Vorbereitungstriduum für die hl. Exerzitien im Kloster der Mariä Heimsuchung zu Reims vom 01.-03.09.1879

      

2. Vortrag: Das immerwährende Opfer der Heimsuchungsschwester

Meine lieben Schwestern!

Wenn wir Gottes Barmherzigkeit auf unser Vaterland und seine Hilfe in den großen Anliegen der hl. Kirche erlangen wollen, dann bedarf es vieler Gebete, nicht nur des Gebetes der Lippen, des Wünschens und Verlangens, sondern der Gebete der Tat, des Opfers. Dieses Gebet ist das wirksamste von allen. Wo sollte es besser, vollständiger, großmütiger, beharrlicher geübt werden als in der Heimsuchung? Gestern sagte ich Ihnen, dass Sie unter den religiösen Orden, die die hl. Kirche zieren, zu jenen gehören, die am besten den ursprünglichen Geist, die anfängliche Reinheit bewahrt haben. Nichts ist hier geändert. Man findet hier die Schönheit, die Anmut und die Kraft jener ersten Blumen wieder, die den Garten der Heimsuchung zierten in jener glücklichen Zeit, als der göttliche Bräutigam ihn pflanzte und mit vieler Liebe bebaute. Weil Sie sich in so ausgezeichneten und vollkommenen Bedingungen befinden, so appelliere ich an Ihr Herz, damit Sie der hl. Kirche helfen, wie unser seliger Vater es gewollt hat.

Helfen Sie der hl. Kirche vor allem durch Ihr ganzes Leben, durch jedes Ihrer Tagewerke. Der Tag einer Heimsuchungsschwester ist das Land, wo dem Herrn ein immerwährendes Opfer vom Morgen bis zum Abend gebracht werden soll, vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang. Doch nein, dieses Opfer darf in der Nacht nicht unterbrochen werden, weil selbst Ihr Schlaf geheiligt ist durch den Gehorsam, sodass jeder Atemzug, jeder Herzensschlag ein Akt der Liebe oder, theologisch gesprochen, vollkommener Gottesliebe ist. Ich erwarte das von Ihnen. Denn Sie können mehr als wer immer in der hl. Kirche behilflich sein bei ihrem Werk der Erneuerung.

Das ist eine große Aufgabe. Seien wir mutig. Vereinigen wir mit Gott durch die Mittel, die unser seliger Vater uns vorgeschrieben hat, vor allem durch die treue Übung des Direktoriums. Wenn wir vom Erwachen an mit Eifer jene Gesinnungen uns zu Eigen machen, die es uns rät, so ist das bereits das Morgenopfer, ein Opfer des Wohlgeruchs für die Engel Gottes. Wir ahmen die Blumen nach, die, sobald sie am Morgen geöffnet sind, die aufgehende Sonne betrachten. Denn von dieser Sonne erwarten sie ihren Wohlgeruch und ihre Farbe, ihr Leben. Sie scheinen nur für sie zu leben, und die Sonne scheint nur für sie da zu sein. Das ist keine Poesie, meine lieben Schwestern, das ist Wirklichkeit. Wenn Sie die Gabe Gottes erkennten, wenn Sie zu verstehen vermöchten, welche Gnaden mit der treuen, einfältigen und liebenden Beobachtung des Direktoriums verbunden sind, so würde Ihnen diese Arbeit genügen.

Warum suchen Sie anderswo? Warum gibst du dich mit Nachgrübeln ab, du Menschenskind? Warum bringen Sie Ihre durch unnötige Sorgen in Unruhe? Alles in Ihrem Leben ist vorhergeschehen. Alles bringt Sie Gott näher und lässt Sie schon auf Erden das Leben des Himmels beginnen. Wenn Sie zur hl. Messe gehen, zur Betrachtung, wenn Sie zum Offizium sich begeben, so ist Gott da. Sie finden ihn durch das Direktorium. Gehen Sie also dorthin wie der anbetende Engel. Sie dienen demselben Herrn. Sie werfen sich vor derselben Majestät nieder. „Kommt, lasset uns anbeten und niederfallen vor dem Herrn.“ Das ist wahr, vollkommen wahr. Überschütten Sie sich mit den Gnaden, die enthalten sind im Direktorium. Seien Sie darin in Ihrem Element wie der Fisch im Wasser. Atmen und suchen Sie nicht außerhalb desselben. Denn hier ist für Sie die Grundbedingung zu allem Guten. Seien Sie also treu in der Observanz und lieben Sie den Gehorsam, der die Übungen den Bedürfnissen und Kräften jeder einzelnen anpasst. Wenn Sie zu jenen gehören, die die ganze Regel ohne Ausnahme beobachten können, oh, dann tun Sie es großmütig und bringen Sie wie die Mutter Samuels Gott jeden Tag ein ganzes Schaubrot dar. Das ist wirklich das Glück des Ordenslebens, welches die göttlichen Erbarmungen auf Sie herabzieht. Und es wird Ihr während der ganzen Ewigkeit sein, dass Sie dieses vollständige Opfer darbringen konnten. Im Himmel gibt es keine Eifersucht. Ihre Schwestern werden Ihnen immerdar Glück wünschen und Sie selig und dreimal selig preisen. „Sie werden mich preisen von Geschlecht zu Geschlecht.“

Wenn Sie aber trotz Ihres sehnlichen Verlangens die Regel nicht vollständig beobachten können, wenn Ihre körperlichen und seelischen Kräfte es Ihnen nicht ermöglichen, so seien Sie nicht traurig darüber. Ich kann Ihnen ein herrliches Beispiel anführen, um Ihnen zu zeigen, dass Gott sich mit dem Opfer der Armen begnügt. Wäre die allerseligste Jungfrau reich gewesen, so hätte sie mit Freuden wie so viele andere Mütter ein junges, schönes, unschuldiges Lamm als Lösepreis für Ihren Sohn geopfert. Doch das war ihr nicht möglich. Ein kleines Lamm war zu teuer. Da sie keine vollständige Gabe darbringen konnte, so gibt sie einen Teil und begnügt sich mit der Darbringung von zwei Täubchen. Das ist nicht das vollständige Opfer der Reichen und Mächtigen, sondern das Opfer der Armen. War es Gott weniger angenehm? Wenn Sie sich in derselben Lage befinden, so trösten Sie sich. Sie können die Regel nicht vollständig beobachten, Sie müssen Ihr Opfer zerlegen und einen Teil am Morgen und einen anderen am Abend darbringen. Diese Gabe ist Gott nicht minder wohlgefällig, denn sie wir ihm dargebracht von der Seele, die er am meisten geliebt hat. Doch diese Teilung, verstehen Sie es wohl, muss das Siegel einen unbedingten, absoluten Gehorsams tragen. Dieser Gehorsam muss Ihnen ausdrücklich vorschreiben, was Sie unterlassen sollen und was Sie geben dürfen.

Wie Sie sehen, können sie alle, die Schwachen wie die Starken, täglich das große Opfer darbringen, welches vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang gefeiert wird und vom Sonnenuntergang bis zur Morgenröte. Wenn doch Ihre Seele sich recht davon überzeugen würde, dass nur dieses eine notwendig ist und wie notwendig es ist. Das ist es, was Gott von Ihnen will, die einzige Gabe, die ihm angenehm ist, die einzige, die er anerkennt und annimmt. Schließen Sie sich ein in die Schranken der Observanz, in jene, die Ihnen gesetzt sind durch die Leitung, durch den Gehorsam. Und Sie finden darin die Fülle der Seligkeit, wenn Sie alle Gerechtigkeit erfüllt, wenn Sie treu und vollständig das Gesetz, die Fülle des Gesetzes beobachtet haben.

Fassen Sie Mut, fangen Sie heute an und Sie werden die besonderen Früchte der Gnade sehen, die sie daraus ziehen. Sie sagen mir vielleicht: „Aber, mein Vater, ich führe seit langem dieses Leben, seit zehn, zwanzig Jahren und selbst länger noch, und ich habe nicht nur nicht diese Vorteile daraus gezogen, sondern ich habe in gewisser Weise dieses schöne Leben missbraucht, weil ich nicht treu gewesen bin. Ich habe den Geschmack, die Liebe, das Aroma davon verloren, die den Willen beleben, die die Kräfte aufrecht halten, die bewirken, dass man fühlt, wie Gott dies alles tut. „Oh, sprechen Sie nicht so.“ Fangen Sie wieder mit Vertrauen an. Gehen Sie frisch ans Werk und Sie finden Ihren Eifer wieder. Er ist nicht verloren gegangen, er ist da, für Sie erreichbar. Suchen Sie ihn weder rechts noch links, weder beim Sonnenaufgang noch beim Sonnenuntergang, weder am Mittag noch um Mitternacht. Nehmen Sie ihn dort, wo er ist. „Tochter Moabs, warum schöpfest du Wasser in fremden Zisternen? Bleibe im Lande deiner Väter, stille deinen Durst an der Quelle deines Patriarchen Jakob.“ Dieser Brunnen Jakobs ist für die Ordensfrau der Heimsuchung jenes Wasser, das bis zum ewigen Leben empor sprießt, jene gesegnete Quelle, die Reinheit, Heiligkeit, Licht, und Kraft verleiht, jener Tau des Himmels, der erfrischt und belebt, selbst dann, wenn die Seele fast tot ist. Das sind die Vorschriften und die Ratschläge, die der hl. Geist selbst für Sie unserem hl. Stifter diktiert hat. Das Wort Gottes verliert nicht seine Kraft. Es hat im Gegenteil immer neue Wirksamkeit, es kann also nicht verfehlen, Ihnen jetzt ebenso heilsam zu sein wie in den ersten Tagen Ihres Ordenslebens, wie es nicht weniger wirksam sein wird für die zuletzt Kommenden, als es für Ihre ersten Mütter gewesen ist, wenn alle es mit ebenso viel Glauben, Unterwürfigkeit und Liebe umfassen. Der Herr wird uns segnen. Bitten wir ihn darum inständig um die Liebe und um die Ausübung dieses göttlichen Opfers, welches die 24 Stunden unsers Tages umfasst, welches jede Minute unseres Lebens, jeden Schlag unseres Herzens heilig und verdienstlich macht und welches uns innig mit dem ununterbrochenen Sühnopfer des göttlichen Lammes vereinigt, das hingeopfert wird in der hl. Eucharistie aus Liebe zu uns.

Bräute Christi, schätzen Sie Ihr Glück, begreifen Sie es? Wenn Sie zur hl. Messe gehen, zur Segensandacht, so oft Sie sich dem Tabernakel nahen, ist Ihr Heiland da. Er erwartet Sie, zu jeder Stunde des Tages und in jedem Augenblick und opfert für Ihre Bedürfnisse ein immerwährendes Opfer, das nie unterbrochen wird. Denn Jesus liebt Sie heute weniger als er Sie vor zehn, vor zwanzig Jahren liebte, und er will Ihre Gegenliebe. Bitten Sie ihn denn um die Gnade, auch täglich jenes immerwährende zehn Mal heilige, zehn Mal von seiner Gnade mit Wohlgeruch durchduftete Brandopfer darzubringen, welches man das wahre Leben der Heimsuchung nennt. Dann können Sie alles erlangen. Beten Sie für Ihr so verirrtes Vaterland. Erflehen Sie dem verführten Volk die Gnade, noch die Gesetze der Liebe Gottes anstelle jener Satans zu erkennen. Das ist eine große Aufgabe, meine Schwestern. Die ganze hl. Kirche erwartet, dass Sie sie erfüllen.

Doch ich wiederhole es Ihnen, Ihr sicheres Mittel, Ihr einziges Mittel ist die vollkommene Beobachtung alles dessen, was Ihnen vorgeschrieben ist. Die vierundzwanzig Stunden, die jeder Sonnenaufgang Ihnen bringt, sollen wie jene Greise der Apokalypse, sich zurückzuwenden zum Throne Gottes als Brand- und Sühnopfer. Und es heißt, dass die Stimme der achtzig Greise, während sie ihre Kronen niederlegten, widerhallten in allen Winkeln des Himmels und Millionen und Millionen von Engeln im Verein mit ihm wiederholten: „Sanctus, sanctus, sanctus…“ So ist es beim drei Mal heiligen Gott mit der hl. Eucharistie.

Umgeben Sie dieselbe mit Liebe. Vereinigen Sie sich mit den Engeln des Heiligtums! Sagen Sie diesem süßen Erlöser, dass Sie, weil er sich gewürdigt hat, Sie zu seinen Bräuten auszuerwählen, sein Leben leben wollen und dass von nun an Ihr tägliches Schlacht- und Brandopfer die Nachahmung des Seinigen sein oder vielmehr mit dem Seinigen sich verschmerzen soll. Dann sind hier nicht mehr zwei Opfer zu unterscheiden, eines am Altare und ein anderes in der Zelle, eines im Refektorium und ein anderes in der Gemeinde. Nein, es wird nur noch ein einziges Opfer sein, aber ein vollständiges, allumfassendes Opfer. Dann freut sich das heiligste Herz Jesu. Dann bereitet es bessere Zeiten vor, für unser unglückliches Vaterland und Hilfe für die hl. Kirche. Denn Ihr Opfer macht den Himmel geneigt und kann alles erlangen. Es ist allmächtig vor dem Vater, der ewig herrscht mit dem Sohne und dem hl. Geiste. Amen.

D.s.b.