützen. Es wurde bereits gesagt, dass die Theologie die Hauptquelle ist, aus der wir schöpfen sollen. Wir wollen sorgfältig die Behauptung bearbeiten, die wir beweisen wollen und auch die Beweisführung, die wir entwickeln wollen, und all dies wollen wir aus der Theologie schöpfen. Aber dafür müssen wir uns hüten, auf der Kanzel einfach trocken unsere Beweise abzuleiten, unsere Lehrsätze in scholastischen Formgewande darzulegen, ganze Bücher von Zitaten aus der hl. Schrift, aus den Kirchenvätern und Konzilien herunterzudeklamieren oder uns allgemeinen Erwägungen zu verlieren. Wenn ihr eine theologische gelehrte Vorlesung haltet, wie könnt ihr dann verlangen, dass euch die Gläubigen verstehen, der größte Teil von ihnen wir sich nicht einmal Mühe geben, euch anzuhören.

Würdet ihr in Rom vor dem Papst und der Versammlung der Kardinäle und Prälaten sprechen, dann würde ich euer Handeln verstehen. Der Papst geht ja nach alter Gewohnheit noch immer in die Predigt, die ein Kapuzinerpater jeden Mittwoch im Advent und jeden Freitag in der Fastenzeit hält. Auch vor einer Versammlung von Priestern oder sogar Seminaristen ließe sich noch in diesem Ton gut predigen, aber wo in der Welt werdet ihr Theologen unter euren Zuhörern finden? Sucht eure Lehrsätze und Beweise für dieselben in der Theologie: darin stimme ich euch bei! Aber kleidet sie in eine solche Form, dass man zwischen die Hau und das Kleid nicht die Knochen und Skelett hindurchsehen kann: so dass man hervorstehende Knochen nicht fühlt, selbst wenn man mit der Hand darüberfährt. Ihr sollt eure Unterweisung und eure Beweise mit verständlichen Darlegungen überkleiden, die den Verstand, die Phantasie, und das Herz ansprechen und so zum Willen eurer Zuhörer dringen.

3. Unsere Predigten sollen den akademischen, gelehrten, schriftstellerischen, professorenhaften kalten Ton vermeiden. Eine traurige Erscheinung der beiden letzten Jahrhunderte sind im Allgemeinen diese Prediger: kühl, leblos, ohne Einfluss auf die Gläubigen, wenn auch oft die Predigt selbst schön gepflegt und im akademischen Gewande sich zeigte. Ja, für wen predigt ihr denn eigentlich? Schaut euch einen eurer Zuhörer an: hören sie euch wirklich zu? Welchen Nutzen können sie nach eurer Ansicht aus dem ziehen, was ihr ihnen vortragt? Sie achten gar nicht darauf. Werden sie auch nur etwas Weniges davon im Gedächtnis behalten? Der hl. Chrysostomos sagt in seinem Buch „de sacerdotio“ (Anm.: „über den priesterlichen Dienst“): „Ich sah, wie ein Priester seine Hand ausstreckte und den Leib des Herrn zur Erde fallen ließ. Ich sah, wie ein Priester auf der Kanzel seinen Mund auftat und das göttliche Wort fallen ließ, das zu den Herzen der Gläubigen nicht gelangen konnte.“

Eine der Ursachen dafür, dass der Glaube in unserer Gesellschaft so abnimmt, ist, so hörte ich öfter Msgr. Mermillod sagen, eben diese Art gelehrte, philosophierende, abstrakte Predigten zu halten, die über das Fassungsvermögen des Volkes hinausgehen und die weder ihren Verstand noch auch ihren Herzen etwas bieten. Seit 200 Jahren predigt man nicht mehr zum Volke! Die kleinen Kinder haben noch wenigstens ihren Katechismus, aber das Volk hat nichts mehr. Diese Predigten, die man seit 200 Jahren hält, werden von niemandem gehört, weil sie keinen Anklang finden, versteht sie ja doch keiner. Eine christliche Frau, die nie ihre Sonntagsmesse versäumte, wird auf diese Weise nie dazu gekommen sein, das geringste Wort zu hören, das ihr zugesagt hätte, noch auch eine ganz bescheidene Unterweisung zu empfangen, die sie unterrichten sollte über ihre Pflichten als christliche Ehegattin und als Familienmutter. Diese akademischen, selbst mit viel Geschick Ausgearbeiteten Predigten ließen die Leute ganz kalt und brachten ihnen keine Belehrung, ja sie langweilten die Zuhörer und entmutigten sie. In Troyes lebt ein sehr gebildeter Mann von feinem Urteil, ein ehemaliger Bergwerksingenieur. Als ich ihm eines Tages in der Fastenzeit begegnete, fragte ich ihn: „Gehen Sie nicht in die Predigt?“ – „Nein“, sagte er mir, „eure Predigten in der Stadt sagen mir gar nicht zu! Nur einen Prediger gibt es, dem ich gern zuhöre. Wenn ich nach Marnay gehe, höre ich mit Freuden die Predigten des H. Pfarrers Fenchot an.“ – „Aber H. Pfarrer Fenchot ist doch kein Redner.“ – „Eben deswegen habe ich ihn so gerne. Er sagt einem wenigstens auf der Kanzel etwas Einfaches, etwas Vernünftiges und Praktisches.“

4. Wir dürfen auf die Kanzel keine meterlangen Spalten und Wortergüsse aus Predigtwerken und allerlei Flachheiten und nichtssagende Allerheilpflästerchen bringen. Soll das heißen, dass man keine Predigtwerke benützen soll? Das sage ich nicht. Gewiss ist es gut, solche zu lesen. Das liefert einem den einen oder anderen Gedanken, wenn man selbst keine solche aufbringt. Ihr findet in einem Predigtbuche etwas, das ganz nach eurem Sinne ist. Dann greift zu und verwertet es. Aber ich will nicht, dass ihr Predigten aus Predigtbüchern haltet. Nehmt Gedanken, die euch zusagen, macht sie euch zu Eigen, verarbeitet sie, wie ich es schon so oft gesagt habe, bringt sie in rechte Ordnung. Flechtet hinein, was euer persönliches Nachdenken euch eingeben wird, oder was ihr in euren Notizen oder sonst wo Interessantes gefunden habt. Aus all dem sollt ihr ein geistiges Produkt herstellen, das, wenn es gut verdaut und euren Zuhörern gut angepasst ist, eure persönliche Gesinnung, euren eigenen Geistesinhalt darstellen, und nicht die Geistesarbeit anderer. Ihr werdet alsdann auch mit Erfolg predigen. Seit 200 Jahren, sagten wir, besonders in den letzten 100 Jahren predigen die Priester in Frankreich und auch anderweitig nicht, wie es sein soll. Sie sind nicht imstande, sich an ihre Zuhörer zu wenden. Inzwischen haben in Frankreich andere gepredigt. Und leider Gottes, diese haben es verstanden, zu ihrer Zuhörerschaft zu reden, und sich Gehör zu verschaffen. Der Teufel hat gepredigt. Er redete in den Kollegien und Schulen, in den Zeitungen und Büchern, in den Logen und Kneipen, im Senat und im Abgeordnetenhaus. Seine Sprache war verständlich und überaus interessant. Die Massen waren von ihm hingerissen.

Es ist heutzutage von größter Bedeutung, dass der Priester Meister des Wortes sei. Eben durch das Wort reißen unsere Gegner die Seelen hin und morden sie. Ebenfalls durch das Wort werden wir sie ihnen entreißen, werden diese Seelen bewahren und retten, die um den Preis des Blutes Jesu Christi erkauft worden sind. Ein Beleg dafür. Warum geben bei jeder Wahl so viele brave Leute ihre Stimme an Schurken ab? Man verstand es, sie so weit zu bringen, indem man sie durch packende, rührende Worte täuschte, durch verführerische Versprechungen, die ihnen zu Gemüte und zum Herzen gingen.