Wie soll ein Oblate des hl. Franz von Sales predigen?

      

2. Die richtige Auswahl des Materials für das Predigen

Das Direktorium wies uns auf die inneren Vorbedingungen hin und auf die übernatürliche Vorbereitung zum Predigtamte. Aber man darf auch die Vorbereitung des Verstandes nicht vernachlässigen, man soll auch den Predigtstoff zusammensuchen und durchstudieren. Diese Vorbereitung muss sogar recht sorgfältig vorgenommen werden. Soll man doch seinen Zuhörern das Wort Gottes selbst vortragen. Eine so wichtige Amtshandlung, die von so entscheidendem Einfluss auf das Heil der Seelen ist, muss man mit der allergrößten Ehrfurcht beginnen. Damit die Seelen aus unseren Worten Nutzen ziehen können, ist ein gediegener Grund erforderlich. Den eignet man sich wieder durch ernstes Studium an. Man muss viel und lange studieren. Man muss sich eine Sammlung anlegen und jeden Tag ohne Unterlass in seinem Verstande, im eigenen Urteil, im Gedächtnis, in seiner Notizmappe Vorräte an Predigtunterlagen sammeln, die für einen Diener des Wortes unerlässlich sind. Es ist eine Arbeit auf lange Sicht, eine Arbeit, die das ganze Leben des Priesters ausfüllen soll.

Wo sollt ihr nun den Stoff für eure Predigten suchen gehen? – Zuerst einmal in der Theologie. Die Theologie muss selbstverständlich den Untergrund, die Grundlage, das Gerippe eurer Predigten bilden. Was nicht in der Theologie seine Stütze hat, das kann weder Bestand noch Halt bekommen.

Aus der Theologie werden wir die Definitionen und die Lehrsätze entnehmen desgleichen die Beweise der hl. Schrift, der Überlieferung, die menschlichen Vernunftbeweise. Wie vielerlei Tatsachen können doch in der Theologie gefunden werden. Nennt z.B. jenen Traktat zur Hand, der sich auf euer Predigtthema bezieht, da interessiert euch dieser Lehrsatz, jene Erklärung, jene Begriffserläuterung, herrliche Anleitung, die euch als Leitfaden dienen kann für den Stoff der Predigt, über den ihr predigen wollt.

Studiert somit eure Theologie und zwar nicht allein die grundwesentlichen Abhandlungen, sondern sucht mit Vorliebe tiefer einzudringen in die einzelnen Fragen, die irgendwie mit dem Gegenstand zusammenhängen, über den ihr in euren Unterweisungen, Konferenzen und selbst Katechesen sprechen wollt. Ein weites Feld liegt da für euer Studium offen. Die einzelnen Fragen, die ihr dort findet, sind sehr ausgedehnt, interessant und manchmal sogar begeisternd. Studiert sie möglichst erschöpfend, studiert sie recht gründlich.

Die Theologie soll für euch nicht eine trockene, unanschauliche, blutleere Wissenschaft sein, sondern vielmehr eine lebenswahre, praktische Wissenschaft, die alle eure Verpflichtungen und eure alltäglichen Obliegenheiten umfassen und durchdringen soll. Diese Wissenschaft soll jedes Mal, wenn ihr sie praktisch anwendet den Gesichtskreis erweitern und Leben hineinbringen in eure Katechesen bei Kindern, in eure Exerzitienvorträge, in eure Predigten und selbst in eure Seelenleitung. – Das ist, wohlgemerkt, der wahre Geist der Theologie, nämlich ihre praktische Anwendung in unserem Leben, in unserem Aufgabenkreise. – Gar oft wird eine Katechese langweilig und schwer verdaulich. Oft wird ein Predigtvortrag flach wirken und kühl sich ausnehmen, dann hat man aber eine mangelhafte Vorbereitung vorausgehen lassen, ohne die Theologie zur Hand zu nehmen. Der Katechet bzw. der Prediger hat möglicherweise noch nicht den wahren Sinn dieser oder jener Wahrheit erfasst und hatte dennoch gewagt, darüber als Lehrer aufzutreten.

Studiert recht fleißig eure Theologie und eure Vorträge werden lebhafter und interessanter sein, ohne dass sie gleichzeitig an Tiefe und Inhalt verlieren. Eine schier unerschöpfliche Fundgrube von Reichtümern liegt da vor uns. Schließlich ist das auch ein großes, ja das einzige Mittel, um klar und übersichtlich, eindeutig und sicher zu gleicher Zeit aber auch praktisch sich auszudrücken. Ich erinnere mich an meine Zeit im Priesterseminar, als man uns in den Dom zu einer Predigt führte, wo ein junger Kaplan, H. Quellard sprechen sollte, der seine Predigten mit der Theologie in der Hand auszuarbeiten pflegte. Er hatte seine Sache gut gemacht. Alles war gut aufgesetzt und schön vorgetragen, es war interessant, zuverlässig und mit der hl. Schrift und mit den hl. Vätern wohlbelegt. Die Seminaristen waren ganz hingerissen, die alten Domherren hörten ganz aufmerksam zu und das Volk hatte seine größte Freude daran.

Wie gerne möchte ich meine Kolleghefte aus den Zeiten des großen Seminars wiederfinden, ganz besonders meine Notizen über die Dogmatik. Unser Professor, Herr Sebille, verstand es, seine Vorlesungen recht anziehend zu machen. Ich erinnere mich dessen recht gut wie wunderbar schön sein Traktat „de verbo incarnato“ (Anm.: „über das fleischgewordene Wort“) und „de eucharistia“ (Anm.: „über die hl. Eucharistie“) gewesen ist. Wir waren entzückt und hingerissen: „Nonne cor nostrum ardens erat in nobis? (Anm.: „Brannte nicht das Herz uns in der Brust?“). Diese lebenswahre, greifbare praktische Theologie hört man gerne an. Auf diese Weise soll man sie auch vortragen und auch studieren, sie soll man so erfassen und in sich aufnehmen.

Ja, wir wollen unsere Theologie praktisch studieren. Wenn wir nicht wissen, was mit all dem anfangen, das wir studieren, welchen Gebrauch wir davon machen sollen in unserer seelsorgerlichen Tätigkeit und in unserer priesterlichen Leben, dann laufen wir Gefahr, nutzlos zu arbeiten. Der faule Schreiner ist fortwährend die Zähne seiner Säge am feilen und die Klinge seines Hobels zu schleifen. Was hat er denn von seinen Werkzeugen? Was hat er davon, dass er sie immer richtet? Er benutzt sie ja doch nicht. Machen wir es nicht wie ein solcher träger Schreiner. Merken wir uns das all auf, was wir in den theologischen Vorlesungen hören und wenden wir sie praktisch an, für uns persönlich, zum Wohle jener, für deren Heil wir Sorge zu tragen haben, zum Wohle unserer Schüler, zum Wohle jener, denen wir in unseren Jungmännervereinen oder Mädchenvereinen das Evangelium predigen. Für wen sammelt denn der Familienvater Schätze und Vorräte auf? Doch gewiss für seine Kinder. Sammelt also auch ihr für die Eurigen. Studiert mit diesem Ziel im Auge, mit dem Ziel, alles, was ihr studiert, praktisch und zweckdienlich zu verwerten. So werdet ihr an eurem Studium Freude haben. Ihr werdet bei euren Zuhörern Teilnahm wecken und gute Erfolge erzielen.

Über die Theologie noch eine recht wichtige Bemerkung, die ganz am Platze ist und auf die wir später noch ausführlicher zurückkommen wollen. Also ihr müsst euren Zuhörern gewiss Theologie vortragen, aber nur ja nicht in Form von theologischen Thesen. Niemand würde es verstehen, niemand könnte euch da zuhören, außer den etwa anwesenden Priestern oder Seminaristen, wenn sich solche zufällig unter den Zuhörern finden sollten. Steckt eure Predigt recht mit schönen theologischen Thesen ab. Doch müsst ihr diese Theologie in euch verarbeiten, in euch aufnehmen und sie dann entsprechend der Fassungskraft der Zuhörer vortragen.

Eine Abhandlung der Theologie, die ich euch deshalb besonders empfehlen möchte, weil sie zur Predigt-fachlichen Theologie gehört, ist der Katechismus des Konzils von Trient, der „Katechismus ad Parochos“ (Anm.: „CATECHISMVS, Ex decreto Concilii Tridentini, AD PAROCHOS, PII QVINTI PONT. MAX. IVSSV EDITVS“ [„Katechismus, nach dem Beschluss des Trienter Konzils, für die Pfarrer, im Auftrag des Papstes Pius V. herausgegeben“] – Katechismus 1566 herausgegeben.), auf den der hl. Franz v. Sales so großes Gewicht legte.

Mit der Theologie muss man auch die hl. Schrift studieren, die ja die Grundlage, das Mark, den wesentlichen Bestandteil der Theologie bildet. Macht eure alltägliche Lesung in der Bibel recht aufmerksam und bittet den lieben Gott vorher demütig um sein Licht.

Ich lege es euch ans Herz, recht fleißig die hl. Schrift in euren Unterweisungen, Predigten und Katechesen zu verwerten. Entnehmet mit Vorliebe eure Beispiele der biblischen Geschichte. Führet eurem eigenen Worte die Kraft des göttlichen Wortes zu: in der Anführung und Verwendung der hl. Schrift liegt nämlich ganz besonders eine große Gnade und Kraft.

Ein Beispiel hierfür ist der hl. Bernhard. Seine Predigten enthalten einen solchen Reichtum von Schriftzitaten, dass manchmal, ja oft sogar die Worte der hl. Schrift den Leitfaden seines Vortrages bilden. Ich will nicht sagen, dass es so leicht wäre, ganz und gar es so zu machen, wie er – aber denkt einmal daran, welch große Kraft das euren Worten verleiht.

Desgleichen Bossuet. Was fällt uns denn in seinen Predigten auf? Besonders die Schriftstellen, die er anführt. Seht z.B. seine Geisteserhebungen über die Geheimnisse und seine Betrachtungen über das Evangelium, diese beiden so beachten, so tief durchdachten und rührenden Werke. Was lässt sich außer der hl. Schrift noch Besonders finden? Wahrlich recht wenig. Wenn Bossuet einen Bibeltext anführt, dann ist er von demselben ganz erleuchtet, er verarbeitet denselben ganz in sich. Er sieht das, was ihm diese göttlichen Worte sagen in einer lichtvollen Schauung und gibt es in seiner erhabenen Sprache wider. Wie ist das zu erklären? Nun, weil er ein heiligmäßiger Mann ist, weil das demütige Gebet seinen Verstand erleuchtet, sein Herz erwärmt hat. Was er schreibt, ist etwas Lebendiges, etwas Wunderschönes. Bossuet ist wie neulich der Papst zum P. Brunetieres gesagt hat, immer zeitgemäß.

Dasselbe kann man vom hl. Chrysostomos sagen wie vom hl. Franz v. Sales, besonders von dessen Predigten. Das gilt von allen hl. Vätern: immer wieder greifen sie zur hl. Schrift.

Ihr sollt die hl. Schrift vom gleichen praktischen Standpunkt aus lesen, wie ich es vom Studium der Theologie gesagt habe. Ihr sollt sie für euren persönlichen Nutzen lesen, sowie auch zum Gebrauch für jene Seelen, die Gott euch schickt. In dieser hl. Lesung sollt ihr eure eigene und auch ihre Nahrung suchen. Wenn ihr predigt, oder Katechesen erteilt, oder Beichte hört, dann vergesst niemals, dass ihr vornehmlich in der hl. Schrift verbunden mit dem Gebet, das Licht von Oben erhalten werdet. Wir benützen die Bibel viel zu wenig. Wir würden besser und erfolgreicher predigen, und machten wir reicheren Gebrauch von derselben.

Eine Jugenderinnerung: Als ich in das kleine Seminar zu Troyes eintrat, hatte ich einen Sextaner aus Areis-sur-L., Aube, zum Mitschüler. Wir sprachen über den Herrn Pfarrer von Arois, der den Ruf eines tüchtigen Predigers besaß, die der Mitschüler hatte mir das gesagt und hinzugefügt: „Ich höre dem Hochwürdigen H. Pfarrer wohl gerne zu. Seine Predigten sind lange nicht von der Art der anderen. Seine Worte, seine Geschichtchen machen auf mich einen Eindruck und interessieren mich viel mehr wie die der anderen Prediger. „Einige Zeit später“, sagte mir jener Schüler freudestrahlend: „Jetzt habe ich es herausgefunden, warum der Herr Pfarrer so schön predigt. Was er nämlich predigt, das holt er sich aus der Bibel heraus. Dort finde ich alle seine schönen Geschichtchen und alles andere, was mir in seinen Predigten so sehr gefiel.“ Der natürliche Sinn hatte das Kind nicht getäuscht: Der Herr Pfarrer war ein tüchtiger Prediger eben weil er die Bibel predigte.

Benutzen wir ja recht fleißig die Heilige Schrift. Wenn wir unsere Lesung machen wollen wir die Texte sorgfältig notieren und zusammenstellen, die uns irgendwie geeignet scheinen, eine bestimmte Wahrheit zu entwickeln, einer Lehre Glauben zu verschaffen, zu ermahnen und die Seele in einer schwierigen Lage zu ermuntern. Wir werden auf diese Weise aus der Quelle selbst schöpfen. War es nicht Bossuet, der einmal gesagt hat, dass man mit der Bibel und einer Konkordanz die Kirche mit ungeahntem Glanz erleuchten könnte?

Ich mache noch eine und zwar die letzte und sehr wichtige Bemerkung über die hl. Schrift. Sooft ihr Bezug nehmt auf irgendein Ereignis in der Bibel, dann vergesst gar nicht, dass in unseren Tagen, wo man die biblische Geschichte nicht mehr kennt, man sie nicht einfach zitieren, sondern erzählen soll. Früher konnte jedes sechsjährige Kind die Geschichte vom ägyptischen Josef: und heute – ob es wohl von 1000 Christen vier gibt, die sie kennen!

Neben den Gedanken, die ihr der hl. Schrift entlehnt, und die eine greifbare Verwertung der Theorien aus der Theologie sein sollen – sollt ihr nicht unterlassen, viele Züge aus dem Leben der Heiligen in eure Predigten hineinzubringen. Was mich betrifft, so möchte ich keinen Kandidaten zur Priesterweihe zulassen, der nicht immer und immer wieder das Leben der Heiligen gelesen hätte, oder ich ließe wenigstens einen solchen Priester nicht predigen. Er kann vielleicht ein gescheiter Theologe sein, nun dann lassen wir ihn als Professor die Theologie dozieren! Er kann ein tüchtiger Rechtsgelehrte, in kanonischem Recht sein: So macht ihn zum Generalvikar! Aber er soll nur das Predigen lassen. Wie soll er die Gläubigen lehren, heilig zu werden, wenn er die Heiligen selbst nicht kennengelernt und nachgeahmt hat?

Woher kommt es, dass im vorigen Jahrhundert so erbärmlich gepredigt worden ist? Daran ist vieles schuld, wie wir noch sehen werden, aber das Hauptüber war, dass man das Leben der Heiligen zu viel beiseitegeschoben hatte. Vor ein paar Wochen hat einer unserer Patres in der St. Remigius-Kirche gepredigt. Es war am Abend des Patroziniumsfestes und er hatte den Gläubigen das Leben ihres hl. Patrons erzählt. Er hat ihnen nacheinander die alten Darstellungen aus dem 16. Jahrhundert erklärt, die von den Wundern des hl. Bischofs erzählen. Alle haben gerne zugehört, alle waren zufrieden und ein ehrwürdiger Pfarrer von Troyes, nämlich Herr Renion von der St. Nikolauspfarrei sagte beim Hinausgehen zum Prediger: „Wir übrigens gingen einen Irrweg – Sie besitzen die rechte Art zu predigen.“

Widmet euch auch dem Studium der Kirchenväter zu: dem hl. Augustinus und dem hl. Chrysostomos. Ich empfehle die Chrysostomos-Lektüre, besonders jene, die berufen sind, zu predigen und Katechesen zu erteilen. Der hl. Augustinus hat gewiss auch seine Bedeutung. Bei ihm spricht besonders der Geist. Er versteht es großartig, sich in Abhandlungen und Darlegungen zu ergehen. Der hl. Chrysostomos hat wieder seine Eigenart: Bei ihm spricht vor allem das Herz. Er spricht zu den Herzen der Zuhörer, er packt sie und er rührt sie. Er lässt sie keinen Augenblick allein, er stellt Fragen an sie, er lässt sie selbst in seinen Predigten auftreten und all das tut er mit einer nicht nachzuahmenden Beredsamkeit.

Nehmt das, was der hl. Chrysostomos gepredigt hat zur Hand, und tragt es in einer beliebigen Pfarrei den Gläubigen vor. Alle werden euch aufmerksam zuhören, soviel Leben und Wahrhaftigkeit steckt darin. Übersetzt ihn wortwörtlich und macht einmal diese Probe. Alle werden entzückt sein. Das ist so recht, das Wort des Predigers.

Aber ganz besonders müsst ihr den hl. Franz v. Sales studieren. Unsere Satzungen verlangen doch, dass wir jeden Tag etwas darin lesen. Notieren wir dabei alles, was uns in diesen Lesungen auffällt. Die Predigtmethode des hl. Franz v. Sales ist wie auch seine Methode der Seelenführung sehr einfach. Er macht keine gelehrten Abhandlungen, sondern er legt bloß das und lehrt. Das ist übrigens die Methode des Evangeliums. Das ist die Art und Weise, oft sogar der Stil, wie man ihm im Evangelium begegnet. Er spricht ungekünstelt, einfach, bei ihm findet man keine geheimen Mittel, in seinen Unterweisungen findet sich nichts, was man schwer verstehen könnte. Was er sagt, ist klar und allen verständlich. Er sucht die Aufmerksamkeit und den Willen zu fesseln und er führt die Seelen geradewegs zur Vereinigung mit Gott. Er zeigt, wie man alles mit und für Gott tun soll, wie man in seiner Gegenwart wandeln, wie man nie den Mut verlieren und wie man mit möglichst vollkommener Treue seine Pflicht erfüllen soll, weil die Pflicht der Wille Gottes selbst ist.

Hierin finden wir jene Lehre, die uns durchdringen soll. Ihr seht also, wo all das, was der hl. Kirchenlehrer in seinen Predigten und anderen Werken gelehrt hat, eigentlich hinaus will. Machen wir uns diese Grundsätze zu Eigen. Dieser Geist des hl. Franz v. Sales soll auch unser Geist in allen unseren Handlungen werden, besonders in unserer Amtstätigkeit als Verkünder des Wortes Gottes.

Man kann daraus vielen Nutzen ziehen, wenn man die Predigten des hl. Franz v. Sales unter diesem Gesichtspunkt studiert. Gewiss, er huldigte etwas dem Stil und dem Geschmack seiner Zeit. Sonst aber könnt ihr feststellen, dass bei ihm alles den Stempel wahrer Gelehrsamkeit, Bildung und Weisheit und auch echter Menschenkenntnis trägt. Wie wunderbar versteht er es, die Väter, die hl. Schrift, die Theologie zu verwerten, wie auch das Leben der Heiligen. Seht, wie getreu er den Grundsatz befolgt, den wir etwas weiter noch kennen lernen: nämlich, dass man für eine Zuhörerschaft sprechen soll.

Suchen wir beim hl. Franz v. Sales unsere Geistesnahrung und reichen wir diese Nahrung auch anderen dar. Wenn wir mit Gottes Gnade treue Jünger des hl. Franz v. Sales sind, werden wir, wie er etwas Gediegenes leisten. Wir werden mit Erfolg sein Werk fortsetzen: und etwas wird von der Arbeit, die wir geschafft haben, immer hängen bleiben. Wenn wir auch den hl. Franz v. Sales studieren, so dürfen wir doch die anderen Prediger nicht vernachlässigen. Auch sie haben ihren Wert, und können uns nützlich sein. Seien wir aber dabei bestrebt, alles, was wir bei ihnen finden, in die Lehre des hl. Franz v. Sales einzufügen, „indem man, wie die Satzungen bemerken so viel als möglich an die Lehre und an die Methode unseres seligen Vaters sich hält, überzeugt, dass all das, was er gesagt und gelehrt hat, das Zuträglichste für die uns anvertrauten Seelen sei und dass wir besonders durch diese Mittel Gnaden für sie erhalten.“

Unter den anderen berühmten Kanzelrednern, die uns nützlich sein können und deren Studium empfehlenswert ist, ist Bossuet an erster Stelle zu nennen. Lest und studiert Bossuet, trachtet seine Lehre zu erfassen, in die Tiefen seiner Gedanken einzudringen, die so leicht dahinfliegen, die so erhaben sind. Denkt einmal über Bossuet nach und ihr werdet feststellen können, dass dieser geistvolle Mann im Grunde genommen dieselbe Lehre, dieselbe Methode, dieselben Mittel anwandte wie der hl. Franz v. Sales. Ihr Wesenszug war genau derselbe, sei es, wenn man ihren Wandel vor Gott in Betracht zieht, sei es wenn man betrachtet, wie sie die Seelen im Wandel vor Gott anleiteten. Eben an dieser Quelle von schier unbegrenzten Reichtum, nämlich in der Liebe des göttlichen Willens hat Bossuet mit der ganzen Kraft seines Glaubens, mit seiner Willensstärke und seiner Geistesgröße geschöpft, seine Erleuchtung, seine Wissenschaft, seine Beredsamkeit und seine Heiligkeit.

Studiert man auch die Predigtwerke mancher gute Prediger kann auch hierin vorzüglichen Predigtstoff liefern. So ist besonders Bourdaloue im Stil sehr fein, so logisch, so voll von erhabenen Ideen. Übersetzt Bourdaloue in eine Sprache, die eure Zuhörer gut verstehen können, schmückt ihn etwas aus, gebt seinen folgerichtigen, strengen, aber für heutige Zuhörer etwas zu starren Vernunfterwägungen eine volkstümlichere Form. Macht sein Wort allen verständlich und passt es der Denk- und Redeweise der Zuhörer an.

Unter den Kanzelrednern wäre auch P. Lejeune sehr zu empfehlen: er stellt die Wahrheit unter interessanten und einzigartigen Gesichtspunkten dar. Wenn man ihn liest, bemerkt man, wie ein- und dieselbe Frage von verschiedenen Standpunkten aus beleuchtet und behandelt werden kann. Ist er auch etwas veraltet und kann man ihn auch nicht in allen Punkten nachahmen, so bleibt er doch interessant, lebhaft, zuverlässig und praktisch.

Könntet ihr euch nicht Lacordaire zum Muster nehmen? Könntet ihr nicht auch die zeitgenössischen Kanzelredner lesen? Sie dürften euch so manchen guten Dienst erweisen. Vor einer gebildeten erlesenen Zuhörerschaft bei Konferenzen für Jünglinge und Männer könnten sie euch manch guten Gedanken eingeben und die Zuhörer Freude und Wohlgefallen an euren Vorträgen finden lassen.

Gut ist es auch, die Prediger zu studieren, die man gelegentlich selbst predigen hört. Im Allgemeinen kann man aus einer Predigt immer etwas lernen, besonders wenn man sich einen bedeutenderen Redner gegenüber sieht.

Der frühere Dompfarrer von Troyes, H. Roizard, ein feingebildeter Mann hörte alle Predigten an, selbst solche von jungen Priestern und er zog aus allen irgend einen Nutzen, wie er selbst bezeugte. Eines Tages nahm er zum Gegenstand seiner Predigten im Dom zwei oder drei Gedanken aus einer Dreifaltigkeitspredigt, die ich einige Zeit vor ihm gehalten hatte und die ich meinem theologischen Handbuch, oder irgendeinem Predigtwerke entnommen hatte: „Herr Pfarrer“, sagte ich ihm daraufhin, „nehmen Sie sich in Acht, sonst werde ich rufen müssen: ‚Helft, ein Dieb!‘ Und doch, wie viel entfernt bin ich davon, ein guter Redner zu sein!“

Studiert auch die Kirchengeschichte. Der katholische Lehrvortrag muss sich im Wesentlichen auf die Geschichte stützen. Seht doch, wie die Gottlosen die Geschichte bekämpfen, weil die Geschichte einer der bedeutenden Schutzwälle der Religion ist. Wenn ihr also die Wahrheit predigt, dann seid so viel wie möglich bedacht geschichtlich zu bleiben, indem ihr euch auf die Geschehnissen und Tatsachen stützet.

Lest auch die Geschichte der Jetztzeit. Man muss über die hauptsächlichsten Ereignisse unserer Tage auf dem Laufenden sein. Man muss unterrichtet sein über die Geistesströmung der eigenen Zeitepoche und über die gegebenen Verhältnisse seiner Heimat. Wir dürfen nicht allzu unwissend sein über das, was in unserer Umgebung gesprochen oder getan wird. Schöpft auch daraus eure Gedanken, freilich recht vorsichtig, klug und bedachtsam. Insbesondere scheint es mir unerlässlich, dass ihr bis zu einem gewissen Grade die Irrtümer kennen lernt, denen man im alltäglichen Leben begegnet und die man bekämpfen und niederschlagen sollt.