Wie soll ein Oblate des hl. Franz von Sales predigen?

      

Vorwort

Wenn man predigt, oder auch wenn man Beichte hört, wenn man in der Seelenführung, in der Erziehung oder in den Missionen tätig ist, kurz in jeder priesterlichen Berufsausübung darf man nicht nach der eigenen Fantasie handeln. Wenn jeder arbeitet wie er will, dann bilden wir keine Gemeinschaft mehr, dann gehen wir liebe in die Welt zurück, wo wir gute Pfarrer, Vikare oder Professoren sein können, und wo es dann jedem freisteht, zu arbeiten wie er mag.

Da wir Oblaten des hl. Franz von Sales sind, sollen wir auch als Oblaten predigen, Beichte hören, als Oblaten die Seelen führen und unterrichten.

Soll das heißen, dass bei uns ausnahmslos ein und dasselbe Wesen zu wahren sei, dass bei uns einer dem anderen unbedingt gleichen müsse, ohne irgendeine Rücksicht auf das persönliche Denken und Empfinden des Einzelnen zu nehmen? „Alius quidem sic alius vero sic. (Anm.: „Der eine so, der andere so.“). Jeder möge bis zu einem gewissen Maß seiner Eingebung, seiner Gedankenausrichtung, seiner persönlichen Ausdrucks- und Handlungsweise folgen, sein besonderes Talent verwerten. Wir werden sehen, wie man das sein kann und soll. Wenn wir aber voneinander abweichen, so darf es nur in nebensächlicheren Dingen geschehen. Alle dies verschiedenen Arten im Denken und im Handeln müssen ihre Regulierung, ihre Nährkraft und ihren Geistesinhalt (inspire) durch den Geist der Kongregation erhalten.

Wir werden dann, gestattet mir den Vergleich, wie ein Pfropfreis sein, in dessen Stamm man einen Zweig von edlem Saft eingepfropft hat. Hättet ihr das Pfropfreis nicht veredelt, dann hätte es euch nur kaum genießbare und mittelmäßige Früchte gebracht. Pfropft ihr ihm dagegen einen Zweig ein, der das Herbe des Saftes veredelt und es befruchtet, dann werdet ihr prachtvolle Stücke in eurem Obstgarten stehen haben, das euch köstliche Früchte liefern wird.

Haltet recht treu zu eurer Kongregation, sie ist das Pfropfreis. Lebet in ihrem Geiste. Lasst euren Saft veredeln und befruchten und eure Werke werden reiche Früchte tragen. Predigt als Oblaten des hl. Franz v. Sales!

Gott lässt Genossenschaften erstehen, damit diese den Zeitübeln abhelfen, unter denen sie entstehen.

Alle Ordensgenossenschaften haben ihre eigene Art zu predigen, die dem Charakter jener Zeit entspricht, in der sie gegründet worden sind. Dementsprechend müssen auch die Oblaten des hl. Franz von Sales die Männer der Stunde sein. Sie sollen besonders die Lügen und schlechten Ideenströmungen ihrer Zeit bekämpfen und nicht mehr so sehr die verkehrten Ideen und Irrtümer von Voltaire und Rousseau oder der der Irrlehrer vergangener Zeiten. Sie sollen zu den Menschen sprechen, die sie vor sich haben.

Dieser Hauptgrundsatz soll, wie wir noch sehen werden, die größte und einzige Regel ihrer Predigtkunst sein.