Exerzitien für Jungarbeiterinnen, August 1870

      

2. Die Arbeit

Meine Kinder, heute Abend will ich euch etwas über die Arbeit sagen: sie ist das große Gesetz, das allen auferlegt ist.

Was ist einer auf der Welt, der nicht arbeitet? Man muss arbeiten im Schweiße seines Angesichtes oder im Schweiß des Herzens. Und der Schweiß des Herzens ist unendlich mühsamer als jener der Stirn, denn es ist der Schweiß der Tränen und der Enttäuschungen der Eigenliebe.

Am Anfang der Welt hatte Gott Adam in das irdische Paradies gesetzt, um hier zu arbeiten, aber es war eine Arbeit reinen Vergnügens. Nach seiner Sünde wurde Adam zu einer mühsamen Arbeit verurteilt, die Hände, Füße und Rücken ermüdet. Aber bei aller verbliebenen Strafe für die Sünde wurde die Arbeit geadelt und geheiligt durch den Sohn Gottes, der viele Jahre mit seinen göttlichen Händen arbeiten wollte.

Ich habe euch schon erzählt, dass ich vor fünf oder sechs Jahren das kleine Haus von Nazareth gesehen habe, in dem Jesus und Maria ihre Zeit mit Handarbeit verbrachten. Hier erfüllte das Jesuskind jeden Tag die Aufgabe, die ihm von seiner Mutter aufgetragen wurde. Hier verfertigte und nähte Maria die Kleider ihres göttlichen Sohnes. Eine Arbeit, die als Vorbilder Gott und seine Mutter hat, ist daher etwas Edles und Erhabenes! Und ich schätze das Wissen viel höher, dass Gott mir ein Beispiel gegeben und die Arbeit geheiligt hat, als all die humanitären Theorien zu denken, die erfunden wurden, um entweder die Arbeit herabzuwürdigen oder die Menschen zu überreden, dass sie mit Begeisterung arbeiten. Ich habe gegenwärtig Arbeiter, die mir einen Brunnen graben. Sie stehen bis zu den Knien im Wasser. Sollte ich ihnen sagen: „Meine Freunde, arbeitet mit Begeisterung?“ Wahrhaftig ein schöner Beweggrund zur Begeisterung, so tief im Wasser zu stecken! Viel lieber denke ich daran, dass es im Himmel drei göttliche Personen gibt, dass eine davon Mensch geworden ist und dreißig Jahre ihres Lebens gearbeitet hat: dass auf der ersten Stufe seines Thrones eine Frau sitzt, die nicht Gott ist, die aber Gott die Menschennatur geschenkt hat. Dass diese Frau dieses schönste und edelste aller Geschöpfe, ebenso ihr Leben in Arbeit verbracht hat.

Damit aber die Arbeit wirklich gut und dieser göttlichen Vorbilder würdig ist, muss sie zwei Eigenschaften haben: sie muss gut und fromm getan werden.

Damit die Arbeit recht getan wird, meine Kinder, müsst ihr gewissenhaft der Person, die euch anstellt, alle Zeit widmen, die ihr gebührt. Es darf offenbar keine Arbeit sein, die ein wenig die Zeit vertreibt: das wäre nicht gerecht. Vielmehr muss die Zeit und der Arbeitstag gewissenhaft ausgefüllt werden.

Außerdem muss die Arbeit fromm getan werden. Was hindert euch, wenn ihr euer Tagewerk beginnt, eure Arbeit Gott aufzuopfern und zur heiligen Jungfrau zu sagen: „Meine gute Mutter, ich schenke dir alle Stücke, die ich nähen werde. Ich vereinige mich mit dir, wie du im kleinen Haus von Nazareth für das Jesuskind gearbeitet hast?“ Warum macht ihr es nicht wie eine heilige Seele, die ich gekannt habe? Sie bat Gott, dass alle Dinge, die sie bei der Arbeit berührte und die dann in die Hände anderer übergingen, jedem von ihnen etwas von er Gnade und Barmherzigkeit Gottes bringen.

Aber diese gewissenhafte und fromme Arbeit begegnet oft ernsten Hindernissen. Man ist von Leuten umgeben, die nicht ebenso gewissenhaft sind in der Sorgfalt und in der Verwendung der Zeit. Man scheut sich davor, sich hervorzutun, oder nur den Schein zu erwecken, dass man anderen eine Lektion erteilen möchte, wenn man gewissenhafter ist als sie. Um dem zu entgehen, liebe Kinder, müsst ihr, während ihr selbst sehr treu seid, gegen alle verträglich sein, aber im Grundsätzlichen bleiben.

Was die fromme Arbeit betrifft, ist das recht schwierig zu verwirklichen, wo viele Arbeiterinnen und Arbeiter beisammen sind. Doch glaubt mir, erhebt euer Herz zu Gott und zu eurer guten Mutter im Himmel, und Gott, der auf Erden gearbeitet hat, wird sich selbst zu eurem Belohner machen, indem er euch Anteil an seiner Herrlichkeit gibt. So sei es.