Wie soll ein Oblate des hl. Franz von Sales predigen?

      

4. Über die Anordnung des Materials

Ist der Predigtstoff aufgestapelt, geordnet und durchgesehen, dann muss er zergliedert werden. Euer Vortrag muss Hand und Fuß bekommen. Bei der Zusammenstellung der Predigt befolgt die allgemeinen Regeln der Beredsamkeit, indem ihr eure Gedanken ordnet und sie logisch einteilt. Stellt euch einen klaren, durchsichtigen Plan auf. Gliedert euch den Stoff recht sorgfältig aneinander, wie es Bourdaloue getan hat. Diese Gliederung soll ganz besonders euch selbst dienen, um eine geordnete Reihenfolge und Übersicht in eurem Vortrag zu bekommen. Diese Übersichtlichkeit soll euch gleichsam die Grundlage bieten und euch als Leitfaden dienen. Aber achtet darauf, nicht in den Fehler von Bourdaloue zu fallen und beginnt nicht immer wieder die Punkte eurer Abteilungen und Unterabteilungen vor euren Zuhörern aufzuzählen und zu erklären oder zu wiederholen. Bourdaloue redete vor anderen Zuhörern als ihr. Eure Zuhörer müssten daraufhin weglaufen. Solltet ihr auch einmal eine groß angelegte Predigt mit den üblichen drei Teilen halten, dann dürft ihr aber auf keinen Fall eure drei Punkte mit mächtigem Schwall hinausposaunen: erstens, zweitens, drittens….

Eines Tages wohnte ich einer Predigt bei, die im Zusammenhang mit einer Kollekte gehalten wurde in der St. Nikolaus-Kirche. Neben mir saß ein ehrwürdiger Geistlicher, zünftig und schalkhaft, nämlich der ehemalige Pfarrer von St. Pantaleon, H. Boulage. Der Prediger kündigte seine drei Punkte an: H. Boulage zog die Augenbrauen zusammen. Als der erste Punkt erledigt war, zog mein Nachbar seine Taschenuhr heraus und wandte sich zu mir: „Was geben Sie bei der Sammlung in den Klingelbeutel, wenn Kollektenpredigten gehalten werden?“ – „Vierzig Sous“, gab ich zur Antwort. (Anm.: „30 Groschen“). „Nun, ich gebe nur 20 Groschen, so reich wie Sie bin ich nicht! Denn ich gebe bei der Sammlung noch 20 Groschen dazu in den Klingelbeutel, wenn er sich nur mit zwei anstatt mit drei angekündigten Punkten begnügt. Würde er aber schon nach dem ersten Punkt Schluss machen, dann würde ich noch 40 Groschen darüber opfern. Man sollte einmal eine Volksabstimmung vornehmen und ich möchte wissen, dass jeder drei Mal so viel opfern würde.“ Was mich nun betrifft, so hätte ich persönlich gerne einen nicht so großen Betrag hineingeworfen und sechs Franken ohne Weiteres gegeben, nur um nicht die zwei weiteren Punkte der Predigt anhören zu müssen… Ihr teilt schon im Voraus bis ins einzelne mit einem Wohlbehagen eure drei Punkte mit: die gebildeten Zuhörer stellen sich schon im Voraus eure Predigt zusammen. Und die anderen werden dazwischen murmeln: „Was wird aber die Predigt lang!“ Fenelon war dagegen, dass man die Gliederung seiner Predigt immer wieder von neuem hersagte und er hatte recht.

Ihr müsst euren Plan in geordneter Reihenfolge und in logischer Folgerichtigkeit aufstellen: es soll alles an seinem rechten Platz sein und sich wie selbstverständlich an das Vorhergehende anschließen, es muss klar durchdacht und deutlich gegliedert sein. Nur hütet euch davor, eure Ware gleich nach Besteigen der Kanzel den Leuten wie auf dem Markte vorzulegen. Die Einteilung der Predigt behaltet für euch selbst im Geiste, nur erzählt es nicht um Himmels willen weit und breit vor euren Zuhörern zu ihrer Langweiligkeit.

Es ist notwendig, dass die jungen Patres ihre Predigt niederschreiben und auswendig lernen. Was sie vortragen, soll gut ausgearbeitet, in der hl. Lehre fest begründet und nach allen Regeln der Beredsamkeit aufgesetzt sein. Man muss sich dafür allen Ernstes vorbilden, und sich für die Zukunft einen guten Schliff aneignen. Man muss sich für den Anfang dazu zwingen. Wie am Gymnasium die Grammatik studiert werden muss, denn die Grammatik bildet die Unterlage des gesamten höheren Studiums, ebenso sind die vorbereitenden Arbeiten beim schriftlichen Aufsetzen und beim Niederschreiben der Predigt unbedingt erforderlich, da sonst die Gefahr besteht, dass die Predigten eures ganzen Lebens haltlos und wirkungslos bleiben werden. Ihr werdet durcheinander und planlos darauf los reden, ohne Anklang zu finden. In all der Wortemacherei wird nicht viel Gediegenes zu finden sein. Bildet euch zuerst eine feste Grundlage. Zum Unterbau muss man etwas Gehaltvolles, Bleibendes und Klares verwenden.

Ihr sollt also für den Anfang eure Predigt schriftlich ausarbeiten und auswendig lernen. Allmählich aber müsst ihr, auch wenn ihr noch immer den Text niederschreiben sollt, euch soweit es möglich ist, freimachen vom wortwörtlichen Aufsagen dessen, was ihr geschrieben habt. Euer schriftlicher Text soll euch vielmehr als Netzgewebe, als Grundlage und als Anknüpfungspunkt für euren Vortrag dienen. Euer Wort soll alsdann ungezwungener, freier und leichter fließen, ihr sollt dem Gedanken folgen, der frisch eurem Geiste entspringt, der euch durch den Anblick eurer Zuhörer euch in den Mund gelegt wird und so wird euer Gedanke an Lebendigkeit und Überzeugungskraft gewinnen.

Soll man nun sein ganzes Leben hindurch die Predigt niederschreiben? Es ist sehr gut, wenn man dabei bleibt, selbst dann, wenn man sie nicht auswendig lernt. Dadurch erhält man Ordnung und im Vortrag und Genauigkeit im Ausdruck. Wenn ihr die Gewandtheit des Ausdruckes besitzt, ist es empfehlenswert, dass ihr eure Vorträge auch weiterhin niederschreibt und selbst für eure vertraulichsten Ansprachen euch eine Skizze über die Hauptgedanken aufschreiben, wenigstens bei Behandlung wichtigerer und heikler Fragen. Hat man sich lange Zeit ernste Mühe gegeben, seine Vorträge schriftlich auszuarbeiten, dann erhält der Geist einen festen unerschöpflichen Bestand an Gedankenvorrat, aus dem man später zehren kann, wenn man sich eine langwierige, mühsame Vorbereitung nicht mehr leisten kann. Man kann dann aus der Fülle des Vorhandenen sprechen, wie seiner Zeit H. Boigegrain der Stifter der Vorsehungsschwestern von Troyes.

Eines Tages, es war am Feste Maria Opferung, betrat ich die Kapelle der Schwestern, die ihre Gelübde erneuern sollten. P. Boigegrain hielt ihnen einen Vortrag. Er war damals schon sehr alt. Er sprach sehr einfach, so ganz väterlich. Er sagte ihnen: „Mit wem wollt ihr eure Gelübde erneuern? Macht es wie Maria am Tage ihrer Aufopferung und wie Jesus am Tage seiner Darstellung im Tempel. Die Gesinnung Mariens war die gleiche wie die von Jesus, denn Jesus hatte sie im Voraus ihr eingeflößt.“ Und nun begann er, ihnen von den Gesinnungen Jesu und Mariens zu reden in so einfachen Worten, so tief ergreifend, dass ich zu Tränen gerührt war. Gegen Ende seiner Ansprache merkte er, dass auch ein Priester in der Kapelle zugegen war. als er sah, dass ich es war, ließ er mich rufen: „Ich möchte Sie um etwas bitten, Hochwürden: Geben Sie mir Ihr Ehrenwort, mir nur die Wahrheit zu sagen. Sehen Sie, ich bin schon sehr recht alt, habe schon 77 Jahre hinter mir. Früher schrieb ich meine Predigten nieder und lernte sie auswendig. Jetzt versagen mir die Augen und auch das Gedächtnis den Dienst. Glauben Sie, dass ich noch mit ruhigem Gewissen vor unseren Schwestern predigen kann? Ich bin bange, das Wort Gottes zu entheiligen.“

„Legen Sie mir alle Furcht ab“, sagte ich ihm. „Sie sind gewiss noch im Stande zu predigen, so gut, dass Sie mich soeben zum Weinen gebracht haben.“