1. Über die Geistes- und Herzensgemeinschaften eines guten Predigers
Sooft man zu predigen hat, halte man sich vor allem an die Gedanken des Direktorium. Die gute Meinung verübernatürlicht eine Handlung und macht sie überaus verdienstlich, während sie ohne dieselbe beliebig bleibt. Und wenn man die Pflicht übernimmt, zu predigen oder Katechismusunterricht zu erteilen, das heißt das Wort Gottes zu verkünden, ist es erst recht dringend erforderlich, recht sorgfältig die gute Meinung zu erwecken, sich an das Direktorium zu halten, und mit Gott, dessen Werkzeug man doch ist, vereint zu sein.
Was sagt uns das Direktorium übers Predigen?
„Die Patres sollen niemals predigen, ohne ihres Herrn und Heilandes Jesus Christus zu gedenken, den sie in der hl. Messe empfangen und der vermittels ihrer Zunge zu den Gläubigen spricht.“
Als Hauptgrundsatz stellt der hl. Franz v. Sales für alle Umstände des Lebens auf: die Vereinigung mit unserem Heiland, und das mit Recht, ganz besonders in unserem Falle. Der Priester, der so oft den Heiland empfängt, lebt vom Leben des Heilandes selbst. Sein Mund und seine Zunge sind gewissermaßen der Mund und die Zunge des göttlichen Meisters.
„Es ist unglaublich“, sagt der hl. Chrysostomos, „wie schrecklich den bösen Geistern das Wort des Predigers ist, der das Allerheiligste Sakrament empfangen hat.“ Das ist so wahr, dass man wohl mit dem hl. Paulus sagen kann: „Ihr verlangt ja den Beweis, dass Christus in mir spricht.“ (Anm.: „vgl. 2 Kor 13,3“).
Suchen wir den Gedanken des hl. Chrysostomos und des hl. Paulus gut zu erfassen und glauben wir fest, dass unser göttlicher Heiland, der an unseren Lippen geruht hatte, uns die Kraft verleihen wird, zuerst den Bösen zu vertreiben, und dann auch die Gabe, unsere Zuhörer zu überzeugen und zu bekehren. Er wird unseren Worten seine Wirksamkeit verleihen.
„Dieser Gedanke“, sagt der hl. Franz v. Sales weiter, „bringt uns Zuversicht, Eifer und Licht, denn Christus sagt: ‚Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt.‘ (Anm.: „vgl. Joh 9,5.“). Da er demnach das Licht ist, ist es sicher, dass der in unserem Herzen wirklich und wesentlich gegenwärtige Heiland uns innerlich erleuchtet. Hatten doch auch die Jünger von Emmaus nach Empfang der hl. Kommunion das geistige Licht verlangt.“
Der Herr verleiht uns, ist er einmal bei uns eingekehrt, Licht und Vertrauen, sodass man furchtlos sprechen kann, denn unser Mut und unsere Sicherheit gründen sich nicht auf unsere etwaigen Verdienste oder auf unsere Fähigkeiten, sondern auf die Gnade des Heilandes. Was der Priester auf der Kanzel vorbringt, ist ja nicht sein eigenes Wort, es ist vielmehr das Wort Gottes selbst.
Welch herrlichen Stoff zur Betrachtung finden wir darin! Wenn ihr gerufen werdet, das Wort Gottes zu verkünden, dann sollen diese Gesinnungen euch beseelen und ihr sollt, bevor ihr zu predigen anfangt, euch immer zuerst mit dem göttlichen Heiland vereinigen durch einen recht lebendigen Akt des Glaubens.
Es kommt gar nicht selten vor, dass Priester diese Binsenwahrheit übersehen: dass sie doch Werkzeuge und Organe des göttlichen Heilandes sind. Und anstatt sich bei ihm ihre Anweisungen, ihren Leitgedanken zu holen, nehmen sie zu irgendeinem Predigtwerk ihre Zuflucht, als zu ihrer hauptsächlichen, ja ihrer einzigen Gedankenquelle. Die Heiden waren in ihrem Denken doch noch folgerichtiger als manche Prediger: „Ab Jove principium…“ (Anm.: „Seit Beginn des Jupiter…“).
Wenn die Ehrw. Mutter Maria Salesia eine Ansprache an die Heimsuchungsschwestern hielt, wurde auch nicht alles stilistisch und rednerisch fein vorbereitet. Aber nie tat sie es ohne eine übernatürliche Vorbereitung vorausgehen zu lassen. Bevor sie sprach, auch während sie sprach, war sie mit dem göttlichen Heiland vereinigt und betete, Gott möge ihren Zuhörerinnen ein Licht herabsenden. So sollen auch wir handeln, an diese Lehre wollen auch wir uns halten. Wie es heißt: „Ego sum lux mundi.“ (Anm.: „Ich bin das Licht der Welt.“). Sind wir mit jenem vereinigt, der das Licht der Welt ist, dann wird auch Klarheit und Licht in unseren Worten sein, die Verständnis, Glaubenswärme und Überzeugungskraft in den Herzen der Zuhörer wecken.
„Die Patres werden demnach nach einer großen Herzensreinheit streben. Bevor sie das Wort Gottes verkünden, mögen sie einen Akt der Reue erwecken, eingedenk der Worte des Psalmisten: „Zu dem Sünder hingegen spricht Gott, warum zählst du meine Satzungen auf und nimmst meinen Bund in deine Hand?“ („Peccatori autem dixit Deus: Quare tu enarras justitias meas, et assumis testamentum meum per os tuum“ Ps 50,16). In der Tat: auch beim Predigen kann man wie sonst allgemein nur das geben, was sie sind. Um mit Erfolg zu sprechen, muss man ein reines Herz haben, frei von jeder freiwilligen gewollten Sünde. Es ist daher gut, bevor man zu predigen beginnt, einen Akt der vollkommenen Reue zu erwecken. Und um diese Reinheit des Herzens zu bewahren, soll man den fortwährenden Geist der Buße pflegen. Damit bringen wir die Seele in eine Verfassung, die für eine fruchtbare Predigt wohl am günstigsten ist. Nun besteht der Geist der Buße für die Kinder des hl. Franz v. Sales vor allem darin, dass man das Leben so hinnimmt, wie es uns die göttliche Vorsehung erweist, mit den Prüfungen und Leiden des Alltags, mit den Reibungen verschieden gearteter Charakterrichtungen, mit allen Rücksichtslosigkeiten und Lieblosigkeiten, denen wir zum Opfer fallen. Das alles wollen wir uns als einen kostbaren Schatz aufbewahren: talentum auri, wobei wir gedenken, wie bei unserem göttlichen Heiland gerade das Leiden sein Wort besiegelte, und wie der hl. Paulus allen Erfolg seiner Predigten auf der Abtötung aufbaute. „Castigo corpus meum et in servitutem redigo, ne cum aliis praedicaverim ipse efficiar.“ (Anm.: „vielmehr züchtige und unterwerfe ich meinen Leib, damit ich nicht anderen predige und selbst verworfen werde.“). (zit. aus: 1. Kor 9,27).
Das Pontificale Romanum schreibt vor, ein Bischof müsse vor der Einweihung einer Kirche fasten. Das soll zeigen, wie das Priestertum selbst in seiner vollsten Entfaltung glückliche Erfolge nur durch das Gebet, dem die Abtötung folgt, erzielen kann. Sagt denn nicht unser göttlicher Heiland selbst, dass gewisse Arten von Teufeln, der der Unkeuschheit unter anderem, nur durch Gebet und Fasten ausgetrieben werden können? Geben wir uns keiner Täuschung hin, ein anders Mittel, um die Gnade der Bekehrung der Seelen und die Gnade praktischer Erfolge für unsere Predigten zu erlangen, gibt es nicht.
Ihr dürft das Hilfsmittel der Buße zu keinem Werk unterlassen; in dieser Weise mögen sich unsere jungen Kleriker durch und durch bilden. So werden sie darin für das ganze Leben grundlegende Werte besitzen, für ein Werk, das die Rettung der Seelen zum Zwecke hat. Das gilt für jede Art von religiöser Unterweisung: Predigten, Konferenzen, Katechesen, Exerzitien, Missionen, etc. Nur um diesen Preis sichern wir uns den Erfolg.
Fahren wir im Direktorium fort: „Ihr Ziel und ihre Absicht bei der Predigt sei, das zu tun, wofür unser Herr in diese Welt gekommen ist. Er hat dieses mit folgenden Worten erklärt: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.“ – „Ego veni, ut vitam habeant et abundantius habeant.“ (Anm.: „Joh 10,10“). Das Endziel des Predigers sei demnach, die durch ihr Lasterleben geistig toten Sünder zum Leben der Reinheit zurückzuführen und den Gerechten, die bereits ein Gnadenleben führen, zu einer noch größeren Gnadenfülle zu verhelfen. Vor Beginn der Predigt spreche der Pater in seinem Herzen: „Ego veni ut isti vitam habeant et abundantius habeant.“ – „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.“
Nur aus der Heiligkeit kann die Heiligkeit hervorgehen. Sind wir im Besitz derselben, sind wir bestrebt, mit dem Heiland vereinigt zu leben, werden die Seelen durch den Verkehr mit uns Licht und Leben empfangen, die hl. Kirche findet in uns ihre Stütze und die Zahl der Bewohner des Paradieses wird immer mehr zunehmen. Ein heiliger Priester wirkt auf der Kanzel wahre Wunder.
Da sie ein so göttliches Amt aus eigenen Kräften nicht verwalten können, mögen sie beim Besteigen der Kanzel Gott dem Vater die Lehrtätigkeit dem Heiland mit folgenden oder ähnlichen Worten aufopfern: „O Gott, ich opfere Dir auf die großen und zahlreichen Mühen, die dein göttlicher Sohn mit dem Predigtamte auf sich nahm. Den brennenden Eifer für deine Ehre und für das Heil der Seelen. Den Schweiß, die Müdigkeit und alle sonstigen Beschwerden, die er erduldete. Die Missgunst, den Hass und die Verfolgungen, die er zum Heil der Seelen in die verschiedensten Orte unternahm, die mühevollen Reisen und Wanderungen, die Nächte, die er im Gebete durchwachte. Für all dies sage ich dir tiefsten Dank und preise ich dich von ganzem Herzen. Ich bitte Dich durch die Verdienste all dieser Liebeswerke, gewähre mir einen glühenden Eifer für Deine Ehre und für das Heil der Seelen. Das Verlangen, beständig nach diesem Ziele zu streben. Großmut, all die Schwierigkeiten in deinem hl. Dienst starkmütig zu überwinden.“
Es ist gut, dieses Gebetchen vor dem Besteigen der Kanzel wörtlich zu verrichten, nachdem es der hl. Franz v. Sales so gerne hatte.
„Gut ist es, sagt das Direktorium einige Zeilen weiter, wenn man schon Tage vorher seine Predigt vorbereitet und wenn man morgens in die Betrachtung die Gedanken einflicht, die man vortragen will. Am fruchtbringendsten ist wohl die Vorbereitung vor dem Tabernakel.“
Halten wir uns möglichst getreu an den Brauch, zuerst für uns selbst das zu betrachten, was wir anderen predigen sollen. Tun wir es, wenn wir es ungehindert können, an den Stufen des Altares. Nichts ist so nutzbringend. Es ist wie das Samenkorn, das in gutes Erdreich gestreut wird und hundertfache Frucht bringt. Diese Vorbereitung hat etwas Echtes und Nützliches an sich. Ohne dieselbe wird es dann einem ergehen wie dem Samenkorn, das unter Dornen und auf unbebauten Boden gefallen war.
Unser Direktorium stellt also als Grundsatz der praktischen Redekunst die Vereinigung mit unserem göttlichen Heiland vor, die Buße, den Seeleneifer und das Gebet. Fügen wir noch hinzu: das gute Beispiel und die Ausübung jener Tugenden, die wir predigen. Predigen wir das Evangelium, wie unser Herr es gepredigt hatte, indem wir zuerst nach demselben leben: „Coepit Jesus facere et docere.“ – „Jesus fing an zu handeln und zu lehren.“ Ihr predigt von der Buße, nun da müsst ihr zuerst selbst Buße tun. Ihr predigt vor den Heimsuchungsschwestern. Jedes Heimsuchungskloster möchte Vorträge und Ansprachen von Oblatenpatres haben. Ihr predigt die Demut, dann müsst ihr zuerst selbst die Demut üben. Nun dann sollen sie auch an euch jene Tugenden sehen, von denen ihr ihnen predigt. – Wenn man an euch weder Frömmigkeit noch innere Sammlung noch Treue und Ordenszucht noch abgetötetes Wesen wahrnimmt, dann werdet ihr aber einen gar traurigen Eindruck zurücklassen. Wie können da eure Worte Früchte hervorbringen?
Die großen Prediger rufen gerade nicht immer die Bekehrungsbewegungen hervor, wohl immer hingegen die heiligmäßigen Prediger.
Im Seminar erklärte man uns die Grundsätze der Redekunst, die Gesetze des Ausdruckes, die Quellen, die man zu benützen hätte. Vielleicht betonte man dann zu wenig jene inneren Eigenschaften des Geistes und des Herzens, die ich euch nannte und die das Direktorium von uns fordert. – Man überließ diese Dinge dem Gewissen und dem gesunden Urteil der Einzelnen. Wir müssen auf diese Punkte des Direktoriums großes Gewicht legen, sonst setzen wir uns der Gefahr aus, rein natürlich zu handeln und überhaupt nichts Rechtes zustande zu bringen.
